Obdachlose machen Musik

Von Michael Hollenbach |
Schattenlichter nennt sich die eine Gruppe, die andere heißt Menschensinfonieorchester. Zwei Musikgruppen, in der Obdachlose Musik machen. Sie singen, spielen Percussion oder Gitarre, weil es ihnen Spaß macht, weil sie Ambitionen haben und weil sie sich verändern wollen. Musik hilft ihnen dabei.
Christiane Niesel singt und bläst Flügelhorn im Kölner Menschensinfonieorchester – ein ambitioniertes Projekt aus Profimusikern, Amateuren und Berbern. Die musikalische Richtung des MSO zwischen Rock, Jazz, Folklore und Weltmusik lässt sich nicht so genau festlegen, meint die 40-jährige Musikerin:

"Es ist eher Großstadtmusik, nicht einzuordnen, deshalb haben wir auch noch nicht unseren Karrieresprung geschafft, weil man kann ein Album nicht komplett abspielen, jedes Stück ist anders."

Das Orchester ist bunt gemischt. Marcel bezeichnet sich selbst als geistig behindert:
"Eigentlich bin ich ja Drummer, gefällt mir, weil hier so nette Leute sind."

"Dann haben wir den Marus dabei, Marus ist Flüchtling aus dem Iran, Folteropfer, traumatisiert, der kann im Grunde nicht schlafen, hat Suchtprobleme, ist studierter Gitarrist (...) und versucht hier zu überleben."

Berichtet Pfarrer Hans Mörtter, der die Gruppe betreut. Heute ist Marus wieder total fertig; völlig introvertiert zupft er seine Gitarre. Christiane Niesel macht kein Hehl daraus, dass sie manchmal genervt ist:

"Zum Beispiel eine Person, die ein starkes Alkoholproblem hat und (...) während der Proben schon mal gern einschläft, das macht den Prozess langsamer, ansonsten ist es auch eine große Freude zu sehen, dass es immer wieder fruchtet. Aber es ist schon sehr zäh, muss man schon sagen."

Entstanden ist das Projekt vor acht Jahren, als Pfarrer Hans Mörtter und der italienische Musiker Allessandro Palmitessa die Idee hatten, Profimusiker und Obdachlose zusammen zu bringen.
"Das funktioniert, weil die Musiker, die keine professionelle Ausbildung haben, die haben eine große Lebenserfahrung, dadurch ist auch ihre Intensität an dem Instrument sehr groß."

"Durch die Musik gibt es eine Hoffnung und durch diese Hoffnung gibt es eine Spiritualität in der Musik und Tiefe, die man bei professionellen Musikern nicht mehr findet, weil man auf andere Dinge konzentriert ist."

Das Menschensinfonieorchester hat bereits zwei CDs herausgebracht und große Auftritte hinter sich – wie beim katholischen Weltjugendtag vor Zigtausenden.

Das Hamburger Pendant zu dem Menschensinfonieorchester sind die Schattenlichter, allerdings spielen hier keine Profimusiker mit, sondern fast nur Obdachlose wie Uwe.

"Ich bin immer hier, jeden Montag, ich bin der erste, der hier war und der letzte, der letzte, der gegangen ist."

Mit den Schattenlichtern habe er den Ausstieg aus der Szene geschafft; nun sei die Band für ihn der wichtigste Bezugspunkt, sagt der 40-Jährige:

"Weil ich keine Freunde habe in Hamburg und alle, die ich kenne, die trinken alle, und nehmen auch Drogen, damit wollte ich abschließen, und da habe ich mich von allen getrennt."

Uwe spielt bei den Schattenlichtern Percussion. Vorher hatte er keine Beziehung zur Musik. Heute sagt er:

"Musik hat mein Leben verändert."

"Das beste beim Auftritt ist immer, wenn man den Applaus kriegt zum Ende des Auftritts, das ist ein tolles Gefühl, man hat was gezeigt, was man kann, ich kann dann die halbe Nacht nicht schlafen."

Krischan Ritter, der selbst mal nach einer Scheidung völlig von der Rolle war, hat die Schattenlichter ins Leben gerufen. Er ist so was wie der Bandleader:

"Eingangsschwelle ist bei uns Null. Wir erwarten keinerlei Vorkenntnisse. (....) Meine Aufgabe besteht darin, bei jedem festzustellen, was kann ich aus ihm rausholen, und wie kann ich diese Stärke in eine Gruppe hineinbringen."

Anders als die Hamburger versteht sich das Kölner Menschensinfonieorchester nicht als diakonisches, sondern – wie Pfarrer Hans Mörtter betont – als ein menschliches Projekt:

"Einen Impuls in unsere Gesellschaft zu senden, dass ein Zusammenleben von Menschen der unterschiedlichsten Lebensweisen funktioniert, (....) deshalb heißt das ja auch: Menschensinfonieorchester, Menschen klingen zusammen, (...) einer braucht auch den anderen.
Auf keinen Fall ist es das Ziel einer Wiedereingliederung in eine Form von guten gesellschaftlichen Leben. Jeder ist frei."

Egal, wie man die Musikprojekte definiert – eines schaffen beide Gruppen: Sie vermitteln den Musikern ein neues Selbstvertrauen, eigenständig ihren Weg gehen zu können.