O'zapft is

Von Hans Christoph Buch |
Tsingtao war Chinas Bierstadt. Nach deutschem Vorbild wird hier seit 110 Jahren Bier gebraut. Heute heißt die Stadt Qingdaos, Bier trinken die Bewohner immer noch gerne. Trotz aller politischer Wirren hat sich die Braukunst in der Stadt gehalten.
In diesen Tagen, von August bis November, feiert ganz China ein nicht enden wollendes Oktoberfest, angefangen in Hongkong über Peking und Schanghai bis nach Singapur – nicht zu vergessen die Bierstadt Tsingtao, einst Hauptort des gleichnamigen "Schutzgebiets", das China aufgrund eines getürkten Vertrags 1898 ans deutsche Kaiserreich abtrat.

Hier gründeten findige Unternehmer 1903 die erste Brauerei, die ein in Asien und dem Rest der Welt hochgeschätztes Bier produziert, seit 110 Jahren gebraut nach deutschem Reinheitsgebot aus Gerste, Hopfen und Malz – ohne Geschmacksverstärker und Konservierungsmittel.

Die Fabrikanlage mit Kupferkesseln und Wannen, in denen der Gerstensaft gärte, ist heute ein Museum, behindertengerecht ausgebaut und mit Videoinstallationen bestückt, durch das sich anstelle von Bierfässern ein nicht abreißender Strom von Besuchern wälzt, die nach dreistündigem Rundgang am aus Deutschland importierten Tresen ihren Durst stillen – die Verkostung ist gratis.

Bier im Fass oder in Plastiktüten
Vielen Asiaten fehlt ein Enzym zum Abbau von Alkohol, aber in der Museumskneipe sprechen auch Chinesinnen, die alkoholische Getränke sonst meiden, dem Gerstensaft zu, und Tsingtao-Bier ist der große Renner auf den Straßen Qingdaos, wie die Stadt heute heißt: Am liebsten trinkt man es frisch vom Fass, in Becher, Tassen oder Plastiktüten abgefüllt. Wie anderswo auch gibt die Qualität des Wassers den Ausschlag, das aus den benachbarten Laoshan-Bergen stammt – auch Chinas beliebtestes Mineralwasser und sogar Wein kommen von dort.

Man könnte von einer Erfolgsgeschichte sprechen, die das rabiate Vorgehen der Imperialisten vergessen lässt, vom Opium-Krieg über den Boxer-Aufstand bis zum Massaker von Nanking 1937, wo die japanische Armee 300.000 Zivilisten abschlachtete – ein Kriegsverbrechen, das von Tokio nicht anerkannt und bis heute geleugnet wird.

Anders als Japan ist Deutschland in Qingdao beliebt. Die Bauten der Altstadt zeugen davon, die aussehen wie die Villen des Berliner Grunewalds. Und die Präsenz der Deutschen ist in guter Erinnerung, seit Gunther Plüschow, der "Flieger von Tsingtau", mit seinem Doppeldecker die Stadt gegen die militärische Übermacht der Japaner verteidigte.

Das war 1914, als Tokio kein Verbündeter, sondern Kriegsgegner des deutschen Reichs war, und auch in der Folgezeit, unter japanischer Besatzung, lief die Bierproduktion weiter, ebenso wie unter der Herrschaft der Kuomintang und später der Kommunisten, denn alle Bürgerkriegsparteien tranken Bier.

So überrascht es nicht, dass der Vorsitzende Mao, als er im Sommer 1957 im deutschen Gouverneurspalast residierte, Anweisung gab, die Produktion wiederaufzunehmen, nachdem ein Skandal diese vorübergehend unterbrochen hatte: Im Hongkonger Presseclub hatte man in einer aus der Volksrepublik China importierten Bierflasche eine Spülbürste entdeckt, die absichtlich oder aus Versehen dort hineingeraten war.

Der Zapfhahn muss laufen, das weiß jeder Wirt, und seitdem haben weder der Große Sprung nach vorn noch die Wirren der Kulturrevolution den Siegeszug des Tsingtao-Biers gestoppt.


Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der "Gruppe 47". Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er Jahre gab er theoretische Schriften, Dokumentationen und Anthologien heraus. Mit seinen Essays versöhnte er Politisches und Ästhetisches miteinander. Seit 1984 schreibt er Romane: "Die Hochzeit von Port au Prince", "In Kafkas Schloss", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh", "Tanzende Schatten"‚ "Reise um die Welt in acht Nächten"; zuletzt erschienen 2011 "Apokalypse Afrika" und zuvor 2010 der Essay "Haiti - Nachruf auf einen gescheiterten Staat".
Bier trinkender Elefant auf chinesischem Oktoberfest
Bier trinkender Elefant auf chinesischem Oktoberfest© picture alliance / dpa
Der Schriftsteller Hans Christoph Buch
Der Schriftsteller Hans Christoph Buch© picture alliance / dpa / Klaus Franke