Besser essen ist gar nicht so einfach
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Von A - grün bis E - rot: Im November kommt die Lebensmittelampel in die Supermärkte und mit ihr die eine oder andere Überraschung. Denn manches ist gar nicht so gesund, wie viele dachten, und manches scheinbar Ungesunde besser als sein Ruf.
Wer durch die Regalreihen eines deutschen Supermarktes geht, kann den Eindruck bekommen, hier gäbe es nur gesunde Lebensmittel: Auf den Etiketten von Schokocremes sind jede Menge Haselnüsse abgedruckt, auf Cornflakes-Packungen leuchtet knackiges Obst, Schokoriegel bestehen scheinbar hauptsächlich aus Milch. Dass dieser Schein oft trügt, ist den meisten Kundinnen klar. Jetzt soll es auch auf den ersten Blick erkennbar sein: durch den Nutri-Score.
"Für uns war es wichtig, dass die Verbraucher, die ja überflutet werden von Werbung, zum Teil von Tricksereien, von Irreführung auf den Verpackungen, doch ein sehr unabhängiges Bewertungssystem hier haben", sagt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg.
"Und es hilft vielleicht vielen Verbrauchern, direkt dann auch als Impuls zu dem Produkt zu greifen, das für sie und ihre Ernährung günstiger ist."
Produkte lassen sich schnell vergleichen
Jeder Hersteller berechnet den Nutri-Score für seine Produkte selbst. Das Prinzip ist einfach: Gute Inhaltsstoffe werden mit schlechten verrechnet. Pluspunkte bringen zum Beispiel Obst, Gemüse, Ballaststoffe und Proteine, Minuspunkte gibt es für Salz, Zucker und Fett. Das Ergebnis ist ein Wert auf der fünfstufigen Skala von A - grün bis E - rot. So lassen sich zum Beispiel zwei Sorten Cornflakes auf einen Blick miteinander vergleichen.
"Wir haben hier einmal den Nutri-Score A und einmal den Nutri-Score C. Wenn man sich das anschaut, dann liegt das sicherlich daran, dass hier – was man ja bei Cerealien nicht erwartet – mit 7,3 Prozent relativ viel Fett drin ist, beim anderen sind es nur 2 Prozent. Der Zuckergehalt ist auch deutlich höher. Und so ist der Unterschied an zwei Stufen deutlich zu erkennen."
Und manchmal hält der Nutri-Score auch Überraschungen bereit. Zum Beispiel die Note B für ein scheinbar sehr gesundes Lebensmittel. Armin Valet erklärt, warum:
"Man darf nicht vergessen, dass Orangensaft relativ viel Zucker beinhaltet. Deshalb ist hier B durchaus in dem Bereich, wo man ihn auch einordnen sollte."
Oder der Bestwert A für etwas auf den ersten Blick denkbar Ungesundes.
"Die Pommes, ja. Aber hier muss man auch nochmal klar sagen: 96 Prozent sind Kartoffeln. Wir hatten früher deutlich höhere Fettgehalte, vor allem, wenn sie in der Fritteuse gebacken werden. Wir haben hier nur einen Fettgehalt von 4 Prozent. Deshalb kann man das nachvollziehen."
Der Nutri-Score wurde 2017 erstmals in Frankreich eingeführt. In Deutschland fanden manche Unternehmen die Idee gut. Unter anderem der Tiefkühlkost-Hersteller Iglo.
"Der Nutri-Score ist am leichtesten verständlich für die Konsumenten und erklärt im Prinzip das, wo man mühsam die Brille auspacken muss am Regal und sich dann selbst zusammenreimen muss, was die Nährwerttabelle auf der Rückseite zeigt."
Erste Versuche scheiterten am Widerstand der Branche
Iglo-Pressesprecher Alfred Jansen glaubt, dass der Nutri-Score auch aus unternehmerischer Sicht Sinn ergibt:
"Wenn man die Zeichen der Zeit sieht und das Bewusstsein der Konsumenten, sich besser zu ernähren, und wenn wir dann auch gute Produkte liefern, werden wir damit Erfolg haben, weil der Markt einfach nach solchen Produkten schreit."
Deshalb hat Iglo die Kennzeichnung neben Bofrost, Danone und einigen anderen schon vor drei Jahren eingeführt. Zumindest war das das Ziel, erzählt Alfred Jansen:
"Wir haben eigentlich innerhalb von sechs Wochen alle Nährwertprofile gehabt, hatten die auch schon auf der Webseite stehen. Und dann dauert das ja eine Weile, bis man die Verpackungen neu druckt, die Produkte neu auszeichnet etc. Dann dauert so eine Einführung etwas länger. In diesem Umfeld haben wir allerdings ordentlich Gegenwind bekommen."
Denn Teile der Lebensmittelindustrie waren von Anfang an gegen den Nutri-Score. Unter anderem deshalb trat Iglo aus dem Lebensmittelverband Deutschland aus. Es blieb aber nicht bei einfachen Meinungsverschiedenheiten, erklärt der Pressesprecher.
"Wir haben eine Klage ins Haus bekommen, die uns dazu verdonnert hat, diese Einführung des Nutri-Scores zu unterlassen."
Verbraucher wollen den Nutri-Score
Geklagt hatte ein Lobby-Verein aus München. Iglo ging gegen das Verbot vor Gericht, verlor aber. Deshalb war der Nutri-Score lange nicht auf den Iglo-Verpackungen zu finden. Erst vor einem Jahr konnte man sich außergerichtlich einigen. Vorausgegangen war eine Entscheidung von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner:
"Ich werde einen Verordnungsentwurf vorlegen, mit dem ich die Einführung von Nutri-Score vorschlagen werde."
Eigentlich hatte Klöckner zu den Gegnern des Nutri-Scores gehört. Ihr Sinneswandel hatte aber einen einfachen Grund: Das Ernährungsministerium hatte in einer wissenschaftlichen Untersuchung Verbraucherinnen befragt, welche Kennzeichnung sie sich wünschten.
"Und Nutri-Score ging trotz einiger Schwächen als Sieger aus der Befragung hervor."
Klöckner warnte aber auch vor übertriebenen Hoffnungen:
"Ein gesunder Lebensstil wird nicht allein durch eine Kennzeichnung bei den Fertig-Lebensmitteln zu erreichen sein, aber es ist ein wichtiger Baustein, es soll eine Hilfestellung sein."
Die Kennzeichnung hat Schwächen
Wie groß diese Hilfestellung ist, darüber sind sich aber längst nicht alle einig: Ja, der Nutri-Score dampft die komplexe und für viele unverständliche Zutatenliste auf einen einzigen, auf den ersten Blick verständlichen Wert ein. Das bedeutet aber auch: Gute werden mit schlechten Inhaltsstoffen verrechnet. Ein guter Nutri-Score bedeutet also keinesfalls, dass das Produkt bei allen Inhaltsstoffen gut abschneidet. Dazu kommt: Einige Zutaten werden gar nicht berücksichtigt. Zum Beispiel Geschmacksverstärker und Süßstoffe.
"Das ist sicherlich ein Nachteil, den wir auch von Anfang an klar benannt haben", sagt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg.
"Man kann dann natürlich auch tricksen, indem man halt Süßstoffe einsetzen statt Zucker. Auch da kann man nicht sagen, dass das dann besonders gesund ist."
Wer es also ganz genau wissen möchte oder muss, dem hilft weiterhin nur ein Blick auf das Zutatenverzeichnis. Und noch eine Schwäche hat der Nutri-Score: Er ist nicht verpflichtend. Hersteller von weitgehend ungesunden Lebensmitteln werden ihn also wohl auch in Zukunft nicht unbedingt auf ihre Verpackungen drucken.
"Für uns wäre es auch wichtig, dass er natürlich breit eingesetzt wird", betont Armin Valet. "Nur dann kann er auch seine Wirkung entfalten. Wir wollen, dass er gesetzlich verankert ist und dann auch verpflichtend auf den wichtigsten Produkten, vor allem auf Fertigprodukten zu finden ist. Dann können die Verbraucher wirklich am Point of Sale entscheiden."
Armin Valet hofft deshalb auf die EU-Kommission. Die hat nämlich angekündigt, bis 2022 eine europaweit verpflichtende Nährwertkennzeichnung einzuführen. Vielleicht wird es ja der Nutri-Score.