Albrecht von Lucke, geboren 1967 in Ingelheim am Rhein, ist Jurist und Politikwissenschaftler und lebt seit 1989 in Berlin. Er ist freier Publizist und seit 2003 als Redakteur für die politische Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" tätig.
Im Dilemma von Rechtsstaat und Gerechtigkeit
Das NSU-Verfahren in München habe gezeigt, wie schwer die Mühlen der Justiz mahlen, sagte der Jurist und Politologe Albrecht von Lucke. Er warnte davor, von einem Strafverfahren zu viel zu erwarten und mahnte die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung an.
Nach vier Jahren Verhandlung beginnen heute die Plädoyers im NSU-Prozess. Den Anfang macht die Bundesanwaltschaft, deren Plädoyer ganze 22 Stunden dauern soll. Der Jurist und Politologe Albrecht von Lucke verteidigte das Strafverfahren in München gegen den Vorwurf, der politischen Bedeutung des NSU-Skandals nicht gerecht geworden zu sein. "Es geht um individuelle Schuld, in jedem Verfahren vor Gericht muss es um individuelle Schuld gehen", sagte von Lucke im Deutschlandfunk Kultur über das Wesen solcher Strafprozesse. "Das ist das große Dilemma bei dieser Fragestellung."
Rechte der Angeklagten
Es gehe um die Frage, ob man Tätern nachweisen könne, dass sie beteiligt waren. "Die gesamtgesellschaftliche Frage der Aufklärung, diese den Gerichten aufzubürden, würde sie massiv überlasten." Man müsse sich klar machen, dass es auch ein Recht des Angeklagten gebe, bestmöglichst verteidigt zu werden. "Das haben wir hier in exorbitanter Weise von Frau Zschäpe ausgeübt gesehen, mit dem Austausch ganzer Anwaltsbatterien."
Hart für die Nebenkläger
Von Lucke erinnerte an die Worte der früheren DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die beim Umgang mit dem Unrecht in der DDR nach 1989 erlebt habe und dies mit den Worten kommentiert habe: "Wir haben Gerechtigkeit gewollt, aber wir haben den Rechtsstaat erhalten." Das sei ein Ausdruck der Enttäuschung gewesen, mit dem Bohley habe ausdrücken wollen, dass der Rechtsstaat nicht geeignet sei, Gerechtigkeit als große Dimension zu gewährleisten. "Das trifft auf die Strafjustiz in besonderem Maße zu, weil sie immer dem einzelnen Angeklagten verpflichtet ist", sagte von Lucke. "Das ist hart für die Nebenkläger, aber das liegt in der Natur der Sache."
Aufgabe für die Gesellschaft
Die Aufarbeitung der NSU-Verbrechen bleibe eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auch für die kritische Öffentlichkeit, sagte von Lucke. Die eigentliche Frage sei schließlich, wie der NSU weiter wirke. "Wer wird möglicherweise sogar mit dem Ausgang des Prozesses sein perfides Werk weiter betreiben?" Das müsse weiter beobachtet werden.