Das Dokumentarhörspiel "Saal 101" online hören:
Deutschlandfunk Kultur - Hörspiel und Feature
Bayerischer Rundfunk - Kultur Bühne
"Saal 101" als Hörbuch:
Der Hörverlag
Laufzeit: 10h 23min
12 CDs, 49 Euro
Zeitdokument eines Staatsversagens
04:47 Minuten
ARD-Reporter verfolgten mehr als 400 Tage lang die Verhandlung gegen Mitglieder des NSU. Auf ihren Notizen beruht das Dokumentarhörspiel "Saal 101". Die imposante Stimmencollage zeigt, wie viele Fragen nach dem Prozess bis heute offen blieben.
"Mein Name ist Ayse Yozgat. Ich bin die Mutter von Halit Yozgat."
Halit Yozgat war das neunte von insgesamt zehn Opfern der NSU-Mordserie. Erschossen im April 2006 im familienbetriebenen Internet-Café.
"Mein Appell richtet sich an Frau Zschäpe."
Schmerz und Fassungslosigkeit der Angehörigen
Der Familie von Halit Yozgat geht es so wie auch anderen Angehörigen der Mordopfer: Sie konnten sich diese Taten nicht erklären und suchen bis heute nach Antworten.
"Seit sieben Jahren schlafe ich jeweils nur zwei Stunden. Ich habe immer gedacht: Warum ist das geschehen? Ich bitte um Aufklärung. Denken Sie bitte immer an mich, wenn Sie sich ins Bett legen."
Dieses bedrückende Hörspiel beruht auf den Protokollen der ARD-Gerichtsreporter und -reporterinnen, die an jedem der mehr als 400 Prozesstage mitschrieben, was im Saal 101 verhandelt wurde. Das Verfahren wird hier nicht chronologisch nachgezeichnet, es werden thematische Schwerpunkte gesetzt:
Das Auffliegen des NSU, die Morde der Terrorgruppe, die Sprengstoffanschläge in Köln, Jugend und Radikalisierung des Trios, ihr Leben im Untergrund, die rechten Netzwerke und Unterstützer.
Zweifelhafte Rolle des Verfassungsschutzes
Am Ende stehen die Plädoyers und das Urteil durch den Richter Manfred Götzl. Beleuchtet wird auch die zweifelhafte Rolle des Verfassungsschutzes, der indirekt sogar das Trio finanziell unterstützte – über einen gut bezahlten V-Mann, der den Untergetauchten Geld spendete.
Götzl: "Zu welchem Zweck wurde an Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Geld weitergereicht?"
Zeuge: "Es ging ums Pass-Besorgen und das Überleben im Untergrund."
Verteidigung Wohlleben: "Sie sollen 200.000 DM vom Landesamt bekommen haben?"
Zeuge: "So habe ich es in der Zeitung gelesen. Ich habe es nie zusammengerechnet, es könnte aber stimmen."
Zu hören sind viele bekannte Stimmen, darunter Bibiana Beglau, Martina Gedeck, Thomas Thieme, Katja Bürkle und Thomas Schmauser. Doch sie treten hinter den Texten zurück, sie spielen keine Rollen, auch wenn sie den Aussagen durchaus Tiefe verleihen. Die gesamte Inszenierung überzeugt in ihrer reduzierten Art, nur ab und an werden kurze Soundakzente eingesetzt.
Gerichtsreporter liefern Hintergründe
Wichtig zum Verständnis des Verfahrens: Immer wieder treten zwei Gerichtsreporter und eine Reporterin als Fachleute auf. Sie liefern Hintergründe, erklären den Ablauf des Prozesses, analysieren die Gesprächsführung durch den Richter und die Strategien der Verteidigung. Und sie diskutieren auch eine zentrale Frage: Warum hat das Gericht nur die Trio-These verfolgt?
Reporter: "Wie fanden die Mörder denn nun diese Änderungsschneiderei in Nürnberg? Ungelöst. Wie fanden sie den Schlüsseldienst in München, der ja völlig abseits lag und von außen auch nicht erkennbar war als ein Geschäft, das von jemandem mit migrantischem Hintergrund betrieben wurde. Also, wie haben sie den gefunden? Keine Antwort. Da sind dann eben diese Zweifel an der These, dass es keine örtlichen Helfer gab. Da denkt man sich, die muss es gegeben haben: Es muss Unterstützer gegeben haben, die bei der Opferauswahl geholfen haben."
Zu lange in falsche Richtungen ermittelt
Mehr als zehn Stunden dauert diese eindrückliche Produktion. Immer wieder ist es beschämend zu hören, wie unsensibel die Ermittler die Angehörigen der Opfer behandelten. Viel zu lange wurde in falsche Richtungen ermittelt.
Durch diese Dokumentation wird klar: Die Mordserie kommt einem Staatsversagen gleich, das auch durch den Prozess nicht wiedergutgemacht werden konnte – auch wenn das die Hoffnung vieler Angehöriger war. "Saal 101" ist ein wichtiges Zeitdokument, gerade weil es keine Ton- und Videomitschnitte gibt.
Und es ist eine andauernde Mahnung: Die rechtsextremen Strukturen in Deutschland dürfen nie mehr unterschätzt werden.