Kirche statt Weltbühne
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Albrecht Mayer ist ein Megastar der klassischen Musik. Trotzdem spielt er seine Oboe am liebsten in Kirchen – zur Freude seiner Heimatgemeinde in Berlin-Nikolassee. Dort tritt er zwischen seinen Konzertreisen ab und zu auf.
Mit ihrem auffälligen schiefergedeckten Spitzdach ist die Kirche schon von außen etwas Besonderes. Mit viel Holz und ihrer tonnengewölbten Kassettendecke auch von innen: die Kirche Nikolassee.
"Eine wunderbar verspielte Kirche, mit Zitaten aus verschiedenen Bauepochen. Ein bisschen eklektisch, aber durchaus mit viel Geschmack. Von Blunck, dem Baumeister, 1911 gebaut", erklärt Pfarrer Steffen Reiche.
Wenn er von der Kirche erzählt und von der Musik, die hier stattfindet, ist er in seinem Element: "Viele Musiker der Berliner Symphoniker, der Berliner Philharmoniker, des Deutschen Symphonieorchesters und anderer großer Orchester wohnen hier in Nikolassee." Und sind Mitglieder der Gemeinde.
Gefeierter Star auf den Bühnen der Welt
Einer von ihnen ist Albrecht Mayer. Der 1965 in Erlangen geborene Musiker ist der Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker und ein gefeierter Star auf den Bühnen der Welt. Schon als Kind war die Musik für ihn mehr als Unterhaltung. Sie erst habe ihn zu einem glücklichen Kind gemacht, sagt er. Mit zwölf spielte er sein erstes Oboenkonzert. In einer Kirche. Die Verbindung ist geblieben.
Längst hat der Wahl-Berliner seine private und kirchliche Heimat in Nikolassee gefunden: "Meine Schwiegereltern haben hier in dieser Kirche geheiratet, vor ungefähr 50 Jahren. Dann wurde meine Frau hier getauft und konfirmiert. Dann habe ich meine Frau hier geheiratet. Dann wurde meine Tochter hier getauft. So ist der Weg, der Lauf der Dinge mit dieser wunderschönen Kirche hier."
Benefizkonzerte in der kleinen Kirche
Wenn Mayer von seinen Konzertreisen nach Hause kommt, spielt er gelegentlich Benefizkonzerte in der kleinen Kirche. Zur Freude der Gemeinde und ihres Pfarrers: "Wenn er spielt, dann wird es spirituell, die Nachdenklichkeit, die Gelassenheit, die Ruhe, mit der er spielt, haben für mich immer was Sakrales." Der vertraute und schöne Ort korrespondiere mit der Musik.
"Dann kann ich die Augen schließen und spüre, dass die Musik zwar aus unseren Sphären stammt, aber andere Sphären berührt."
Während des Interviews ist das Kunstlicht aus, Sonnenstrahlen fallen durch die Fenster ins Kirchenschiff. Der Blick fällt fast automatisch auf ein Glasmosaik:
"Ganz am Ende, also oberhalb vom Altar, sehen wir dieses Oberlicht mit dem Erlöser am Kreuz, die beiden Trauernden rechts und links. Das ist wunderschön, wie ein Zeichen des Himmels. Und ansonsten ist der Altarraum eigentlich sehr, sehr dunkel gehalten. Es ist ein sehr schönes Signal, ein sehr schönes Symbol für die Gläubigen."
Die Musik, die Mayer spielt, wurde größtenteils für Kirchenräume geschrieben. Konzertsäle, wie wir sie heute kennen, gab es im 18. Jahrhundert nicht. Aufführungen fanden in kleinerem Rahmen statt. "Entweder war es in einem Salon, in einem Schloss oder in einem reichen Bürgerhaus oder es war eben in einer Kirche", sagt Mayer.
Der Hall als Feedback für den Musiker
"Ich spiele leidenschaftlich gern in Kirchen und freue mich immer, in einen spirituellen Rahmen zu kommen. Der Konzertsaal bietet das ja normalerweise nicht. Es ist vor allem die Resonanz, die ich da wiederfinde, die es mir viel leichter macht, zu mir selbst zu finden und zu meinem Klang und mich dadurch viel aktiver zu verströmen, weil ich ja direkten Kontakt zu dieser Resonanz habe, die ich auslöse. Und die Spiritualität nimmt mich im besten Falle mit, die trägt mich vielleicht auf ihren Schwingen etwas höher als normalerweise."
Es ist der Hall in der Kirche, der diese besondere Akustik in einem Gotteshaus ausmacht. Er gibt dem Musiker ein spezielles Feedback. So wird das Spiel immer auch eine Art von Zwiegespräch mit sich selbst:
"Wir sind normalerweise gerade als Oboisten darauf angewiesen, Resonanz zu haben, also einen Hallraum zu haben. Insofern fühlen wir uns mit unserem Instrument tatsächlich am wohlsten in einer Kirche. Wenn etwas ans eigene Ohr zurückkommt, also ein Nachhall, dann hören wir uns viel besser als normalerweise, wenn der Ton einfach nur raus- und weggeht von uns."
Schönheit und musikalische Intelligenz
Einer seiner Orchesterkollegen wird in einem Zeitungsartikel mit dem Satz zitiert, Albrecht Mayer würde "auf unnachahmliche Weise Tonschönheit und musikalische Intelligenz zur Synthese bringen". In der Kirche Nikolassee schafft der Weltstar die Synthese von öffentlich und privat, wenn er seine Oboe auch für ein kleines Publikum singen lässt.
"Der heilige Augustinus im vierten Jahrhundert hat mal gesagt: Wer singt, betet doppelt", erzählt Pfarrer Reiche. Und Mayer ergänzt: "Wie in der Bibel schon steht, wenn zwei oder drei Leute in meinem Namen versammelt sind, Punkt, Punkt, Punkt. Und da ist es auch so. Das spielt keine Rolle. Man spielt ja für die anderen Menschen, ob das nur zwei sind oder 2000, macht keinen Unterschied. Wenn wir es schaffen, andere Menschen glücklich zu machen mit unserer Musik, werden wir selber glücklich dadurch. Wir bewegen uns im Zentrum unseres Universums mit unserer Musik."