"Oben in scheiß Dudelsackland"
Zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung seines Bestsellers "Trainspotting" hat Irvine Welsh nun dessen Vorgeschichte vorlegt. In "Skagboys" zeigt er das Edinburgh der 1980er-Jahre als Heroin-Hochburg und "Aids-Schleuder Europas". Entstanden ist ein raues, packendes Sittenbild einer verlorenen Generation.
Man kennt sie schon aus zwei anderen Romanen, und sie sind alle wieder da: Daniel Murphy, genannt Spud, Simon David Williamson ("Sick Boy"), den Dealer Johnny Swan, Frank "Franco" Begbie und natürlich Mark Renton. Letzterer denkt am Ende von "Skagboys", als er in Edinburgh auf Güterwaggons und Fernzüge starrt:
"So tief bin ich also gesunken: Ich renne an Eisenbahngleisen rum und bin ein verdammter Trainspotter!"
Ein paar Seiten später heißt es:
"Is nich so, als würde irgendwann jemand kommen und einen Film über unser Leben drehen, verstehste?"
Soviel zur Selbstironie von Irvine Welsh, der zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung seines mit Ewan McGregor verfilmten Bestsellers "Trainspotting" nun dessen Vorgeschichte vorlegt. Es geht darum, wie seine Helden zu den "Skagboys" beziehungsweise "Smackheads" wurden, die wir kennen; wie sie an die "Schorre" gelangten, das erste Mal Heroin rauchten oder spritzten.
In den Jahren 1984/85 spielt der Roman, in der Ära Thatcher, im Milieu der von der "Eisernen Lady" arg gebeutelten "Stützeasseln". Irvine Welsh ist ein mitreißender Chronist dieser Epoche, in der Streiks gnadenlos niedergeknüppelt, Gelder gestrichen wurden und die Premierministerin den Gedanken der Solidarität aufkündigte mit dem Satz: "There is no such thing as society."
Bei aller Kritik am Thatcherismus und dessen Folgen: Welsh hat keinen explizit politischen Roman geschrieben. Vielmehr das packende Sittenbild einer Generation, die im Arbeiterviertel Edinburgh-Leith aufwächst, keine Zukunft für sich sieht und zu Drogen greift. Wie schon in "Trainspotting" wechselt Welsh dabei die Perspektiven.
Herausragend sind die Passagen, die um die Hauptfigur Mark Renton kreisen: Das Philosophie-Studium in Aberdeen hat er geschmissen. Erst jobbt er in einer Schreinerei, dann auf einer Nordsee-Fähre, und so "tütendicht" und "vollkommen weggeballert" er mit der Nadel in der Armbeuge oft auf seiner Matratze liegen mag, er hat doch Nietzsche, Schopenhauer und vor allem immer wieder Kierkegaard im Kopf und blickt in seinen klaren Momenten mit einer Klugheit auf die Welt, die einen staunen lässt. Schließlich landet er zusammen mit seinen Junkie-Kumpels im Reha-Programm einer Klinik "oben in scheiß Dudelsackland" – aber so einfach ist die schwere Abhängigkeit nicht zu überwinden.
Welsh zeigt uns Edinburgh als Heroin-Hochburg und "Aids-Schleuder Europas". Er nimmt uns an Betten mit, in denen Menschen wild kopulieren oder krepieren und auf Müllhalden, auf denen die Leichen abgetriebener Babys verwesen. Kein leichter Stoff, doch mit enormer Empathie und Verve geschildert. Daniel Müller gelingt es, den dreckigen Sound und Drive des englischen Originals ins Deutsche zu transportieren – fragwürdig bleibt allein, warum er sich bei seiner Übersetzung des heutigen Jugendsprache-Jargons bedient: "Abgewichster Vollhonk", "Studi" oder "Stino" (für stinknormaler Mensch) ist schlicht kein 80er-Jahre-Sprech. Für solche Ausreißer entschädigen die vielen auch auf Deutsch gelungenen Dialoge und eine Geschichte, die beweist, dass Welsh nach wie vor der gewiefteste Gossenjunge der Gegenwartsliteratur ist.
Man sollte gar nicht zu viel in sein Werk hineininterpretieren und es lieber mit Mark Renton halten: "Romane zu analysieren bedeutet unterm Strich nichts anderes, als die Seele eines literarischen Werks zu sezieren, und das zerstört verdammt noch mal alles, was ich an Büchern liebe."
Besprochen von Knut Cordsen
"So tief bin ich also gesunken: Ich renne an Eisenbahngleisen rum und bin ein verdammter Trainspotter!"
Ein paar Seiten später heißt es:
"Is nich so, als würde irgendwann jemand kommen und einen Film über unser Leben drehen, verstehste?"
Soviel zur Selbstironie von Irvine Welsh, der zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung seines mit Ewan McGregor verfilmten Bestsellers "Trainspotting" nun dessen Vorgeschichte vorlegt. Es geht darum, wie seine Helden zu den "Skagboys" beziehungsweise "Smackheads" wurden, die wir kennen; wie sie an die "Schorre" gelangten, das erste Mal Heroin rauchten oder spritzten.
In den Jahren 1984/85 spielt der Roman, in der Ära Thatcher, im Milieu der von der "Eisernen Lady" arg gebeutelten "Stützeasseln". Irvine Welsh ist ein mitreißender Chronist dieser Epoche, in der Streiks gnadenlos niedergeknüppelt, Gelder gestrichen wurden und die Premierministerin den Gedanken der Solidarität aufkündigte mit dem Satz: "There is no such thing as society."
Bei aller Kritik am Thatcherismus und dessen Folgen: Welsh hat keinen explizit politischen Roman geschrieben. Vielmehr das packende Sittenbild einer Generation, die im Arbeiterviertel Edinburgh-Leith aufwächst, keine Zukunft für sich sieht und zu Drogen greift. Wie schon in "Trainspotting" wechselt Welsh dabei die Perspektiven.
Herausragend sind die Passagen, die um die Hauptfigur Mark Renton kreisen: Das Philosophie-Studium in Aberdeen hat er geschmissen. Erst jobbt er in einer Schreinerei, dann auf einer Nordsee-Fähre, und so "tütendicht" und "vollkommen weggeballert" er mit der Nadel in der Armbeuge oft auf seiner Matratze liegen mag, er hat doch Nietzsche, Schopenhauer und vor allem immer wieder Kierkegaard im Kopf und blickt in seinen klaren Momenten mit einer Klugheit auf die Welt, die einen staunen lässt. Schließlich landet er zusammen mit seinen Junkie-Kumpels im Reha-Programm einer Klinik "oben in scheiß Dudelsackland" – aber so einfach ist die schwere Abhängigkeit nicht zu überwinden.
Welsh zeigt uns Edinburgh als Heroin-Hochburg und "Aids-Schleuder Europas". Er nimmt uns an Betten mit, in denen Menschen wild kopulieren oder krepieren und auf Müllhalden, auf denen die Leichen abgetriebener Babys verwesen. Kein leichter Stoff, doch mit enormer Empathie und Verve geschildert. Daniel Müller gelingt es, den dreckigen Sound und Drive des englischen Originals ins Deutsche zu transportieren – fragwürdig bleibt allein, warum er sich bei seiner Übersetzung des heutigen Jugendsprache-Jargons bedient: "Abgewichster Vollhonk", "Studi" oder "Stino" (für stinknormaler Mensch) ist schlicht kein 80er-Jahre-Sprech. Für solche Ausreißer entschädigen die vielen auch auf Deutsch gelungenen Dialoge und eine Geschichte, die beweist, dass Welsh nach wie vor der gewiefteste Gossenjunge der Gegenwartsliteratur ist.
Man sollte gar nicht zu viel in sein Werk hineininterpretieren und es lieber mit Mark Renton halten: "Romane zu analysieren bedeutet unterm Strich nichts anderes, als die Seele eines literarischen Werks zu sezieren, und das zerstört verdammt noch mal alles, was ich an Büchern liebe."
Besprochen von Knut Cordsen
Irvine Welsh: Skagboys
Aus dem Schottischen Englisch von Daniel Müller
Heyne Hardcore, München 2013
832 Seiten, 24,99 Euro
Aus dem Schottischen Englisch von Daniel Müller
Heyne Hardcore, München 2013
832 Seiten, 24,99 Euro