Nuklearendlager

"Atommüll ist ein lästiges Überbleibsel"

Moderation: Gabi Wuttke |
Bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager müsse die Frage der Sicherheit absolute Priorität haben. Das sagt der Schweizer Nuklearexperte Marcos Buser. Auch in der Schweiz werde die Standortsuche länger dauern als geplant.
Gabi Wuttke: Ein Atommüllendlager in Deutschland - längst wollte die Politik auf der Suche nach einem Standort sein. Aber, wie die gesamte Energiewende hängt auch die Suche weiter in den Seilen, denn noch immer wird gestritten, um den Vorsitz genauso wie um die Teilnehmer der Findungskommission. Bevor Politiker aus Bund und Ländern auf geharnischte Umweltverbände treffen, ist der Schweizer Geologe Markus Buser vom Institut für Nachhaltige Abfallwirtschaft in Zürich am Telefon, er ist zum Treffen in Berlin eingeladen. Einen schönen guten Morgen, Herr Buser!
Marcos Buser: Guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Für die Suche nach einem Atommüllendlager in der Schweiz saßen Sie vier Jahre in der eidgenössischen Kommission für Nukleare Sicherheit. Dann hatten Sie die Faxen dicke - was war denn Ihr Problem, das es auch in Deutschland gibt?
Buser: Mein Problem war, dass das Verfahren nicht mehr korrigierbar war. Es gab da zwei grundsätzliche Probleme, das war eigentlich die zu große Nähe des Regulators und der Sicherheitsbehörden auf der einen Seite gegenüber dem Implementor, also den ausführenden Institutionen, das nach meiner Sicht in einer zu großen Abhängigkeit der Behörden von dem Ausführenden geendet hat. Und das ist natürlich ein Riesenproblem, wenn die Sicherheitsbehörde beziehungsweise die Institution, die das Verfahren leitet, so schwach ist, dass sie sich immer wieder Informationen und Handlungsanweisungen holt bei den Ausführenden. Das kann nicht sein. Und das zweite Problem war eben, vom ersten ausgelöst, die Schwäche, überhaupt Reformen durchzuführen und Probleme, die man sah, beispielsweise Zeitpläne zu korrigieren.
Wuttke: Zeitpläne korrigieren, das ist das Stichwort natürlich für die Atommüllendlagersuche in Deutschland. In der Schweiz sucht man ja seit 1972 nach einem Platz für ein Atommüllendlager. Das heißt, selbst wenn man sich in den nächsten zwei Tagen oder zumindest in den kommenden Wochen auf die Zusammensetzung einer Findungskommission einigen würde, dann geht das aus Ihrer Sicht, auch aus Ihrer Sicht, noch lange nicht weiter?
Die Zeitpläne sind häufig unrealistisch
Buser: Also, es ist so, man muss die Zeiträume angucken, über die man Sicherheit gewährleisten will. Das ist eine Million Jahre, mindestens. Und wenn man ein derartiges Projekt hat, das ein Unikat ist - man hat noch nie ein derartiges Projekt in die Zukunft geplant -, dann muss man sich Zeit geben. Ich denke, es geht nicht darum, in erster Linie Zeitpläne zu machen, sondern es geht in erster Linie darum Qualität sicherzustellen. Und Qualität sicherzustellen heißt, ein Projekt zu lancieren, das man immer wieder überdenkt. Und dann sieht man eben, dass diese schönen Zeitpläne, die man immer wieder macht, halt eben vielfach unrealistisch sind. Beispielsweise Standortsuche in der Schweiz: Da hat man gesagt, in sechs oder acht Jahren hat man den Standort. Und man wusste ganz genau, jetzt in diesem Sachplanverfahren, das ist absolut unrealistisch. Heute spricht man bereits von 20 Jahren, allein die Bezeichnung des Standortes hinzukriegen. Und das sieht man auch, auch in dem ganzen Schweizer Suchverfahren der letzten 40 Jahre - die Zeitpläne, die wurden ständig eingeholt von der Realität. Und ich glaube, das ist etwas ganz Wichtiges. Bei allen diesen Projekten geben wir uns Zeit und konzentrieren wir uns auf die Qualität der Arbeit.
Wuttke: Keine Hektik, sagen Sie. Die Sicherheit - gleich Qualität - geht vor. Gleichgewicht zwischen den Beteiligten ist also die Grundvoraussetzung, um diese Sicherheit und Qualität in gegebener Zeit zu erreichen?
Buser: Es ist zumindest eine der zentralen Voraussetzungen. Wenn Sie sehr große Kompetenzunterschiede haben zwischen den ausführenden Institutionen und den überwachenden Institutionen, dann kann das nicht gut gehen. Ich erwarte von einer Behörde, dass sie so gut besetzt ist von ihrem Wissen und auch von ihren strategischen Entscheiden her gesehen, dass sie die ausführenden Organisationen führen kann und nicht umgekehrt, und das war genau das Problem der Schweiz. Und ich denke, es muss ein Gleichgewicht da sein, die Kräfte müssen austariert werden. Aber vor allem, was ich denke, es muss eine Unabhängigkeit im Denken geben. Und ohne diese Unabhängigkeit, die sich dann eben in einer Sicherheitskultur äußert, die diesen Namen verdient. Ohne diese Unabhängigkeit werden wir immer wieder an den Punkt kommen, wo diese Projekte scheitern. Und ich denke, wir haben jetzt genug Erfahrungen gemacht, nicht nur in der Schweiz, sondern international, von einem Projekt nach dem anderen, das scheitert. Und ich denke, diese Erkenntnis sollte uns doch dazu führen, dass wir uns mal überlegen, warum machen wir diese Fehler? Und an was liegen diese Fehler? Und das wir anfangen zu korrigieren. Auch das setzt voraus, dass wir offen sind, dass wir eben diese Prozesse in einer absolut offenen Art und Weise angehen. Und wenn wir das nicht machen, dann werden wir die Verantwortung natürlich ein ums andere Mal auf die künftigen Generationen rausschieben.
Nuklearenergie war immer intrasparent
Wuttke: Sie sprechen ja davon, dass man etwas angehen müsse, weil es nicht offen angegangen wird. Was ist denn so intransparent - oder warum ist diese ganze Suche für Sie so intransparent und damit problematisch?
Buser: Ich denke, es gibt zwei Gründe, die so wirklich ins Auge stechen. Der erste ist ein historischer Grund. Sie müssen sehen, dass die Nuklearenergie immer eine Wirtschaft war, die extrem intransparent war. Das hing damit zusammen, international, dass man eben diese Verbindung zwischen kriegerischem Einsatz, also Atombomben, und friedlicher Nutzung der Kernenergie, das war niemals vollständig zu trennen. Und diese Branche, die war immer, von Anfang an, also seit den 40 Jahren hat sich diese sehr durch Intransparenz hervorgetan. Die andere Seite ist, dass dieses Projekt eben immer unterschätzt wurde. Die Abfälle, die waren immer ein lästiges Überbleibsel. Und man hat die Lösungssuche immer herausgeschoben. Man hat gedacht, eben auch die 50er-, 60er-Jahre, da muss man Reaktoren bauen, und man muss sich doch nicht um die Abfälle kümmern. Wenn wir die kühlen oder wenn wir die in eine Lagerhalle stellen, dann genügt das. Und das war ein sehr grundsätzlicher Fehler, der übrigens schon damals angeprangert wurde, wo man gesagt hat, ja, das geht doch nicht, dass man eben eine Industrie schafft, wo die Abfallentsorgung noch nicht gelöst ist. Und das rächt sich heute. Man hat die Entsorgung der radioaktiven Abfälle und übrigens auch des Sondermülls, glaubt man geschlossen, immer massiv unterschätzt. Und es ist nicht ein einfaches Problem, das man eben in einer Generation lösen kann, sondern dieses Problem wird uns fünf oder zehn Jahre beschäftigen, bis wir überhaupt das Endlager geschlossen haben.
Wuttke: Gibt der Geologe Markus Buser im Deutschlandradio Kultur zu bedenken. Ich danke Ihnen sehr, Herr Buser, und wünsche einen schönen Tag!
Buser: Danke schön. Ade, Frau Wuttke!
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