Nüchterne Betrachtung des Eisernen Kanzlers
Über Otto von Bismarck ist bisher eine Flut von Monographien erschienen, die zumeist die geschichtsmächtigen Mythen über den ersten Reichskanzler verfestigt haben. Der deutschstämmige britische Historiker Robert Gerwarth hat darum mit seiner Arbeit "Der Bismarck-Mythos" ein eindeutiges Ziel: Die zahllosen Kult-Legenden zu killen, die mit dem Alten aus dem Sachsenwald verbandelt worden sind.
Die Regime kommen und gehen. Aber die Mythen vom Eisernen Kanzler bleiben bestehen. So ist der Historiker - gleichgültig ob interessierter Dilettant oder gelehrter Fachmann - geneigt zu sagen, wenn er die Flut von biographischen, historischen und politischen Monographien auch nur oberflächlich zu sichten versucht, die sich mit der Person des Reichskanzlers Fürst Otto von Bismarck und seinem Werk auseinandersetzen.
Wobei der politisch-biographische Bismarck-Boom von ihm selbst eröffnet wurde, als unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mitten hinein in den Kampf um die erste deutsche Republik postum seine Autobiographie Gedanken und Erinnerungen erschien. Rund um die durchaus lügnerischen "Erinnerungen" an seine "unehrenhafte" Entlassung durch Kaiser Wilhelm II. verteidigte er schon 1919 seine epochalen Werke: Die deutsche Einigung, den rücksichtslosen Kampf gegen den Liberalismus, die Neuorganisation des preußischen und deutschen Heeres, die Bündnispolitik mit den vier anderen europäischen Großmächten (Österreich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien, Russland) um des "lieben Friedens" willen; und nicht zuletzt seine erbitterte Feindschaft gegen alles, was sich sozialistisch nannte oder auch gewesen war.
Kein Wunder also, dass bei so viel erfolgreicher Politik nach innen wie nach außen nachfolgende Politiker-Generationen des Kanzlers versuchten, ihr eigenes Tun mit Verweis auf Bismarck - oder wohl eher auf den Bismarck-Mythos - zu rechtfertigen oder gar zu adeln. Die Bismarck-Literatur boomte noch einmal in der Debatte um die weltanschaulichen Grundlagen des 1945 geteilten und 1990 "wiedervereinigten" deutschen Nationalstaates.
Die Kette der Beziehungspersonen für den Eisernen Kanzler als "Dämon der Deutschen", der mittelbar für die beiden Weltkriege mit verantwortlich sei, reichte von Luther über Friedrich den Großen und Bismarck selbst bis zu Hitler; sie alle seien "kein Teil der freiheitlichen Tradition" (Gustav Heinemann).
Die aber klagten die nachgewachsenen Politiker und Historiker für ihre Auseinandersetzung mit dem Vater des deutschen Nationalstaates nachdrücklich ein; als bislang letzter der 31-jährige deutschstämmige britische Historiker Robert Gerwarth, der in Oxford lehrt. Das wissenschaftliche Programm seiner Dissertation, die 2005 in Englisch veröffentlicht wurde und jetzt auch in Deutsch vorliegt, ist eindeutig: Die zahllosen Kult-Legenden zu killen, die mit dem Alten aus dem Sachsenwald verbandelt worden sind.
Und die geschichtsmächtigen Mythen zu entmythologisieren, mit denen Konservative aller politischen Farben versucht haben, die politische Kultur in Deutschland zu zerstören. Dabei verwundert die Unbefangenheit, mit der Gerwarth die deutsche (?) Sehnsucht nach dem "starken Mann im Staat" als Motor der inneren Auseinandersetzung um die Republik von Weimar beschreibt und ebenfalls die ideologische Brücke von Bismarck zu Hitler als "charismatische Führer" schlägt.
Übrigens: Die beiden Biographien, die vor ein paar Jahren zum 100. Todestag Bismarcks erschienen, sollten nach der erklärten Absicht ihrer Autoren "vor allem für junge Leute" (Christian Graf von Krockow) geschrieben sein, damit sie begreifen, dass die deutsche Einheit auch anders als "mit Blut und Eisen" hätte geschaffen" (Johannes Willms) werden können. Es macht froh, dass jetzt endlich ein junger Deutscher aus Oxford das "Jugend"buch über und gegen diverse deutsche Retter und Heilsbringer geschrieben hat.
Da liest man zum Beispiel: "Wir Jüngeren, die wir von Helden und Heldenverehrung nichts mehr wissen mögen, haben ein Recht darauf, Bismarcks historische Gestalt kritisch und skeptisch ins Auge zu fassen, unterkühlt und ohne jeden Überschwang." So schrieb der damals junge Zeitgeschichtler Immanuel Geiss 1965 im sozialdemokratischen Vorwärts. 40 Jahre danach kann die so beschriebene Aufgabe als gelöst gelten!
Rezensiert von Jochen R. Klicker
Robert Gerwahrt: Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der Eiserne Kanzler
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt.
Siedler Verlag, München 2007, 288 Seiten, 19,95 Euro
Wobei der politisch-biographische Bismarck-Boom von ihm selbst eröffnet wurde, als unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mitten hinein in den Kampf um die erste deutsche Republik postum seine Autobiographie Gedanken und Erinnerungen erschien. Rund um die durchaus lügnerischen "Erinnerungen" an seine "unehrenhafte" Entlassung durch Kaiser Wilhelm II. verteidigte er schon 1919 seine epochalen Werke: Die deutsche Einigung, den rücksichtslosen Kampf gegen den Liberalismus, die Neuorganisation des preußischen und deutschen Heeres, die Bündnispolitik mit den vier anderen europäischen Großmächten (Österreich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien, Russland) um des "lieben Friedens" willen; und nicht zuletzt seine erbitterte Feindschaft gegen alles, was sich sozialistisch nannte oder auch gewesen war.
Kein Wunder also, dass bei so viel erfolgreicher Politik nach innen wie nach außen nachfolgende Politiker-Generationen des Kanzlers versuchten, ihr eigenes Tun mit Verweis auf Bismarck - oder wohl eher auf den Bismarck-Mythos - zu rechtfertigen oder gar zu adeln. Die Bismarck-Literatur boomte noch einmal in der Debatte um die weltanschaulichen Grundlagen des 1945 geteilten und 1990 "wiedervereinigten" deutschen Nationalstaates.
Die Kette der Beziehungspersonen für den Eisernen Kanzler als "Dämon der Deutschen", der mittelbar für die beiden Weltkriege mit verantwortlich sei, reichte von Luther über Friedrich den Großen und Bismarck selbst bis zu Hitler; sie alle seien "kein Teil der freiheitlichen Tradition" (Gustav Heinemann).
Die aber klagten die nachgewachsenen Politiker und Historiker für ihre Auseinandersetzung mit dem Vater des deutschen Nationalstaates nachdrücklich ein; als bislang letzter der 31-jährige deutschstämmige britische Historiker Robert Gerwarth, der in Oxford lehrt. Das wissenschaftliche Programm seiner Dissertation, die 2005 in Englisch veröffentlicht wurde und jetzt auch in Deutsch vorliegt, ist eindeutig: Die zahllosen Kult-Legenden zu killen, die mit dem Alten aus dem Sachsenwald verbandelt worden sind.
Und die geschichtsmächtigen Mythen zu entmythologisieren, mit denen Konservative aller politischen Farben versucht haben, die politische Kultur in Deutschland zu zerstören. Dabei verwundert die Unbefangenheit, mit der Gerwarth die deutsche (?) Sehnsucht nach dem "starken Mann im Staat" als Motor der inneren Auseinandersetzung um die Republik von Weimar beschreibt und ebenfalls die ideologische Brücke von Bismarck zu Hitler als "charismatische Führer" schlägt.
Übrigens: Die beiden Biographien, die vor ein paar Jahren zum 100. Todestag Bismarcks erschienen, sollten nach der erklärten Absicht ihrer Autoren "vor allem für junge Leute" (Christian Graf von Krockow) geschrieben sein, damit sie begreifen, dass die deutsche Einheit auch anders als "mit Blut und Eisen" hätte geschaffen" (Johannes Willms) werden können. Es macht froh, dass jetzt endlich ein junger Deutscher aus Oxford das "Jugend"buch über und gegen diverse deutsche Retter und Heilsbringer geschrieben hat.
Da liest man zum Beispiel: "Wir Jüngeren, die wir von Helden und Heldenverehrung nichts mehr wissen mögen, haben ein Recht darauf, Bismarcks historische Gestalt kritisch und skeptisch ins Auge zu fassen, unterkühlt und ohne jeden Überschwang." So schrieb der damals junge Zeitgeschichtler Immanuel Geiss 1965 im sozialdemokratischen Vorwärts. 40 Jahre danach kann die so beschriebene Aufgabe als gelöst gelten!
Rezensiert von Jochen R. Klicker
Robert Gerwahrt: Der Bismarck-Mythos. Die Deutschen und der Eiserne Kanzler
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt.
Siedler Verlag, München 2007, 288 Seiten, 19,95 Euro