Ob er aber über Ober- oder aber über Unter- …
Wenn einer fränkischen Dorfkapelle ein Liedtext fehlt, wenn ein Student wissen will, wie in Franken im vorletzten Jahrhundert Musik gemacht wurde oder wenn ein Geschichtslehrer die Vergangenheit des Frankenlandes anhand der Musik dokumentieren will, dann ist die Forschungsstelle für fränkische Volksmusik die erste Anlaufstelle für Noten, Tonträger, Literatur und Instrumente.
Das mittelfränkische Uffenheim hat 6.000 Einwohner, einen hübschen mittelalterlichen Ortskern und auch eine bemerkenswerte Forschungseinrichtung: Die Forschungsstelle für fränkische Volksmusik erforscht im Auftrag der bayerischen Bezirke Ober-, Mittel- und Unterfranken das fränkische Volkslied und die fränkische Volksmusik in jeder Hinsicht.
Erste Lektion: Volksmusik ist nicht volkstümliche Musik. Mit Florian Silbereisen und dem, was an kommerzieller Schunkelunterhaltung auf den Fernsehkanälen verabreicht wird, hat das hier gar nichts zu tun, den volkstümliche Musik sei das, was für kommerzielle Zwecke produziert wird und Volksmusik das, was schlicht und einfach – da ist, sagt Heidi Christ von der Forschungsstelle für Volksmusik:
" Es ist hier noch sehr viel mehr im alltäglichen Leben verankert. Volksmusik oder Gebrauchsmusik. Das ist auf jeder Kirchweih, auf jedem Vereinsfest hört mer Melodien, die schon lange lange Jahre bekannt sind und von denen niemand daran zweifelt, dass das Volksmusik sein könnte oder vielleicht doch net wäre, sondern die g’hören einfach dazu … "
Ein musikalisches Völkchen seien sie, die Franken, sagt Armin Griebel, der Leiter der Forschungsstelle. Ob er aber über Ober- oder aber über Unterfranken spricht, das ist nicht ganz unerheblich:
" Es gibt schon für Unterfranken Besonderheiten, die Unterfranken haben sehr oft aus ausgesetzten Noten gespielt, während man in Mittelfranken und in Teilen Oberfrankens viele Kapellen findet, die offensichtlich nur mit dem Melodienheft ausgekommen sind und alle anderen mussten die Melodien hören – der Musikant hat nicht mal zu seinen Kollegen gesagt was er spielt, der hat nicht mal die Tonart gesagt. Der hat einfach angefangen. Und die anderen sind dann dazugekommen."
Aber so wichtig ist der Unterschied zwischen Ober- und Unterfranke dann doch nicht, denn ein Franke ist ein Franke und eben kein Bayer, wie es oft behauptet wird. Der Franke liebt die Musik und der Franke liebt die ausgelassene Geselligkeit und am besten noch beides gleichzeitig. Und so dauert es nicht lange, bis Armin Griebel und seine Kollegin Heidi Christ von den Unterschieden zwischen Ober- und Unterfranken dezent auf jene zwischen dem Franken als solchen und dem Bayern als solchen überleiten.
Christ: " Ich glaub wir können sagen, dass es a sehr musikalisch offener Menschenschlag ist. Viel Musik kommt aus dem Unterhaltungsmusikbereich, aus dem Tingeltangel, was auf der Kirchweih g’spielt wird, und es gibt nicht so dieses ganz strenge traditionelle Denken, wie’s in Oberbayern ist, dass man bestimmte Sachen nicht machen dürfe, weil’s keine Volksmusik sei. "
Griebel: " N’Ländler, wie ihn so ne fränkische Kapelle spielt, den findet man bei ner oberbayrischen Kapelle in der Art net. So frech und so aufgefasst… "
Die Volksmusik-Forscher sammeln unaufhörlich dutzende Musikinstrumente, unzählige Notenblätter, Literatur und vor allem Musik: Tonbänder und alte Cellak-Platten. Die werden jetzt nach und nach digitalisiert. Die Forscher verwandeln das antike Knistern in Bits und Bytes. Um per Mausklick beliebig auf tausende alte Aufnahmen zuzugreifen. Und, so ist die Planung, irgendwann die Volksmusik auf die MP3-Player zu bringen: Volksmusik-Podcasting ist die Zukunftsmusik auf der Webseite der Forschungsstelle.
Griebel: " Das ist ne Gruppe, die sich nur zu diesem Ereignis zusammengefunden hat. Also die einzelnen Musikanten trafen sich jedes Jahr zur Kirchweih zum Frühschoppen und ham sich geschart um den Es-Klarinettisten, den mer hier sehr deutlich gehört hat, der reißt es an und die anderen die fügen sich dem… Die spielen das, was in so ner Situation gefragt ist, was das Publikum hören will. Also das sind einmal traditionelle Stücke wie Ländler, Schottische…"
Dieser Ländler… Ob er aber nun aus Ober- oder aber doch aus Unterfranken kommt…?
Christ: " Mittelfränkisch… "
Griebel: " …ich würd auch sagen: Mittelfränkisch, solche Kapellen die ham ne Tradition, die Vorläufer von dieser Kapelle, da könnt mer auf Cellak-Platten Beispiele spielen, die stehen wirklich in der Tradition von Schülern und Lehrern… und diese Art zu spielen, wird immer weitergegeben… "
…und erlebt, so sagen es die Volksmusikforscher, in den letzten Jahrzehnten eine Renaissance, allerdings bereichert um Elemente von Swing, Jazz und anderen Einflüssen. Und so beschäftigt die Uffenheimer Forscher eben nicht nur, was in Ober-, Mittel- und Unterfranken passiert, sondern…
Christ: " …konkret eben auch Forschungen zur Herkunft, zur Verbreitung von Liedern, von Melodien, Variantenforschung in Deutschland, in Europa… "
Variantenforschung heißt, wie sich Lieder verändern, oder…
" …wie sich Lieder verändern, in welchen verschiedenen Text- oder Melodiefassungen dieses Lied unterwegs ist oder war…. Und wie sich das vielleicht nacheinander entwickelt haben könnte. "
Anhand von über 20.000 gesammelten Notenblättern, über 2.000 archivierten Tonträgern und viel weitergegebenem Wissen von, wie es die Forscher sagen, "Gewährspersonen" und natürlich der teilnehmenden Beobachtung schließen die Forscher, dass es da in Franken Dinge gibt...
Griebel: " …die’s anderswo nimmer gibt. Also das Volkslied alter Art – net das Schullied und auch net das, was mer in den Liederbüchern als Volkslied findet, sondern das Volkslied, das vor allem aus der mündlichen Tradition kommt, das is hier noch teilweise lebendig, sowohl im Wirtshausgesang als auch in bestimmten Fest- und Feierzusammenhängen, da gibt’s schon noch viel Traditionen, dies vielleicht anderswo nimmer gibt."
Zu diesen Traditionen gehört in Franken natürlich die Kerwa, die Kirchweih, dieses feuchtfröhliche, einst so religiöse Volksfest. Arbeitsroutine für Armin Griebel: Mit dem Mikrofon zwischen Bierwagen und Kerwa-Kapelle marschieren und die Schüttelverse für das Archiv dokumentieren.
Kerwa Umzug, Kapelle singt: Die Länder san komma, da wackelt der Frack, die ham nix im Zipfel die ham nix im Sack…
Griebel: " Ein Neckvers gegen ne andere Ortschaft. "Die ham nix im Zipfel die ham nix im… Also wenn da zum Beispiel am Straßenrand Leute aus dem Nachbarort stehen, dann werden die angesungen. Und das muss man natürlich spontan machen. Also wenn mer sieht: Da kommen die, dann sagt der: Singen mer den. "
Christ: " Was bei diesen Vierzeilern ganz wichtig ist, dass die Musik ja überhaupt net weiß, was die Burschen singen, also die verständigen sich kurz untereinander oder singen das mit, was einer angibt. Und die Musik weiß nicht, welche Abfolge von Melodien hier kommt… die müssen ganz spontan reagieren. Manchmal passiert’s auf Zuruf, oder… ganz dem folgend, was der Oberkirchweihbursch ansingt. (…) Und so wie die Verse reinkommen in die Archive der Volksmusikforscher, so sollen sie natürlich auch wieder raus in die Öffentlichkeit (…)
Das ist in der Hermilsheimer Bucht aufgenommen, da gibt’s vier-fünf Orte, die in ner ganz ähnlichen Art das feiern und wo auch gesungen wird, und diese Orte haben wir alle besucht und haben sie… haben diese Lieder zusammengestellt und daraus eine Publikation gemacht mit Kirchweih-Liedern, da sind an die … ja… über 700 Kirchweih-Lieder. "
Autor: " Was haben die jetzt gerade gesagt? "
Griebel: (lacht): " Sehr anzügliche Texte… "
Christ: " Das muss man vielleicht nicht übersetzen… Das Madel geht ins Kämmerle und zieht sich nackert aus und setzt sich auf a Schemele und spillt… und den Rest kann man sich dann zusammenreimen… "
Griebel: " Nein, das sind wirklich die deftigsten Texte, die man sich gesungen vorstellen kann, die passieren da. Und zwar in dichter Folge. Da denkt sich auch niemand was dabei, würd niemand dagegen einschreiten. Wenn ich das jemandem vorspiel aus Oberbayern, da kriegt der so ein Schreck, dass er meint ich will ihm was antun. "
Im Gegensatz zum Bayern sei der Franke ja auch recht weltoffen, hört man es hier und da flüstern. Vielleicht müssen Armin Griebel und Heidi Christ deswegen manchmal ungewöhnliche Recherche-Methoden entwickeln und nicht immer ist es damit getan, sich in einen Kerwa-Umzug einzureihen…
Heidi Christ: " …ja klar. Das ist Detektivarbeit, nach den Noten zu suchen, erst einmal die Gewährspersonen zu finden… Manchmal kriegen mer direkt nen Hinweis, oder wir ham a Idee, dass hier was sein könnte, und man erfährt: Es gibt noch Nachfahren. Dann ruft mer da an. Die wissen dann, dass es der Cousin von der Cousine in Amerika hatte, der es über Frankreich wieder zurückgebracht hat in ganz verwickelten Fällen… Es ist unglaublich viel noch zu erfahren aus ganz verschiedenen Quellen und ganz verschiedenen Richtungen."
Feldforschung. Das Wissen, das in Franken noch über die Volksmusik existiert, wollen die Volksmusikforscher sichern.
Griebel / Christ: " Wir besuchen einen Gewährsmann, den wir schon lange kennen, von dem wir wissen, dass er bestimmte Kenntnisse hat, und wir haben ihn aber noch nie systematisch befragt. Und da machen wer heute einen Anfang. Also wir erwarten uns zum Beispiel Hinweise drauf auf die Entstehung von neuen Liedern, die heute als uralte Volkslieder gehandelt werden und wo es den wenigsten bewusst ist, dass die in den 50er, 60er Jahren neu entstanden sind, der Emil Händel war auch jemand, der dazu beigetragen hat… "
Emil Händel wohnt in Erlangen, eine gute Autostunde von Uffenheim. Lange Wege muss man da schon einkalkulieren, wenn man von Mittel- nach Unter- oder aber auch nach Oberfranken fährt.
Emil Händel begrüßt Gäste: " Hallo Ihr Leute, grüßt Euch… grüß dich Emil… Hallo Heidi, freu mich, dass Du auch dabei bist… Ja, Herr Schmidt, grüß Gott… bitte, geht da rein. "
Emil Händel ist ein wichtiger Zeitzeuge für die Volksmusikforscher, und deshalb stellen sie ihr Mikrofon auf dem Wohnzimmertisch auf, um nichts von den Ausführungen des betagten Mannes zu verpassen. Dass Emil Händel gleich in zwei Mikrofone sprechen muss, stört ihn nicht besonders, weil er selbst jahrelang beim Bayerischen Rundfunk war – als Chef der Volksmusikabteilung beim Frankenstudio in Nürnberg.
Griebel interviewt Emil Händel: " …dann kam diese Welle. Und das war dann mehr oder wenicher… das heutiche. Griebel: Wenn ich jetzt Feldensteiner hör… wie war das bei den Ahlfeldern, waren die früher, später… Oder kann mer die net dazuzählen? Händel: Die Ahlfelder kannst du nicht in die selbe Schublade stecken, schon aus dem Grund, weil’s da nie a große Kapelln geben hat… "
Und dann holt Emil Händel eine große Kiste mit Notenblättern vom Dachboden, denn er war nicht nur Journalist, sondern vor allem auch Musiker.
Emil Händel: " Ich hab das jetzt mal auf die Besetzung der (???)-Musik mal… (singt: ) Daa diii, da da da da di da... (lacht): he... Und oben: Schabadi dudadeldi dudadelda… "
Einer von denen, der die Volksmusik weiterentwickelt hat und selbst verändert hat. Und damit erst recht interessant für die Volksmusikforschung.
Emil Händel: " Und der größte Gag is ja dann am Schluss, ne… (blättert in den Noten) wiederholt sich wieder, und dann geht das am Schluss, und das Thema… Raa, da da di, da da… Hehe (lacht schallend)… "
Griebel: " Es ist so, dass die Volksmusik, wie wir sie verstehen, Gebrauchsmusik darstellt. Und die Ränder sind natürlich fließend. Und wir versuchen auch diese Ränder mit abzudecken, damit unser Blick nicht zu eng wird. "
Christ: " Also uns interessiert die Musik, die in der Region gemacht wird. Aber wir wollen natürlich auch wissen: Wo kommt se her, wo hat sie Einflüsse, Ideen aufgegriffen und… Was passiert damit. "
Und so findet sich, wie hier beim Konzert des "Zabelsteiner Saitenspiels", sogar ein unüberhörbarer schwedischer Einfluss.
" Gitarristin des Zabelsteiner Saitenspiel Hahaha, des is a ganz schlechte Frage, hahaha… "
…sagt Ulrike Aumüller vom Zabelsteiner Saitenspiel. Dabei wollte ich nur den Unterschied zwischen Volksmusik aus Ober- , Mittel oder aber Unter- …wissen…
Ulrike Aumüller: " …ich glaub für alle Franken zusammen kann mer sach, dass die Franken es nicht so mit der Genauigkeit in der Musik ham. Dass da die Altbayern uns einen großen Schritt voraus sind und die Qualität der Volksmusik ist in Franken nicht so ausgeprägt wie in Südbayern. "
Und während Ulrike Aumüller das sagt, macht sie überhaupt nicht den Eindruck, als ob sie nun neidisch sei auf die Bayern.
Ulrike Aumüller: " …der Franke ist mit dem Einfachen zufrieden. Dem Franken reicht’s wirklich, wenn der Wein billig ist und das Schnitzel so groß, das es übern Teller rauslangt, da muss dann kei’ Garnierung mehr dabei sein… In Franken ist es so, dass dann in den Wirtshäusern im Steigerwald oder wo auch immer die Leute dann sitzen und einfach alles hinnehmen, was man ihnen musikalisch bietet, aber dann wirklich sehr weinseligen Abenden… fließt viel Wein, wird viel gegessen… "
Der Brauereigasthof Tößel im kleinen und recht abgeschiedenen Appendorf ist gerammelt voll wie jeden Freitag zum Wirtshausmusizieren. Mehrere kleine Kapellen teilen sich den Gastraum. Zwischendurch zieht Anton mit seiner Harmonika von Tisch zu Tisch.
Anton: " … ja das is die Liebe zur Musik. Ganz einfach. Und die Liebe zu… die Liebe zu meine Fans… des siagst ja, die freuen sich wenn i do spuil. Und des hoid mich fit. Gibt mir den Auftrieb. "
Edmund Tößel ist der Chef hier, Gastwirt und Bierbrauer. Gebraut wird nur für die eigene Gaststätte. In der wievielten Generation, das ist selbst für ihn unergründlich. Und auch das Wirtshaussingen hat hier gute Tradition.
Edmund Tößel: " Was mer jetz da mitanand machen, des läuft scho 20 Joar. Und da sin mer halt jetz mitanand so langsam alt worden, jeder spielt, und was er eigentlich denkt.. Es is alles so zwangslos, Und das Publikum is genauso… die machen schön mit, und die kumma aus weiter Ferne, die Musiker, auch die Gäste, und da ham wer jeden Freitag ne Gaudi… "
Selbst Volksmusikforscher Armin Griebel, der auch heute sein Mikrofon dabei hat, ist beeindruckt vom Appendorfer Wirtshaussingen. Spät am Abend schart sich spontan eine weitere Harmonika, eine Klarinette und ein Horn um Barden Anton. Und dann holt auch Wirt Edmund Tößel sein Akkordeon aus dem Regal hervor.
Ja, das vielleicht ist Franken.
Erste Lektion: Volksmusik ist nicht volkstümliche Musik. Mit Florian Silbereisen und dem, was an kommerzieller Schunkelunterhaltung auf den Fernsehkanälen verabreicht wird, hat das hier gar nichts zu tun, den volkstümliche Musik sei das, was für kommerzielle Zwecke produziert wird und Volksmusik das, was schlicht und einfach – da ist, sagt Heidi Christ von der Forschungsstelle für Volksmusik:
" Es ist hier noch sehr viel mehr im alltäglichen Leben verankert. Volksmusik oder Gebrauchsmusik. Das ist auf jeder Kirchweih, auf jedem Vereinsfest hört mer Melodien, die schon lange lange Jahre bekannt sind und von denen niemand daran zweifelt, dass das Volksmusik sein könnte oder vielleicht doch net wäre, sondern die g’hören einfach dazu … "
Ein musikalisches Völkchen seien sie, die Franken, sagt Armin Griebel, der Leiter der Forschungsstelle. Ob er aber über Ober- oder aber über Unterfranken spricht, das ist nicht ganz unerheblich:
" Es gibt schon für Unterfranken Besonderheiten, die Unterfranken haben sehr oft aus ausgesetzten Noten gespielt, während man in Mittelfranken und in Teilen Oberfrankens viele Kapellen findet, die offensichtlich nur mit dem Melodienheft ausgekommen sind und alle anderen mussten die Melodien hören – der Musikant hat nicht mal zu seinen Kollegen gesagt was er spielt, der hat nicht mal die Tonart gesagt. Der hat einfach angefangen. Und die anderen sind dann dazugekommen."
Aber so wichtig ist der Unterschied zwischen Ober- und Unterfranke dann doch nicht, denn ein Franke ist ein Franke und eben kein Bayer, wie es oft behauptet wird. Der Franke liebt die Musik und der Franke liebt die ausgelassene Geselligkeit und am besten noch beides gleichzeitig. Und so dauert es nicht lange, bis Armin Griebel und seine Kollegin Heidi Christ von den Unterschieden zwischen Ober- und Unterfranken dezent auf jene zwischen dem Franken als solchen und dem Bayern als solchen überleiten.
Christ: " Ich glaub wir können sagen, dass es a sehr musikalisch offener Menschenschlag ist. Viel Musik kommt aus dem Unterhaltungsmusikbereich, aus dem Tingeltangel, was auf der Kirchweih g’spielt wird, und es gibt nicht so dieses ganz strenge traditionelle Denken, wie’s in Oberbayern ist, dass man bestimmte Sachen nicht machen dürfe, weil’s keine Volksmusik sei. "
Griebel: " N’Ländler, wie ihn so ne fränkische Kapelle spielt, den findet man bei ner oberbayrischen Kapelle in der Art net. So frech und so aufgefasst… "
Die Volksmusik-Forscher sammeln unaufhörlich dutzende Musikinstrumente, unzählige Notenblätter, Literatur und vor allem Musik: Tonbänder und alte Cellak-Platten. Die werden jetzt nach und nach digitalisiert. Die Forscher verwandeln das antike Knistern in Bits und Bytes. Um per Mausklick beliebig auf tausende alte Aufnahmen zuzugreifen. Und, so ist die Planung, irgendwann die Volksmusik auf die MP3-Player zu bringen: Volksmusik-Podcasting ist die Zukunftsmusik auf der Webseite der Forschungsstelle.
Griebel: " Das ist ne Gruppe, die sich nur zu diesem Ereignis zusammengefunden hat. Also die einzelnen Musikanten trafen sich jedes Jahr zur Kirchweih zum Frühschoppen und ham sich geschart um den Es-Klarinettisten, den mer hier sehr deutlich gehört hat, der reißt es an und die anderen die fügen sich dem… Die spielen das, was in so ner Situation gefragt ist, was das Publikum hören will. Also das sind einmal traditionelle Stücke wie Ländler, Schottische…"
Dieser Ländler… Ob er aber nun aus Ober- oder aber doch aus Unterfranken kommt…?
Christ: " Mittelfränkisch… "
Griebel: " …ich würd auch sagen: Mittelfränkisch, solche Kapellen die ham ne Tradition, die Vorläufer von dieser Kapelle, da könnt mer auf Cellak-Platten Beispiele spielen, die stehen wirklich in der Tradition von Schülern und Lehrern… und diese Art zu spielen, wird immer weitergegeben… "
…und erlebt, so sagen es die Volksmusikforscher, in den letzten Jahrzehnten eine Renaissance, allerdings bereichert um Elemente von Swing, Jazz und anderen Einflüssen. Und so beschäftigt die Uffenheimer Forscher eben nicht nur, was in Ober-, Mittel- und Unterfranken passiert, sondern…
Christ: " …konkret eben auch Forschungen zur Herkunft, zur Verbreitung von Liedern, von Melodien, Variantenforschung in Deutschland, in Europa… "
Variantenforschung heißt, wie sich Lieder verändern, oder…
" …wie sich Lieder verändern, in welchen verschiedenen Text- oder Melodiefassungen dieses Lied unterwegs ist oder war…. Und wie sich das vielleicht nacheinander entwickelt haben könnte. "
Anhand von über 20.000 gesammelten Notenblättern, über 2.000 archivierten Tonträgern und viel weitergegebenem Wissen von, wie es die Forscher sagen, "Gewährspersonen" und natürlich der teilnehmenden Beobachtung schließen die Forscher, dass es da in Franken Dinge gibt...
Griebel: " …die’s anderswo nimmer gibt. Also das Volkslied alter Art – net das Schullied und auch net das, was mer in den Liederbüchern als Volkslied findet, sondern das Volkslied, das vor allem aus der mündlichen Tradition kommt, das is hier noch teilweise lebendig, sowohl im Wirtshausgesang als auch in bestimmten Fest- und Feierzusammenhängen, da gibt’s schon noch viel Traditionen, dies vielleicht anderswo nimmer gibt."
Zu diesen Traditionen gehört in Franken natürlich die Kerwa, die Kirchweih, dieses feuchtfröhliche, einst so religiöse Volksfest. Arbeitsroutine für Armin Griebel: Mit dem Mikrofon zwischen Bierwagen und Kerwa-Kapelle marschieren und die Schüttelverse für das Archiv dokumentieren.
Kerwa Umzug, Kapelle singt: Die Länder san komma, da wackelt der Frack, die ham nix im Zipfel die ham nix im Sack…
Griebel: " Ein Neckvers gegen ne andere Ortschaft. "Die ham nix im Zipfel die ham nix im… Also wenn da zum Beispiel am Straßenrand Leute aus dem Nachbarort stehen, dann werden die angesungen. Und das muss man natürlich spontan machen. Also wenn mer sieht: Da kommen die, dann sagt der: Singen mer den. "
Christ: " Was bei diesen Vierzeilern ganz wichtig ist, dass die Musik ja überhaupt net weiß, was die Burschen singen, also die verständigen sich kurz untereinander oder singen das mit, was einer angibt. Und die Musik weiß nicht, welche Abfolge von Melodien hier kommt… die müssen ganz spontan reagieren. Manchmal passiert’s auf Zuruf, oder… ganz dem folgend, was der Oberkirchweihbursch ansingt. (…) Und so wie die Verse reinkommen in die Archive der Volksmusikforscher, so sollen sie natürlich auch wieder raus in die Öffentlichkeit (…)
Das ist in der Hermilsheimer Bucht aufgenommen, da gibt’s vier-fünf Orte, die in ner ganz ähnlichen Art das feiern und wo auch gesungen wird, und diese Orte haben wir alle besucht und haben sie… haben diese Lieder zusammengestellt und daraus eine Publikation gemacht mit Kirchweih-Liedern, da sind an die … ja… über 700 Kirchweih-Lieder. "
Autor: " Was haben die jetzt gerade gesagt? "
Griebel: (lacht): " Sehr anzügliche Texte… "
Christ: " Das muss man vielleicht nicht übersetzen… Das Madel geht ins Kämmerle und zieht sich nackert aus und setzt sich auf a Schemele und spillt… und den Rest kann man sich dann zusammenreimen… "
Griebel: " Nein, das sind wirklich die deftigsten Texte, die man sich gesungen vorstellen kann, die passieren da. Und zwar in dichter Folge. Da denkt sich auch niemand was dabei, würd niemand dagegen einschreiten. Wenn ich das jemandem vorspiel aus Oberbayern, da kriegt der so ein Schreck, dass er meint ich will ihm was antun. "
Im Gegensatz zum Bayern sei der Franke ja auch recht weltoffen, hört man es hier und da flüstern. Vielleicht müssen Armin Griebel und Heidi Christ deswegen manchmal ungewöhnliche Recherche-Methoden entwickeln und nicht immer ist es damit getan, sich in einen Kerwa-Umzug einzureihen…
Heidi Christ: " …ja klar. Das ist Detektivarbeit, nach den Noten zu suchen, erst einmal die Gewährspersonen zu finden… Manchmal kriegen mer direkt nen Hinweis, oder wir ham a Idee, dass hier was sein könnte, und man erfährt: Es gibt noch Nachfahren. Dann ruft mer da an. Die wissen dann, dass es der Cousin von der Cousine in Amerika hatte, der es über Frankreich wieder zurückgebracht hat in ganz verwickelten Fällen… Es ist unglaublich viel noch zu erfahren aus ganz verschiedenen Quellen und ganz verschiedenen Richtungen."
Feldforschung. Das Wissen, das in Franken noch über die Volksmusik existiert, wollen die Volksmusikforscher sichern.
Griebel / Christ: " Wir besuchen einen Gewährsmann, den wir schon lange kennen, von dem wir wissen, dass er bestimmte Kenntnisse hat, und wir haben ihn aber noch nie systematisch befragt. Und da machen wer heute einen Anfang. Also wir erwarten uns zum Beispiel Hinweise drauf auf die Entstehung von neuen Liedern, die heute als uralte Volkslieder gehandelt werden und wo es den wenigsten bewusst ist, dass die in den 50er, 60er Jahren neu entstanden sind, der Emil Händel war auch jemand, der dazu beigetragen hat… "
Emil Händel wohnt in Erlangen, eine gute Autostunde von Uffenheim. Lange Wege muss man da schon einkalkulieren, wenn man von Mittel- nach Unter- oder aber auch nach Oberfranken fährt.
Emil Händel begrüßt Gäste: " Hallo Ihr Leute, grüßt Euch… grüß dich Emil… Hallo Heidi, freu mich, dass Du auch dabei bist… Ja, Herr Schmidt, grüß Gott… bitte, geht da rein. "
Emil Händel ist ein wichtiger Zeitzeuge für die Volksmusikforscher, und deshalb stellen sie ihr Mikrofon auf dem Wohnzimmertisch auf, um nichts von den Ausführungen des betagten Mannes zu verpassen. Dass Emil Händel gleich in zwei Mikrofone sprechen muss, stört ihn nicht besonders, weil er selbst jahrelang beim Bayerischen Rundfunk war – als Chef der Volksmusikabteilung beim Frankenstudio in Nürnberg.
Griebel interviewt Emil Händel: " …dann kam diese Welle. Und das war dann mehr oder wenicher… das heutiche. Griebel: Wenn ich jetzt Feldensteiner hör… wie war das bei den Ahlfeldern, waren die früher, später… Oder kann mer die net dazuzählen? Händel: Die Ahlfelder kannst du nicht in die selbe Schublade stecken, schon aus dem Grund, weil’s da nie a große Kapelln geben hat… "
Und dann holt Emil Händel eine große Kiste mit Notenblättern vom Dachboden, denn er war nicht nur Journalist, sondern vor allem auch Musiker.
Emil Händel: " Ich hab das jetzt mal auf die Besetzung der (???)-Musik mal… (singt: ) Daa diii, da da da da di da... (lacht): he... Und oben: Schabadi dudadeldi dudadelda… "
Einer von denen, der die Volksmusik weiterentwickelt hat und selbst verändert hat. Und damit erst recht interessant für die Volksmusikforschung.
Emil Händel: " Und der größte Gag is ja dann am Schluss, ne… (blättert in den Noten) wiederholt sich wieder, und dann geht das am Schluss, und das Thema… Raa, da da di, da da… Hehe (lacht schallend)… "
Griebel: " Es ist so, dass die Volksmusik, wie wir sie verstehen, Gebrauchsmusik darstellt. Und die Ränder sind natürlich fließend. Und wir versuchen auch diese Ränder mit abzudecken, damit unser Blick nicht zu eng wird. "
Christ: " Also uns interessiert die Musik, die in der Region gemacht wird. Aber wir wollen natürlich auch wissen: Wo kommt se her, wo hat sie Einflüsse, Ideen aufgegriffen und… Was passiert damit. "
Und so findet sich, wie hier beim Konzert des "Zabelsteiner Saitenspiels", sogar ein unüberhörbarer schwedischer Einfluss.
" Gitarristin des Zabelsteiner Saitenspiel Hahaha, des is a ganz schlechte Frage, hahaha… "
…sagt Ulrike Aumüller vom Zabelsteiner Saitenspiel. Dabei wollte ich nur den Unterschied zwischen Volksmusik aus Ober- , Mittel oder aber Unter- …wissen…
Ulrike Aumüller: " …ich glaub für alle Franken zusammen kann mer sach, dass die Franken es nicht so mit der Genauigkeit in der Musik ham. Dass da die Altbayern uns einen großen Schritt voraus sind und die Qualität der Volksmusik ist in Franken nicht so ausgeprägt wie in Südbayern. "
Und während Ulrike Aumüller das sagt, macht sie überhaupt nicht den Eindruck, als ob sie nun neidisch sei auf die Bayern.
Ulrike Aumüller: " …der Franke ist mit dem Einfachen zufrieden. Dem Franken reicht’s wirklich, wenn der Wein billig ist und das Schnitzel so groß, das es übern Teller rauslangt, da muss dann kei’ Garnierung mehr dabei sein… In Franken ist es so, dass dann in den Wirtshäusern im Steigerwald oder wo auch immer die Leute dann sitzen und einfach alles hinnehmen, was man ihnen musikalisch bietet, aber dann wirklich sehr weinseligen Abenden… fließt viel Wein, wird viel gegessen… "
Der Brauereigasthof Tößel im kleinen und recht abgeschiedenen Appendorf ist gerammelt voll wie jeden Freitag zum Wirtshausmusizieren. Mehrere kleine Kapellen teilen sich den Gastraum. Zwischendurch zieht Anton mit seiner Harmonika von Tisch zu Tisch.
Anton: " … ja das is die Liebe zur Musik. Ganz einfach. Und die Liebe zu… die Liebe zu meine Fans… des siagst ja, die freuen sich wenn i do spuil. Und des hoid mich fit. Gibt mir den Auftrieb. "
Edmund Tößel ist der Chef hier, Gastwirt und Bierbrauer. Gebraut wird nur für die eigene Gaststätte. In der wievielten Generation, das ist selbst für ihn unergründlich. Und auch das Wirtshaussingen hat hier gute Tradition.
Edmund Tößel: " Was mer jetz da mitanand machen, des läuft scho 20 Joar. Und da sin mer halt jetz mitanand so langsam alt worden, jeder spielt, und was er eigentlich denkt.. Es is alles so zwangslos, Und das Publikum is genauso… die machen schön mit, und die kumma aus weiter Ferne, die Musiker, auch die Gäste, und da ham wer jeden Freitag ne Gaudi… "
Selbst Volksmusikforscher Armin Griebel, der auch heute sein Mikrofon dabei hat, ist beeindruckt vom Appendorfer Wirtshaussingen. Spät am Abend schart sich spontan eine weitere Harmonika, eine Klarinette und ein Horn um Barden Anton. Und dann holt auch Wirt Edmund Tößel sein Akkordeon aus dem Regal hervor.
Ja, das vielleicht ist Franken.