Obdachlosigkeit als Spiel

Stefan Karrenbauer im Gespräch mit Dieter Kassel |
Das Onlinespiel "pennergame" ist bei Internetnutzern derzeit sehr beliebt. Gut 1,2 Millionen Spieler haben sich bereits registriert. Die Aufgabe besteht darin, einen Obdachlosen zu managen und ihn aus der Gosse zu befreien. Für Stefan Karrenbauer, der das Obdachlosen-Magazins "Hinz & Kunzt" betreut, hat das Spiel jedoch nichts mit Spaß zu tun. Hier werde ein völlig falsches Bild von Obdachlosen gezeichnet, kritisierte der Sozialpädagoge.
Dieter Kassel: Fast zwei Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr in Deutschland mit Computerspielen umgesetzt. Aber nicht nur käuflich zu erwerbende Spiele für den PC oder die Spielkonsole, wie zum Beispiel Sony Playstation, Wii oder XBox boomen, sondern auch kostenlose Onlinespiele. Die spielt man dann einfach im Internet, zum Beispiel das "pennergame". Philip Banse hat es sich angeschaut.

Philip Banse: Bei pennergame.de managt der Spieler einen Obdachlosen, muss ihn aus der Gosse am Hamburger Hauptbahnhof befreien und zum Schlossherrn in Blankenese machen. Seine ersten Euros verdient sich der Obdachlose, indem er Pfandflaschen sammelt, bettelt oder musiziert. Einige dieser Euros gehen dann aber auch gleich wieder drauf für Bier, denn der Alkoholpegel muss stimmen, sonst sinkt die Stimmung und mit ihr die Karrierechancen. Der Obdachlose kauft Waffen, bessere Musikinstrumente und einen einträglicheren Schnorrerplatz, der seine Einnahmen verbessert. Denn Aufstieg in Deutschland und bei pennergame.de nicht ohne Bildung, und die kostet: lesen lernen, sprechen lernen, Musikunterricht, sozialer Umgang, Taschendiebstahl. Verbrechen ist eine riskante, aber mitunter sehr einträgliche Einkommensquelle bei pennergame.de. Kaugummiautomaten knacken, Kloklassen klauen, Haustierkämpfe, so kommt der Obdachlose voran. Am besten als Mitglied einer Bande. Entwickelt haben das Spiel zwei 19-jährige Jungs aus Hamburg. Für ihre Spielidee schmissen sie Schule und Ausbildung, sagt pennergame-Sprecher Steffen Peuckert.

Steffen Peuckert: Die Idee kam den beiden auf einem Gang durch den Hamburger Stadtteil St. Pauli, der nicht nur für die Reeperbahn, sondern auch für die vielen Flaschen, die da rumliegen, und auch für Obdachlosen, die dort wohnen, bekannt ist. Und als sie da durch St. Pauli liefen, kam dann die Idee, Mensch, das Thema können wir aufgreifen, das Thema ist interessant, das Thema hat einen gewissen Bezug zur Lebenswirklichkeit, und so kam dann das Thema zustande.

Kassel: pennergame.de wurde ein Erfolg. Kein halbes Jahr nach Start sind 1,2 Millionen Spieler registriert, bis zu 60.000 von ihnen sind gleichzeitig online und managen ihre Obdachlosen. Wie so oft sind die Kritiker des Spiels am Erfolg nicht unbeteiligt. Eine Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete forderte ein Verbot von pennergame.de, das Spiel verletze die Würde von Obdachlosen und verunglimpfe sie. pennergame-Sprecher Peuckert entgegen, das Spiel habe vor allem Jugendliche angeregt, sich erstmals mit dem Thema Obdachlosigkeit zu beschäftigen.

Steffen Peuckert: Wir haben die Thematik aufgegriffen, in einen Kontext gesetzt, der bislang unbekannt ist und mit der wir auch eine Zielgruppe erreichen, wie wir glauben, die den klassischen Medien immer weiter verloren geht. Und unsere Erfahrung ist es, dass durch die politisch unkorrekte und witzige, skurrile Umsetzung im Spiel die Leute eher animiert werden, über die Thematik nachzudenken. Und wir merken das auch an unserem Feedback, dass viele Spieler sagen, Mensch das ist gut, wenn ich einen Obdachlosen auf der Straße sehe, sehe ich den jetzt mit anderen Augen, weil ich weiß, dass der nicht nur seinen Spendenbecher da hinstellt, sondern dass da noch ein ganzes Leben dranhängt.

Kassel: Pennergame-Sprecher Steffen Peuckert in einem Beitrag von Philip Banse. Einem Beitrag über ein Game, das nicht nur, wie gerade gehört, über eine Million angemeldete Nutzer in Deutschland und sonst wo spielen, sondern das in Hamburg auch echte Obdachlose ausprobiert haben. Mitarbeiter des Obdachlosen-Magazins "Hinz & Kunzt", betreut vom Sozialpädagogen Stefan Karrenbauer. Und den begrüße ich jetzt am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Karrenbauer!

Stefan Karrenbauer: Guten Tag!

Kassel: Wie hat denn Ihren echten Obdachlosen dieses Spiel gefallen?

Karrenbauer: Die fanden das als ein Spiel und haben sich damit nicht identifizieren können, weil sie natürlich davon ausgehen, dass sie natürlich keine Penner sind. Es gibt keine Wohnungslosen, die sich selbst als Penner bezeichnen.

Kassel: Wie schlimm fanden Sie denn diesen Begriff, denn das ist ja schon, vielleicht kein Schimpfwort, aber eine negativ gemeintes Wort für Obdachlose?

Karrenbauer: Sie haben damit selbst gar nichts anfangen können, weil sie gesagt haben, wir sind es nicht, die damit gemeint sind. Also die verdrängen das ganz stark und sagen, das hat keinen Bezug zu unserem realen Leben. Es gibt so kleine Aspekte aus dem Spiel, wo sich jeder mal wiedererkannt hat und sagte, ja, da haben sie nicht ganz Unrecht, aber so im Großen und Ganzen sagten sie, es ist ein Spiel, es ist übertrieben und wir finden es überhaupt nicht dramatisch.

Kassel: Umgekehrt, fanden sie es denn spaßig oder unterhaltsam und spannend, dieses Spiel zu spielen?

Karrenbauer: Das fanden sie, genau. Also so, wie die eine Million, die sich registriert haben, genauso interessant fanden sie das. Und ich glaube, das macht es zum Teil ja eben halt auch gefährlich, dass dort Realitäten mit Stammtischparolen zusammengemixt werden. Das ergibt einfach ein falsches Bild von Wohnungslosen, die halt auf der Straße nächtigen müssen.

Kassel: Wie sehen Sie das denn, wir haben ja vorhin auch die Argumente dieses Sprechers von pennergame.de gehört, natürlich wollen die Leuten Spaß vermitteln, aber das Ganze sei auch so gemeint, dass Menschen die klassischen Medien nicht mehr nutzen. Das ist richtig, die gibt es in der Altersgruppe inzwischen unbestritten, dass die auf diese Art und Weise etwas erfahren über das Schicksal von Obdachlosen. Ist das wenigstens zu einem winzig kleinen Teil denkbar für Sie?

Karrenbauer: Das ist so minimal, dass ich mich fast gar nicht darüber auslassen möchte. Das ist ja gerade so das Gefährliche. Man sieht natürlich, ich sage mal das Beispiel, dass man durch Erringen eines Hundes bessere Bettelchancen hat. Man sieht auf der Straße Wohnungslose, die einen Hund haben, und ich weiß, dass sehr viele glauben, der Obdachlose hat den Hund, damit er mehr Bettelergebnisse erzielt. Aber aus Erfahrung wissen wir halt, dass ein Wohnungsloser, der einen Hund besitzt, dass es weitaus mehr ist als nur ein Haustier. Die Hunde schlafen bei den Obdachlosen im Schlafsack, das ist Aufpasser, das ist der beste Freund, das ist der Lebensgefährte von einem Wohnungslosen. Und solche Punkte werden eben halt nicht erwähnt, sondern eben halt nur drauf abgezielt, wer einen Hund hat, bekommt bessere Bettelergebnisse. Und das ist natürlich völlig verkehrt, solche Ergebnisse in diesem Spiel den Leuten so zu vermitteln. Oder dass das Leben so hart auf der Straße sein soll, dass man eigentlich nur kriminell werden muss, um dann sein Ziel zu erreichen. Also die meisten Wohnungslosen, ich sage mal wirklich der überwiegende Teil ist sehr, sehr konservativ, und die einzige Straftat, die sie nachweisen könnten, ist vielleicht mal Schwarzfahren, aus einer Not heraus, aber nicht, dass sie irgendwelche Einbrüche oder Currywurstbuden überfallen oder Kaugummiautomaten knacken.

Kassel: Wie ist es denn noch mit einem anderen Aspekt, Herr Karrenbauer? Mir ist aufgefallen, ich habe mal ganz kurz mich angemeldet und mal ein Stündchen mich umgeschaut in diesem Spiel, damit ich weiß, wovon ich hier rede. Und mir kam noch in den Sinn, dass das Ganze natürlich so ein bisschen bei aller Brutalität auch manchmal zur Romantisierung neigt. Ich meine, das ist so ein bisschen diese Idee, Obdachloser ist ein Beruf wie jeder andere, und mit den nötigen Tricks wird man, das ist ja tatsächlich der Sinn des Spiels, am Ende zum Schlossbesitzer in Blankenese. Ist das auch so eine Gefahr, dass sich jemand, na ja, auch eine Möglichkeit, sein Leben zu verbringen?

Karrenbauer: So ist es, vom Tellerwäscher zum Millionär, wer möchte das nicht gerne selbst erleben. Und man kann dort natürlich in so eine Fantasiewelt eintauchen. Und ich sagte ja vorhin schon, das ist, glaube ich, so das Gefährliche, dass dort Realität und Stammtischparolen zusammengemixt werden, was natürlich eine gewisse Faszination ausstrahlt und wo jeder glaubt, einfach auch mitreden zu können.

Kassel: Lassen Sie uns mal über diese Grundidee kurz reden, die das Spiel ja hat, nämlich dass die Absicht eines Obdachlosen im Prinzip ja ist, mit welchen Methoden auch immer am Ende Schlossbesitzer in Blankenese zu werden. Können eigentlich echte Obdachlose – nun wollen wir mal nicht über dieses extrem große Ziel, das der eine oder andere Geschäftsmann ja auch nicht erreicht, reden –, aber diese Idee, dass man nur auf der Straße ist, um am Ende Grundstücksbesitzer in einem Nobelviertel zu werden, können damit echte Obdachlose überhaupt was anfangen?

Karrenbauer: Absoluter Schwachsinn ist dieses Ziel. Das Ziel der Wohnungslosen, die auf der Straße sind, ist eine kleine Wohnung, eine Unterkunft, wo sie die Tür zumachen können, wo sie ihr Essen selber kochen können und wo sie sagen können, so, hier habe ich meine Ruhe. Aber ein Ziel, ich möchte jetzt gerne irgendwo ein Haus im Grünen oder so was haben, oder auch nur eine große Wohnung im Grünen, das ist völlig illusorisch.

Kassel: Erklären Sie mir doch etwas aus dem realen Leben, was auch das Spiel nicht so richtig transportiert. Wir haben in den letzten Tagen, als die Temperaturen sehr weit unter null lagen in der Nacht, es wird ja ganz langsam besser, aber in weiten Teilen Deutschlands war es unglaublich kalt in den letzten zwei, drei Wochen, da haben wir erlebt, dass Obdachlose es trotzdem abgelehnt haben, in Notunterkünfte zu gehen. Da sagt natürlich ein Mensch, der sich nicht auskennt, was soll denn das. Können Sie es mir erklären?

Karrenbauer: Zum Beispiel die Hundebesitzer, die haben insgesamt in Hamburg nur 15 Schlafplätze für Obdachlose mit Hunden. Und auch wenn das Tierheim anbietet, die Hunde nachts aufzunehmen, dass der Wohnungslose dann tagsüber seinen Hund wieder rausbekommt, bedeutet für ganz viele Wohnungslose, die auf der Straße leben, nein, das tue ich nicht, ich schlafe lieber draußen. Ich kann meinen Hund nicht nachts in einen Zwinger stecken. Dann gibt es natürlich eine Menge Wohnungslose, die schon schlechte Erfahrungen in diesen Notunterkünften gesammelt haben. Dort gibt es eben halt keinen Raum für sie allein, sondern sie schlafen dort zu viert oder zu sechst in einem Raum. Und dort kommen natürlich auch alle möglichen Problemgruppen aufeinander zu. Ich will mal so als Beispiel sagen: ein psychischer Erkrankter, der Wahrnehmungsstörungen hat, mit einem Drogenabhängigen, der vielleicht gerade auf Entzug ist, mit jemandem, der gerade frisch obdachlos geworden ist. Sodass viele natürlich sagen, das schreckt mich ab, hier finde ich gar keine Ruhe, ich erfriere zwar nicht, aber ich bin eigentlich mehr gerädert, wenn ich morgens dort das Haus wieder verlassen muss, als wenn ich mir irgendwo einen Schlafplatz suche, wo vielleicht auch ein Lüftungsschacht vorhanden ist und ich ein bisschen Wärme erhalte.

Kassel: Stefan Karrenbauer, ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Karrenbauer: Okay.

Kassel: Danke Ihnen. Stefan Karrenbauer war das. Er betreut als Sozialpädagoge Obdachlose beim Hamburger Obdachlosen-Magazin "Hinz & Kunzt". Nicht das wahre Leben, aber das große Spiel können Sie, wenn Sie wollen, im Internet natürlich selber ausprobieren unter www.pennergame.de.