Wie Notfallpläne für Atomkraftwerke aussehen könnten
Die Welt muss laut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) verstärkte Anstrengungen im Kampf gegen "atomaren Terrorismus" unternehmen. Das Risiko sei tatsächlich groß, sagt der Atom-Experte Götz Neuneck. Doch nur im Schulterschluss der Staatengemeinschaft könne es eine funktionierende Abwehr geben.
Rund 50 Vertreter von 50 Staaten und Organisationen nehmen derzeit am 4. Nuklearen Sicherheitsgipfels in Washington teil. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) schlägt Alarm: Das Risiko terroristisch motivierter amtomaren Angriffe sei groß.
Schon mit wenig spaltbarem, waffenfähigem Material könne ein Atombombe hergestellt werden, warnt auch Götz Neuneck, Physiker am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg.
Acht Kilo Plutonium genügen
"Im Falle von Plutonium sind es acht Kilogramm, das ist nichts weiter als eine etwas größere Orange. Oder im Falle von hoch angereichertem Uran 20 bis 25 Kilogramm je nach Bauart, das ist nicht sehr viel."
Gewaltbereite Terroristen, die zu allem entschlossen seien, gebe es mittlerweile genug. So könne bereits "ein gut trainiertes Team von sagen wir mal 10 bis 15 Leuten ein Atomkraftwerk in Schwierigkeiten bringen".
Deshalb müssten dringend Pläne für präventive Maßnahmen erarbeitet werden:
"Das heißt, es ist wichtig, dass man hier Pläne ausarbeitet, Alarmpläne, dass man das Personal extrem gut schult, dass man ausschließt, dass Innentäter da sein können. Also, es ist eine ganze Kette von Anstrengungen, die nötig ist und die natürlich für alle Atomkraftwerke gelten muss. Das heißt, hier ist noch viel Arbeit für die IAEO und für die innere Sicherheit zu machen."
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Götz Neuneck ist mein Gesprächspartner. Es geht um nuklearen Terrorismus und die Größe der Bedrohung. Herr Neuneck, schönen guten Morgen!
Götz Neuneck: Guten Morgen!
von Billerbeck: Die Welt muss nach Ansicht der internationalen Atomenergiebehörde dringend etwas unternehmen gegen atomaren Terrorismus. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass atomare Materialien genutzt werden. Für wie groß halten Sie dieses Risiko?
Neuneck: Das Risiko ist deshalb groß, weil mit wenig spaltbarem, waffenfähigem Material eine Atombombe hergestellt werden kann. Und weil das Schadensausmaß so eines auch einfachen Atomsprengkörpers sehr groß sein kann. Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist vielleicht gering, aber es gibt einfach zu viel nukleares waffenfähiges Material. Und deswegen ist das Risiko nicht so gering, wie viele denken.
von Billerbeck: Wenig Material genügt, sagen Sie. Wie groß muss denn diese Menge sein, damit es eine große Gefahr wird?
Neuneck: Die IAEO hat das mal klassifiziert: Im Falle von Plutonium sind es acht Kilogramm, das ist nichts weiter als eine etwas größere Orange. Oder im Falle von hoch angereichertem Uran 20 bis 25 Kilogramm je nach Bauart, das ist nicht sehr viel.
von Billerbeck: Atomare Materialien können ja bekanntlich sehr unterschiedlich genutzt werden: als Atomwaffen oder auch indem man Atomkraftwerke selbst zur Waffe macht. Es gab ja auch Warnungen, insbesondere was die belgischen Atomkraftwerke betrifft. Welche Variante halten Sie denn für wahrscheinlicher?
Neuneck: Das ist nicht vorauszusagen, das hängt letztlich auch vom Ort ab. Man braucht erst mal, was Atomkraftwerke angeht, gewaltbereite Terroristen. Und in den letzten Jahren haben wir gesehen, dass Terroristen so etwas tatsächlich machen, dass sie nicht vor Selbstmorden zurückschrecken. Und Atomkraftwerke trotzdem in die Hand zu bekommen, ist nicht ganz einfach. Man muss wissen, wo die Verwundbarkeiten sind.
Es gibt natürlich Sicherheitsstandards, aber die sind nicht so furchtbar hoch. Die Räumung des belgischen Atomkraftwerks zeigt, dass, wenn Innentäter detailliertes Wissen haben, dass dann unter Umständen die Gefahr wesentlich größer ist. Und ein sehr gut trainiertes Team von sagen wir mal zehn bis 15 Leuten kann schon so ein Atomkraftwerk in Schwierigkeiten bringen.
Das heißt, es ist wichtig, dass man hier Pläne ausarbeitet, Alarmpläne, dass man das Personal extrem gut schult, dass man ausschließt, dass Innentäter da sein können. Also, es ist eine ganze Kette von Anstrengungen, die nötig ist und die natürlich für alle Atomkraftwerke gelten muss. Das heißt, hier ist noch viel Arbeit für die IAEO und für die innere Sicherheit zu machen. Die Frage von Anschlägen mit spaltbarem Material ist eine eigene Kategorie.
Und wie gesagt, wenn 20 Kilogramm hoch angereichertes Uran in die Hände von versierten Spezialisten fällt, ist das schon eine sehr dramatische Wende. Man kann nur hoffen, dass es nicht passiert und dass sogenannte Terroristen sich mit normalem Sprengstoff einfach besser auskennen als mit nuklearem waffenfähigem Material.
von Billerbeck: Ihr Wort in Gottes Ohr, kann ich da nur sagen! Allein, man weiß ja, dass es schon Diebstähle gegeben hat. Wie sind da Ihre Erkenntnisse und vor allem: Wie kann sich die Weltgemeinschaft vor solchem Terrorismus schützen?
Neuneck: Ich denke, Aufklärung, Training, Übung des entsprechenden Personals und natürlich das, was bei dem Sicherheitsgipfel, den es jetzt zum vierten Mal gibt in Washington, der heute beginnt, Standards ausarbeiten von Staaten, für Staaten, die dann diese Standards auch annehmen. Es ist nicht so, dass in jedem Land der gleiche Sicherheitslevel vorhanden ist, und es muss natürlich das waffenfähige Material gesichert werden. Es gibt Konventionen dafür, die müssen natürlich nicht nur unterzeichnet, sondern auch umgesetzt werden.
Und letztlich geht es natürlich auch um weitaus mehr, es geht um die Sicherung von Lagern, die Sicherung von Transport und natürlich auch um den Abbau, also letztlich die Eliminierung. Solange dieses Material da ist und solange es nicht gesichert ist, kann es verwendet werden für einen Akt des nuklearen Terrorismus. Und deswegen ist es längerfristig die einzige Möglichkeit, dieses Material dann auch zu eliminieren.
von Billerbeck: Also ganz klar die Äußerung für einen Atomausstieg weltweit?
Neuneck: Das wird schwer zu erreichen sein. Es gibt Staaten, die sehr von der Atomenergie überzeugt sind, andere – Deutschland – steigen dort aus. Das ist sicherlich ein guter Schritt, aber löst das Problem nicht endgültig, denn eine Explosion auch in einem Nachbarland wird natürlich auch Deutschland tangieren. Das heißt, man muss hier europäisch vorgehen und man muss natürlich weltweit vorgehen. Und für diesen Sicherheitsgipfel in Washington ist zu hoffen, dass es danach nicht das Ende ist – wichtige Staaten wie Russland nehmen daran jetzt zum Beispiel nicht teil –, sondern dass es dann in irgendeiner Form in Form von Review-Konferenzen weitergeht und dass überprüft wird, dass diese Pläne, die man hier diplomatisch unterzeichnet hat, auch umgesetzt werden.
von Billerbeck: Über die atomare Bedrohung durch Terroristen sprach ich mit dem Physiker Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Ich danke Ihnen!
Neuneck: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.