"Nur ein Tropfen auf den heißen Stein"

Peter Bofinger im Gespräch mit Marietta Schwarz |
Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hält das Sechs-Milliarden-Euro-Programm der EU gegen Jugendarbeitslosigkeit für nicht ausreichend. Mit dem Geld werde man nur "sehr, sehr wenig erreichen können", sagte Bofinger.
Marietta Schwarz: In den hoch verschuldeten EU-Staaten schnellen die Arbeitslosenzahlen von Monat zu Monat in neue Rekordhöhe. betroffen sind vor allem junge Menschen unter 25 Jahren. In Griechenland liegt die Jugendarbeitslosenquote bei 62,5 Prozent, Spanien 56,4 Prozent, in Portugal und in Italien über 40 Prozent, so die jüngsten Zahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat.

Die Politiker der Europäischen Union suchen seit Monaten nach schnell wirksamen Gegenmaßnahmen, dafür sind zwei Spitzentreffen angesetzt, eines nächste Woche und der heute beginnende EU-Gipfel in Brüssel. Konkret soll da eine Jugendbeschäftigungsinitiative von sechs Milliarden Euro beschlossen werden, mittelständische Unternehmen mit Krediten gestärkt und vielleicht auch das Kapital der Europäischen Investitionsbank aufgestockt werden - da wird es dann schon etwas unkonkreter. Sind das Maßnahmen, die aus der Jugendarbeitslosigkeit herausführen? Am Telefon ist der Ökonom Peter Bofinger, Professor an der Universität Würzburg und einer der Wirtschaftsweisen. Guten Morgen!

Peter Bofinger: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Herr Bofinger, kommen wir zunächst noch mal auf diese gewaltigen Zahlen zurück, die ich eben genannt habe und die immer wieder kursieren: War eine solch dramatische Lage vor allem bei der Jugendarbeitslosigkeit abzusehen?

Bofinger: Ich glaube schon, dass es abzusehen war, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den südeuropäischen Ländern zu einer sehr hohen Arbeitslosigkeit führt. Jetzt ist aber, glaube ich, auch mal wichtig, diese hohen Arbeitslosenraten etwas zu relativieren.

Wenn wir jetzt in Spanien oder Griechenland Jugendarbeitslosenraten haben von über 50 Prozent, darf man daraus nicht schließen, dass jeder zweite Jugendliche in dieser Altersgruppe jetzt keine Arbeit hat. Diese Zahlen beziehen sich nur auf die jungen Menschen, die eben keine Ausbildung haben, die nicht an der Universität sind, also nur auf die jungen Menschen, die tatsächlich am Arbeitsmarkt da eine Beschäftigung suchen.

Wenn man die Jugendarbeitslosen nimmt, und sie bezieht auf alle jungen Menschen in dieser Altersgruppe, dann kommt man in Spanien und Griechenland auf eine Rate von etwa 20 Prozent, das heißt von den jungen Menschen ist jeder Fünfte arbeitslos, das ist immer noch eine ganze Menge, aber ich glaube, es ist wichtig, dass man die Zahlen auch in einen richtigen Kontext stellt.sd

Schwarz: Also nicht ganz so dramatisch, wie es klingt, meinen Sie, ist die Situation?

Bofinger: Es ist sicher jeder einzelne Jugendliche, der arbeitslos ist, ein Problem für die Gesellschaft, und in absoluten Zahlen haben wir immerhin 3,6 Millionen junge Menschen ohne Arbeit im Euroraum und 5,6 Millionen junge Menschen in der Europäischen Union insgesamt, also es ist ein gewaltiges Problem, aber man muss trotzdem diese ganz hohen Zahlen doch etwas vorsichtig behandeln.

Schwarz: Die EU-Politiker wollen dem jetzt wie gesagt mit einer Beschäftigungsinitiative begegnen, sprich erst mal mit Geld. Wie weit kommt man denn mit sechs Milliarden Euro?

Bofinger: Aus meiner Sicht ist das ein Tropfen auf den heißen Stein, das sind ja sechs Milliarden Euro auf sechs Jahre, das heißt, pro Jahr bleibt noch eine Milliarde, und diese sechs Milliarden Euro werden auf 27, mit Kroatien dann auf 28 Länder verteilt, das heißt, in jedem einzelnen Land bleibt da sehr, sehr wenig, und ich glaube, es gilt dann schon, dass man sagen kann, ohne Moos nix los. Also mit diesen Beträgen wird man in Anbetracht des Problems, das ja wirklich für Millionen junger Menschen doch sehr gewaltig ist, wird man sehr, sehr wenig erreichen können.

Schwarz: Das heißt, Sie würden sich da möglicherweise auf die Seite von François Hollande schlage, der ja gesagt hat, es muss auf jeden Fall mehr Geld sein, und er nannte so ungefähr eine Summe von 20 Milliarden Euro.

Bofinger: Auf jeden Fall würde das helfen, mehr zu bewerkstelligen, aber ich glaube, man muss auch insgesamt sehen, die Jugendarbeitslosigkeit ist ja ein Symptom einer tiefer liegenden Krise, einer tiefer liegenden Rezession im Euroraum, und das fundamentale Problem ist einfach, dass der Euroraum nun schon seit einem guten Jahr in der Rezession ist, dass diese Rezession sich fortsetzt und dass sie eben in den südeuropäischen Ländern besonders gravierend ist.

Und das ist die eigentliche Ursache, und die müsste man eigentlich bekämpfen, das heißt, man müsste sich fragen, wie kann man eigentlich eine Wirtschaftspolitik betreiben, dass insgesamt diese Rezession gestoppt wird, dass insgesamt wieder Wachstum kommt, und dann kämen auch die Arbeitsplätze für die jungen Menschen, wenn man weiterhin in der Rezession stecken bleibt, dann ist das alles nur Symptomtherapie, und selbst, wenn man 20 Milliarden in die Hand nimmt, ist das keine Maßnahme, um die Jugendarbeitslosigkeit tatsächlich nachhaltig zu bekämpfen.

Schwarz: Angela Merkel, die ja mit François Hollande an einem Tisch sitzt, die sagt, mehr Geld gibt es nicht, wir müssen jetzt Strukturreformen auf nationaler Ebene in Gang setzen. Was bedeutet das denn?

Bofinger: Na ja, ich meine, Strukturreformen sind Maßnahmen beispielsweise, dass man den Kündigungsschutz lockert, dass man das Arbeitslosengeld reduziert, das sind Maßnahmen, die vielleicht helfen, wenn die Wirtschaft insgesamt wieder gut läuft, aber wenn man jetzt in der Rezession ist, und man lockert den Kündigungsschutz, dann werden nur mehr Menschen entlassen, ohne dass neue Arbeitskräfte eingestellt werden.

Aus meiner Sicht kommt es jetzt ganz entscheidend darauf an, dass man jetzt in Europa, dass die europäischen Politiker erkennen, dass diese Wirtschaftspolitik, die in den letzten Jahren betrieben worden ist, immer stärker in die Krise hineinführt, und dass wir einfach einen Politikwechsel benötigen, dass wir insgesamt eine marktökonomische Politik brauchen, die wieder Wachstumsimpulse gibt, und dann kommen auch die jugendlichen Menschen wieder in Arbeitsplätze, und dann können auch die Strukturreformen wirken.

Schwarz: Das heißt, weg vom Sparen, Sparen, Sparen? Ist es das, was Sie meinen?

Bofinger: Das meine ich ganz, ganz klar, denn die Rezession ist ja schon seit einigen Quartalen in Gang, und man hat auch wirklich den Eindruck, dass sie sich verstärkt, sie war ja bisher eher ein Problem der Randländer. Mittlerweile ist ja auch Frankreich in die Rezession geraten, und die Wirtschaftspolitik, die verfolgt wird, ist ja eine Politik des Sparens, und das ist eigentlich genau das Gegenteil von dem, was man in einer solchen Lage bräuchte.

Schwarz: Kommt diese Hilfe aus Brüssel, wenn es denn eine Hilfe ist, nicht auch viel zu spät? Hätte man da nicht mindestens vor einem Jahr auch schon drauf kommen können?

Bofinger: Ganz klar, das Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist ja ein Problem, das schon sowieso grundsätzlich in Südeuropa relativ verfestigt ist, und ganz klar hätte man da auch früher sich überlegen können, was man dagegen tut, und das ist ja ganz, ganz wichtig auch, wenn man über diese Jugendarbeitslosigkeit spricht, dass es zum einen um ein ganz gravierendes menschliches Problem geht, aber es ist auch ökonomisch eine Katastrophe, wenn junge Menschen keine Arbeit finden, die Qualität ihres Humankapitals, wie wir das als Ökonomen nennen, verschlechtert sich ja, je länger sie arbeitslos sind, und umso weniger dann wert für die Wirtschaft.

Und was man ja auch erlebt, ist, dass die qualifizierten jungen Menschen in Spanien oder Irland das Land verlassen, und das ist ja dann auch ein Prozess, der nachhaltig die Wettbewerbsfähigkeit dieser Volkswirtschaften schwächt.

Schwarz: Der Ökonom Peter Bofinger von der Universität Würzburg. Herr Bofinger, danke für das Gespräch!

Bofinger: Ja, gerne!


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