Oberndorf in Niedersachsen

Wie Gülle ein Dorf vor dem Aussterben bewahrt

Eine Frau fährt am 08.03.2017 mit dem Fahrrad auf einer Landstraße am Ostedeich in den Ort Oberndorf (Niedersachsen).
Oberndorf verdient mit der Ostewert AG Geld für die Dorfschule. © picture alliance / Ingo Wagner/dpa
Von Stephanie Gebert |
Keine Schule, keine Kneipe, kein Laden - Die Bewohner von Oberndorf wollten dem Sterben ihres Dorfes nicht länger tatenlos zusehen. Mit dem erwirtschafteten Geld aus Gülle, Fischzucht und bald auch dem Bananenanbau hauchen sie ihrem Dorf neues Leben ein.
"Links der Fluss, dann dieser sanfte, kleine, grüne Deich mit den weißen Geländern und daneben gleich die Häuserzeilen. Es wirkt halt sehr idyllisch. Man kann schon zwischenzeitlich mal ein bisschen die Welt vergessen."

Barbara Schubert kommt ins Schwärmen, als sie mich durch Oberndorf führt. Der Ort hat rund 1400 Einwohner und liegt direkt am Fluss Oste. Es sind es nur wenige Kilometer bis zum Meer, aber gut 40 Autominuten bis in die nächstgrößere Stadt Cuxhaven. Die freiberufliche Grafikdesignerin und Mutter einer Tochter ist vor elf Jahren hierhergezogen – wegen des guten Rufs der Grundschule. Doch genau diese Schule wurde von der Samtgemeinde – was in Niedersachsen ein Gemeindeverband ist - vor drei Jahren dicht gemacht. Der Grund: zu wenige Kinder im Einzugsbereich. Für Oberndorf ein schwerer Schlag, die Bewohner wehrten sich. Allerdings ohne Erfolg. Aus dem Protest ist eine Bürgerinitiative geworden. Die betreibt jetzt im leerstehenden Schulgebäude für alle Kinder des Dorfes eine kostenlose Betreuung – genannt Kiwitte, wie Barbara Schubert erzählt:
"Die Schule ist eigentlich geschlossen, aber sie ist nicht ganz geschlossen, die Kiwitte lief weiter. Dann mit viel Energie und mit der bewussten Entscheidung, dass wir uns das nicht nehmen lassen."

Bald soll die Grundschule wieder öffnen

Und auch ihre eigene Grundschule wollten die eigensinnigen Oberndorfer wiederhaben. Inzwischen ist das Projekt auf einem guten Weg: Für dieses Jahr ist die Neueröffnung in freier Trägerschaft geplant. Noch laufen die Bewerbungsverfahren für das Lehrerkollegium. Außerdem betreiben die Oberndorfer eine eigene Bar mit Kulturbetrieb – mitten im Ort. Die "Kombüse" ist eine liebevoll gestaltete Kneipe in maritimem Stil. Hier stellen Künstler aus der Gegend ihre Bilder aus. Barbara Schubert führt stolz durch die Räumlichkeiten. Zu Beginn hat sie selbst ehrenamtlich hinter der Theke gestanden. Inzwischen arbeiten mehrere Angestellt hier. Die reisen teilweise auch aus den Nachbarorten an – genauso wie die Gäste der Kneipe.
"Wir haben relativ schnell angefangen, Kulturveranstaltungen zu machen, weil es einfach klar war, dass wir uns einerseits abheben müssen. Aber das auch natürlich was war, was dem eigenen Bedürfnis auch entsprach. Also wir haben angefangen Konzerte zu buchen, auch mal ein kleines Theater und hatten schon echt tolle Künstler da – Wenzel, Fee Badenius. Also Leute, die sonst nicht immer in der Provinz zu finden sind."
Bert Frisch (l) und Nils Uhtenwoldt stehen am 08.03.2017 als Vertreter der Ostewert AG in Oberndorf an der Oste (Niedersachsen) vor ihrem realisierten Projekt einer Güllebiosgasanlage mit angegliederter Fischzucht.
Bert Frisch (l) und Nils Uhtenwoldt stehen als Vertreter der Ostewert AG in Oberndorf an der Oste (Niedersachsen) vor ihrem realisierten Projekt einer Güllebiosgasanlage mit angegliederter Fischzucht. © picture alliance / Ingo Wagner/dpa
Und das alles, weil die Oberndorfer nicht mehr auf Unterstützung aus der Samtgemeinde warten, sondern genügend Geld als Aktionäre sammeln und zwar in der dorfeigenen Ostewert AG. Die produziert Energie in einer Biogasanlage, die nicht wie üblich mit Mais oder Raps betrieben wird, sondern mit Gülle. Die Anlage liegt etwas außerhalb des Dorfes und deshalb fährt mich Bert Frisch mit seinem Jeep dorthin. Frisch ist als Rentner nach Oberndorf gezogen. In der Abgeschiedenheit wollte er eigentlich mit Frau und Enkeln den Ruhestand genießen. Aber daraus wurde nichts. Frisch ist jetzt begeisterter Aktionär und Pressesprecher der Aktiengesellschaft. Der hochgewachsene Mann in praktischer Fleece-Weste und mit schwarzer Baseball-Kappe auf dem Kopf deutet auf zwei große, runde Gasspeicher mit aufgeblähtem, moosgrünem Dach.

Ein Dorf wird zur AG

"Das sind diese beiden Busen, die wenn sie so strammbusig sind, wie jetzt, dann sind die voller Methan."
Wir schauen uns die Anlage aus der Nähe an und sofort steigt mir der beißende Geruch von Gülle in die Nase. Die wird von Landwirten aus der Umgebung angeliefert. Auch das gehört zum Konzept: Die Bauern sind teilweise selbst Aktionäre der Ostewert AG. Im Hintergrund hören wir einen Motor summen. Frisch erklärt, dass dieses Brummen anzeigt, dass der Jauchecocktail in den Becken der Anlage gerade ordentlich verquirlt wird:
"Die Energie, die hier entsteht, Methan hauptsächlich, ist ein Gas, das wird über eine Leitung in diesen grünen Container gefahren."
"Also, ein relativ kleiner Container, der direkt neben den zwei Biogasanlagen steht?"
"Jaha, so ungefähr ein 20-Fuß-Container. Und darin steht ein Generator. Ein großer Benzin-Motor wird mit Gas gefüttert und erzeugt Strom, indem er ein Generator antreibt. Das sind 75 Kilowatt, die der als Leistung hat. Diesen elektrischen Strom speisen wir ins Netz und bekommen dafür vom E-Werk Geld. Dafür müssen wir ein bisschen weniger Atomkraft haben."
Als Vertreter der Ostewert AG halten Bert Frisch (l) und Nils Uhtenwoldt in ihrer Fischzucht in Oberndorf an der Oste (Niedersachsen) einen der Welse im Kescher.
Als Vertreter der Ostewert AG halten Bert Frisch (l) und Nils Uhtenwoldt in ihrer Fischzucht in Oberndorf an der Oste (Niedersachsen) einen der Welse im Kescher. © picture alliance / Ingo Wagner/dpa
Das clevere Konzept zur Biogasanlage in Oberndorf ist gemeinsam mit einer Beraterfirma aus Berlin entwickelt worden. Bert Frischs Augen leuchten, als er von der kompletten Verwertungskette erzählt. Denn auch die Wärme des Motors wird genutzt. Sie wird in eine große Halle geleitet, die ebenfalls auf dem Gelände steht. Und hier versteckt sich die zweite Geldquelle des Ortes. Denn in der Halle befinden sich 14 Becken mit afrikanischen Welsen. Die Fische gelten als besonders robust. Nach einem halben Jahr Zucht können sie zu Filets oder auch kleinen Frikadellen verarbeitet werden, schwärmt Rentner Frisch:
"Wir machen Welsböller. Welsböller sind die weltgrößte Erfindung von Oberndorf überhaupt. Sind so große Böllerchen, die kennen Sie sicherlich aus schwedischen Möbelhäusern. Hier sind sie also aus Fisch. 85 Prozent Fisch, bisschen Kartoffel, bisschen Ei, frische Petersilie, Pfeffer und Salz. Keine Panade und nur lecker!"

32 Arbeitsplätze entstanden

Verkauft werden die Fischprodukte an nahegelegene Schulkantinen, Restaurants und Privatleute. Der Gewinn der kleinen Fabrik fließt dann als soziale Rendite direkt in die Projekte des Dorfes. Mehr als 32 Arbeitsplätze sind so bis heute entstanden. Darauf sind die Oberndorfer besonders stolz, auch wenn die deutsche Bürokratie ihnen oft genug Steine in den Weg gelegt hat – vor allem beim Zwei-Millionen-Bau von Biogasanlage und Fischzucht:
"Wir haben natürlich manches Mal geflucht. Wir brauchten 13 Genehmigungen, um dieses hier zu betreiben und bauen zu können. Das war schon ein dorniger Weg, das muss ich wirklich sagen. Es ist Lebensmittel, es ist Landwirtschaft, es ist Abwasser, es ist Bau. Es sind Genehmigungen, von denen man noch nie gehört hat. Aber wir sind natürlich auch Amateure und sind an so etwas nicht so gewöhnt."
Barbara Schubert nickt zustimmen. Ihr graut vor den nächsten Monaten, wenn sie wieder viele Formulare ausfüllen und Genehmigungen einholen muss, weil die Grundschule in Betrieb gehen soll. Wie in den vergangenen Jahren wird das für sie und alle anderen Unterstützer erneut bedeuten: viel Arbeit, wenig Freizeit. Dieses ehrenamtliche Engagement wird zu wenig gewürdigt, kritisiert die Grafikdesignerin. Sie würde sich von der Kommunal- und Landespolitik mehr Unterstützung wünschen:
"Also es ist so ein Spagat: Dass wir es selber machen können was wir wollen, heißt auch, wir können entscheiden, wie wir es machen und wie zum Beispiel die Schule aussehen soll. Wir sind hier und wir machen das, weil die Politik diese Dörfer aufgegeben hat. Und wir wollen aber hier leben und wollen weiter viel Lebensqualität haben. Und das ist ein Lösungsansatz für ganz viele Probleme in der Republik, und ich finde, das sollte man aber hallo unterstützen."

Bananen von der Nordsee

Trotz aller Kritik will die Oberndorfer Bürgerinitiative nicht nur weitermachen mit Stromerzeugung und Fischzucht, sondern noch höher hinaus. Der Plan: Die Aktiengesellschaft soll in naher Zukunft Bananen anbauen, die weiteres Geld einbringen. Auch das würde in den Verwertungskreislauf passen, erklärt Rentner Bert Frisch:
"Die Banen sind ein typisches Beispiel dafür, dass wir träumen und Träume realisieren. Ob wir das hinkriegen, dass wir hier eines Tages eine Bananenplantage habe, weiß ich noch nicht genau. Die Welse, sie heißen ja schon afrikanische Welse, die brauchen es also kuschelig. Die brauchen 28 Grad warmes Wasser. Entsprechend ist die ganze Halle natürlich auch 28 Grad warm. Und das wäre die richtige Temperatur für die Bananenbäume."
"Das wäre schon schick, Bananen von der Nordsee?"
"Ja, total. Wir würden die besten Gourmetbananen der Welt, pilzfrei und ohne Transport aus Oberndorf direkt in die Hände der Schulkinder... Wunderbar. Ich träum davon."
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