O wie Orchestergraben
Zu den Besonderheiten im Festspielhaus auf dem Grünen Hügel in Bayreuth zählt dieser "mystische Abgrund".
Ist das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel der Tempel, zu dem die Wagnerianer aus aller Welt alljährlich pilgern, so ist diesen besonderer, weil nämlich gedeckelter Orchestergraben, der "mystische Abgrund", wie Richard Wagner ihn nannte, der Heilige Schrein, der dem Besucher der Festspiele für gewöhnlich verborgen bleibt.
"Ich würde sagen, es ist eines der elf Weltwunder, weil dieser Effekt mit einem bedeckten Orchestergraben, hat eine wunderbare Erfahrung, dass es ein dreidimensionaler Film ist, weil man sieht nicht die Orchesterspieler, und das wäre schön für mich, wenn viele Theater sich an Bayreuth ein Beispiel nehmen würden."
Alan Titus, der seit vielen Jahren auf dem Grünen Hügel zu Gast ist, als Wotan, als Hans Sachs oder als Fliegender Holländer
"Ich muss ganz ehrlich sagen, ich war dieses Jahr in der Generalprobe im Rheingold im Zuschauerraum, und dieses erhebende Gefühl, das Licht geht aus so wie im Kino bloß ohne Sound, keiner klatscht, das Orchester tritt nicht auf, der Dirigent tritt nicht auf, es ist alles schon da, man muss sich das imaginieren, man hat einen zarten Silberstreif vorne am Vorhang, und plötzlich kommt aus dem Nichts ein Es…das präsentiert sich so, das geht durch die Hosenbeine durch und erreicht den ganzen Körper. Das hat was mit Erotik zu tun. Es ist unglaublich, dieser Sog dieses aufbauenden Es-durs und so wie Christian Thielemann das gestaltet, das ist so faszinierend, da bleiben keine Wünsche offen."
Der Dirigent Sebastian Weigle, der bei Katharina Wagners Inszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" sein Bayreuth-Debüt gab.
"Die Besonderheit des Grabens ist, dass er als erstes den Klang sehr stark mischt, ihn dann nicht in den Zuschauerraum sendet, sondern durch die verschiedenen Überdeckungen zuerst in den Bühnenraum und dann vom Bühnenraum erst wieder in den Zuschauerraum hinein. Das hat im Wesentlichen zwei Vorteile, einmal der Orchesterklang ist für das Publikum ein bisschen weiter weg, noch mystischer als wenn er aus dem All käme. Und es hat einen großen Vorteil für die Sänger, da dieses große Orchester sie nicht permanent zudecken kann."
Der Akustiker des Bayreuther Festspielhauses Karlheinz Müller.
Man hat den Eindruck, die Baugeschichte dieses besonderen Orchestergrabens sei ganz und gar gradlinig verlaufen, aber dem ist nicht so. Während Richard Wagner genaue Vorstellungen vom Zuschauerraum hatte, die er auch dem Architekten zu vermitteln vermochte, war das beim Orchestergraben anders. Zwar träumte er schon lange davon, die "widerwärtige Störung durch die stets sich aufdrängende Sichtbarkeit des technischen Apparates" zu beseitigen, aber die Umsetzung dieses Plans war ihm nicht so klar. In einem Brief an den Bühnenbauer Carl Brandt schrieb Richard Wagner am 6. September 1874:
"Ich kam gestern mit schwerem Herzen von der Besichtigung des Orchesterraums zurück. Gott weiß, worin hier das Versehen liegt, durch welches dieser Raum unendlich enger ausgefallen ist, als ich es annahm."
Daraufhin korrigierte der Bauführer des Festspielhauses Karl Runckwitz den Plan, und er vergrößerte den Orchestergraben, indem dieser unter der Bühne nach hinten-unten gezogen wurde, was auch in einer korrigierten Bauskizze dokumentiert ist. Doch ein gutes halbes Jahr später schrieb Wagner erneut an Carl Brandt:
"Ich war heute wieder im Theater, und muss eingestehen, dass der Architekt mein Orchester gänzlich verbaut hat. In diesem Raum bringe ich meine Musiker nicht unter, es ist unmöglich."
In dieser Bedrängnis machte Richard Wagner selbst einen Vorschlag:
"Es wird nichts übrig bleiben, als zwei Sitzreihen vom Zuschauerraum hinweg zu nehmen (was nichts ausmacht), demnach die Mauer wegzunehmen und zurück zu verlegen."
So geschah es denn auch, und so wurde der Orchestergraben zweimal vergrößert, einmal in Richtung Bühne, beziehungsweise unter die Bühne, und einmal in Richtung des Zuschauerraums. Aber damit war noch immer nicht der "mystische Abgrund", wie Wagner ihn verstand, entstanden.
Der Akustiker Karlheinz Müller:
"Die Mystik entdeckte er nicht über die Akustik. Wenn man Wagners Aufzeichnungen und den Werdegang des Grabens betrachtet, so entdeckte er die akustische Mystik über das Licht. Wagner experimentierte bereits bei seinen Aufführungen in Riga mit überdeckten Orchestergräben, nicht um einen mystischen Klang zu erzeugen, sondern um das Licht aus dem Orchestergraben abzudämpfen. Man darf nicht vergessen, bis zu Wagners Zeiten fanden alle Opernaufführungen bei beleuchtetem Zuschauerraum statt. Erst Wagner wollte mit aller Macht den Zuschauerraum abdunkeln, so dass sein Spiel ein Weihespiel wurde, und sich das Publikum auf die Bühne konzentrieren und fokussieren sollte."
So ist die Akustik als Besonderheit des Bayreuther Grabens lediglich ein Nebeneffekt, ein Treppenwitz, nicht der Welt – zumindest aber der Musikgeschichte. Der einzigartige Mischklang von Bayreuth gleichsam ein Zufall.
"Ich würde sagen, es ist eines der elf Weltwunder, weil dieser Effekt mit einem bedeckten Orchestergraben, hat eine wunderbare Erfahrung, dass es ein dreidimensionaler Film ist, weil man sieht nicht die Orchesterspieler, und das wäre schön für mich, wenn viele Theater sich an Bayreuth ein Beispiel nehmen würden."
Alan Titus, der seit vielen Jahren auf dem Grünen Hügel zu Gast ist, als Wotan, als Hans Sachs oder als Fliegender Holländer
"Ich muss ganz ehrlich sagen, ich war dieses Jahr in der Generalprobe im Rheingold im Zuschauerraum, und dieses erhebende Gefühl, das Licht geht aus so wie im Kino bloß ohne Sound, keiner klatscht, das Orchester tritt nicht auf, der Dirigent tritt nicht auf, es ist alles schon da, man muss sich das imaginieren, man hat einen zarten Silberstreif vorne am Vorhang, und plötzlich kommt aus dem Nichts ein Es…das präsentiert sich so, das geht durch die Hosenbeine durch und erreicht den ganzen Körper. Das hat was mit Erotik zu tun. Es ist unglaublich, dieser Sog dieses aufbauenden Es-durs und so wie Christian Thielemann das gestaltet, das ist so faszinierend, da bleiben keine Wünsche offen."
Der Dirigent Sebastian Weigle, der bei Katharina Wagners Inszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" sein Bayreuth-Debüt gab.
"Die Besonderheit des Grabens ist, dass er als erstes den Klang sehr stark mischt, ihn dann nicht in den Zuschauerraum sendet, sondern durch die verschiedenen Überdeckungen zuerst in den Bühnenraum und dann vom Bühnenraum erst wieder in den Zuschauerraum hinein. Das hat im Wesentlichen zwei Vorteile, einmal der Orchesterklang ist für das Publikum ein bisschen weiter weg, noch mystischer als wenn er aus dem All käme. Und es hat einen großen Vorteil für die Sänger, da dieses große Orchester sie nicht permanent zudecken kann."
Der Akustiker des Bayreuther Festspielhauses Karlheinz Müller.
Man hat den Eindruck, die Baugeschichte dieses besonderen Orchestergrabens sei ganz und gar gradlinig verlaufen, aber dem ist nicht so. Während Richard Wagner genaue Vorstellungen vom Zuschauerraum hatte, die er auch dem Architekten zu vermitteln vermochte, war das beim Orchestergraben anders. Zwar träumte er schon lange davon, die "widerwärtige Störung durch die stets sich aufdrängende Sichtbarkeit des technischen Apparates" zu beseitigen, aber die Umsetzung dieses Plans war ihm nicht so klar. In einem Brief an den Bühnenbauer Carl Brandt schrieb Richard Wagner am 6. September 1874:
"Ich kam gestern mit schwerem Herzen von der Besichtigung des Orchesterraums zurück. Gott weiß, worin hier das Versehen liegt, durch welches dieser Raum unendlich enger ausgefallen ist, als ich es annahm."
Daraufhin korrigierte der Bauführer des Festspielhauses Karl Runckwitz den Plan, und er vergrößerte den Orchestergraben, indem dieser unter der Bühne nach hinten-unten gezogen wurde, was auch in einer korrigierten Bauskizze dokumentiert ist. Doch ein gutes halbes Jahr später schrieb Wagner erneut an Carl Brandt:
"Ich war heute wieder im Theater, und muss eingestehen, dass der Architekt mein Orchester gänzlich verbaut hat. In diesem Raum bringe ich meine Musiker nicht unter, es ist unmöglich."
In dieser Bedrängnis machte Richard Wagner selbst einen Vorschlag:
"Es wird nichts übrig bleiben, als zwei Sitzreihen vom Zuschauerraum hinweg zu nehmen (was nichts ausmacht), demnach die Mauer wegzunehmen und zurück zu verlegen."
So geschah es denn auch, und so wurde der Orchestergraben zweimal vergrößert, einmal in Richtung Bühne, beziehungsweise unter die Bühne, und einmal in Richtung des Zuschauerraums. Aber damit war noch immer nicht der "mystische Abgrund", wie Wagner ihn verstand, entstanden.
Der Akustiker Karlheinz Müller:
"Die Mystik entdeckte er nicht über die Akustik. Wenn man Wagners Aufzeichnungen und den Werdegang des Grabens betrachtet, so entdeckte er die akustische Mystik über das Licht. Wagner experimentierte bereits bei seinen Aufführungen in Riga mit überdeckten Orchestergräben, nicht um einen mystischen Klang zu erzeugen, sondern um das Licht aus dem Orchestergraben abzudämpfen. Man darf nicht vergessen, bis zu Wagners Zeiten fanden alle Opernaufführungen bei beleuchtetem Zuschauerraum statt. Erst Wagner wollte mit aller Macht den Zuschauerraum abdunkeln, so dass sein Spiel ein Weihespiel wurde, und sich das Publikum auf die Bühne konzentrieren und fokussieren sollte."
So ist die Akustik als Besonderheit des Bayreuther Grabens lediglich ein Nebeneffekt, ein Treppenwitz, nicht der Welt – zumindest aber der Musikgeschichte. Der einzigartige Mischklang von Bayreuth gleichsam ein Zufall.