"Absolute Transparenz soll an vorderster Stelle stehen"
Vor vier Jahren wurde der sogenannte nationalsozialistische Untergrund (NSU) enttarnt. Doch die Aufklärung der NSU-Verbrechen bleibe schwierig, sagt Katharina König, Obfrau für den NSU-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag. Denn niemand wisse, ob wirklich alle Akten vorlägen, kritisiert sie den Verfassungsschutz.
2011 wurden die beiden mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem gescheiterten Überfall erschossen aufgefunden. Dadurch wurde der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) enttarnt. Wie schwierig die Aufklärung der Fälle ist, beschreibt die Thüringer Linken-Abgeordnete Katharina König. Sie ist zugleich Obfrau des NSU-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag und sagt: Zwar lägen in Thüringen die Akten alle ungeschwärzt vor, aber "das Problem ist natürlich, dass niemand weiß, ob alle Akten wirklich vorhanden sind – weil niemand weiß, welche Akten der Verfassungsschutz als solches hat. Dazu kommt das Problem: Ein Teil der Akten ist schon längst vernichtet. Geschreddert wurden einige vielleicht bewusst im Nachgang des 4. November 2011, andere aus Datenschutzgründen bereits in den Jahren zuvor."
Noch immer enthält der Geheimdienst Unterlagen vor
Nicht nachvollziehbar sei, dass es Geheimdiensten noch immer gelinge, dem Untersuchungsausschuss wichtige Unterlagen vorzuenthalten. "Letztlich sollte die von Frau Merkel zugesagte, absolute transparente Aufklärung an vorderster Stelle stehen. Und da müssen sich, zumindest aus meiner Perspektive, auch die Verfassungsschutzämter unterordnen." Es sei an der Zeit, dass sich Untersuchungsausschüsse in Teilen über die Interessen der Verfassungsschutzbehörde hinweg setzten. Von Fall zu Fall plädiere sie "für einen bewussten Geheimnisverrat ..., um eben zur Aufklärung beizutragen."
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Seit vier Jahren wissen wir vom Nationalsozialistischen Untergrund, an diesem Mittwoch war der unrühmliche vierte Jahrestag dieses Schocks, dass es da ein ganzes Jahrzehnt braunen Terror gab und wir nichts davon wussten. Seither bemühen sich Politik und Justiz, Licht in dieses Dunkel zu bringen, die Betonung liegt auf bemühen, nicht unbedingt auf Licht. Wir wissen immer noch sehr vieles nicht, vor allem nicht, welche Rolle die Geheimdienste eigentlich bei all dem gespielt haben. Der Bundestag wird wohl einen neuen Anlauf machen, am Montag soll sich ein zweiter NSU-Untersuchungsausschuss konstituieren. Die Arbeit des ersten endete übrigens automatisch mit der letzten Bundestagswahl, das ist der Hintergrund, und es sind einfach zu viele Fragen offen geblieben in Berlin. Aber ähnlich dürfte es auch dem Landtag in Thüringen gehen, dessen Untersuchungsausschuss zum NSU noch stets arbeitet. Und auf der Suche nach Aufklärung ist dort auch Katharina König, von den Linken Abgeordnete und Obfrau ihrer Fraktion im dortigen NSU-Untersuchungsausschuss. Frau König, guten Morgen!
Katharina König: Guten Morgen!
Frenzel: Wie schwierig ist es denn für Sie, bei dieser Arbeit an Information heranzukommen?
König: Wir haben in Thüringen einen Vorteil gegenüber anderen Bundesländern und teilweise vielleicht sogar gegenüber dem Bundesuntersuchungsausschuss, dass uns alle Akten des Thüringer Verfassungsschutzes, des Justizministeriums, der Polizei und so weiter und so fort ungeschwärzt vorliegen, allerdings in einem Geheimraum, in dem wir natürlich nicht 24 Stunden rund um die Uhr hereinkommen. Aber das ist zumindest im Vergleich zu anderen Untersuchungsausschüssen definitiv ein Vorteil, den wir hier in Thüringen haben.
Frenzel: War das ein Kampf, dahinzukommen, gerade mit den Geheimdiensten, dass Sie diesen Einblick kriegen konnten?
König: Es war ein Kampf, der auf politischer Ebene geführt wurde, damals noch unter der CDU-SPD-Koalition. Allerdings hat sich dann der CDU-Innenminister entschieden, alle Akten dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung zu stellen und demzufolge zumindest soweit es in seinem Rahmen möglich ist, zur Aufklärung beizutragen. Und das hat er definitiv getan.
Niemand kennt die genaue Aktenlage
Frenzel: Haben Sie denn den Eindruck, dass man Ihnen wirklich alles dort in diesen Raum gelegt hat?
König: Das Problem ist natürlich, dass niemand weiß, ob alle Akten wirklich vorhanden sind, denn niemand weiß ja, welche Akten der Verfassungsschutz als solches hat. Dazu kommt das Problem, ein Teil der Akten ist schon längst vernichtet, geschreddert worden, einige möglicherweise bewusst im Nachgang des 4. November 2011, andere aufgrund von Datenschutzgründen bereits die Jahre zuvor. Darüber hinaus haben wir natürlich nur die Akten aus Thüringen und wir haben keinerlei Akten, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz kommen oder von anderen Landesämtern für Verfassungsschutz.
Und das bringt uns immer wieder an Grenzen, weil man natürlich nicht regional den NSU betrachten kann, weder das Kerntrio noch das Netzwerk, sondern die ja mindestens bundesweit agiert haben und darüber hinaus zum Teil internationale Kontakte hatten. Und da wäre es notwendig, dass man eigentlich alle Akten aller Verfassungsschutzbehörden und auch der Auslandsgeheimdienste zur Verfügung gestellt bekommt, um zumindest zu versuchen, konsequent aufzuklären.
Frenzel: Wie erklären Sie sich denn diese Zurückhaltung? Da könnte man natürlich den formalen Grund betrachten, den ja auch die Verfassungsschützer vorbringen, dass es diese Geheimhaltung eben braucht, dass sie nicht alles offenbaren können gegenüber Abgeordneten, die ja in der Öffentlichkeit stehen. Da gibt es aber natürlich auch die schlimmere Vermutung, dass es da etwas zu verbergen gibt. Was vermuten Sie denn?
Absolute Transparenz hat Vorrang
König: Ich glaube, dass es ein Mix aus beiden Sachen ist. Zum einen, natürlich haben Sicherheitsbehörden ein Geheimhaltungsinteresse, zum Teil mag das sogar ein wirklich schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse sein; zum anderen besteht natürlich die Sorge, dass über die Informationen, die bisher schon über die Arbeitsweisen und auch die Verwicklungen der Verfassungsschutzbehörden ans Licht gekommen sind, eine weitere Diskreditierung – sei es des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz oder auch des Bundesamtes – stattfindet. Und ich denke, dass da sozusagen beides eine Rolle spielt. Letztlich sollte aber die zumindest von Frau Merkel zugesagte absolute transparente Aufklärung an vorderster Stelle stehen, und da müssen sich zumindest meiner Perspektive nach auch die Verfassungsschutzämter unterordnen.
Frenzel: Was kann denn ein Untersuchungsausschuss unter den Umständen, die Sie im Moment vorfinden, die Sie beschrieben haben, überhaupt erreichen?
König: Nun ja, er kann im Detail Einzelgeschehen aufarbeiten. Und da haben Untersuchungsausschüsse eine relativ hohe Chance, zumindest in Teilaspekten zur Aufklärung beizutragen. Problematisch ist es immer dann, wenn es mit Akten des Verfassungsschutzes sozusagen ... um die Akten des Verfassungsschutzes geht, da müsste in der Theorie jederzeit eine geschlossene Sitzung einberufen werden, um eben die geheimhaltungswürdigen Interessen des Staates zu schützen. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass die Untersuchungsausschüsse sich sozusagen in Teilen über die Interessen der Verfassungsschutzbehörden hinwegsetzen und die Aufklärung an vorderste Stelle stellen und im Zweifelsfall, je nachdem, welche Aktenerkenntnisse vorliegen, sich dann vielleicht sogar positionieren im Sinne eines bewussten Geheimnisverrates, den sie begehen, um eben zur Aufklärung beizutragen.
Frenzel: Also, Frau König, ich verstehe Sie da richtig, Sie sind schon kurz vor dem Punkt, dass Sie aus diesem Raum, den Sie da beschrieben haben, auch irgendwann mal rausgehen werden und nicht nur in Ihrem Kopf behalten werden, was Sie da gesehen haben, sondern das beispielsweise auch uns, der Presse insgesamt erzählen werden?
Der Fall Mario Brehme
König: Das ist ja das Problematische, das Problem, vor dem auch Journalisten immer wieder stehen: Wo sind sozusagen schutzwürdige Interessen Deutschlands betroffen, wo sollte man vielleicht Information zurückhalten, weil ein größeres schutzwürdiges Interesse im Hintergrund steht, und wo steht die Aufklärung und auch das öffentliche Interesse im Vordergrund. Und ich denke, bei NSU steht das öffentliche Interesse im Vordergrund. Ich will nur ein Beispiel bringen: Mario Brehme ist einer der Unterstützter des NSU-Kerntrios, der wird jetzt demnächst zum dritten Mal in München im NSU-Prozess angehört werden. Wir in Thüringen haben Akten zu Mario Brehme, diese Akten liegen dem NSU-Prozess, den Nebenklageanwälten, der Generalbundesanwaltschaft in München nicht vor. Und da stellt sich natürlich die Frage, inwieweit kann der Prozess da richtig arbeiten, inwieweit liegen alle Informationen vor, um rückhaltlos aufzuklären. Und da, ja, ist irgendwann der Punkt erreicht, wo man sich entscheiden muss, Informationen, natürlich nicht jede Information, nicht beliebig, aber bestimmte Information dann auch gezielt öffentlich zu machen, um zur Aufklärung beizutragen.
Frenzel: Aber wer kann denn diese Entscheidung treffen, Frau König? Das ist ja wahrscheinlich das Problem. Ist es letztendlich eine Entscheidung der Parlamente oder muss es eine Entscheidung der Regierung, der Exekutive sein, wann Geheimhaltung gilt und wann nicht?
König: Zum einen gibt es die Möglichkeit, dass der Untersuchungsausschuss – sei es hier auf Thüringer Ebene oder auch im Bundestag – sozusagen die Herabstufung der Dokumente beantragt, dass sie nicht mehr als VS-vertraulich oder als VS-geheim, sondern nur noch als VS-NfD, also nur für den Dienstgebrauch, oder sogar gar nicht mehr eingestuft sind. Das ist eine Variante, die es gibt. Darüber hinaus hat grundsätzlich natürlich das Innenministerium die Möglichkeit, Dokumente in ihrer Geheimhaltung herabzustufen. Und dann gibt es die dritte Möglichkeit, aus persönlichen Gründen zu entscheiden, diese Information ist so wichtig im Zusammenhang mit der Aufklärung rund um das NSU-Netzwerk, rund um den NSU-Komplex, diese NSU-Information muss jetzt öffentlich gemacht werden.
Frenzel: Katharina König von den Linken, Abgeordnete im Landtag von Thüringen und Obfrau ihrer Fraktion im dortigen NSU-Untersuchungsausschuss, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Interview!
König: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.