Nydahl: "Ich denke, die sind einfach verzweifelt"
Für die jungen Tibeter sei der Dalai Lama immer noch eine absolute Autorität, meint Lama Ole Nydahl. Für den buddhistischen Lehrer aus Dänemark stellt die Gewalt vielmehr den Ausdruck der Verzweiflung darüber dar, dass die buddhistische Religion unterdrückt werde.
Jürgen König: Gestern wurde im antiken Olympia mit der traditionellen Zeremonie das olympische Feuer entzündet. Drei Demonstranten gegen die chinesische Tibet-Politik schafften es für Augenblicke in die Kameras der Weltöffentlichkeit. Dann beendete die griechische Polizei die Proteste und die Prozedur konnte fortgesetzt werden. Das olympische Feuer soll auf seinem Weg nach Peking auch Tibet passieren. Von einer Reise der Harmonie sprechen die chinesischen Organisatoren, Exil-Tibeter aber haben Proteste angekündigt, sind erbost über diesen Fackellauf und darüber, dass die olympische Flamme zum ersten Mal auch auf die Spitze des Mount Everest gebracht werden soll. Am Telefon begrüße ich den Lama Ole Nydahl, einen Lehrer und Vordenker des tibetischen Buddhismus. Herr Nydahl, guten Morgen!
Ole Nydahl: Ja, guten Morgen! Schöne Worte, danke sehr!
König: Ein olympischer Fackellauf durch Tibet, inwiefern passt ein solches Zeremoniell zum tibetischen Buddhismus oder eben auch nicht?
Nydahl: Ich würde sagen, das hat nicht so viel Bedeutung. Wenn man durch Tibet läuft, dann braucht man erst eine sehr gute Lunge. Denn man ist zwischen vier und sechs Kilometer hoch, und die Bevölkerung wird wohl auch mit etwas Verwunderung schauen. Denn das sind sie ja nicht gewohnt. Die haben eher so andere Belange, so frei zu sein.
König: Das klingt jetzt so, als ob es den Tibetern gleichgültig sein wird, was da passiert?
Nydahl Nein, ich denke schon, die werden wissen, dass die ganze Welt darauf eingestellt ist, aber die werden wohl nicht besonders viel Hilfe dadurch erleben, denn das bedeutet sicher nur noch mehr Fremde in ihr Land und immer weniger Raum für sich.
König: Welche Bedeutung hat der Mount Everest für die tibetische Religion und Kultur?
Nydahl: Eigentlich nicht so viel. Der wichtige ist der Kangrinboqê oder Kailash, wie er genannt wird, im westlichen Tibet, so ungefähr in der Mitte. Mount Everest, …, … (Anm. d. Red.: Namen unverständlich) und die gelten nicht als so wichtig. Aber sehr wichtige Menschen haben dort meditiert, der Milarepa, der Marpa, viele andere haben dort gelebt. Und das macht diese Stellen heilig, aber nicht die Berge an sich.
König: Sie selber wurden 1941 bei Kopenhagen geboren, kamen Ende der 60er Jahre mit dem tibetischen Buddhismus in Kontakt. Seit Anfang der 70er Jahre bereisen Sie die ganze Welt als Meditationslehrer des sogenannten Diamantweg-Buddhismus in der Tradition der tibetischen Karma-Kagyü-Schule. Erklären Sie uns diese tibetische Form des Buddhismus. Was für eine Kultur ist das?
Nydahl: Ja, wir haben Buddhas für drei Arten von Menschen gelehrt. Es gibt einige, die wollen gerne wissen, wie man Schwierigkeiten vermeidet, die werden dann Mönche und Nonnen. Dann gibt es andere, die wollen gern ein reiches Leben vor allem mit einem reichen Innenleben verbinden, die werden Laien. Und dann gibt es die sogenannten Verwirklicher oder Yogis. Und was sie oder wir, kann ich vielleicht sagen, was wir gerne wollen, ist einfach erfahren, wozu der Geist fähig ist, was er alles erleben kann. Deswegen springe ich auch Fallschirm und tue andere Sachen, weil man dadurch seinen Geist erfährt. Und das wäre ganz bestimmt ein Teil von diesem dritten Weg.
König: Was macht die tibetische Religion und Kultur aus?
Nydahl: Ich denke, dass sie das Volk ist. Buddha gab 84.000 Belehrungen, 108 so zolldicke Bücher sind von ihm erhalten. Die verschiedenen Kulturen haben dann rausgeholt, was ihnen gepasst hat. Und zum Beispiel die Engländer, jedes Mal, wenn sie in Verbindung mit den Tibetern waren, wenn sie so Exkursionen oder Eroberungen von Lhasa einmal usw. durchgeführt haben, dann haben sie immer gesagt, die seien mutig und fröhlich. Und das gilt vor allem für Osttibet. Und während die Japaner zum Beispiel den Buddhismus immer wieder zusammengeschnitten haben auf das ganz, ganz Essenzielle, das ganz, ganz Mittlere, dann ist der tibetische Buddhismus ein bisschen mehr so wie der Onkel, der vorbeikommt und ein paar Bier getrunken hat und einem die Größe der Welt erklärt.
König: Das ist eine sehr charmante Erklärung. Wenn man jetzt die Fernsehbilder sieht, dann hat man manchmal den Eindruck, die Religion habe an Autorität eingebüßt, dass sich die jungen Tibeter, die man gewalttätig auf den Straßen sieht, dass die sich von der Religion abwenden, auch vom Dalai Lama abwenden, vielleicht, weil sie ihn für zu lasch halten. Ist das so?
Nydahl: Ich denke, die sind einfach verzweifelt und sehen, was sie können. Und was soll man sagen? Wenn das irgendwie dazu führt, dass es Tibet gut geht, dann, wenn ein paar Läden abgebrannt werden, nehmen sie wohl das mit in Kauf. Die wollen ja gerne frei sein und für sich sein.
König: Aber Sie meinen, im Geiste folgen sie dem Dalai Lama schon noch, auch die jungen Menschen?
Nydahl: Ja, ja, da habe ich gar keinen Zweifel. Alle Tibeter erkennen ihn als der König. Und die Mitte, da nur gibt es halt verschiedene Schulen mit verschiedenen Übungen. Und er steht halt für die studierende Ausrichtung, während wir zum Beispiel für die Meditationsrichtung stehen. Die unterschiedlichen Schulen haben verschiedene Ausrichtungen, kann man sagen.
König: Es werden jetzt im chinesischen Fernsehen immer mal wieder tibetische Mönche gezeigt, die sich für die Proteste sozusagen entschuldigen, um Vergebung bitten. Sind solche Bilder echt?
Nydahl: Nein, das sind sie ganz bestimmt nicht. Es gibt etwas, was die Chinesen entwickelt haben, das heißt Tamsin (Anm. d. Red.: Wort wie gehört) und das bedeutet so Selbstkritikbegegnung. Und das hat ganz vielen Tibetern das Leben gekostet, 51 in Osttibet und 59 im Zentraltibet und im Rest von Tibet. Wenn man das nicht tut, geht es einem sehr schlecht.
König: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Lama Ole Nydahl, einem Lehrer und Vordenker des tibetischen Buddhismus. Herr Nydahl, China hat gerade zur Zeit der Kulturrevolution versucht, die religiös-kulturelle Tradition in Tibet zu zerschlagen. Welche Spuren hat diese Politik hinterlassen?
Nydahl: Ja, Tibet, als ich da war '68, nein, '86, es tut mir leid, '86, das sah echt aus wie Hamburg nach dem Krieg. Meine Eltern sind schon '49 und '51, sind wir da durchgefahren. Und ich erinnere mich, wie Hamburg aussah, wie Bremen aussah und das alles. Ich meine, so sah es aus. Die hatten 6500 kulturelle Einrichtungen, meistens Klöster und 13, denke ich, haben überlebt und wegen dem Chao Yin Lai (Anm. d. Red.: Name wie gehört), der mal gesagt hat, also irgendspäter werden wir vielleicht fremde Leute hier sehen, und da sollen sie auch etwas von der Kultur sehen können.
König: Wie würden Sie die heutige Kulturpolitik Chinas gegenüber Tibet charakterisieren?
Nydahl: Ganz bestimmt eine Verflächung in der Weise, dass sie schon Roben tragen dürfen, aber es wird keine ordentliche buddhistische Ausbildung zugelassen, wird es nicht. Und auch der einzige Massendruck, dass es sicher mehr Chinesen als Tibeter gibt in Tibet jetzt und dass sie all die oberen Schichten oder Ränge in der Gesellschaft besetzt haben, das spürt man ja auch als Tibeter.
König: Die "FAZ" schrieb jetzt, Peking nutze Tibet vor allem für die eigenen Interessen. Die Ansiedlungspolitik Chinas führe zu einem starken Wohlstandsgefälle. Tibet aber spüre von Chinas Wirtschaftswunder nichts. Man liest von gewaltigen Modernisierungsanstrengungen, von großen und teuren Wirtschafts- und Infrastrukturprojekten. Welche Strategie sehen Sie dahinter?
Nydahl: Ja, das taten die Römer, das taten die Inkas. Ein jedes glückliches Eroberungsvolk macht erst Straßen, Hitler macht Autobahnen. Zuerst macht man die Verkehrsverbindungen und dann schickt man die Soldaten. So ist das ja auch gewesen oben in Ladakh zum Beispiel, wo die Chinesen über die Jahre den Indern große Stücke Land abgezogen haben, einfach weil sie da Straßen durchgebaut haben, und dann plötzlich lag die Grenze weiter westlich.
König: Wie repressiv ist China in Tibet heute?
Nydahl: Ich denke, man kann ja sehen, ob einer gelb oder braun ist. Die sehen ja unterschiedlich aus. Und die verhalten sich auch sehr unterschiedlich und ich denk, der ganze Machtapparat ist bei den Chinesen. Und das ist, was mich eigentlich stört, denn die Chinesen können sehr großzügig sein. Die haben auf vielen Ebenen sehr gute Eigenschaften. Und das stört mich und es verwundert mich auch, dass sie nicht einfach in diesem Fall sich großzügig zeigen können, den Dalai Lama zurücklassen können und das alles. Und plötzlich würden sie ganz, ganz anders aussehen in der Welt, und ich würde mich so freuen, denn es ist ja nicht viel. Die Tibeter wollen etwas sagen können über ihre Kultur und über ihre Religion. Und das ist alles. Alles andere überlassen sie den Chinesen, die das viel besser können und auch besser tun, das Weltliche. So, ich denke, dass das so schwierig ist, das riecht nach einem sehr schlechten Gewissen, dass man nicht einen Finger geben kann in der Angst, dass einem der Arm abgehackt wird oder irgendwas.
König: Aber das könnte doch passieren, dass, wenn man sich Tibet gegenüber kulant zeigt, dass da andere Volksgruppen das gleiche Recht einverlangen werden?
Nydahl: Na, das sind die Uiguren usw., oben bei (…) (Anm. d. Red.: Name unverständlich) und so was.
König: Zum Beispiel.
Nydahl: Ja, das stimmt auch, aber Moslems sind bestimmt schwieriger wie Tibeter, da gibt es keinen Zweifel. Aber das ist ja auch die Religion. Warum mischt sich der Staat in die Religion rein, solange wie die Religion das Grundgesetz einhält? Auf der anderen Seite, Religionen sind gefährlich, die haben bestimmt mehr Leute umgebracht in der Geschichte der Menschheit wie die Politik, wenn man zurückschaut.
König: Dann stellen wir doch zum Schluss noch die Gretchen-Frage. Soll man die Olympischen Spiele boykottieren?
Nydahl: Ehrlich, ich habe es nicht genug überschaut, als dass ich das sagen kann. Ich denke, dass Tausende von Journalisten nach China kommen werden in Verbindung mit den Spielen. Und ich denke deswegen, das es wäre sehr gut, die müssen sich dann benehmen. Die sind gezwungen, sich zu benehmen, was sehr wichtig ist. Auf der anderen Seite, ob man die Flamme durch Tibet bringen sollte, das denke ich, wenn ich chinesischer Regierungsbeamter wäre, würde ich das nicht einfach nicht tun. Der Geruch dabei ist zu schlecht. Ich würde kleine Flamme und nettes Gesicht zeigen, das würde ich tun.
König: Gestern wurde das olympische Feuer entzündet. Ein Gespräch mit einem Lehrer und Vordenker des tibetischen Buddhismus, ein Gespräch mit dem Lama Ole Nydahl. Vielen Dank!
Ole Nydahl: Ja, guten Morgen! Schöne Worte, danke sehr!
König: Ein olympischer Fackellauf durch Tibet, inwiefern passt ein solches Zeremoniell zum tibetischen Buddhismus oder eben auch nicht?
Nydahl: Ich würde sagen, das hat nicht so viel Bedeutung. Wenn man durch Tibet läuft, dann braucht man erst eine sehr gute Lunge. Denn man ist zwischen vier und sechs Kilometer hoch, und die Bevölkerung wird wohl auch mit etwas Verwunderung schauen. Denn das sind sie ja nicht gewohnt. Die haben eher so andere Belange, so frei zu sein.
König: Das klingt jetzt so, als ob es den Tibetern gleichgültig sein wird, was da passiert?
Nydahl Nein, ich denke schon, die werden wissen, dass die ganze Welt darauf eingestellt ist, aber die werden wohl nicht besonders viel Hilfe dadurch erleben, denn das bedeutet sicher nur noch mehr Fremde in ihr Land und immer weniger Raum für sich.
König: Welche Bedeutung hat der Mount Everest für die tibetische Religion und Kultur?
Nydahl: Eigentlich nicht so viel. Der wichtige ist der Kangrinboqê oder Kailash, wie er genannt wird, im westlichen Tibet, so ungefähr in der Mitte. Mount Everest, …, … (Anm. d. Red.: Namen unverständlich) und die gelten nicht als so wichtig. Aber sehr wichtige Menschen haben dort meditiert, der Milarepa, der Marpa, viele andere haben dort gelebt. Und das macht diese Stellen heilig, aber nicht die Berge an sich.
König: Sie selber wurden 1941 bei Kopenhagen geboren, kamen Ende der 60er Jahre mit dem tibetischen Buddhismus in Kontakt. Seit Anfang der 70er Jahre bereisen Sie die ganze Welt als Meditationslehrer des sogenannten Diamantweg-Buddhismus in der Tradition der tibetischen Karma-Kagyü-Schule. Erklären Sie uns diese tibetische Form des Buddhismus. Was für eine Kultur ist das?
Nydahl: Ja, wir haben Buddhas für drei Arten von Menschen gelehrt. Es gibt einige, die wollen gerne wissen, wie man Schwierigkeiten vermeidet, die werden dann Mönche und Nonnen. Dann gibt es andere, die wollen gern ein reiches Leben vor allem mit einem reichen Innenleben verbinden, die werden Laien. Und dann gibt es die sogenannten Verwirklicher oder Yogis. Und was sie oder wir, kann ich vielleicht sagen, was wir gerne wollen, ist einfach erfahren, wozu der Geist fähig ist, was er alles erleben kann. Deswegen springe ich auch Fallschirm und tue andere Sachen, weil man dadurch seinen Geist erfährt. Und das wäre ganz bestimmt ein Teil von diesem dritten Weg.
König: Was macht die tibetische Religion und Kultur aus?
Nydahl: Ich denke, dass sie das Volk ist. Buddha gab 84.000 Belehrungen, 108 so zolldicke Bücher sind von ihm erhalten. Die verschiedenen Kulturen haben dann rausgeholt, was ihnen gepasst hat. Und zum Beispiel die Engländer, jedes Mal, wenn sie in Verbindung mit den Tibetern waren, wenn sie so Exkursionen oder Eroberungen von Lhasa einmal usw. durchgeführt haben, dann haben sie immer gesagt, die seien mutig und fröhlich. Und das gilt vor allem für Osttibet. Und während die Japaner zum Beispiel den Buddhismus immer wieder zusammengeschnitten haben auf das ganz, ganz Essenzielle, das ganz, ganz Mittlere, dann ist der tibetische Buddhismus ein bisschen mehr so wie der Onkel, der vorbeikommt und ein paar Bier getrunken hat und einem die Größe der Welt erklärt.
König: Das ist eine sehr charmante Erklärung. Wenn man jetzt die Fernsehbilder sieht, dann hat man manchmal den Eindruck, die Religion habe an Autorität eingebüßt, dass sich die jungen Tibeter, die man gewalttätig auf den Straßen sieht, dass die sich von der Religion abwenden, auch vom Dalai Lama abwenden, vielleicht, weil sie ihn für zu lasch halten. Ist das so?
Nydahl: Ich denke, die sind einfach verzweifelt und sehen, was sie können. Und was soll man sagen? Wenn das irgendwie dazu führt, dass es Tibet gut geht, dann, wenn ein paar Läden abgebrannt werden, nehmen sie wohl das mit in Kauf. Die wollen ja gerne frei sein und für sich sein.
König: Aber Sie meinen, im Geiste folgen sie dem Dalai Lama schon noch, auch die jungen Menschen?
Nydahl: Ja, ja, da habe ich gar keinen Zweifel. Alle Tibeter erkennen ihn als der König. Und die Mitte, da nur gibt es halt verschiedene Schulen mit verschiedenen Übungen. Und er steht halt für die studierende Ausrichtung, während wir zum Beispiel für die Meditationsrichtung stehen. Die unterschiedlichen Schulen haben verschiedene Ausrichtungen, kann man sagen.
König: Es werden jetzt im chinesischen Fernsehen immer mal wieder tibetische Mönche gezeigt, die sich für die Proteste sozusagen entschuldigen, um Vergebung bitten. Sind solche Bilder echt?
Nydahl: Nein, das sind sie ganz bestimmt nicht. Es gibt etwas, was die Chinesen entwickelt haben, das heißt Tamsin (Anm. d. Red.: Wort wie gehört) und das bedeutet so Selbstkritikbegegnung. Und das hat ganz vielen Tibetern das Leben gekostet, 51 in Osttibet und 59 im Zentraltibet und im Rest von Tibet. Wenn man das nicht tut, geht es einem sehr schlecht.
König: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Lama Ole Nydahl, einem Lehrer und Vordenker des tibetischen Buddhismus. Herr Nydahl, China hat gerade zur Zeit der Kulturrevolution versucht, die religiös-kulturelle Tradition in Tibet zu zerschlagen. Welche Spuren hat diese Politik hinterlassen?
Nydahl: Ja, Tibet, als ich da war '68, nein, '86, es tut mir leid, '86, das sah echt aus wie Hamburg nach dem Krieg. Meine Eltern sind schon '49 und '51, sind wir da durchgefahren. Und ich erinnere mich, wie Hamburg aussah, wie Bremen aussah und das alles. Ich meine, so sah es aus. Die hatten 6500 kulturelle Einrichtungen, meistens Klöster und 13, denke ich, haben überlebt und wegen dem Chao Yin Lai (Anm. d. Red.: Name wie gehört), der mal gesagt hat, also irgendspäter werden wir vielleicht fremde Leute hier sehen, und da sollen sie auch etwas von der Kultur sehen können.
König: Wie würden Sie die heutige Kulturpolitik Chinas gegenüber Tibet charakterisieren?
Nydahl: Ganz bestimmt eine Verflächung in der Weise, dass sie schon Roben tragen dürfen, aber es wird keine ordentliche buddhistische Ausbildung zugelassen, wird es nicht. Und auch der einzige Massendruck, dass es sicher mehr Chinesen als Tibeter gibt in Tibet jetzt und dass sie all die oberen Schichten oder Ränge in der Gesellschaft besetzt haben, das spürt man ja auch als Tibeter.
König: Die "FAZ" schrieb jetzt, Peking nutze Tibet vor allem für die eigenen Interessen. Die Ansiedlungspolitik Chinas führe zu einem starken Wohlstandsgefälle. Tibet aber spüre von Chinas Wirtschaftswunder nichts. Man liest von gewaltigen Modernisierungsanstrengungen, von großen und teuren Wirtschafts- und Infrastrukturprojekten. Welche Strategie sehen Sie dahinter?
Nydahl: Ja, das taten die Römer, das taten die Inkas. Ein jedes glückliches Eroberungsvolk macht erst Straßen, Hitler macht Autobahnen. Zuerst macht man die Verkehrsverbindungen und dann schickt man die Soldaten. So ist das ja auch gewesen oben in Ladakh zum Beispiel, wo die Chinesen über die Jahre den Indern große Stücke Land abgezogen haben, einfach weil sie da Straßen durchgebaut haben, und dann plötzlich lag die Grenze weiter westlich.
König: Wie repressiv ist China in Tibet heute?
Nydahl: Ich denke, man kann ja sehen, ob einer gelb oder braun ist. Die sehen ja unterschiedlich aus. Und die verhalten sich auch sehr unterschiedlich und ich denk, der ganze Machtapparat ist bei den Chinesen. Und das ist, was mich eigentlich stört, denn die Chinesen können sehr großzügig sein. Die haben auf vielen Ebenen sehr gute Eigenschaften. Und das stört mich und es verwundert mich auch, dass sie nicht einfach in diesem Fall sich großzügig zeigen können, den Dalai Lama zurücklassen können und das alles. Und plötzlich würden sie ganz, ganz anders aussehen in der Welt, und ich würde mich so freuen, denn es ist ja nicht viel. Die Tibeter wollen etwas sagen können über ihre Kultur und über ihre Religion. Und das ist alles. Alles andere überlassen sie den Chinesen, die das viel besser können und auch besser tun, das Weltliche. So, ich denke, dass das so schwierig ist, das riecht nach einem sehr schlechten Gewissen, dass man nicht einen Finger geben kann in der Angst, dass einem der Arm abgehackt wird oder irgendwas.
König: Aber das könnte doch passieren, dass, wenn man sich Tibet gegenüber kulant zeigt, dass da andere Volksgruppen das gleiche Recht einverlangen werden?
Nydahl: Na, das sind die Uiguren usw., oben bei (…) (Anm. d. Red.: Name unverständlich) und so was.
König: Zum Beispiel.
Nydahl: Ja, das stimmt auch, aber Moslems sind bestimmt schwieriger wie Tibeter, da gibt es keinen Zweifel. Aber das ist ja auch die Religion. Warum mischt sich der Staat in die Religion rein, solange wie die Religion das Grundgesetz einhält? Auf der anderen Seite, Religionen sind gefährlich, die haben bestimmt mehr Leute umgebracht in der Geschichte der Menschheit wie die Politik, wenn man zurückschaut.
König: Dann stellen wir doch zum Schluss noch die Gretchen-Frage. Soll man die Olympischen Spiele boykottieren?
Nydahl: Ehrlich, ich habe es nicht genug überschaut, als dass ich das sagen kann. Ich denke, dass Tausende von Journalisten nach China kommen werden in Verbindung mit den Spielen. Und ich denke deswegen, das es wäre sehr gut, die müssen sich dann benehmen. Die sind gezwungen, sich zu benehmen, was sehr wichtig ist. Auf der anderen Seite, ob man die Flamme durch Tibet bringen sollte, das denke ich, wenn ich chinesischer Regierungsbeamter wäre, würde ich das nicht einfach nicht tun. Der Geruch dabei ist zu schlecht. Ich würde kleine Flamme und nettes Gesicht zeigen, das würde ich tun.
König: Gestern wurde das olympische Feuer entzündet. Ein Gespräch mit einem Lehrer und Vordenker des tibetischen Buddhismus, ein Gespräch mit dem Lama Ole Nydahl. Vielen Dank!