Obdachlose Frauen

Bloß nicht auffallen

Obdachlose Frau transportiert ihr Hab und Gut in einem Einkaufswagen in der Innenstadt von München
Corona hat das Problem der Obdachlosigkeit noch verschärft: Gerade Frauen mit Minijobs drohte in der Krise der Verlust der Arbeitsstelle. © imago / Ralph Peters
Von Vivien Leue |
Etwa ein Viertel der Wohnungslosen in Deutschland sind Frauen, aber im Straßenbild sind sie kaum sichtbar. Sie versuchen, nicht aufzufallen und schlafen, wenn möglich, bei Bekannten oder in Notunterkünften. Auch weil sie besonders schutzlos sind.
Ein Hinterhofgebäude in Krefeld, am Rande der Fußgängerzone in der Innenstadt. Es ist früher Abend. In einem kleinen, verwinkelten Raum sitzen, stehen und unterhalten sich rund 30 Menschen. Neben ihren Tischen stehen vereinzelt Taschen und Tüten. In einer Ecke: ein Käfig mit Wellensittichen. Gegenüber: eine Theke mit Essensausgabe. Es gibt belegte Brötchen.
„Dein Name ist Mensch“ heißt dieses Café, die Gäste sind Obdachlose. An einem der kleinen, runden Tische sitzt Susanne, Mitte 50. Sie trägt eine hellrosa Jacke, gepflegtes Äußeres, die Haare ein klein wenig zerzaust. Sie ist häufig hier. Seit dem vergangenen Winter fast täglich, erzählt sie.
Als die Corona-Pandemie begann, habe sie ihre Wohnung verloren. „Die Armutsschiene ist dann relativ schnell da, weil ich gezwungen war, Fahrräder, Gepäckstücke immer wieder nachzukaufen.“ Der Verschleiß sei ungemein. „Wenn der Mensch mobil auf der Straße lebt, da geht das Geld sehr schnell bei drauf.“

Von Gästesofa zu Gästesofa

Susanne wollte eigentlich umziehen, hatte ihre alte Wohnung gekündigt und die neue dann doch nicht bekommen. Es sei alles kompliziert, mehr möchte sie über sich nicht erzählen. Sie spricht lieber generell über das Leben als Frau auf der Straße. „Es gibt auch welche, die ziehen erst einmal zu Freunden oder Freundinnen. Die Verwandtschaft wird ab und an mal in Anspruch genommen. Aber das sind halt alles nur Notlösungen.“
In dieser versteckten Obdachlosigkeit leben in Deutschland schätzungsweise 400.000 Menschen, etwa ein Viertel davon sind Frauen. Hinzu kommt die offene Wohnungslosigkeit – wenn Menschen permanent auf der Straße leben und nachts in Notunterkünften Schutz suchen. Das sind in Deutschland schätzungsweise knapp 50.000 Menschen, darunter wohl mehr als 10.000 Frauen. Genauere Zahlen gibt es nicht, erst in diesem Jahr soll eine offizielle Wohnungslosenstatistik erscheinen, darauf hatte sich der Bundestag im vergangenen Jahr geeinigt.

Trennung oder Jobverlust als Ursachen

Frauen sind auf der Straße besonders schutzlos und versuchen deshalb noch stärker als obdachlose Männer, bloß nicht aufzufallen. In Düsseldorf hat jetzt ein Haus für sie eröffnet, eine Notunterkunft nur für Frauen.
Auf acht Stockwerken werden mehrere, bisher über die Innenstadt verteilte Unterkünfte zusammengefasst – darunter auch das Obdach für Frauen mit Kindern. „Das ist quasi ausgerichtet für Frauen mit x Kindern“, sagt Miriam Korkmaz von der Diakonie Düsseldorf. Sie betreut den Bereich. „Die können sich den ganzen Tag hier aufhalten und da sind Kinder, die müssen in den Kindergarten oder in die Schule. Die können dann von hier aus entspannt starten.“
Häufig sind es Trennungen oder bei Alleinerziehenden auch der Jobverlust, der dazu führt, dass Frauen ihre Wohnung verlieren. Insbesondere wenn sie Kinder haben, schaffen sie es zwar meist noch eine Zeit lang, bei Bekannten oder Verwandten unterzukommen – also in der versteckten Obdachlosigkeit zu leben. Aber nicht immer funktioniert das ohne Gegenleistung, erzählen Betroffene, gehen aus Scham dann aber nicht näher darauf ein.

Zu wenig bezahlbarer Wohnraum

Hier, in der Düsseldorfer Notunterkunft kommen die Frauen zu Ruhe. Manche bleiben mehrere Monate. Wenn es gut läuft, schaffen sie es danach zurück in eine eigene Wohnung.
Das Problem Obdachlosigkeit wachse in Städten wie Düsseldorf, sagt Miriam Koch vom Amt für Migration und Integration. „Wir spüren jetzt schon langsam auch die Auswirkungen der Pandemie, auch wenn wir das noch nicht in Zahlen belegen können. Wir werden das auch erst in den nächsten Jahren richtig erfahren.“ Das Hauptproblem in Städten wie Düsseldorf: der sogenannte Wohnungsmarkt, „der eigentlich nicht wirklich mehr ein Markt ist, weil wir einfach ein begrenztes Angebot an bezahlbarem Wohnraum haben“.

Corona verstärkt das Problem

Auch Julia von Lindern von der Düsseldorfer Obdachlosenhilfe „Fifty Fifty“ blickt mit Sorge auf die Auswirkungen der Pandemie. Geschäfte waren im Lockdown geschlossen, Minijobs fielen weg. Weil besonders häufig Frauen von Minijobs abhängig sind, traf sie die Krise auch besonders hart. Hinzu kam, dass Alleinerziehende oftmals ihre Kinder zu Hause betreuen mussten, weil auch die Schulen monatelang zu waren.
Aufgrund prekärer Beschäftigung hätten die Betroffenen ihre Wohnungen verloren, sagt Julia von Lindern. Alleinerziehende Mütter seien mit ihren Kindern finanziell nicht mehr klargekommen. „Die Kinder hatten keinen Schulessen, kein Kita-Essen. Das Geld reichte vorne und hinten nicht, für die Miete auch nicht.“

„Housing First“ – ein Erfolgsprojekt

Die Sozialarbeiterin versucht, Obdachlosen über das Projekt „Housing First“ eine Wohnung zu verschaffen. Nach diesem sozialpolitischen Ansatz erhalten Wohnungslose direkt eine eigene Wohnung, ohne sich vorher durch bestimmte Leistungen, zum Beispiel Entzug oder dem regelmäßigen Gang zum Amt, für eine Wohnung qualifizieren.
„Zunächst einmal klingt es so einfach, dass man sagt: Wie kann man Obdachlosigkeit beenden? Ja, tatsächlich durch eine Wohnung.“ Julia von Lindern kennt allerdings auch die Vorbehalte gegen das Konzept: Schafft er das wirklich? Sie trinkt ja ganz viel... Das seien gängige Bilder, die wir haben. „Im Umkehrschluss lernt man Fahrradfahren auf dem Fahrrad und schwimmen im Wasser. Wohnen lernst du dann in der Wohnung und nicht in irgendwelchen Notunterkünften.“
Die Erfolgsquote ist hoch: Rund 90 Prozent der Obdachlosen, darunter viele Frauen sind über das Projekt dauerhaft von der Straße weggekommen.
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