Oberfaule Pilze
Pilzfreunde freuen sich derzeit über satte Ernten, nachdem es die vergangenen Wochen reichlich geregnet hat. Aber nicht nur Pilze haben jetzt Saison, sondern auch Pilzvergiftungen. Nach Angaben des Giftinformationszentrums Göttingen habe sich die Zahl im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren verdoppelt.
Unsere Ernährung soll sich an den Jahreszeiten orientieren. Die Gastronomen haben das verstanden, und auf ihren Speisekarten locken sie mit "frischen Pilzen". Auf den Wochenmärkten steigt das An-gebot. Wem das zu teuer ist, der nimmt den Korb selbst in die Hand und sammelt. Doch nicht nur der Wald hat seine Tücken – auch beim Buchhändler ist man vor giftigen Pilzen nicht sicher. In einem populären Kochbuch empfahl der Autor frische Lorcheln zum Kartoffelsalat. Die sind dummerweise hochgiftig. Eigentlich hätte es Morcheln heißen sollen. Der Druckfehlerteufel hatte im Buch der "Bes-ten 1000 Salate" zugeschlagen. Das Werk erlebte über die Jahre mehrere Auflagen, ohne dass es jemanden aufgefallen wäre. Wer ahnt bei einem Buch über gesunde Salate schon Böses?
Zugegebenen, es handelt sich um ein etwas kurioses Beispiel. Noch kurioser ist die Tatsache, dass die häufigste Pilzvergiftung weitgehend unbekannt geblieben ist: Es ist die sogenannte "Unechte Pilz-vergiftung". Der Name mag irritieren – aber auch eine "unechte" Vergiftung ist eine richtige Vergiftung. Sie gilt als "unecht", weil sie nicht von den klassischen Giften des Knollenblätterpilzes oder von rohen Lorcheln kommt, sondern durch essbare Pilze, die verdorben waren. Die Symptomatik erinnert meist an eine Lebensmittelinfektion: Erbrechen, Diarrhoe, Schüttelfrost, Fieber, Kreislaufkollaps. Deshalb wird bei gesundheitlichen Beschwerden nach einem Omelett mit Pfifferlingen oder einem Jäger-schnitzel mit Champis vom Arzt in aller Regel auf Salmonellen aus der Massentierhaltung getippt.
Fachleute gehen in Deutschland von 5.000 bis 10.000 Fällen pro Jahr aus. Pilze sind nun mal leicht-verderblich – sie werden aber nicht mit der gebotenen Sorgfalt behandelt. Ware, die irgendwo im Os-ten Europas gesammelt wurde, braucht manchmal bis zu fünf Wochen bis zum Verbraucher. Auch Ware aus der Champignonzucht wird schon mal vor verpackt und lagert beim Handel nicht immer unter optimalen Bedingungen. Pilzprüfer beklagen seit Jahren hohe Beanstandungsquoten. 30 bis 100 der Prozent der Sammel-Ware sei vergammelt: matschig, verwurmt und verschimmelt – und damit giftig. Besonders unerfreulich: Auch stark verdorbene Ware geht offenbar an spezielle Großabnehmer. Ein Näschen für solche Sonderposten scheinen manche Krankenhäuser zu haben – so die Klage von Sachverständigen. Beim Durchkochen der Pilzmasse verliert sich der verräterische Geruch.
Was verursacht die Vergiftung? In der Fachliteratur ist meist von biogenen Aminen die Rede, also von Stoffen wie Histamin oder Cadaverin, die bei der Zersetzung von Eiweiß entstehen. Doch die Ana-lysen passen nicht dazu. Manche Pilze wie Röhrlinge können in frischem Zustand reichlich biogene Amine enthalten, ohne irgendwelche Beschwerden hervorzurufen. Doch diese Stoffe sind reaktions-freudig, und die Bakterien tragen beim Zersetzen der Pilze das ihre dazu bei. Welche Gifte genau entstehen, ist bis heute unbekannt geblieben. Offenbar sind Gammelpilze kein Thema für die Forschung – und für die Lebensmittelüberwachung. Viele Kommunen haben das Problem auf ihre Weise gelöst. Die Kontrollen durch Pilzsachverständige wurden einfach abgeschafft.
Zumindest hilft uns die Unechte Pilzvergiftung einen alten Verbrauchertipp zu begreifen: Es ist der Ratschlag Pilzgerichte keinesfalls aufzuwärmen. Er stammt aus einer Zeit, als es noch keine Kühl-schränke gab. Wenn da eine Steinpilzsuppe auf dem gusseisernen Herd herumstand, dann setzte in der Wärme alsbald die bakterielle Zersetzung ein. Es ist egal, ob man Speisepilze, wenn sie bereits verdorben sind, zubereitet oder ob das Pilzgericht erst nach dem Kochen vergammelt. Wer einen Kühlschrank hat, kann darin problemlos seine Pilzrahmsoße aufheben und bei Bedarf weiterver-wenden. Das Problem sind heute nicht aufgewärmte Pilzgerichte sondern die Unmengen von Pilzen, die in verdorbenem und damit gesundheitsschädlichem Zustand verkauft werden. Gerade in der Pilz-saison im Herbst ist bei Kauf von Pilzen Zurückhaltung aktiver Verbraucherschutz. Mahlzeit!
Literatur:
-Dixon R: 1000 parasta salaattia. Kustannusosakeyhtiö Moreeni, Vantaa 2008
-Müller G: Verbraucherschutztafeln. Zeitschrift für Mykologie 2004; 70: 227-230
-Schwank U, Schaupt I: Untersuchungen zum Eiweißverderb von Speisepilzen. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, 3.11.2008
Zugegebenen, es handelt sich um ein etwas kurioses Beispiel. Noch kurioser ist die Tatsache, dass die häufigste Pilzvergiftung weitgehend unbekannt geblieben ist: Es ist die sogenannte "Unechte Pilz-vergiftung". Der Name mag irritieren – aber auch eine "unechte" Vergiftung ist eine richtige Vergiftung. Sie gilt als "unecht", weil sie nicht von den klassischen Giften des Knollenblätterpilzes oder von rohen Lorcheln kommt, sondern durch essbare Pilze, die verdorben waren. Die Symptomatik erinnert meist an eine Lebensmittelinfektion: Erbrechen, Diarrhoe, Schüttelfrost, Fieber, Kreislaufkollaps. Deshalb wird bei gesundheitlichen Beschwerden nach einem Omelett mit Pfifferlingen oder einem Jäger-schnitzel mit Champis vom Arzt in aller Regel auf Salmonellen aus der Massentierhaltung getippt.
Fachleute gehen in Deutschland von 5.000 bis 10.000 Fällen pro Jahr aus. Pilze sind nun mal leicht-verderblich – sie werden aber nicht mit der gebotenen Sorgfalt behandelt. Ware, die irgendwo im Os-ten Europas gesammelt wurde, braucht manchmal bis zu fünf Wochen bis zum Verbraucher. Auch Ware aus der Champignonzucht wird schon mal vor verpackt und lagert beim Handel nicht immer unter optimalen Bedingungen. Pilzprüfer beklagen seit Jahren hohe Beanstandungsquoten. 30 bis 100 der Prozent der Sammel-Ware sei vergammelt: matschig, verwurmt und verschimmelt – und damit giftig. Besonders unerfreulich: Auch stark verdorbene Ware geht offenbar an spezielle Großabnehmer. Ein Näschen für solche Sonderposten scheinen manche Krankenhäuser zu haben – so die Klage von Sachverständigen. Beim Durchkochen der Pilzmasse verliert sich der verräterische Geruch.
Was verursacht die Vergiftung? In der Fachliteratur ist meist von biogenen Aminen die Rede, also von Stoffen wie Histamin oder Cadaverin, die bei der Zersetzung von Eiweiß entstehen. Doch die Ana-lysen passen nicht dazu. Manche Pilze wie Röhrlinge können in frischem Zustand reichlich biogene Amine enthalten, ohne irgendwelche Beschwerden hervorzurufen. Doch diese Stoffe sind reaktions-freudig, und die Bakterien tragen beim Zersetzen der Pilze das ihre dazu bei. Welche Gifte genau entstehen, ist bis heute unbekannt geblieben. Offenbar sind Gammelpilze kein Thema für die Forschung – und für die Lebensmittelüberwachung. Viele Kommunen haben das Problem auf ihre Weise gelöst. Die Kontrollen durch Pilzsachverständige wurden einfach abgeschafft.
Zumindest hilft uns die Unechte Pilzvergiftung einen alten Verbrauchertipp zu begreifen: Es ist der Ratschlag Pilzgerichte keinesfalls aufzuwärmen. Er stammt aus einer Zeit, als es noch keine Kühl-schränke gab. Wenn da eine Steinpilzsuppe auf dem gusseisernen Herd herumstand, dann setzte in der Wärme alsbald die bakterielle Zersetzung ein. Es ist egal, ob man Speisepilze, wenn sie bereits verdorben sind, zubereitet oder ob das Pilzgericht erst nach dem Kochen vergammelt. Wer einen Kühlschrank hat, kann darin problemlos seine Pilzrahmsoße aufheben und bei Bedarf weiterver-wenden. Das Problem sind heute nicht aufgewärmte Pilzgerichte sondern die Unmengen von Pilzen, die in verdorbenem und damit gesundheitsschädlichem Zustand verkauft werden. Gerade in der Pilz-saison im Herbst ist bei Kauf von Pilzen Zurückhaltung aktiver Verbraucherschutz. Mahlzeit!
Literatur:
-Dixon R: 1000 parasta salaattia. Kustannusosakeyhtiö Moreeni, Vantaa 2008
-Müller G: Verbraucherschutztafeln. Zeitschrift für Mykologie 2004; 70: 227-230
-Schwank U, Schaupt I: Untersuchungen zum Eiweißverderb von Speisepilzen. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, 3.11.2008