Obdachlos dank Olympia
Weltweit werden Menschen von staatlichen Behörden aus ihren Häusern und Siedlungen vertrieben. Vor allen bei Großprojekten wie Olympianeubauten oder aktuell in Brasilien vor der Fußball-Weltmeisterschaft kommt es zu "rechtswidrigen Zwangsräumungen", sagt die Expertin Katharina Spieß. Dies sei eine "sehr schwere Menschenrechtsverletzung".
Liane von Billerbeck: Amnesty International, diese Organisation verbinden wir mit ihrem Kampf gegen Waffenhandel, Folter und Todesstrafe, für Meinungsfreiheit und Menschenrechte. Und zu den Menschenrechten zählt Amnesty auch das Recht auf Wohnen, und genau dieses Menschenrecht, nachzulesen im heute erschienenen Amnesty Report 2013, wird in zahlreichen Ländern immer öfter brutal verletzt, und zwar durch rechtswidrige Zwangsräumungen. Katharina Spieß ist jetzt bei uns von Amnesty International. Herzlich willkommen!
Katharina Spieß: Danke schön!
von Billerbeck: Zwangsräumungen als ein Schwerpunkt im Jahresreport von Amnesty International - warum das?
Spieß: Weil rechtswidrige Zwangsräumungen eine sehr, sehr schwere Menschenrechtsverletzung sind. Insbesondere Menschen in Armut sind davon bedroht, sie werden aus sogenannten informellen Siedlungen, aus ihren Häusern oder Hütten oder auch Pappkartons vertrieben, und es ist dann nicht nur die Verletzung des Rechts auf Wohnen, sondern es ist auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit, häufig, wenn Kinder vertrieben werden, können sie danach nicht mehr in die Schule gehen, ihre Gesundheit ist gefährdet, das heißt, es ist ein umfassendes Menschenrechtsproblem.
von Billerbeck: Dass sich Amnesty mit Zwangsräumungen befasst, war mir vorher nicht bekannt. Sie machen das aber schon seit 2008 - wieso, was war der Anlass? Gab es dafür einen Auslöser?
Spieß: Wir arbeiten seit 2008 verstärkt zu den Rechten von Menschen in Armut, und Menschen in Armut sind ganz besonders von rechtswidrigen Zwangsräumungen bedroht, und wir haben gesehen, es ist auch ein vergessenes, ein verstecktes Problem, ein Problem, das im Dunkeln liegt, und wir möchten ein Licht darauf werfen und darauf aufmerksam machen.
von Billerbeck: Haben diese Zwangsräumungen inzwischen eine neue Dimension bekommen? Haben die möglicherweise mit großen Bauvorhaben zu tun, oder wo finden die vor allem statt?
Spieß: Es ist ganz schwierig zu sagen, ob es eine neue Dimension bekommen hat. Es gibt Schätzungen einer internationalen Menschenrechtsorganisation, dass zwischen 1998 und 2008 ca. 18 Millionen Menschen weltweit rechtswidrig zwangsgeräumt worden sind. Wir beobachten aber, dass es über die Kontinente hinweg ein großes Problem ist.
von Billerbeck: Nun sind ja gerade diese Siedlungen, von denen Sie gesprochen haben, die berühmten Wellblechhütten, die Slums, die Pappkartonsiedlungen, die sind ja oft illegal errichtet. Hat da nicht ein neuer Eigentümer des Grundstücks auch das Recht, sie zu beseitigen?
Spieß: Das Recht auf Wohnen ist ganz unabhängig davon, ob in der nationalen Rechtsordnung das Eigentum an dem Boden jemand anderem gehört, sondern jeder, der irgendwo wohnt, ist in dieser Wohnung geschützt, und insbesondere davor geschützt, dass er nicht einfach vertrieben werden darf. Das steht in den internationalen Menschenrechtspakten, und daran muss sich jeder Staat halten.
von Billerbeck: Nun sprechen Sie ja von rechtswidrigen Zwangsräumungen - das heißt, es gibt auch andere.
Spieß: Es gibt natürlich Zwangsräumungen, die rechtmäßig sind, die keine Menschenrechtsverletzungen sind, das ist eher die Ausnahme als die Regel. Wir sprechen dann von rechtswidrigen Zwangsräumungen, wenn jemand aus seiner Wohnung vertrieben wird, ohne dass er vorher Rechtsmittel einlegen konnte, dass er sich dagegen wehren konnte, wenn es sich um eine gewaltsame Zwangsräumung handelt und wenn er in die Obdachlosigkeit geräumt wird.
von Billerbeck: Es ist immer im Zusammenhang mit großen Sportereignissen auch von Zwangsräumungen die Rede. Da denkt man sofort: Okay, Olympische Spiele, Weltmeisterschaften irgendwo - China würde mir sofort einfallen. Was haben Sie da beobachtet im Zusammenhang mit solchen Ereignissen, wo ja viel Raum gebraucht wird für neue Stadien und neue Unterkünfte et cetera.
Spieß: Wir beobachten momentan sehr genau die Situation in Brasilien und sehen da leider, dass es auch dort schon zu rechtswidrigen Zwangsräumungen gekommen ist, um Stadien zu bauen und die Infrastruktur zu schaffen, um sowohl die WM als auch die Olympischen Spiele aufzunehmen. So sind zum Beispiel im letzten Jahr in Rio de Janeiro in einem Slum dort 140 Familien aus ihren Wohnungen vertrieben worden. Aber es ist kein neues Problem, ich habe jetzt im Vorfeld noch einmal geschaut, die UNO hat in einem Bericht von 2010 einen großen Schwerpunkt auf Zwangsräumung und Infrastrukturprojekte gelegt und hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass vor den olympischen Spielen in Seoul 1988 15 Prozent der Bevölkerung vertrieben worden sind.
von Billerbeck: Das ist ja eine beachtliche Zahl. Katharina Spieß ist bei mir zu Gast, rechtswidrige Zwangsräumungen unser Thema, mit dem sich auch Amnesty in seinem aktuellen Report befasst. Sind denn nun Zwangsräumungen nur ein Problem der weniger industrialisierten Weltgegenden, oder wie sieht es damit in Europa aus, wenn wir beispielsweise an die Roma denken?
Spieß: Gerade Roma sind besonders bedroht in Europa, das heißt, es ist auch ein europäisches Problem. Es ist nicht nur ein Problem in Osteuropa, wie es vielleicht vermuten lässt, sondern es gibt Schätzungen, dass im letzten Jahr in Frankreich zirka 12.000 Roma aus ihren Siedlungen vertrieben worden sind, in Italien ist es ein dauerndes Problem, und gerade gestern haben wir eine Eilaktion veröffentlicht, dass eine Familie in Polen von Zwangsräumung bedroht ist, von rechtswidrigen Zwangsräumungen.
von Billerbeck: Hat die international sehr akute Finanzkrise zu einem Höhepunkt oder zu einer Verstärkung von solchen illegalen Zwangsräumungen geführt? Spielt das eine Rolle, beobachten Sie das?
Spieß: Wir sehen wenig Zusammenhang zwischen der Finanzkrise und dem Problem der Zwangsräumung in Slums oder bei großen Infrastrukturprojekten. Es ist sicherlich in Europa dann ein Problem, wenn Leute aus ihren Häusern vertrieben werden, die ihre Häuser nicht mehr finanzieren können. So haben unsere spanischen Kollegen die spanische Regierung angemahnt, dass jede Zwangsräumung, die erfolgt, weil jemand seinen Kredit nicht mehr bedienen kann, auf jeden Fall unter Einhaltung der internationalen Menschenrechtsstandards erfolgen muss.
von Billerbeck: Also eine andere Wohnung dann finden?
Spieß: Genau, eine andere Wohnung, und nicht in die Obdachlosigkeit vertrieben werden.
von Billerbeck: Nun fragt man sich natürlich, wenn es so viele Zwangsräumungen weltweit gibt, gibt es da schon auch eine Bewegung gegen solche rechtswidrigen Zwangsräumungen? Haben Sie da schon so was beobachtet?
Spieß: Es gibt sehr, sehr viele lokale, örtliche Bewegungen, und das ist beeindruckend, mit den Menschen vor Ort zu sprechen, die kaum lesen können, kaum schreiben können, aber trotzdem versuchen, ihr Recht durchzusetzen. Und wir sehen unsere Rolle als große, internationale Menschenrechtsorganisation da drin, diesen Menschen Gehör zu verschaffen und auch international Gehör zu verschaffen.
von Billerbeck: Das sagt Katharina Spieß über die illegalen rechtswidrigen Zwangsräumungen, mit denen sich Amnesty International in seinem heute veröffentlichten Amnesty Report 2013 befasst. Danke Ihnen!
Spieß: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Katharina Spieß: Danke schön!
von Billerbeck: Zwangsräumungen als ein Schwerpunkt im Jahresreport von Amnesty International - warum das?
Spieß: Weil rechtswidrige Zwangsräumungen eine sehr, sehr schwere Menschenrechtsverletzung sind. Insbesondere Menschen in Armut sind davon bedroht, sie werden aus sogenannten informellen Siedlungen, aus ihren Häusern oder Hütten oder auch Pappkartons vertrieben, und es ist dann nicht nur die Verletzung des Rechts auf Wohnen, sondern es ist auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit, häufig, wenn Kinder vertrieben werden, können sie danach nicht mehr in die Schule gehen, ihre Gesundheit ist gefährdet, das heißt, es ist ein umfassendes Menschenrechtsproblem.
von Billerbeck: Dass sich Amnesty mit Zwangsräumungen befasst, war mir vorher nicht bekannt. Sie machen das aber schon seit 2008 - wieso, was war der Anlass? Gab es dafür einen Auslöser?
Spieß: Wir arbeiten seit 2008 verstärkt zu den Rechten von Menschen in Armut, und Menschen in Armut sind ganz besonders von rechtswidrigen Zwangsräumungen bedroht, und wir haben gesehen, es ist auch ein vergessenes, ein verstecktes Problem, ein Problem, das im Dunkeln liegt, und wir möchten ein Licht darauf werfen und darauf aufmerksam machen.
von Billerbeck: Haben diese Zwangsräumungen inzwischen eine neue Dimension bekommen? Haben die möglicherweise mit großen Bauvorhaben zu tun, oder wo finden die vor allem statt?
Spieß: Es ist ganz schwierig zu sagen, ob es eine neue Dimension bekommen hat. Es gibt Schätzungen einer internationalen Menschenrechtsorganisation, dass zwischen 1998 und 2008 ca. 18 Millionen Menschen weltweit rechtswidrig zwangsgeräumt worden sind. Wir beobachten aber, dass es über die Kontinente hinweg ein großes Problem ist.
von Billerbeck: Nun sind ja gerade diese Siedlungen, von denen Sie gesprochen haben, die berühmten Wellblechhütten, die Slums, die Pappkartonsiedlungen, die sind ja oft illegal errichtet. Hat da nicht ein neuer Eigentümer des Grundstücks auch das Recht, sie zu beseitigen?
Spieß: Das Recht auf Wohnen ist ganz unabhängig davon, ob in der nationalen Rechtsordnung das Eigentum an dem Boden jemand anderem gehört, sondern jeder, der irgendwo wohnt, ist in dieser Wohnung geschützt, und insbesondere davor geschützt, dass er nicht einfach vertrieben werden darf. Das steht in den internationalen Menschenrechtspakten, und daran muss sich jeder Staat halten.
von Billerbeck: Nun sprechen Sie ja von rechtswidrigen Zwangsräumungen - das heißt, es gibt auch andere.
Spieß: Es gibt natürlich Zwangsräumungen, die rechtmäßig sind, die keine Menschenrechtsverletzungen sind, das ist eher die Ausnahme als die Regel. Wir sprechen dann von rechtswidrigen Zwangsräumungen, wenn jemand aus seiner Wohnung vertrieben wird, ohne dass er vorher Rechtsmittel einlegen konnte, dass er sich dagegen wehren konnte, wenn es sich um eine gewaltsame Zwangsräumung handelt und wenn er in die Obdachlosigkeit geräumt wird.
von Billerbeck: Es ist immer im Zusammenhang mit großen Sportereignissen auch von Zwangsräumungen die Rede. Da denkt man sofort: Okay, Olympische Spiele, Weltmeisterschaften irgendwo - China würde mir sofort einfallen. Was haben Sie da beobachtet im Zusammenhang mit solchen Ereignissen, wo ja viel Raum gebraucht wird für neue Stadien und neue Unterkünfte et cetera.
Spieß: Wir beobachten momentan sehr genau die Situation in Brasilien und sehen da leider, dass es auch dort schon zu rechtswidrigen Zwangsräumungen gekommen ist, um Stadien zu bauen und die Infrastruktur zu schaffen, um sowohl die WM als auch die Olympischen Spiele aufzunehmen. So sind zum Beispiel im letzten Jahr in Rio de Janeiro in einem Slum dort 140 Familien aus ihren Wohnungen vertrieben worden. Aber es ist kein neues Problem, ich habe jetzt im Vorfeld noch einmal geschaut, die UNO hat in einem Bericht von 2010 einen großen Schwerpunkt auf Zwangsräumung und Infrastrukturprojekte gelegt und hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass vor den olympischen Spielen in Seoul 1988 15 Prozent der Bevölkerung vertrieben worden sind.
von Billerbeck: Das ist ja eine beachtliche Zahl. Katharina Spieß ist bei mir zu Gast, rechtswidrige Zwangsräumungen unser Thema, mit dem sich auch Amnesty in seinem aktuellen Report befasst. Sind denn nun Zwangsräumungen nur ein Problem der weniger industrialisierten Weltgegenden, oder wie sieht es damit in Europa aus, wenn wir beispielsweise an die Roma denken?
Spieß: Gerade Roma sind besonders bedroht in Europa, das heißt, es ist auch ein europäisches Problem. Es ist nicht nur ein Problem in Osteuropa, wie es vielleicht vermuten lässt, sondern es gibt Schätzungen, dass im letzten Jahr in Frankreich zirka 12.000 Roma aus ihren Siedlungen vertrieben worden sind, in Italien ist es ein dauerndes Problem, und gerade gestern haben wir eine Eilaktion veröffentlicht, dass eine Familie in Polen von Zwangsräumung bedroht ist, von rechtswidrigen Zwangsräumungen.
von Billerbeck: Hat die international sehr akute Finanzkrise zu einem Höhepunkt oder zu einer Verstärkung von solchen illegalen Zwangsräumungen geführt? Spielt das eine Rolle, beobachten Sie das?
Spieß: Wir sehen wenig Zusammenhang zwischen der Finanzkrise und dem Problem der Zwangsräumung in Slums oder bei großen Infrastrukturprojekten. Es ist sicherlich in Europa dann ein Problem, wenn Leute aus ihren Häusern vertrieben werden, die ihre Häuser nicht mehr finanzieren können. So haben unsere spanischen Kollegen die spanische Regierung angemahnt, dass jede Zwangsräumung, die erfolgt, weil jemand seinen Kredit nicht mehr bedienen kann, auf jeden Fall unter Einhaltung der internationalen Menschenrechtsstandards erfolgen muss.
von Billerbeck: Also eine andere Wohnung dann finden?
Spieß: Genau, eine andere Wohnung, und nicht in die Obdachlosigkeit vertrieben werden.
von Billerbeck: Nun fragt man sich natürlich, wenn es so viele Zwangsräumungen weltweit gibt, gibt es da schon auch eine Bewegung gegen solche rechtswidrigen Zwangsräumungen? Haben Sie da schon so was beobachtet?
Spieß: Es gibt sehr, sehr viele lokale, örtliche Bewegungen, und das ist beeindruckend, mit den Menschen vor Ort zu sprechen, die kaum lesen können, kaum schreiben können, aber trotzdem versuchen, ihr Recht durchzusetzen. Und wir sehen unsere Rolle als große, internationale Menschenrechtsorganisation da drin, diesen Menschen Gehör zu verschaffen und auch international Gehör zu verschaffen.
von Billerbeck: Das sagt Katharina Spieß über die illegalen rechtswidrigen Zwangsräumungen, mit denen sich Amnesty International in seinem heute veröffentlichten Amnesty Report 2013 befasst. Danke Ihnen!
Spieß: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.