"Auch ich war einer derer, die weggeschaut haben"
Mehmet Daimagüler ist ein Sohn türkischer Arbeitsmigranten. Er saß im Parteivorstand der FDP, verließ dann jedoch die Politik und vertritt heute die Nebenklage im NSU-Prozess. "Im Gespräch" äußert er sich über das Aufwachsen in Deutschland, Integration und Rechtsextremismus.
Mehmet Daimagüler war in den 90er-Jahren der Shootingstar der geglückten Integration: Der Sohn türkischer Arbeitsmigranten hatte in Harvard studiert, wurde 1997 in den Bundesvorstand der FDP gewählt und in den Medien glänzte er mit seiner Eloquenz und Meinungsfreude. Da sein Herzensthema Integration wenig Resonanz in der FDP fand, gab er 2008 sein Parteibuch zurück und verließ die Politik.
In seinem drei Jahre später veröffentlichten Buch "Kein schönes Land in dieser Zeit" kritisierte er die gescheiterte Integrationspolitik ebenso hart wie sich selbst. Mit inzwischen 47 Jahren konzentriert sich Daimagüler jetzt auf den NSU-Prozess in München. Mit sieben Mandaten vertritt er die meisten Nebenkläger in dem Mammutprozess, der auch sein Leben verändert hat.
Seine erste Mandantin in diesem Prozess - die Tochter eines der NSU-Opfer - sei durch das Buch auf ihn aufmerksam geworden, sagte Daimagüler im Deutschlandradio Kultur:
"Sie hatte das Gefühl, dass ich ein Anwalt bin, der ohne viele Worte verstehen würde, was in ihr und ihrer Familie vorgeht. Ich habe mir das lange überlegt und habe dann zugesagt. Weil ich glaube, dass diese Menschen lang genug allein gelassen wurden. Und dann auch ich sie allein gelassen hatte. Und dass auch ich einer der Bürger war, die damals weggeschaut haben. Und so getan haben, als hätten sie nichts mit den sogenannten Döner-Morden zu tun."
"Meine Mandantschaft will keine Vergeltung"
Für seine Mandanten im NSU-Prozess sei nicht die Höhe der Bestrafung wichtig, sie wollten keine Vergeltung, stellte der Anwalt heraus. Seine Mandantschaft bestehe überwiegend aus Frauen:
"Und ich habe einen Heidenrespekt vor diesen Frauen, wenn sie im Gerichtssaal neben mir sitzen. Sie sitzen ja im Abstand von zwei drei Metern im Anstand zu Frau Zschäpe und den anderen Angeklagten. Was meine Mandanten wirklich wollen, ist Verstehen. Warum musste unser Vater sterben? Warum haben sie unseren Mann erschossen? Warum lebt mein Bruder nicht mehr? Das sind ganz fundamentale Fragen. Und auf diese Fragen haben wir bisher keine Antworten."
Die biografische Herkunft als "innerer Schatz"
Seine biografische Herkunft, "diesen bunten Hintergrund", sehe er heute als "ein Stück persönlichen Reichtum, den er hege und pflege", meinte Daimagüler. Die Türkei sei für ihn ebenfalls ein Zuhause, wo er auch einmal begraben werden wolle:
"Es war schon immer ein innerer Schatz. Aber ich brauchte eine gewisse Zeit, um das zu realisieren. Ich finde das eine schöne Sache, wenn man diese Vielfalt auch in der Familie haben kann."
Der Begriff "Deutscher mit Migrationshintergrund" sei sehr technisch, findet Daimagüler:
"Ich spreche mittlerweile auch immer von Bio-Deutschen, wenn ich jemand meine, der sozusagen richtig deutsch ist. Ich finde es irgendwie einen blöden Begriff: 'Deutsche mit Migrationshintergrund'. Aber etwas Schlaueres ist mir auch noch nicht eingefallen."