Nuklearstreit im Eifel-Idyll

Von Kai Adler |
Büchel in der Eifel ist auf den ersten Blick ein verschlafener Ort. Er hat sich zwischen Wäldern und Maaren eingenistet, ist allenfalls noch einigen Urlaubern und Wanderern bekannt. Eifel-Idyll eben. Gelegentlich gestört von Düsenjägern des anliegenden Fliegerhorstes. Gelegentlich? Im Dorf gibt es Streit, Atomwaffenstreit. Amerikanische Nuklearsprengköpfe lagern in der Idylle.
Die Mehrheit im Dorf hat kein Problem damit, die Minderheit der Hiesigen ist zwar dagegen, mag es aber in der Öffentlichkeit nicht so gerne austragen. Also kommen die Atomwaffengegner von außerhalb. Gelegentlich werden sie attackiert, denn der Fliegerhorst und die Nuklearsprengköpfe sichern ja Arbeitsplätze.

Frau: "Et wird gemunkelt. Hundertprozentig weiß man ja auch nit, ob welche da sind. (…) Die sagen et immer, aber ich weiß et nit hundertprozentig. Ich wusste et ja auch nit, wie mir hierher jezogen sind. Immer wenn diese Demonstrationen angesagt sind - die aber auch jedes Jahr immer weniger werden (lacht) - da wird dann halt noch mal drüber geredet, wenn da oben abgesperrt wird. Mit Stacheldraht und so weiter."

Die Atomwaffen und die Demonstranten, Frau K versucht beides so gut es geht zu ignorieren. Wer will schon wirklich wissen, ob die Nuklearrakten tatsächlich da oben lagern - nur wenige Kilometer von ihrer Haustür entfernt? Und wenn überhaupt, so waren die Waffen ja irgendwie schon immer da, jedenfalls lange bevor Frau K in diese Gegend zog. Das war vor 15 Jahren. Nur die Demonstranten, die stören Frau K. Doch wenn sie ihnen begegnet, ist sie freundlich, schließlich waren einige von denen auch schon bei ihr zu Gast. Im Wirtshaus "Christopherus". Da ist Frau K Wirtin.

Mann 1: "Die Atomwaffen stören uns nicht."
Mann 2: "Ne, mich auch nit. Die sind da 50 Jahre dabei, da denkt man gar nit dran."
Mann 3: "Die Demonstranten sollen daheim bleibe. Beste wär, wenn die all daheim bliebe und tät uns in Ruhe lassen. Uns interessiert doch überhaupt nit, ob da zehn, 20 Atombomben liege - wenn die Amis weg sind, wenn die Atombomben weg sind, ist der Flugplatz weg und dann stehen die Leute da."

Am Tresen sitzt bereits die erste Kneipenkundschaft - bei Bier, Schnaps und Kaffee. Durch die Fenster fallen die Strahlen einer herbstlich-kühlen Nachmittagssonne, auf dem Sims davor blühen rote Geranien. Auto- und Motorradfahrer zischen die Straße entlang, auf ihrem Weg nach Cochem oder Koblenz.

Mann 4: "Wie heißt die immer, die hierhin kommt? Die Koller?"
Mann 5: "Von den Grünen kommt die, die Koller. Ist dat ne Ärztin?"
Mann 4: "Ne, Apothekerin."
Mann 6: "Die steht hier immer an erster Stelle am Zaun! Die hat auch hier… im Fernsehen war die. Abends im dritten Programm. Dat die da gegen die Atombomben. Die stand hebe der Schull. Als ob die hie im Ort wohne tät."
Mann 5: "Die hat jesproche, als ob die hier von Büchel wär."

Eine Handvoll Demonstranten hat sich an diesem Nachmittag vor dem Fliegerhorst versammelt. Allesamt Friedensaktivisten, die schon seit langem dabei sind. Sie kommen aus Siegen, Norddeutschland und Hessen; für den Abend hat sich sogar eine Gruppe Radler aus Stuttgart angekündigt. Mit ihrer Aktion wollen die Radler auf die Waffen aufmerksam machen.
Aus der näheren Umgebung jedoch befindet sich neben Elke Koller kaum jemand unter den Aktivisten. Das mag auch daran liegen, dass Demonstrieren in Büchel nicht ganz ungefährlich ist.

Koller: "Ich habe persönlich erlebt, wenn ich mit Flugblättern durch die Dörfer ging, dass man mich bedroht hat, mit Gartenscheren oder was man gerade bei der Gartenarbeit der Hand hatte. Ich habe aber auch erlebt: "Es wird allerhöchste Zeit, dass mal jemand was gegen diese Waffen unternimmt. Aber sagen sie bloß nicht meinem Nachbarn, dass ich auch gegen Atomwaffen bin. Es ist hier schon ein Wahnsinnsunterdrückungsmechanismus, der sich in der Bevölkerung hier abspielt."

Insgesamt über 7.000 Atomwaffen lagerten einst, zu Hochzeiten des Kalten Krieges, in ganz Europa. In der Eifel sind es heute noch 20. Weitere 130 amerikanische Nuklearraketen liegen in Ramstein. Bislang hatte es über die genau Anzahl der Waffen lediglich Schätzungen gegeben, seit April weiß man Genaueres - das amerikanische Natural Resources Defense Council, eine Nichtregierungsorganisation, hatte die Zahlen, Ergebnis eigener Untersuchungen, veröffentlicht.

In Büchel lagern die Waffen unterirdisch in speziellen Schutzbauten und nicht, wie noch zu Zeiten des Kalten Krieges, in Bunkern. Die Schutzbauten seien so gesichert, dass sie auch einem Ansturm von Terroristen 30 Minuten lang standhalten würden. Elke Koller bezweifelt das und sie sieht noch ein weiteres Problem: Denn eigentlich darf Deutschland laut Atomwaffensperrvertrag keine Atomwaffen besitzen und ob es diese lagern darf ist fraglich.

Koller: "Also meine Befürchtungen sind ganz konkret und hautnah, dass wir ein Ziel sein könnten für Terroristen. Auch wenn ich mir überlege, dass man den islamischen Ländern wie gerade Iran und Irak, keine Atomwaffen zugestehen will, wir im Westen uns aber das Recht herausnehmen, welche zu besitzen. Weltpolitisch gesehen sind wir ja wieder in einer Phase der Aufrüstung, und das finde ich ganz bedenklich. Der Nichtverbreitungsvertrag beginnt zu bröckeln. Und die Gefahr besteht, dass auch andere Staaten, auch die Nicht-Atombomben-Staaten sich jetzt Atombomben zulegen wollen."

Büchel – ein Ziel für Terroristen? Alles Kokolores, sagen die Leut' im Dorf. Und: Wat mer han, han mer, und so soll et auch bleiben - selbst wenn es sich dabei um Atomwaffen handelt.

Frau: "Ich weiß ja nit, wat macht Atom, ich weiß ja nit. (...) Also ich fühle mich geborgen. Ich fühle mich wirklich geborgen. Denn was passieren würde an Krieg ist überall, überall."

Mann: "Ich sach nur mal eins: Es kommen noch Zeiten, da reichen die noch nit aus, die Plätze wo mir han. So sieht das aus auf der Welt. Die meisten wissen doch ja nit, was los ist. (…) Wir haben ja jetzt schon de Terror im Land."

Das Ehepaar Schneider, Betreiber der Tankstelle im Ort.

Frau: "Flugplatz gibt uns Sicherheit. Ja! (….) Sicherheit und dann auch zum (…) sag doch mal, wie soll ich denn … Verdienst, Arbeitsstellen. Genau: Arbeitsstellen! Ja! Ja!"

Mann: "Die sind doch jetzt schon alle verraten und verkauft, trotzdem die alle hier sind, die Amerikaner. (…) Dat leuchtet dem Volk doch ja nit ein. Mehr sach ich dazu nit."

Frau: "Also mir sinn für de Fluchplatz, dat die Amerikaner bleiben, für allet sinn mir, ja, 100 prozentig."

Mann: "Die janze Region lebt ja davon un wenn mir – stell mal vor, mir würde alle protestiere gehen: De janze Aufwand, wat die, die Wachposten, die müssten die all bezahlen, die da rauflaufe. Da gäb dat schon wat."

Was das genau gäb', das wollen sie sich gar nicht erst ausmalen. Und auch, dass der Erhalt des Fliegerhorstes und damit der Arbeitsplätze tatsächlich nicht von dem Verbleib der Atomwaffen abhängt, interessiert nicht.

Koller: "Man hat ihnen die ganze Zeit eingeredet, also die Existenz des Flugplatzes hängt von diesen Atomwaffen ab."

... sagt Elke Koller.

Koller: "Das ist in meinen Augen nie etwas anderes als eine ganz unverantwortliche Erpressung."

Insgesamt rund 2.600 Menschen sind auf dem Fliegerhorst beschäftigt: Berufsoldaten, Wehrpflichtige und zivile Kräfte mit eingeschlossen.

In einem Flugblatt hatten die Atomwaffengegner Anfang des Jahres die Soldaten zur Befehlsverweigerung aufgerufen. Der Grund: Die Nukleardoktrin der Amerikaner sieht vor, dass die Luftwaffe im Ernstfall auch ihre Tornados für den Abwurf von Atomraketen zu Verfügung stellt. Atomwaffenabwürfe von deutschen Flugzeugen – für die Aktivisten ein eindeutiger Verstoß gegen den geltenden Atomwaffensperrvertrag, der atomwaffenfreien Ländern wie Deutschland die nukleare Teilhabe verbietet. Der Schluss: Die Soldaten sollten mit Verweis auf internationales Recht verweigern, so die Demonstranten. Alles Quatsch, meinen die Menschen im Dorf. Nukleare Teilhabe hin oder her – die Atomwaffen bergen keine Gefahr.

Bauer Jahnen: "Die Atom hat zwei Zünder. Und die komme aus zwei ganz bestimmte Gegende. Solange es die zwei nicht zusammen sind, kann die nit krepiere. Die Atom frisst kein Brot, aber die bringt Brot."

Zurück im "Christopherus". Die Kneipe hat sich gefüllt. Bauer Jahnen trifft sich wie jedes Wochenende mit den wenigen im Dorf noch verbliebenen Landwirten auf einen Schoppen Wein im Wirtshaus. Jahnen geht auf die 80 zu, auch die anderen haben die 70 bereits überschritten. Sie alle stammen aus der Gegend, sind hier geboren und aufgewachsen.

Jahnen: "Die Eifel hier war das ärmste Gebiet Deutschlands. Da ist kein Geld verdient worden. Da war doch nur ein bisschen Landwirtschaft, da haben die Leute alle von gelebt. Die hatten ein, zwei, Kühe und haben sich damit durchgeschlagen, bisschen Land gebracht. Der Vater: Der hatte einen der größten Betriebe hier rum. Der hat 28, 29 in den Jahren nicht immer 25 Pfennig gehabt. Sonntags hat er zum Wirtshaus gegangen zum hier Karten spielen. Da hat das Schnäppchen 24 Pfennig gekostet. Die Armut ist erst weggegangen wie der Flugplatz kam. Aber wie viel sind wir denn heute in der Gegend noch, die das wissen?"

Kaum jemand wisse hier noch, wie man Felder bestelle, fügt er hinzu und die Kollegen am Kneipentisch nicken bestätigend: Sie gehören zu den wenigen im Dorf, die die Landwirtschaft noch wirklich kennen gelernt haben. Alles tot heute, sagen sie, selbst jetzt, zur Erntezeit, sei doch kaum jemand auf den Feldern.

Jahnen: "Im ganzen Dorf ist nicht eine Kuh."

Bauer 2: "Sonst waren doch hier 270 Kühe im Dorf, heute ist keine mehr. Für mich ist Büchel ein sterbendes Dorf. Kein Landwirt, der weiter macht, kein Vieh mehr da. Und ein Landwirt, der kein Vieh hat, der hat kein Geld."

Bauer Brauns: "Davon kann keiner leben. Da müssen sie schwere Zuschüsse bei kriegen, sonst kann keiner von leben."
Jahnen: "Egal wo der ist und wie der heißt, die leben nur von Subventionen. Es würde mir Leid tun, wenn meine Kinder in diesem Ort geblieben wären."

Die Arbeit auf dem Fliegerhorst brachte Geld. Viel Geld – im Verhältnis zu dem wenigen, das man bei der Landwirtschaft verdiente. Kaum jemand wollte da mehr auf den Feldern arbeiten.
Zunächst aber war das anders. Damals, als der Luftwaffenstützpunkt gerade gebaut wurde, habe es heftige Proteste gegeben, erzählt Bauer Brauns. Viele Landwirte hatten ihre Felder an den Fliegerhorst verloren. Wallfahrten wurden veranstaltet - etwa zum benachbarten Kloster Marthenstein. Doch weil auch der liebe Gott nichts an dem Bau des Militärstützpunktes zu ändern vermochte, habe man die Situation schließlich akzeptiert.

Bauer Brauns: "Die damals am meisten dagegen waren, die haben als erste gefragt, ob sie Arbeit kriegen können. (…) Und da waren damals ziemlich viele beschäftigt bei der Bauzeit (…) Damals sind viele Leute marschiert, mit Hacke und Schippen. Das war 1954 wie das angefangen hat. Rundrum die hatten ja all keine Arbeit. In Baracken vom Arbeitsamt haben die Leute Schlange gestanden."

Heute finden wirkliche Auseinandersersetzungen in Büchel in der Regel nur noch auf dem Sportplatz statt. Dort kickt an diesem Tag der lokale Fußballverein gegen den Nachbarort: Rot die Shirts der Bücheler Spieler, blau die der Gegner. Es steht 2:0 - für Büchel.

Ein Großteil des Dorfes schaut zu, darunter auch eine Gruppe junger Männer am Rande des Spielfeldes. Sie tragen schwere Rennfahreranzüge, die ihren Körperumfang um einiges vergrößern. Ihre Füße stecken in schweren Boots. Crossrenn-Outfits.

Horst: "Also ein gewisset Risiko, dann macht das schon richtig sach ich mal Spaß. Aber wer dat Risiko liebt."

Horst und seine Kumpels stammen alle aus dem Dorf. Wie die Eltern und die Großeltern.
Horst: "Ich will die Ewigkeit hier bleiben. Eifel Ist dat Beste. "

… sagt Horst.

Ralf: "Ich bin hier groß geworden. Ich geh hier nicht weg. In der Stadt könnte ich nicht leben, das wäre mir zu eingeengt. Ich wohne da unten auf dem Bauernhof und da hab ich meine Freiheiten."

Ralf's Eltern betreiben einen Bauernhof im Dorf. Wenn es nach ihm ginge, so würde er den Hof irgendwann einmal übernehmen. Landwirt ist sein Traumberuf. Ein unerfüllter Traum.

Ralf: "Wir sitzen noch jedes Jahr auf dem Bulldog, aber es geht langsam dem Ende zu. Wir sind dran, fast die Hälfte still zu legen. 1990 haben wir mit dem Vieh aufgehört, wegen Kosten – nur noch Großbauern sind bestehen geblieben. Kleinbauern sind vernichtet worden. Und dann haben wir mit der Landwirtschaft weitergemacht. Dann heißt das, da steht noch ein Bauernhof, dann steht da ein Bulldog in der Scheune und fertig. Da werden die Felder für Crossstrecken genutzt."

Auch Daniel hat sich nach der Schule dazu entschlossen in der Gegend zu bleiben. Er macht eine Ausbildung zum Fluggerätemechaniker - auf dem Luftwaffenstützpunkt. Danach will er weiter studieren - Flugzeugtechnik. Er hofft auf einen Studienplatz irgendwo in der Nähe. Für ihn ist der Fliegerhorst ein Arbeitgeber und Ausbilder wie jeder andere. Auch mit den Atomwaffen.

Daniel: "Kann ich gut mit leben, sag ich mal. Kein Problem damit. Es gibt ja auch Atomkraftwerke und von daher denke ich – mit der Sicherheit – ich denke, die werden hier schon gut gelagert sein, so dat hier nix passiert. Also ich mach mir da keine Gedanken."

Horst: "Hier mit den Atombomben, ich find das nicht verkehrt, dass die die haben. Ein gewisser Rückhalt, sag ich mal – in gewissen Sachen. Andere Länder haben Atombomben, sag ich mal."

Nur ein paar Unverbesserliche stören sich noch daran - an den Waffen und an dem Problem ihrer Legitimität. Doch wen kratzt das schon?

Am nächsten Morgen dann sind die Plakate der Demonstranten verschwunden, die Kerzen weggeräumt, die Zelte fort. Einzig ein Spruch auf dem Boden zeugt noch von dem Protest: "Weg mit den Atomwaffen", steht da, mit bunter Kreide geschrieben. Der nächste Regen wird auch das fort waschen.

In der Nacht, irgendwann, sollen die Radfahrer aus Stuttgart tatsächlich hier eingetroffen sein. Frau Schneider jedenfalls ist ihnen noch begegnet. Sie haben bei ihr an der Tankstelle eingekauft und nach dem Weg gefragt – dem Weg zum Fliegerhorst.
Schneider: "Der eine hatte ne Kassette in der Hand. Und dann haben die mir erzählt. Dat waren welche. Die waren mit circa 50 Fahrrädern, sind die gestern 333 Kilometer gefahren. Stuttgart kämen sie her. 'Ah!' han ich gesagt, 'Sie sind..?', 'Genau!' - haben sie freudig erzählt. Aber wissen Sie, es ist mir auch egal. Der ältere Herr, zuerst war der so, so – aber wie ich ihm gesagt habe: 'Vielleicht versteh ich Sie', sag ich, 'aber Sie müssen uns auch verstehen: Liever Jott, wenn wir de Flugplatz nich hätten, wär'n mier arme Leut' hier in der Eifel.' Ja, sie hätten gesehen, dass hier alles etwas… dass es keine Industrie hier gibt – es ist ja auch hier nix, es ist nix, nix ist hier. Ach je, ach ja, Herrgott! Aber dann ist der so… so verzerrt geworden. Hab ich direkt gesehen! Das Gesicht hat sich, na ju. - Atombomben! Die tät doch überhaupt nix. Is doch die Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit. Wenn et so weit is, is die janze Welt doch im Arsch."