Martin Ahrends, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit" und seit 1996 freier Autor und Publizist.
Die Stadt gehört den Menschen
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Krach, Dreck und ein wucherndes Konsumangebot: Für den Publizisten Martin Ahrends ist der Potsdamer Hauptbahnhof ein Beispiel für die Zerstörung des öffentlichen Raums.
Der Potsdamer Hauptbahnhof hat drei Ausgänge: einen nach Süd, zu einer lauten Straße hin, einen nach West, zu einer anderen lauten Straße hin und einen nach Nord, da ist es still. Man steht vor einem Bauzaun. Von hier aus käme man zu Fuß oder mit dem Rad direkt zur Innenstadt, wenn es denn einen gangbaren Weg gäbe. In dieser Richtung würde man durchaus reizvoll unter hohen Bäumen erst, dann zwischen den kunstvollen Rabatten des Potsdamer "Gartenphilosophen" Karl Förster über zwei autofreie Havelbrücken in einer Viertelstunde Fußweg die historische Innenstadt erreichen. Da es diesen direkten Weg nicht gibt, müssen Fußgänger und Radfahrer zusehen, wie sie an einer der großen Autostraßen weiterkommen.
Bahnhöfe sind Repräsentanten einer lokalen Willkommenskultur. Sie tun gut daran, in aller Bescheidenheit auf all das neugierig zu machen, was außerhalb ihrer Mauern sich an Sehenswertem eröffnet. Dieser Bahnhof aber tut so, als wäre er kein Durchgangsort, sondern das Ziel aller Wünsche. Hier, sagt der Bahnhof, gibt es einfach alles: einen Riesen-Supermarkt, ein Riesenkino, Fast-Food-Restaurants, allerlei Plunderläden, panisch werbend, weil von chronischem Leerstand bedroht.
Ein klebriger Ort der Wegelagerei
Hier wollen oder müssen Menschen aus- und umsteigen, doch statt ihnen diesen Durchgang angenehm zu machen, versucht man, ihre Anwesenheit schamlos auszunutzen. Sie haben eigentlich anderes vor, doch man versucht, sie umzustimmen, sie abzulenken und zum Bleiben zu verführen.
Ein klebriger Ort ist dieser Bahnhof, wenngleich die Flecken von Speiseeis und Currywurst immer wieder penibel entfernt werden. Hat man die grinsende Üppigkeit glücklich hinter sich gelassen, wird man ausgespuckt in ein autofreundliches Draußen, das stinkt und lärmt, statt dem Gast die Arme zu öffnen.
Es gab viel Protest, bevor der Bahnhofsneubau so beschlossen wurde. Statt der kommerziellen Wucherung hätte man sich auch für eine vergleichsweise marginale Investition in die angenehm fußläufige Verbindung zur Innenstadt entscheiden können. Die Würfel sind hinter verschlossenen Türen gefallen. Nun wirkt diese Dummheit Jahr um Jahr in die Zukunft hinein: das antiquierte Bild plärrender Überversorgung, ein öffentlicher Raum, der Passanten und Reisende zur Beute der Verkäufer machen will. Eine Art Wegelagerei.
Der öffentliche Raum ist etwas Kostbares
Dabei ist der öffentliche Raum so wertvoll für die kollektive Selbstvergewisserung. Es hat einen Wert, wenn Menschen sich öffentlich als solche wahrnehmen. Nicht als Verdauungsorgan des Wirtschaftskörpers. Sondern als ein Selbstzweck. Das könnten sie zum Beispiel auf dem Fußweg durch die Anlagen der Freundschaftsinsel, an Orten, die einzig und allein dafür geschaffen sind, um hier in eine Art Spiegel zu schauen. Kostenlos. Ohne kommerziellen Hintergedanken. Hier könnte man sich auf dem täglichen Weg zur Arbeit ganz anders wahrnehmen als im Stress des Straßenverkehrs oder in der sinnen-saugenden Bahnstation.
Auf der Freundschaftsinsel überdauern einige dieser relativ simplen, vielleicht naiven Bildwerke, die aus DDR-Zeiten stehen geblieben sind, weil noch niemand Anstoß an ihnen genommen hat. Zu meinen DDR-Prägungen gehört das gebrochene Wohlgefallen, das ich an ihnen hab. Gebrochen, weil sie ja auch eine Art Werbung waren für die einzig wahre Ideologie. Wohlgefallen, weil die spielenden Kinder und glücklichen Eltern aus Bronze doch immerhin einen Hinweis darauf geben, dass der öffentliche Raum etwas Kostbares ist und auch zu anderem taugt, als darin die nächste Würstchenbude aufzustellen.