Nürnberger Prozesse

Die Propagandisten kamen davon

35:21 Minuten
Bei den Nürnberger 1945 Prozessen sitzen die Angeklagten auf der Anklagebank.
Nürnberger Prozesse 1945: In der hinteren Reihe sitzt ganz rechts Hans Georg Fritzsche. © imago images/ITAR-TASS
Von Martin Hartwig |
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Bei den Nürnberger Prozessen saßen nur wenige der führenden Propagandisten auf der Anklagebank: Hans Fritzsche war einer von ihnen. Er wurde freigesprochen, obwohl seine Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten für die Öffentlichkeit feststand.
Nürnberg, November 1945. Vor dem Internationalen Militärgerichtshof müssen sich die Größen des NS-Regimes verantworten, die von den Anklägern als Hauptkriegsverbrecher eingestuft worden sind. Einer von ihnen ist Hans Fritzsche. Er bezeichnet sich als nicht schuldig, wie alle anderen Angeklagten auch. „Dieser Anklage gegenüber“:
Damit lässt er ein kleines Schuld- und Einsichtstürchen offen, schließt sich gleichzeitig dem Siegerjustizverdikt seiner Mitangeklagten an, um sich dann wortgewandt auf die Opferseite zu schlagen.
„Nun, Sie haben von Hitler nichts Gutes erwartet und sind betroffen über das Ausmaß dessen, was wirklich geschah. Aber versuchen Sie dann einmal, die Empörung derer zu begreifen, die von Hitler Gutes erwarteten und die nun sahen, wie ihr guter Glaube, ihr guter Wille und ihr Idealismus missbraucht wurden.
Ich befinde mich in dieser Lage des Getäuschten zusammen mit vielen, vielen anderen Deutschen, von denen die Anklage sagt, sie hätten das, was geschah, erkennen können aus rauchenden Schornsteinen in Konzentrationslagern oder aus dem bloßen Anblick von Häftlingen und so weiter.“
So Hans Fritzsche vor Gericht. Ein paar Monate zuvor hatte das anders geklungen:

„Ich weiß nicht, ob die Stimme aus dem Kampflärm Berlins noch in den Äther dringt. Aber ich weiß, dass der Geist, in dem dieser Kampf geführt wird, in dieser Welt nicht verschwinden wird.“
Fritzsche am 28. April 1945 – wenige Tage vor Kriegsende. Bis zum Schluss wurde aus einem Bunker in Berlin noch ein Radioprogramm gesendet.

„Übrig geblieben ist das, was wir sind, was wir selber sind. Und das, was wir sind, das sind wir ganz.“

Der Mann für die Propaganda

Fritzsche war eine der bekanntesten Stimmen des nationalsozialistischen Deutschlands, vor allem durch seine Politische Zeitungs- und Rundfunkschau, die jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag im "Großdeutschen Rundfunk" lief. Und er war nicht nur im Äther eine wichtige Stimme, als Funktionär sorgte er dafür, dass der ganze Rundfunk auf nationalsozialistischer Linie blieb.
“Wir sind fanatische Vertreter der Überzeugung, dass in unseren Händen die geheimnisvolle Lösung liegt für die Probleme des nationalen und des internationalen Zusammenlebens, die in den letzten Jahrhunderten mit so viel Hass und so viel Blut, mit so viel Tapferkeit und so viel Leidenschaft nicht gelöst werden konnten.“
Fritzsche selbst schätzte seine Bedeutung so hoch ein, dass er sich nach dem Tod von Hitler und Goebbels und der Räumung der Reichskanzlei berufen fühlte, den schon in Berlin einmarschierten Russen die Kapitulation anzubieten. Die fanden dann allerdings doch noch berufenere Verhandlungspartner.
Fritzsche blieb in sowjetischer Gefangenschaft, wurde in das berüchtigte Lubjanka Gefängnis nach Moskau gebracht, er kam erst sechs Monate später zum Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg wieder nach Deutschland zurück. Am 41. Verhandlungstag trug die Anklage seinen Fall vor:
"Hoher Gerichtshof! Es ist meine ehrenvolle Aufgabe, heute den Fall der persönlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten Hans Fritzsche für Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Anklagebehörde behauptet, dass Fritzsche, eine der hervorragendsten Gestalten in der Propagandagruppe Goebbels, wesentlich dazu beigetragen hat, die Welt in das Blutbad der Angriffskriege zu stürzen.
Mit Zustimmung des Gerichtshofs möchte ich nun den Beweis dafür erbringen, dass Fritzsche zu Gräueltaten aufgereizt und zu einer rücksichtslosen Besatzungspolitik angetrieben hat. Die Wirkungen dieser Propaganda als einer Waffe der Nazi-Verschwörer reichen bis in jede Phase dieser Verschwörung und umfassen das abnorme und unmenschliche Verhalten, das in den Gräueltaten und in der rücksichtslosen Ausbeutung der besetzten Länder seinen Ausdruck fand.
Die meisten Durchschnittsdeutschen würden sich niemals an den überall in Europa begangenen Gräueltaten beteiligt oder sie geduldet haben, wenn sie nicht durch das ständige Einwirken der Nazi-Propagandamaschine zu den barbarischen Anschauungen und falschen Auffassungen verleitet und angereizt worden wären.“

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

„In London fand im Sommer `45 eine Expertenkonferenz statt, von führenden Völkerrechtlern der vier Besatzungsmächte.“
Erläutert Annette Weinke, Historikerin an der Uni Jena: „Und auf dieser Konferenz wurden sozusagen zunächst mal eben die normativen Grundlagen gelegt. Also es wurde ein Katalog, entworfen von Straftatbeständen, die zum Teil neu waren, also mit Ausnahme der Kriegsverbrechen, die allerdings bis dahin auch noch kaum internationale Anwendung gefunden hatten, wurde ein Katalog von vier beziehungsweise fünf Hauptstraftatbeständen entwickelt, die ja in gewisser Weise zugeschnitten waren auf diese neue Qualität der nationalsozialistischen Verbrechen, das heißt also, neben Kriegsverbrechen wurden dort Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen gegen den Frieden, Verschwörung gegen den Frieden, Verschwörung zum Krieg verhandelt.
Und in dieser Phase war es tatsächlich so, dass ein sehr umfangreiches Strafverfolgungsprogramm unter internationaler Regie ins Auge gefasst wurde, also der Internationale Hauptkriegsverbrecherprozess, der ja von den vier Hauptalliierten einschließlich der jeweils verbündeten Mächte inszeniert wurde. Dieser Prozess sollte eigentlich den Auftakt bilden zu einer viel umfangreicheren Strafverfolgungswelle, das war der Plan.“
Der ging nicht auf, denn schon bei der Vorbereitung und Durchführung des Hauptkriegsverbrecherprozesses gab es zwischen den Siegermächten erhebliche Differenzen.
Auch die Besetzung der Anklagebank war Ergebnis eines politischen Aushandlungsprozesses. Man wollte ein ganzes Regime vor Gericht stellen, und achtete deshalb sehr darauf, dass dessen verschiedenen „Gewerke“ von Staat und Partei repräsentiert wurden. Nicht die Schwere der Tat entschied über die Aufnahme in den Kreis der mutmaßlichen Hauptkriegsverbrecher. So stand der Lagerkommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, vor Gericht Rede und Antwort, aber nicht als Angeklagter, sondern als Zeuge. Dabei war er verantwortlich für den beispiellosen Massenmord vor den Toren von Krakau.

Goebbels „guter Mann“

Für die Organisatoren des Verfahrens war wichtig, dass nicht nur über Gefangene der USA verhandelt wurde. Allerdings hatten sich die meisten Nazigrößen in deren Hände begeben, in der berechtigten Erwartung, dort besser behandelt zu werden. In sowjetischer Haft saß nur – Hans Fritzsche. Prominent und ein einflussreicher Propagandist. Goebbels hatte Selbstmord begangen, deshalb musste sich Fritzsche für den Bereich Propaganda verantworten.
„Die Aufgabe der Propaganda liegt nicht in einer wissenschaftlichen Ausbildung des einzelnen, sondern in einem Hinweisen der Masse auf bestimmte Tatsachen, Vorgänge, Notwendigkeiten usw., deren Bedeutung dadurch erst in den Gesichtskreis der Masse gerückt werden soll“, schrieb Hitler in „Mein Kampf“.
„Die Kunst liegt nun ausschließlich darin, dies in so vorzüglicher Weise zu tun, dass eine allgemeine Überzeugung von der Wirklichkeit einer Tatsache, der Notwendigkeit eines Vorganges, der Richtigkeit von etwas Notwendigem usw. entsteht. Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt.“
Hans Fritzsche gehörte zu den sogenannten „Märzgefallenen“. So nannte der Volksmund diejenigen, die unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1933 in die NSDAP eintraten. Seine Gesinnung musste Fritzsche dabei allerdings nicht wechseln. Er hatte zuvor als Journalist für die ultranationalen und antidemokratischen Zeitungen des Hugenberg-Konzerns geschrieben und war Goebbels schon damals als „guter Mann“ aufgefallen.

Karriere unter den Nationalsozialisten

1932 kam Fritzsche zum Rundfunk und avancierte zum Leiter des „Drahtlosen Dienstes“, einer Art staatlich kontrollierter Nachrichtenagentur, die sämtliche Sender des Reiches mit Nachrichten versorgte. Zu dieser Zeit begann er auch mit seinen Rundfunkkommentaren. Der „Drahtlose Dienst“ war nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten dem Propagandaministerium angegliedert worden, in dessen Apparat Fritzsche Karriere machte. Von 1938-42 leitete er die Abteilung „Deutsche Presse“ des Ministeriums.
Hans Fritzsche: Ein Mann sitzt auf einer Anklagebank in einem Gericht.
Antisemit und Verächter der freien Presse: Hans Fritzsche.© imago/Dite-Usis/Leemage
Deren Hauptaufgabe war die Kontrolle und Beeinflussung der 2300 deutschen Zeitungen im Sinne des Naziregimes. Im November 1942 wurde Fritzsche, der sich auf allen Posten bewährt hatte, „Leiter der Rundfunkabteilung im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“. Und in dieser Funktion leitete er die täglichen Rundfunkarbeitsbesprechungen, die vermutlich zu Protokollzwecken mitgeschnitten wurden.
„Der erneute Terrorangriff auf den Kölner Dom ist besonders stark zu geißeln. Materialhinweise brauche ich heute nicht zu formulieren. Ich gebe sie gleich noch.“
Die sogenannte Tagesparole war das zentrale Werkzeug zur Steuerung von Presse und Rundfunk. Sie gab die Les- und Tonart für den Tag vor.
„Erstens: Die Gräuelhetze des Feindes hat sich in letzter Zeit erheblich verstärkt. Alle Rundfunkdienste haben deshalb die Aufgabe, dem entgegenzutreten.“
Verfasst wurden Tagesparolen allerdings nicht von Fritzsche und sehr zum Ärger von Goebbels von niemandem aus dem Propagandaministerium, sondern von Reichspressechef Otto Dietrich.
„Wir malen, um es auf einen primitiven Nenner zu bringen, die Dinge im Osten schwarz in schwarz. Wir sprechen von der Härte des Kampfes und von weiter gar nichts.“
In Nürnberg war Fritzsche in 3 Punkten angeklagt:
Vorbereitung und Ausführung einer Verschwörung gegen den Frieden
Kriegsverbrechen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Verharmlosung der Mitschuld

Fritzsches Verteidigungsstrategie funktionierte. Tatsächlich fiel es den Anklägern sehr schwer, ihm eine konkrete Straftat nachzuweisen. Eike Fesefeldt, Staatsanwalt beim Generalbundesanwalt, hat sich intensiv mit den Nürnberger Prozessen beschäftigt.
„Kann etwas strafbar sein, wenn ich nicht genau weiß, ob das irgendeinen Effekt hatte am Ende, ob es irgendwie eine Kausalität zu einem tatsächlichen Verbrechen gibt? Also, man stelle sich vor, ich stifte jemanden an, dass der jemanden umbringt, der bringt ihn tatsächlich auch noch um. Ja, da habe ich tatsächlich auch eine kausale Handlung, wo sich irgendetwas tatsächlich ergeben hat. Wenn es auch um NS-Propaganda geht, haben wir sehr oft, sagen wir mal, einen Radiobericht von Hans Fritzsche, oder eine Anweisung von Otto-Dietrich, dass irgendetwas gesendet werden muss. Wir wissen, es gibt aber jetzt keinen kausalen Zusammenhang, weil Hans Fritzsche irgendetwas gesagt hat, dass deswegen auch nur eine Person nationalsozialistischer geworden ist als vorher.“
Fritzsche selbst sah sich als mäßigende Kraft.
„Ich war kein Antisemit im Sinne des Radau-Antisemitismus. Die Anklage hat behauptet, alle Angeklagten, also auch ich, hätten gerufen: „Deutschland erwache, Juda verrecke.“ Dagegen war ich Antisemit in folgendem Sinne: Ich wünschte eine Einschränkung des überragenden Einflusses des Judentums auf die deutsche Politik, Wirtschaft und Kultur nach dem Ersten Weltkrieg.“
Eike Fesefeldt erläutert: „Das ist auch ein Zitat aus dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, und ich glaube auch, das wird sogar im Urteil gegen Dietrich auch noch einmal gesagt: Antisemitismus an sich ist keine Straftat. Das ist eine Meinung, die man vielleicht in sich trägt. Aber solange man die noch nicht zum Beispiel gewalttätig nach außen zeigt und damit irgendetwas eine zusätzliche Handlung vollbringt.“

Öffentliche Empörung über Urteil

Möglicherweise war es juristisch folgerichtig, dass Fritzsche nicht wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges, Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrechen verurteilt wurde. Für politisch denkende Zeitgenossen war es jedoch ein krasses Fehlurteil. Deshalb sammelte sich nach der Verkündigung auch eine wütende Menschenmenge vor dem Gefängnis, sodass Fritzsche erst drei Tage später rauskam – durch einen Hinterausgang. Die Propaganda war praktisch freigesprochen worden. Aber noch war es nicht vorbei. Eike Fesefeldt.
„Man hatte eigentlich natürlich vor, mehrere solcher großen Prozesse stattfinden zu lassen. Aber schon nach dem ersten Prozess hatte es Spannungen zwischen den Alliierten gegeben. Und man konnte sich nicht mehr darauf einigen, noch mal zusammenzukommen. Also am Ende haben noch die Amerikaner diese zwölf Nachfolgeprozesse durchgeführt. Unter anderem sehr bekannt ist der sogenannte Einsatzgruppen-Prozess oder auch der Ärzteprozess.
Es hat auch einen Prozess, der nur gegen die Juristen stattgefunden hat, gegeben. Man hatte aber auch – das war damals ein Staatsanwalt namens Kempner, der war sozusagen federführend dafür zuständig – hatte aber auch die Presse und Propaganda im Blick.* Dass er dort einen solchen eigenen Nachfolgeprozess stattfinden lassen wollte, er hat dann auch einen Staatsanwalt beauftragt, damit schon Ermittlungen durchzuführen. Der hat das auch gemacht.“

Lange Liste der Täter

Alexander Hardy hieß der Staatsanwalt und wie weit seine Vorbereitungen für einen eigenen Propagandaprozess gediehen waren, breitet er 1967 in seinem Buch „Hitlers Secret Weapon“ aus. Eine Mischung aus historischer Monografie und Materialsammlung zum Thema Propaganda. Belastendes Material!
„Rudolf Semmler, Goebbels´ Presseoffizier; Helmut Sündermann, Stellvertretender Reichspressechef, Werner Stephan – Dietrichs persönlicher Referent, Heinz Lorenz – Leiter des Deutschen Nachrichten-Büros, Eugen Hadamovsky, Reichssendeleiter, Leopold Gutterer, Unterstaatsekretär im Propagandaministerium, Karl Scharping, Kurt Jahnke, Hans Hinkel, Heinrich Glasmier.“
Hardys Liste der möglichen Angeklagten ist lang und gut recherchiert und auch das Material, das sein riesiges Team zusammengetragen hat, zeichnet das Bild einer gut geölten Propagandamaschine, die von Überzeugungstätern geschmiert wurde.
Allen voran Otto Dietrich, Reichspressechef, ranghöher als Fritzsche, – er wäre eine bessere Besetzung für den Hauptkriegsverbrecherprozess gewesen. Dietrich hatte 1941 anlässlich der Gründung eines "Instituts zur Erforschung des internationalen Pressewesens" erläutert, was er von einer unabhängigen Presse hielt:
“Anderthalb Jahrhunderte hat das Prinzip der Pressefreiheit in der Politik der Völker geherrscht. Wie hat sich nun dieses Prinzip in der Praxis bewährt? Es ist nachgewiesen, dass für ihre Ehe, die unter den Segnungen der Demokratie mit dem Geld einging, die Presse politischen Geschäften dienstbar gemacht und dass dadurch die sogenannte öffentliche Meinung käuflich gemacht werden.
Es ist erwiesen, dass durch den jüdischen Missbrauch des Nachrichtenwesens die Lüge in das Leben der Völker eingeführt worden ist, dass durch ein System organisierter Nachrichtenfälschung die internationalen Beziehungen vergiftet wurden. Und dass die demokratische Presse unter dem Deckmantel der Freiheit zu Lohnstopp, Kriegshetze missbraucht wurde.“
Da war Reichspressechef Otto Dietrich ganz auf Linie der Partei, der er seit 1929 angehörte. Einer Partei, die die Presse von Anfang an auf eine völkische Linie bringen wollte, radikal der Idee der Volksgemeinschaft verpflichtet und dem Führer treu ergeben.
Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Otto Dietrich bei einer Besprechung.
Ganz auf Linie der Partei: Otto Dietrich (r.) mit Adolf Hitler und Joseph Goebbels.© imago/United Archives International
„In einer solchen Zeit hat die Presse eine große Mission zu erfüllen. Sie hat zu erkennen, dass sie nicht ein Zweck an sich sein kann, sondern nur ein Mittel sein kann. Und dass ihr Zweck kein anderer sein kann, als der des sonstigen politischen Lebenskampfes eine Nation.“
Das hatte Hitler im Frühjahr 1933 erklärt und sein Propagandaminister machte daraus ein Programm:

„Als unumgänglich erscheint mir in diesem Zusammenhang ein in Kürze zu erlassendes neues Pressegesetz zu sein, dass das Verhältnis von den staatspolitischen Kräften, die den Staat tragen, aufs neue regelt.“
Das kam ein halbes Jahr später. Mit dem Reichsschriftleitergesetz – ein Schriftleiter ist ein Redakteur – wurden alle Journalisten in einer Art Kammer zusammengefasst. In der musste man Mitglied sein, um überhaupt arbeiten zu dürfen.
Dabei hatte man darauf zu achten, nichts zu schreiben oder zu sagen, was die "Kraft des deutschen Volkes" oder den "Gemeinschaftswillen" schwächte. Was das war, entschieden die örtlichen Hauptschriftleiter, quasi Chefredakteure, die aber nicht mehr ihrem Verleger, sondern direkt der Reichspressekammer unterstellt waren, letztlich dem Propagandaministerium.

Zerstörung der freien Presse

1300 Journalisten verloren sofort ihre Arbeit, unter ihnen viele Juden, denn man benötigte einen Arier-Ausweis, um die Kammer aufgenommen zu werden. Einige Blätter gaben auf, oppositionelle Journalisten wurden ins Exil gedrängt und manche fanden sich in den neu eingerichteten Konzentrationslagern wieder.
Die Presse war damit auf Kurs gebracht. Das zeigte sich ein Jahr später, als sich Hitler beim sogenannten Röhmputsch aller für ihn potenziell gefährlichen Kontrahenten entledigte, indem er sie ermorden ließ. Goebbels war zufrieden mit dem Echo, dass die Ereignisse fanden:
“Man stelle sich einmal vor, dass in dieser Situation noch die sogenannte Pressefreiheit der liberalen Demokratie vorhanden gewesen wäre. Man stelle sich einmal vor, ein paar wildfremde asoziale jüdische Literaten hätten das nun mit spitzer Feder ins Volk hineingetragen, stelle sich dann die Folgen vor, die daraus entstanden wären. Deutschland würde wahrscheinlich heute ein chaotisches Trümmerfeld sein.
Wir aber hatten, und das war in weiser Voraussicht geschehen deutschen Journalismus so diszipliniert, dass wir in den entscheidenden Augenblicken nicht einmal zu befehlen brauchten. Sondern der deutsche Journalist schöpfte schon aus seinem eigenen Instinkt die Aufgaben, die in den kritischen Situationen nun für ihn erwuchsen und entstanden.“
Der deutsche Journalist hätte völlig zu Recht auf der Nürnberger Anklagebank gesessen, findet Ankläger Alexander Hardy 1967.

Außer in Routine-Entnazifzierungsverfahren mussten sich die Verbliebenen nie für ihre Taten rechtfertigen. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass ein großer Prozess noch mehr belastendes Material für die Schuld der Nazipresse und der Propagandamaschine liefern würde – auch für die individuelle Schuld der kleineren Lichter im Haus der Propagandagrößen. Es gab viele Lippenbekenntnisse, als es darum ging, die verantwortlichen Nazis vor Gericht zu bringen. Es ist tragisch, dass die aufgezählten Kriminellen in Ruhe und Frieden leben und nie für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurden.

Alexander Hardy

Das ist nicht nur in strafrechtlicher und moralischer Hinsicht bedauerlich, sondern auch in historiografischer, denn die Prozesse gegen das NS-System und seine Stützen waren stets auch gewaltige Forschungsprojekte. Sie beschafften, sichteten, katalogisierten und bewerteten Originalquellen und beugten damit Verschwörungstheorien und Idealisierungen vor. Und sie waren eine in alle Welt ausgestrahlte Lektion. Annette Weinke:
„Und an erster Stelle ist hier natürlich der Umstand zu nennen, dass man bereits `45/46 wirklich in sehr anschaulicher Art und Weise Bescheid wusste über die Dimension der Verbrechen, an den europäischen Juden, und zwar bis in die Zahlen hinein, die wirklich erstaunlich akkurat schon waren zu dem damaligen Zeitpunkt, wurde das rekonstruiert.“

Nur wenigen Tätern wurde der Prozess gemacht

Einige solcher Verfahren – und damit Rekonstruktionen der verbrecherischen Regime-Praxis – waren zwischen Dezember 1946 und April 1949 immerhin noch möglich.
Die Wehrmacht stand in zwei Prozessen zur Verhandlung, über Krupp, Flick und die IG-Farben wurde gerichtet, über die SS. Über die Propaganda wurde nur noch in einem Fall verhandelt. Im sog. Wilhelmstraßenprozess, der so hieß, weil er gegen das Auswärtige Amt und andere Ministerien ging, die fast alle in der Berliner Wilhelmstraße ihren Sitz hatten.
Ein anderer Name für das Verfahren war „Omnibusprozess“, denn der Prozess sammelte Angeklagte ein, die anderswo nicht unterkamen, die aber trotzdem vor Gericht gestellt werden sollten, während die Amerikaner die Lust verloren, noch weiter aufwendige Prozesse zu führen.
Reichspressechef Dietrich wurde im April 1949 zu sieben Jahren Haft verurteilt, kam aber schon im August 1950 wieder frei, weil er vom alliierten Hohen Kommissar McCloy begnadigt wurde. Der Rest der potenziellen Angeklagten auf Alexander Hardys Liste kam ungeschoren davon. Annette Weinke stellt trotzdem die große Anstrengung der Amerikaner heraus:
„Sie müssen sich vorstellen, man war dort eben seit 1945 intensiv beschäftigt – war ja auch eine sehr, sehr große Delegation, also die Amerikaner waren ja teilweise mit bis zu 2000 Mann dort vertreten. Und das war ja auch nicht das einzige Prozessprogramm. Zusätzlich gab es auch noch die Dachauer Prozesse, die die Amerikaner durchführten. Und man hatte in Ostasien auch noch ein eigenes Straf- Programm, aus dem ja dann unter anderem der Tokioter Prozess hervorging, also auch in Asien liefen ja Prozesse.“

Die Konkurrenz der politischen Systeme

Darüber hinaus gab es auch den von Alexander Hardy beklagten politischen Gegenwind. Besonders, so die Historikerin Weinke, die Verfahren gegen Vertreter der Wirtschaft gerieten angesichts der sich entwickelnden Systemkonkurrenz in die Kritik.
„Da traten ziemlich große Spannungen auf, einerseits, weil die Industrievertreter ein sehr schlagkräftiges Anwaltsteam hatten. Es waren fähige Anwälte, die ihren Job auch nicht als reine Verteidigertätigkeit auffassten, sondern die eben ganz systematisch auch geschichtspolitische Lobbyarbeit machten.“
Und so endete das ambitionierteste Justizprojekt der Geschichte am 14. April 1949, mit elf Schuldsprüchen gegen Angehörige des Oberkommandos der Wehrmacht. Einen Tag zuvor war Otto Dietrich verurteilt worden.
Zumindest die Anklage auf der großen Bühne war den Angehörigen des Propagandaapparates und der großen Schar der willfährigen Journalisten erspart geblieben. Einige wurden noch von deutschen Gerichten und Spruchkammern verurteilt, andere waren schon auf dem Sprung zur neuen Karriere.
„Aus heutiger, juristisch-wissenschaftlicher, auch historischer Sicht wäre ein solcher allumfassender Propaganda-Prozess natürlich Gold wert. Das wäre eine tolle Sache, wenn man so was hätte.“
Meint Staatsanwalt Eike Fesefeldt. Trotzdem habe sich die juristische Aufarbeitung gelohnt.
„Also im internationalen Völkerstrafrecht gibt es seit 2002, also seit etwa 20 Jahren, einen Tatbestand, der existiert wegen der Nürnberger Prozesse. Man hat am Ende sich angeguckt, welches Recht ist denn durch die Nürnberger Prozesse fortgebildet worden? Was müssen wir unter Strafe stellen? Da hat vor dem Internationalen Strafgerichtshof, Tribunal für Ruanda, hat es einen großen Prozess gegeben. Der nennt sich immer Media Trial. Da sind die führenden Personen eines Radios am Ende auch erfolgreich abgeurteilt worden.“
*Redaktioneller Hinweis: Wir haben eine Herkunftsangabe gestrichen.

Es sprachen: Sabine Falkenberg, Georg Scharegg, Gilles Chevallier und Dirk Josef Müller
Ton: Hermann Leppich
Regie: Giuseppe Maio

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