Neuer Görlitzer Oberbürgermeister kämpft gegen Hass
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Schon kurz nach seiner Wahl ist der Görlitzer CDU-Oberbürgermeister Octavian Ursu ins Visier politischer Gegner geraten. Der Hass gegen ihn entlädt sich vor allem in sozialen Netzwerken. Die Atmosphäre in Görlitz bleibt angespannt.
Octavian Ursu hat sich eingerichtet in seinem neuen, dunkel getäfelten Dienstzimmer im prachtvollen Görlitzer Rathaus. Vor seiner Wahl hat der in Rumänien geborene ehemalige Berufsmusiker als Stadtrat an der Entwicklung von Görlitz aktiv mitgearbeitet. Ursu ist ein freundlicher Mann der leisen Töne, der das Gespräch sucht und auf den ersten Blick eher bedächtig wirkt. Er hat einen harten Wahlkampf hinter sich:
"Ja, das war im zweiten Wahlgang sehr polarisierend, weil es ging letztendlich auch um eine Richtungsentscheidung. Es ging am Ende darum, ob die Stadt eine europäische, offene Stadt bleibt oder ob wir uns nach außen abschotten wollen. Und am Ende hat sich die Mehrheit für die offene Richtung entschieden."
Mit einem breiten Bürgerbündnis und gut 55 Prozent der Stimmen konnte Ursu im zweiten Wahlgang den Herausforderer von der AfD, Sebastian Wippel, aus dem Rennen schlagen. Eine bittere Niederlage für den Kandidaten und die Anhänger der AfD, die sich schon sicher wähnten, den ersten AfD-Oberbürgermeister Deutschlands stellen zu können. Doch so mancher konnte und wollte sich damit nicht abfinden. Schon kurz nach der Wahl geriet das designierte CDU-Stadtoberhaupt ins Visier politischer Gegner.
Attacken insbesondere nach Mord an Lübcke
"Ich habe ganz konkrete, eindeutige Drohungen bekommen über die sozialen Netzwerke, insbesondere nach dem Attentat auf Walter Lübcke. Ich habe sie dann aber sofort gemeldet den Behörden, da sind Maßnahmen ergriffen worden. Es laufen auch noch Strafverfahren diesbezüglich, aber man hat gemerkt, wie aufgeheizt die Stimmung ist", berichtet Ursu.
Ein Ausschnitt aus einer Sendung des MDR-Magazins "Exakt" belegt eindrücklich die heftigen Attacken gegen das Görlitzer Stadtoberhaupt Octavian Ursu. Die Redaktion hat einen Mann aufgesucht, der auf Facebook Hasspostings gegen Ursu und andere Politiker unter seinem Klarnamen verbreitet – und ihn damit konfrontiert.
Er äußerte sich in dem sozialen Netzwerk über Ursu beispielsweise so: "Na dann wissen doch ganz bestimmte Leute, was zu machen ist! Er geht doch ganz bestimmt mal einkaufen." und "Unfälle passieren so schnell." Ursu versteht das als offene Drohung: "Ja, das ist eindeutig, was er mir hier wünscht. Anscheinend hofft er, dass jemand irgendwas macht."
Der Kommunalpolitiker Ursu hat diese Hasspostings angezeigt und die Polizei konnte einige Tatverdächtige ermitteln. Die Verfahren laufen noch. Er sieht in diesen hasserfüllten Facebook-Botschaften schwerwiegende Risiken für die Gesellschaftsordnung in Deutschland:
"Das ist sehr gefährlich für unsere Demokratie, weil man muss sich auch trauen, um Politik zu machen. Man muss sich auch trauen, eine Haltung zu zeigen. Und manchmal ist diese Haltung auch nicht bequem oder akzeptabel für eine Seite der Gesellschaft. Darüber muss man reden, man muss auch streiten. Aber da sind Grenzen überschritten worden, hier in eine Gewaltrichtung, was angekündigt wurde, die nicht akzeptabel sind. Für alle nicht. Und deswegen glaube ich, die ganze Gesellschaft ist gefragt, nicht nur die Behörden."
Betreiber der sozialen Netzwerke noch zu passiv
Man dürfe sich nicht einschüchtern lassen, lautet sein Appell. Außerdem: "Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass so etwas stattfindet, dass so etwas existiert. Da sind natürlich die Betreiber der sozialen Netzwerke hier gefragt und dort gibt es noch viel zu tun!"
Inzwischen sei es ruhiger geworden, sagt Ursu – alle schauten nunmehr auf die Landtagswahl am 1. September. Im neuen Stadtrat hat die AfD die meisten Sitze, die CDU ist die zweitstärkste Fraktion. Ursu will versuchen, konstruktiv mit den Stadträten zu arbeiten. Das gesellschaftliche Klima in der Stadt jedoch bleibt angespannt.
Wenige Straßen von Ursus Amtssitz entfernt lebt und arbeitet Bernhard Kremser. Der gebürtige Schlesier, Jahrgang 1954, war bis ein Jahr vor dem Mauerfall in der DDR, ab 1988 auf Vermittlung der Bundesrepublik in Bonn. Der Bildhauer, Designer, Grafiker und Restaurator ist konservativ und CDU-nah. Seit 2003 hat er sein Atelier in Görlitz, im Gartenhaus seines reich verzierten mehrstöckigen Bürgerhauses, das er Stück für Stück saniert. Hier veranstaltet er von Zeit zu Zeit öffentliche Lesungen und Diskussionen.
"Das politische Klima, meine ich, hier in der Stadt ist… es gibt unterschiedliche Schichten, die miteinander wenig konstruktiv zu tun haben, die auch nicht mehr entspannt miteinander sprechen, die Leute, die dazu gehören", erzählt Kremser. "Ich meine, die Stadt hat sich insgesamt gut entwickelt, aber es sind einige Schwierigkeiten da, die in der Öffentlichkeit nicht, meine ich, frei besprochen werden."
Grenzkriminalität immer wieder politisch genutzt
Welche Themen das genau sind, sagt Kremser nicht. Ein Thema, das jedoch hier für erbitterte Kontroversen sorgt, ist die innere Sicherheit. Die Europastadt Görlitz, direkt an der Neiße und damit an der Grenze zu Polen gelegen, hat seit Jahren mit einer im Landesvergleich hohen Kriminalitätsrate zu kämpfen. Diese ist zwar in der letzten Zeit deutlich gesunken, aber das Thema wird immer wieder politisch genutzt. Es sorgt außerdem für Unruhe und Unversöhnlichkeit in der Stadt und Umgebung – gerade in den Görlitzer Wahlkämpfen 2019.
Der Stil der politischen Auseinandersetzung habe sich verändert, meint auch der in Görlitz ansässige Soziologe Raj Kollmorgen: "Man könnte also insgesamt sagen, es ist abgekapselter geworden in den Gruppen und konfrontativer dann in der Auseinandersetzung, ja."
Kollmorgen erforscht intensiv postsozialistische Transformationen, Ostdeutschland, den demographischen Wandel und andere Themen, die unmittelbar mit dem Umbau der ostdeutschen Gesellschaft nach dem Mauerfall zusammenhängen. Den Ursprung für die Verschärfung des politischen Klimas, nicht nur in Görlitz, sieht er in einer grundlegenden Veränderung des Parteienspektrums. Mit der AfD sei eine neue starke Kraft ins Spiel gekommen, die inhaltlich neue Themen setze, mit denen sie besonders im Osten Deutschlands punkten könne:
"Diese Partei hat durch ihren Zuspruch und ihre Fähigkeit, etwas aufzunehmen – nämlich die Enttäuschungen, die Protestbewegungen und die politischen Stile, die in Ostdeutschland dominieren – hat sie ein neues Lager gebildet. Also es ist ein wichtiger, neuer starker politischer Player, könnte man sagen."
Verstärkt werde dieser Effekt durch die so genannten Echokammern des Internets, in denen es leicht falle, Gleichgesinnte zu finden, ohne sich mit der Meinung der anderen auseinandersetzen zu müssen. Kollmorgen schließt daraus:
"Und insofern ist es eine strukturelle Verschiebung der Politik, insbesondere in Ostdeutschland, und das wird uns, da muss man jetzt kein Prophet sein, das wird uns auch in den nächsten Jahren beschäftigen."