Stefan Aust und Dirk Laabs: Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU.
Pantheon Verlag, München 2014
864 Seiten, 22,99 Euro
Dem rechten Terror auf der Spur
13 Jahre lang konnten die Mitglieder der rechten Terrorgruppe NSU ungehindert morden. Der Journalist Stefan Aust und der Filmemacher Dirk Laabs legen jetzt ein Buch vor, das die Rolle staatlicher Institutionen während dieser Zeit untersucht.
Maike Albath: Sie erbeuteten Geld, mordeten, legten Bomben und waren immer wieder wie vom Erdboden verschluckt: 13 Jahre lang konnten die Mitglieder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" unentdeckt ihre Gewalttaten planen. Der Journalist, langjährige Chefredakteur des Wochenmagazins "Der Spiegel", mittlerweile Herausgeber der Zeitung "Die Welt", Stefan Aust, und der Autor und Filmemacher Dirk Laabs legen jetzt ein Buch vor, das die Rolle staatlicher Institutionen während der Mordserie genauer in den Blick nimmt. "Heimatschutz" heißt es. Beide sind heute in der Lesart zu Gast. Guten Tag.
488 Seiten hat allein die Anklageschrift des Prozesses, der jetzt in München läuft seit Mai 2013. Es gibt unzählige Akten der Untersuchungsausschüsse. Warum war es notwendig, Herr Aust, dass Sie das Ganze auch noch einmal journalistisch aufarbeiten?
Stefan Aust: Na ja, Sie haben es schon gesagt: Es gibt natürlich unendlich viel Material, unendlich viele Akten. Aber es ist sehr schwer, den Überblick zu behalten. Es ist sehr schwer, aus den vielen Artikeln, die darüber erschienen sind, auch immer noch erscheinen über einzelne Vorgänge, einzelne Morde, einzelne ungeklärte Fragen, über das Fortgehen des Prozesses, über den Untersuchungsausschuss, viele Dinge, die aber nur sehr schwer auf eine Reihe zu bekommen sind. Uns lag es daran, aus den vorhandenen Materialien und eigenen zusätzlichen Recherchen in chronologischer Reihenfolge das zusammenzustellen, was es gibt, die Geschichte zu erzählen, das heißt eigentlich, drei Geschichten parallel zu erzählen.
Die eine Geschichte ist die der Täter innerhalb dieser entstehenden rechtsradikalen Szene, auch mit ein bisschen Blick zurück zu Beginn der Bundesrepublik und der Entwicklung der rechtsradikalen Szene, aber natürlich im Wesentlichen an den Hauptpersonen, an den mutmaßlichen Tätern längs erzählt. – Das ist die eine Ebene. Die zweite Ebene ist die der Ermittlungen der Polizei, erst einmal, was die Banküberfälle anbetrifft, dann, was die Mordserie anbetrifft: die Frage, warum man immer in eine bestimmte Richtung ermittelt hat und erkennbare Anzeichen, dass man eigentlich woanders ermitteln müsste, nicht wirklich aufgenommen hat. Und die Dritte ist die Rolle der Nachrichtendienste in dieser rechtsradikalen Szene.
Diese drei Dinge so genau aufzuschreiben, wie man sie rekonstruieren kann, das war eigentlich unsere Absicht. Wir wollten nicht – wir hätten es gern getan –, aber wir können auch keine wirkliche Lösung anbieten, wir können nur die Fragen, die sich aufgrund der Fakten ergeben, thematisieren. Und das ist, ehrlich gesagt, schon eine ganze Menge an offenen Fragen, die jemand, der das liest, glaube ich, sehr zum Denken bringt.
"Teilweise sehr zentrale Dokumente"
Albath: Es ist eine ganz erschütternde Bestandsaufnahme. Sie haben schon aufgefächert, in welche Richtung die Recherche gegangen ist. Hatten Sie denn Materialien, Dirk Labs, die jetzt den Untersuchungsausschüssen und auch den Anklägern nicht vorliegen?
Dirk Laabs: Ja, teilweise sehr zentrale Dokumente. Es ist ja zum Teil auch behauptet worden oder es schwierig gewesen, Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben, beides Angeklagte in München momentan, nachzuweisen, dass sie zum Beispiel mit dem Thüringer "Heimatschutz" wirklich etwas zu tun hatten. Wir sind auf ein Dokument gestoßen, dass sie sogar bei der Gründung, also als der Thüringer Heimatschutz aus der Taufe gehoben worden ist, dabei waren, sofort auch den Behörden aufgefallen sind, von Anfang an auf dem Radar diverser Sicherheitsbehörden waren, und dass sie dabei ausgerechnet von einem V-Mann angeleitet worden sind.
Es gibt noch viele andere Dokumente. Es sind auch nicht unbedingt die verschriftlichten Dokumente, die interessant sind, sondern auch Interviews mit Quellen, die eben darauf hinweisen, dass die ganze Verwicklung von Uwe Böhnert - auch wenn er sehr jung war, muss man dazu sagen - mit dem organisierten Verbrechen in Jena sehr viel interessanter und intensiver war als bisher bekannt und sehr, sehr viele Fragen aus vielerlei Gründen aufwirft.
Also, es ist schon, glaube ich, einiges, was darüber hinausgeht.Und was, glaube ich, noch fast wichtiger oder genauso wichtig ist, ist, dass wir natürlich jetzt im Unterschied zu dem Untersuchungsausschuss gerade in Berlin bestimmte Beweismittel anders bewerten. Der Untersuchungsausschuss in Berlin hat ja mehr oder weniger gesagt, die Aktenschredderung wäre Dummheit. Also, das sind jetzt die Worte von Sebastian Edathy, dem damaligen Vorsitzenden. Und es ginge nicht um Vertuschung.
Und mit dem Buch, was ja eine Chronologie ist, eine Dokumentation, aber dennoch widersprechen wir da vehement. Es gab ja dieses diffuse Gefühl, denke ich, in der Öffentlichkeit, dass da was nicht stimmt, aber wir legen uns, glaube ich, da zu Recht ein bisschen fester und sind da anderer Meinung als etwa die Abgeordneten, die da defensiver damit umgegangen sind.
Albath: Sie haben den einen Aspekt ja schon angesprochen, Herr Aust: Der Verfassungsschutz und die V-Leute, die sind ganz zentral und scheinen ja auch sehr viel tiefer verwickelt zu sein. Wie konnte es dazu kommen? Wie wurden die überhaupt rekrutiert und was für ein Licht wirft das auf die Bundesrepublik?
"Schnittmenge zwischen Rechtsradikalen und Rockerszene"
Aust: Das ist das zentrale Problem jedes Geheimdienstes und speziell des Verfassungsschutzes – sowohl, wenn er in der rechten wie auch in der linken Szene ermittelt. In der linken Szene ist es fast nie gelungen, irgendwelche Agenten, V-Leute, Spitzel irgendwie anzuwerben. Das ist sehr schwierig gewesen. In der rechten Szene ist das offenbar ganz leicht, weil viele von denjenigen, die zu diesem rechten Untergrund oder Quasi-Untergrund gehören, zu dieser ganzen Szenerie gehören, also von Skinheads bis zu den wirklich militanten Rechtsradikalen, die auch in der Lage sind, irgendwie Bomben zu bauen oder auch zu werfen oder Leute totzuschlagen, da ist es den Verfassungsschutzbeamten offenbar gelungen, doch eine ganze Reihe von Leuten zu akquirieren.
Das hat etwas sozusagen mit der Charakterlosigkeit der Leute in dieser Szene zu tun, von denen man ja immer nur denkt, dass sind - oder sehr häufig von links werden die so eingeschätzt - ordentliche Leute mit der falschen Gesinnung. In Wirklichkeit ist das also eine ziemlich – ich sage mal – trübe Brühe, in der diese Leute sich bewegen. Und die Schnittmengen zur Kriminalität sind außerordentlich groß.
Es gibt eine große Schnittmenge zwischen Rechtsradikalen und Rockerszene zum Beispiel. Das konnte man schon damals sehen, als "Blood & Honour", diese rechtsradikale internationale Musikorganisation, Konzerte gemacht haben, waren da immer die Skinheads oder die Rocker, haben den Türsteher, also den Schutz gemacht. Das heißt, da gibt es, ich sage mal, eine bunte Mischung in diesem ganzen rechtsradikalen Umfeld zwischen rechtsradikalen Gesinnungstätern und Kriminellen und sehr häufig auch noch zusammen. Und in diesem Geflecht von Leuten war es dem Verfassungsschutz offenbar relativ häufig möglich Leute anzuwerben. Aber Anwerben heißt, sie zu bezahlen, für Informationen zu bezahlen. Ob die ihnen dann immer die richtigen Informationen gegeben haben, ist eine ganz andere Frage. Und die meisten waren ja Rechtsradikale bis unter die Haut.
Albath: Wieso hatte der Staat dann gar keine Handhabe? Wie kann es sein, dass ein Innenminister oder auch die Polizei nicht viel stärker eingriff und auch den Verfassungsschutz an die Kandare nahm? Das ist doch eigentlich das, was man sich als Bürger vorstellen würde.
Laabs: Ja, aber das kann ja die Polizei nicht, sondern wir haben ja aus dem Papier des BKA in Ausführlichkeit zitiert in dem Buch, das genau das kritisiert, es fällt halt auf, dass die Neonazi-Szene, die militante rechte Szene nahezu komplett unterwandert ist von den verschiedenen Geheimdiensten. Das BKA sagt dann auch in so einem Positionspapier gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz: Prinzipiell nichts einzuwenden gegen Informanten, nur ihr habt die nicht im Griff.
Es passiert nämlich Folgendes: Ihr warnt euren V-Mann vor einer Durchsuchung. Und der warnt dann erst mal seine anderen fünf Kumpels und meinetwegen ein großes Ermittlungsverfahren gegen eine Gruppe läuft ins Leere. Das heißt, wenn man spricht mit BKA-Beamten, da wird dann auch gesagt: Na ja, wir haben ja auch V-Leute oder Informanten, nur von denen kriegt man nicht so viel mit, weil wir die besser führen.
Und das ist sicherlich, wenn man es jetzt mal ein bisschen nüchterner und strategischer betrachtet, der Vorwurf, den man dem Bundesamt auch machen muss, das es sehr oft diese V-Leute nicht im Griff gehabt hat, aber sicherlich sehr bewusst dennoch sogar wollte, dass sie aufsteigen. Also, diese Ausrede, dass man nicht führendes Personal wollte, das stimmt halt einfach nicht, wenn man sich anguckt, dass man wirklich sehr gezielt auch – ich sage mal so – die Talente rekrutiert hat, sehr jung.