Oberschwabe mit ostpreußischem Migrationshintergrund
Joschka Fischer war 1985 in Hessen der erste grüne Landesminister, Winfried Kretschmann wird 26 Jahre später in Baden-Württemberg der erste grüne Ministerpräsident eines Bundeslandes sein. Kenntnisreich zeichnen die beiden Autoren die wichtigsten Stationen seiner Karriere nach.
Pünktlich zur Wahl des ersten grünen Ministerpräsidenten erscheint – nein, keine Biographie. Für Winfried Kretschmanns bewegte 62 Lebensjahre wären 160 Seiten auch bei weitem zu knapp. Peter Henkel und Johanna Henkel-Waidhofer nennen ihr Buch "Das Porträt", was natürlich nur halb bescheiden ist. Geschrieben haben sie es im April, denn erst am 27. März war klar, dass Baden-Württemberg nach 60 Jahren kein CDU-Erbhof mehr sein will und einer Regierung eine Chance gibt, in der die Rollen von Grün und Rot zum ersten Mal umgekehrt verteilt sind. Im Verlagswesen heißt so etwas "Schnellschuss" und geht nicht selten nach hinten los. In diesem Fall geht es allerdings gut.
Die Fülle von Details, die zeitlichen und (lokal-)politischen Bögen, die gesammelten Stimmen von "Freund & Feind", die Strukturierung des reichhaltigen Stoffs belegen: Die beiden Autoren beackern ihr Terrain seit langem und gründlich. Das ist kein Zufall, beide berichten seit Jahrzehnten für überregionale Zeitungen aus "Deutsch-Südwest". Die Ernte ist eine flott geschriebene Riesen-Reportage über einen erstaunlichen Politiker und dessen etwa 30 Jahre dauernden Weg zur Gestaltungsmacht. Dass die beiden schreiben können und spürbar Lust daran haben, entschädigt locker für die – dem Blitz-Charakter geschuldeten – Stellen, die ein bisschen nach akribischem Dossier und Zettelkastenprosa klingen. Und verhilft, nebenbei, schönen vergessenen Wörtern wie "spornstreichs" zum Auftritt.
Wer ist dieser "Kretsch", wie ihn seine Umgebung nennt, den bis vor kurzem selbst im Ländle kaum jemand kannte? Ein Oberschwabe mit ostpreußischem Migrationshintergrund. Und ein Mann der vielen Ks: Als klug, aber knorrig gilt er; katholisch und konservativ ist er; kommunistisch war er mal kurz. Ein Kämpfer, der Politik nach dem Prinzip "Kooperation statt Konfrontation" betreibt, aber auch – noch ein "K", wenn man so will – cholerisch streiten kann. Einer, dem "Katastrophismus" ein Graus ist. Was er nicht ist: Pazifist, Feminist, links. So einer gründet 1980 die grüne Bundespartei mit und wird deren erster Regierungschef?
Wenn man genauer hinsieht – und das tun die Autoren schon lange –, entdeckt man, dass der bekennende Katholik zwar problemlos erklärt, wo er "nahe bei meinem Papst" ist, aber in Sachen Homosexualität stur über Kreuz mit der Kirche liegt. Konservativ ist er, wenn man das Wörtchen "wert" davor setzt, das ergibt sich logisch aus seiner Liebe zur Natur. Und was die maoistische Sektenerfahrung 1973-75 angeht: Die teilt er mit manchem angesehenen Bundespolitiker. Seine "kommunistische Verirrung" endet pragmatisch: Seine Frau Gerlinde ist schwanger, Schluss mit Studentenulk. Nützlich war sie trotzdem: Er ist seitdem allergisch gegen Demokratieverachtung, und sein Beharren auf Transparenz und Bürgerbeteiligung rührt vermutlich auch daher.
Ein prinzipienfester, wenn auch leider ironieresistenter Mensch also, kein Charismatiker, kein Überflieger, bespöttelt als bieder, provinziell. Man kann aus Löschpapier keine Funken schlagen, heißt es. Aber womöglich Gegengift gegen grassierende Politikerverdrossenheit gewinnen?
Besprochen von Pieke Biermann
Peter Henkel und Johanna Henkel-Waidhofer: Winfried Kretschmann. Das Porträt
Verlag Herder, Freiburg 2011
160 Seiten, 14,95 Euro
Die Fülle von Details, die zeitlichen und (lokal-)politischen Bögen, die gesammelten Stimmen von "Freund & Feind", die Strukturierung des reichhaltigen Stoffs belegen: Die beiden Autoren beackern ihr Terrain seit langem und gründlich. Das ist kein Zufall, beide berichten seit Jahrzehnten für überregionale Zeitungen aus "Deutsch-Südwest". Die Ernte ist eine flott geschriebene Riesen-Reportage über einen erstaunlichen Politiker und dessen etwa 30 Jahre dauernden Weg zur Gestaltungsmacht. Dass die beiden schreiben können und spürbar Lust daran haben, entschädigt locker für die – dem Blitz-Charakter geschuldeten – Stellen, die ein bisschen nach akribischem Dossier und Zettelkastenprosa klingen. Und verhilft, nebenbei, schönen vergessenen Wörtern wie "spornstreichs" zum Auftritt.
Wer ist dieser "Kretsch", wie ihn seine Umgebung nennt, den bis vor kurzem selbst im Ländle kaum jemand kannte? Ein Oberschwabe mit ostpreußischem Migrationshintergrund. Und ein Mann der vielen Ks: Als klug, aber knorrig gilt er; katholisch und konservativ ist er; kommunistisch war er mal kurz. Ein Kämpfer, der Politik nach dem Prinzip "Kooperation statt Konfrontation" betreibt, aber auch – noch ein "K", wenn man so will – cholerisch streiten kann. Einer, dem "Katastrophismus" ein Graus ist. Was er nicht ist: Pazifist, Feminist, links. So einer gründet 1980 die grüne Bundespartei mit und wird deren erster Regierungschef?
Wenn man genauer hinsieht – und das tun die Autoren schon lange –, entdeckt man, dass der bekennende Katholik zwar problemlos erklärt, wo er "nahe bei meinem Papst" ist, aber in Sachen Homosexualität stur über Kreuz mit der Kirche liegt. Konservativ ist er, wenn man das Wörtchen "wert" davor setzt, das ergibt sich logisch aus seiner Liebe zur Natur. Und was die maoistische Sektenerfahrung 1973-75 angeht: Die teilt er mit manchem angesehenen Bundespolitiker. Seine "kommunistische Verirrung" endet pragmatisch: Seine Frau Gerlinde ist schwanger, Schluss mit Studentenulk. Nützlich war sie trotzdem: Er ist seitdem allergisch gegen Demokratieverachtung, und sein Beharren auf Transparenz und Bürgerbeteiligung rührt vermutlich auch daher.
Ein prinzipienfester, wenn auch leider ironieresistenter Mensch also, kein Charismatiker, kein Überflieger, bespöttelt als bieder, provinziell. Man kann aus Löschpapier keine Funken schlagen, heißt es. Aber womöglich Gegengift gegen grassierende Politikerverdrossenheit gewinnen?
Besprochen von Pieke Biermann
Peter Henkel und Johanna Henkel-Waidhofer: Winfried Kretschmann. Das Porträt
Verlag Herder, Freiburg 2011
160 Seiten, 14,95 Euro