"Nur eine Rose als Stütze"
Hilde Domin war die wohl erfolgreichste deutsche Lyrikerin, die durch Gedichte wie "Nur eine Rose als Stütze" bekannt wurde. 1933 verließ sie Hitlerdeutschland und kehrte erst 1954 aus dem Exil zurück. Am 27. Juli 2009 wäre sie 100 Jahre alt geworden.
Bis zu ihrem 90. Geburtstag hatte Hilde Domin immer 1912 als Geburtsjahr angegeben. Tatsächlich kam sie am 27. Juli 1909 in Köln als Hilde Löwenstein zur Welt. Die kleine Mogelei mag mit ihrer lebensentscheidenden "zweiten Geburt" 1951 zusammenhängen. Nach der Jahrgangskorrektur gerade noch in ihren Dreißigern, schrieb die große Lyrikerin, verstört vom Tod ihrer Mutter, das erste Gedicht.
"Es war ein Gnadenakt von höherer Seite. Ich kann nicht sagen, dass ich etwa fromm wäre und einen persönlichen Gott sähe, der mir im Moment, wo ich dem Selbstmord nahe war, einen Rettungsring zugeworfen hätte. Aber die Situation war diese, dass ich völlig an der Kippe war und nicht mehr leben konnte. Und da habe ich die Möglichkeit gehabt, mich auszudrücken. Das ist so das, was der Katholik in der Beichte tut, wo er sich erleichtert; und was wir, die wir kreativ sind oder plötzlich in einer Herzensnot kreativ geworden sind - wir können sagen, was uns bedrückt. Und dann ist es objektiviert - und man stirbt nicht mehr daran."
An Veröffentlichung dachte sie lange nicht. Erst 1959 erschien ihr erster Gedichtband "Nur eine Rose als Stütze". In diesem Jahrhundert der Flüchtlinge lebten sie und ihr Mann, der Archäologe Erwin Walter Palm, 22 Jahre im Exil und befanden sich auf einer wahren Sprachodyssee durch viele Länder.
In Italien konnten sie noch promovieren, doch nach Inkrafttreten der Rassengesetze waren die Palms auch in Mussolinis Staat in Gefahr. 1939 flohen sie über mehrere Stationen nach Santo Domingo, wo sie, trotz des dort herrschenden Klimas der Einschüchterung, 14 Jahre blieben. Hilde Domin, wie sie sich später als Autorin nach diesem Zufluchtsort nannte, verdiente im Exil den Lebensunterhalt.
"Ich war ein Sprachhandwerker. So wie andere Kleider drehen, habe ich eben von Sprache zu Sprache Sprachen gedreht; hauptsächlich die Texte meines Mannes. Ich war die Bodenmannschaft von seinem Flugzeug. Mit Italienern, mit Spaniern, mit Engländern habe ich jeweils die Texte gedreht. Das war sehr interessant. Dabei bekommt man ein erhöhtes Sprachgefühl auch für die eigene Sprache."
Immer wieder hat Hilde Domin betont, dass sie in der deutschen Sprache Halt fand, als die Sicherheit, ein Zuhause, eine Heimat zu haben, auf der permanenten Flucht zerbrochen war. Und dieses Gefühl verstärkte sich bei ihrer Rückkehr nach Deutschland sogar noch: Das ehemals Vertraute war fremd geworden. Dem hat sie in ihrem Roman "Das zweite Paradies" und, immer wieder, in vielen ihrer Hunderten von Gedichten Ausdruck verliehen. Weggelassen hat sie das Nur-Private - und das Exemplarische gesucht, weil nur so andere Menschen ihre Erfahrung gespiegelt finden könnten.
Ziehende Landschaft
Man muss weggehen können
Und doch sein wie ein Baum
Als bliebe die Wurzel im Boden
Als zöge die Landschaft und wir stünden fest
Man muss den Atem anhalten
Bis der Wind nachlässt
Und die fremde Luft
Um uns zu kreisen beginnt.
Bis das Spiel von Licht und Schatten
Von Grün und Blau
Die alten Muster zeigt
Und wir zu Hause sind
Wo es auch sei
Und niedersitzen können und uns anlehnen
Als sei es an das Grab unsrer Mutter
Sie blieb - dennoch, widerständig, lebte viele Jahre nur möbliert und pendelte lange zwischen Spanien und Deutschland. Sie starb 2006, fast 20 Jahre nach ihrem Mann, mit 96 Jahren in Heidelberg. Die große Lyrikerin war eine politisch wache Zeitzeugin - und unbestechlich sprachgenau. 1932 schon, als junge Studentin, hatte sie Hitler kommen sehen und war, wie sie es nannte, in ein "Exil auf Probe" nach Italien gegangen.
Hellsichtig war auch ihr Blick auf das Nachkriegsdeutschland. Sie vermisste Zivilcourage und Mit-Schmerz. Sie warnte vor Schlagworten und vor einer Sprache in Politik und Werbung, die die Wirklichkeit umlügt und vernebelt, statt die Dinge zu benennen. Und vor der Verdinglichung als einer Form der Freiheitsberaubung. Ihre immer wieder überprüften Wahrnehmungen und Verse haben nichts an Aktualität verloren:
Freiheit, Wort das ich aufrauen will
Ich will dich mit Glassplittern spicken
Dass man dich schwer auf die Zunge nehmen
Und du niemandes Ball bist.
Dich und andere Worte möcht ich
Mit Glassplittern spicken
Wie es Konfuzius befiehlt
Der alte Chinese
Die Eckenschale, sagt er
Muss Ecken haben, sagt er
Oder der Staat geht zugrunde
Nichts weiter, sagt er
Ist vonnöten.
Nennt das Runde rund
Und das Eckige eckig.
"Es war ein Gnadenakt von höherer Seite. Ich kann nicht sagen, dass ich etwa fromm wäre und einen persönlichen Gott sähe, der mir im Moment, wo ich dem Selbstmord nahe war, einen Rettungsring zugeworfen hätte. Aber die Situation war diese, dass ich völlig an der Kippe war und nicht mehr leben konnte. Und da habe ich die Möglichkeit gehabt, mich auszudrücken. Das ist so das, was der Katholik in der Beichte tut, wo er sich erleichtert; und was wir, die wir kreativ sind oder plötzlich in einer Herzensnot kreativ geworden sind - wir können sagen, was uns bedrückt. Und dann ist es objektiviert - und man stirbt nicht mehr daran."
An Veröffentlichung dachte sie lange nicht. Erst 1959 erschien ihr erster Gedichtband "Nur eine Rose als Stütze". In diesem Jahrhundert der Flüchtlinge lebten sie und ihr Mann, der Archäologe Erwin Walter Palm, 22 Jahre im Exil und befanden sich auf einer wahren Sprachodyssee durch viele Länder.
In Italien konnten sie noch promovieren, doch nach Inkrafttreten der Rassengesetze waren die Palms auch in Mussolinis Staat in Gefahr. 1939 flohen sie über mehrere Stationen nach Santo Domingo, wo sie, trotz des dort herrschenden Klimas der Einschüchterung, 14 Jahre blieben. Hilde Domin, wie sie sich später als Autorin nach diesem Zufluchtsort nannte, verdiente im Exil den Lebensunterhalt.
"Ich war ein Sprachhandwerker. So wie andere Kleider drehen, habe ich eben von Sprache zu Sprache Sprachen gedreht; hauptsächlich die Texte meines Mannes. Ich war die Bodenmannschaft von seinem Flugzeug. Mit Italienern, mit Spaniern, mit Engländern habe ich jeweils die Texte gedreht. Das war sehr interessant. Dabei bekommt man ein erhöhtes Sprachgefühl auch für die eigene Sprache."
Immer wieder hat Hilde Domin betont, dass sie in der deutschen Sprache Halt fand, als die Sicherheit, ein Zuhause, eine Heimat zu haben, auf der permanenten Flucht zerbrochen war. Und dieses Gefühl verstärkte sich bei ihrer Rückkehr nach Deutschland sogar noch: Das ehemals Vertraute war fremd geworden. Dem hat sie in ihrem Roman "Das zweite Paradies" und, immer wieder, in vielen ihrer Hunderten von Gedichten Ausdruck verliehen. Weggelassen hat sie das Nur-Private - und das Exemplarische gesucht, weil nur so andere Menschen ihre Erfahrung gespiegelt finden könnten.
Ziehende Landschaft
Man muss weggehen können
Und doch sein wie ein Baum
Als bliebe die Wurzel im Boden
Als zöge die Landschaft und wir stünden fest
Man muss den Atem anhalten
Bis der Wind nachlässt
Und die fremde Luft
Um uns zu kreisen beginnt.
Bis das Spiel von Licht und Schatten
Von Grün und Blau
Die alten Muster zeigt
Und wir zu Hause sind
Wo es auch sei
Und niedersitzen können und uns anlehnen
Als sei es an das Grab unsrer Mutter
Sie blieb - dennoch, widerständig, lebte viele Jahre nur möbliert und pendelte lange zwischen Spanien und Deutschland. Sie starb 2006, fast 20 Jahre nach ihrem Mann, mit 96 Jahren in Heidelberg. Die große Lyrikerin war eine politisch wache Zeitzeugin - und unbestechlich sprachgenau. 1932 schon, als junge Studentin, hatte sie Hitler kommen sehen und war, wie sie es nannte, in ein "Exil auf Probe" nach Italien gegangen.
Hellsichtig war auch ihr Blick auf das Nachkriegsdeutschland. Sie vermisste Zivilcourage und Mit-Schmerz. Sie warnte vor Schlagworten und vor einer Sprache in Politik und Werbung, die die Wirklichkeit umlügt und vernebelt, statt die Dinge zu benennen. Und vor der Verdinglichung als einer Form der Freiheitsberaubung. Ihre immer wieder überprüften Wahrnehmungen und Verse haben nichts an Aktualität verloren:
Freiheit, Wort das ich aufrauen will
Ich will dich mit Glassplittern spicken
Dass man dich schwer auf die Zunge nehmen
Und du niemandes Ball bist.
Dich und andere Worte möcht ich
Mit Glassplittern spicken
Wie es Konfuzius befiehlt
Der alte Chinese
Die Eckenschale, sagt er
Muss Ecken haben, sagt er
Oder der Staat geht zugrunde
Nichts weiter, sagt er
Ist vonnöten.
Nennt das Runde rund
Und das Eckige eckig.