Oberflächlich und unreflektiert
In der CDU wird seit einiger Zeit eine Wertedebatte gefordert. Ist das vielleicht nur eine Begriffsverwirrung? Soll das politische Profil der Partei damit geschärft werden oder soll gar die programmatische Grundausrichtung der Partei neu vermessen werden?
Geht es demgemäß wirklich um die Grundwerte der Partei oder eher um eine aktuelle Richtungsdiskussion oder doch nur um die Präzisierung politischer Ziele?
Der Ruf nach der Wertedebatte ist ebenso vielstimmig wie intellektuell oberflächlich und wenig reflektiert. Bei genauerem Hinsehen lassen sich drei Richtungen ausmachen, eine vage konservative, eine radikal marktliberale und eine dezidiert katholisch-konservative. Die drei eint das Leiden an der Wirklichkeit, der Rasanz ihres Wandels und den Irritationen fortlaufender Modernisierungsprozesse. Sie suchen nach Halt, auch nach den Sicherheiten einer idealisierten Adenauer-Ära. Damals kam die CDU noch ohne Grundsatzprogramm aus, aber sie beherrschte die politische Agenda.
Erst in der Opposition hat sie ihr erstes Grundsatzprogramm erarbeitet und 1978 verabschiedet. Schon damals hat sie als ihre Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit definiert und diese auf der Folie ihrer geistigen Strömungen, der christlich-sozialen, der liberalen und der wertkonservativen in den wesentlichen Politikfeldern durchdekliniert. Damals hat die CDU klug erkannt, dass sich aus dem christlichen Glauben kein bestimmtes politisches Programm ableiten lässt, sondern dass es für eine gute, vorausschauende Politik auf die richtige Mischung der Grundwerte ankommt.
Damit hat sie auch ihren Charakter als Volkspartei der Mitte bestimmt, in der es nicht darum gehen kann, politische Theorien oder gar den christlichen Glauben eins zu eins in Politik umzusetzen. Damit können sich nur Klientel-Parteien wie die FDP oder eine katholische Zentrumspartei begnügen. Eine große Volkspartei muss die Kunst der Balancierung, den existenziellen Spagat beherrschen und mehrheitlich akzeptable Lösungen für die Gesamtstaatsführung finden.
Mit dem Ruf nach Werten einer bestimmten Richtung gar wird die Union die Qualität ihrer Politik nicht verbessern können. Ihre Grundwerte sind in ihrem Grundsatzprogramm klar formuliert und ihr christliches Verständnis vom Menschen gibt darüber hinaus starke Orientierung. Entscheidend für die Partei ist das frühzeitige Erkennen und Benennen der Themen, die die Menschen wirklich bewegen, die sie reizen oder neugierig machen. Konrad Adenauer, aber auch Helmut Kohl waren große Pragmatiker.
Ihre historischen Leistungen lagen in ihrem Gespür für die Relevanz großer Themen und für ihre Zeit, auch wenn immer darum gekämpft werden musste, Westbindung, europäische Integration, Rentenreform, Lastenausgleich, soziale Marktwirtschaft und dann die Wiedervereinigung in Freiheit. Die Themen auf der Höhe der Zeit waren es stets, die die Menschen überzeugten, CDU zu wählen, nicht die Werte, die in ihrer grundsätzlichen Richtigkeit immer der Konkretisierung bedürfen und erst dadurch ihren Wert gewinnen können.
Die verquere Wertedebatte in der CDU droht ins politische Nirvana zu führen, wenn sie sich nicht als konkretes Thema entpuppt: zeitgemäße Familienpolitik, Einwanderung und Integration, Energie und Umwelt, alternde Gesellschaft und Innovationskraft, Chancengerechtigkeit und Lust auf Zukunft – große Themen zuhauf. Über sie muss der Kampf muss gewagt, müssen Entscheidungen getroffen werden. Dann kann man auch Zustimmung gewinnen, nicht mit einer larmoyanten Wertedebatte hoch in den Wolken.
Hans-Joachim Veen, geboren 1944 in Straßburg ist ein deutscher Politikwissenschaftler und seit 1994 Honorarprofessor an der Universität Trier. Er studierte Politikwissenschaft, Öffentliches Recht und Geschichte an der Universität Hamburg und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dort promovierte er als wissenschaftlicher Assistent von Wilhelm Hennis.
Er arbeitete viele Jahre als Forschungsdirektor in der Konrad-Adenauer-Stiftung (1983-1999) und machte sich einen Namen als Wahl- und Parteienforscher und in der wissenschaftlichen Politikberatung. Ab 2000 leitete er das Projekt "Demokratie- und Parteienentwicklung in Osteuropa", mit dem die Konrad-Adenauer-Stiftung Parteien in jungen Demokratien fördert. Seit 2002 ist er Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung Ettersberg in Weimar. Die Stiftung ist der vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen im 20. Jahrhundert und ihrer demokratischen Transformation gewidmet.
Außerdem ist er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beratungsgremiums bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) (seit 2008) und moderiert den Geschichtsverbund Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (seit 2009).
Der Ruf nach der Wertedebatte ist ebenso vielstimmig wie intellektuell oberflächlich und wenig reflektiert. Bei genauerem Hinsehen lassen sich drei Richtungen ausmachen, eine vage konservative, eine radikal marktliberale und eine dezidiert katholisch-konservative. Die drei eint das Leiden an der Wirklichkeit, der Rasanz ihres Wandels und den Irritationen fortlaufender Modernisierungsprozesse. Sie suchen nach Halt, auch nach den Sicherheiten einer idealisierten Adenauer-Ära. Damals kam die CDU noch ohne Grundsatzprogramm aus, aber sie beherrschte die politische Agenda.
Erst in der Opposition hat sie ihr erstes Grundsatzprogramm erarbeitet und 1978 verabschiedet. Schon damals hat sie als ihre Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit definiert und diese auf der Folie ihrer geistigen Strömungen, der christlich-sozialen, der liberalen und der wertkonservativen in den wesentlichen Politikfeldern durchdekliniert. Damals hat die CDU klug erkannt, dass sich aus dem christlichen Glauben kein bestimmtes politisches Programm ableiten lässt, sondern dass es für eine gute, vorausschauende Politik auf die richtige Mischung der Grundwerte ankommt.
Damit hat sie auch ihren Charakter als Volkspartei der Mitte bestimmt, in der es nicht darum gehen kann, politische Theorien oder gar den christlichen Glauben eins zu eins in Politik umzusetzen. Damit können sich nur Klientel-Parteien wie die FDP oder eine katholische Zentrumspartei begnügen. Eine große Volkspartei muss die Kunst der Balancierung, den existenziellen Spagat beherrschen und mehrheitlich akzeptable Lösungen für die Gesamtstaatsführung finden.
Mit dem Ruf nach Werten einer bestimmten Richtung gar wird die Union die Qualität ihrer Politik nicht verbessern können. Ihre Grundwerte sind in ihrem Grundsatzprogramm klar formuliert und ihr christliches Verständnis vom Menschen gibt darüber hinaus starke Orientierung. Entscheidend für die Partei ist das frühzeitige Erkennen und Benennen der Themen, die die Menschen wirklich bewegen, die sie reizen oder neugierig machen. Konrad Adenauer, aber auch Helmut Kohl waren große Pragmatiker.
Ihre historischen Leistungen lagen in ihrem Gespür für die Relevanz großer Themen und für ihre Zeit, auch wenn immer darum gekämpft werden musste, Westbindung, europäische Integration, Rentenreform, Lastenausgleich, soziale Marktwirtschaft und dann die Wiedervereinigung in Freiheit. Die Themen auf der Höhe der Zeit waren es stets, die die Menschen überzeugten, CDU zu wählen, nicht die Werte, die in ihrer grundsätzlichen Richtigkeit immer der Konkretisierung bedürfen und erst dadurch ihren Wert gewinnen können.
Die verquere Wertedebatte in der CDU droht ins politische Nirvana zu führen, wenn sie sich nicht als konkretes Thema entpuppt: zeitgemäße Familienpolitik, Einwanderung und Integration, Energie und Umwelt, alternde Gesellschaft und Innovationskraft, Chancengerechtigkeit und Lust auf Zukunft – große Themen zuhauf. Über sie muss der Kampf muss gewagt, müssen Entscheidungen getroffen werden. Dann kann man auch Zustimmung gewinnen, nicht mit einer larmoyanten Wertedebatte hoch in den Wolken.
Hans-Joachim Veen, geboren 1944 in Straßburg ist ein deutscher Politikwissenschaftler und seit 1994 Honorarprofessor an der Universität Trier. Er studierte Politikwissenschaft, Öffentliches Recht und Geschichte an der Universität Hamburg und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dort promovierte er als wissenschaftlicher Assistent von Wilhelm Hennis.
Er arbeitete viele Jahre als Forschungsdirektor in der Konrad-Adenauer-Stiftung (1983-1999) und machte sich einen Namen als Wahl- und Parteienforscher und in der wissenschaftlichen Politikberatung. Ab 2000 leitete er das Projekt "Demokratie- und Parteienentwicklung in Osteuropa", mit dem die Konrad-Adenauer-Stiftung Parteien in jungen Demokratien fördert. Seit 2002 ist er Vorsitzender des Vorstandes der Stiftung Ettersberg in Weimar. Die Stiftung ist der vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen im 20. Jahrhundert und ihrer demokratischen Transformation gewidmet.
Außerdem ist er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beratungsgremiums bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) (seit 2008) und moderiert den Geschichtsverbund Thüringen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (seit 2009).

Hans-Joachim Veen© Carlos Morales-Merino