Öko-Verband fordert Systemwandel in der Landwirtschaft
Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft hat sich für neue politische Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft und einen Ausstieg aus der Massentierhaltung ausgesprochen. Notwendig sei ein grundlegender Systemwandel, sagte der Vorsitzende Felix Prinz zu Löwenstein.
Katrin Heise: Im "Radiofeuilleton" geht es in dieser Woche um das Thema Fleisch essen. Die Deutschen im Allgemeinen essen gern Fleisch – 1980 zum Beispiel hat der durchschnittliche Deutsche noch 30 Kilogramm Fleisch und Wurst pro Jahr gegessen, 2009 dagegen waren es dann rund 88 Kilogramm, und das trotz der dazwischen liegenden BSE-Krise. Wie sich der momentane Dioxin-Skandal auf das Essverhalten auswirkt, ob jetzt kurzfristig oder auch vielleicht langfristig der Speisezettel noch umgestellt wird, das werden wir noch sehen. Die Appelle "Weg mit der Massentierhaltung" jedenfalls, die haben Konjunktur. Am Samstag wird in Berlin unter dem Motto "Wir haben es statt" dagegen demonstriert. Die Frage, die sich stellt, ob ein totaler Ausstieg aus der Massentierhaltung tatsächlich denkbar und auch durchführbar ist, die stellte ich vor dieser Sendung Felix Prinz zu Löwenstein. Er ist selber Ökobauer und Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft und weiß daher, was es für einen Hof bedeutet, von konventioneller auf ökologische Tierhaltung umzusteigen.
Felix Prinz zu Löwenstein: Im Bereich Tierhaltung bedeutet das eine sehr starke Umstellung in aller Regel, weil sich konventionelle Haltungsverfahren von Biohaltungsverfahren sehr stark unterscheiden. Am geringsten ist das in der Milchviehhaltung der Fall. Also wenn ich dort einen Boxenlaufstall habe, in dem meine Kühe sich frei bewegen – das ist der Standard heute –, dann kann ich eigentlich unter der Voraussetzung, dass ich auch den Auslauf garantieren kann, recht schnell umstellen. Wenn ich aber in einen Vollspaltenbodenstall mit Schweinemast investiert habe oder in eine Käfighühneranlage oder solche Verfahren, dann ist eine Umstellung fast gar nicht möglich.
Heise: Warum nicht? Baulicherseits oder…
Löwenstein: Baulicherseits, weil ich muss ja dann hinterher einen Stall haben, der den Anforderungen der ökologischen Landwirtschaft entspricht. Und wenn ich jetzt das Pech habe – und in der Situation sind sehr viele –, dass ich Mordskredite aufgenommen habe, um so einen Intensivhaltungsstall zu bauen, dann muss ich auf Gedeih und Verderb weitermachen, bis die Bank ihr Geld zurück hat, und dann kann ich erst drüber nachdenken, dass ich etwas anderes mache.
Heise: Das heißt, mit solchen Problematiken haben Sie auch momentan gerade zu tun, also dass eigentlich Landwirte sagen, ich würde eigentlich schon gern umstellen?
Löwenstein: Ich kenne ganz konkret einen Fall in meiner Nachbarschaft, der genau vor dieser Situation steht, dadurch gehört das in meinen eigenen Erfahrungsbereich. Darüber hinaus haben wir bei uns in den Ökolandbau-Verbänden Berater, deren Aufgabe es auch ist, Interessenten, die gerne umstellen würden, dabei zu helfen, sich anzuschauen, wie ist ihre Situation, was geht bei ihnen. Aber diese extremen Fälle sind ja nicht alles, was ich gerade beschrieben habe. Es gibt ja sehr viele Fälle, wo es durchaus geht, und wir kriegen ja zunehmend Anfragen von Bauern, die wissen wollen, was können wir machen.
Heise: Sie haben jetzt schon auf den einzelnen Hof beschrieben, die großen Schwierigkeiten, also vor allem finanzieller Natur, geschildert, die so einen Umstieg schwierig bis unmöglich machen. Wenn man jetzt sich tatsächlich überlegt, diese vielen Aufrufe, weg von der Massentierhaltung, hin zur ökologischen Landwirtschaft und Tierhaltung, wenn man dann da weiterdenkt, ist denn so ein Ausstieg aus der Massentierhaltung im großen Stil, also deutschlandweit, überhaupt machbar?
Löwenstein: Sie haben ja schon selber die Zahlen genannt, was den Verbrauch von Fleisch betrifft. Es ist ganz sicher nicht denkbar, dass wir aus diesem System aussteigen, wenn wir dabei bleiben, uns so zu ernähren, wie wir das tun. Aber es ist ja nicht so, als ob es einen Verzicht bedeuten würde, zu einer vernünftigen Ernährung zu kommen. Es ist ja ein Aufstieg an Qualität, der dann stattfindet, wenn wir nicht so viel Fleisch und dafür sehr viel Besseres essen. Und insofern würden wir bei einem völligen Ausstieg aus der Massentierhaltung natürlich nicht bei 88 Kilo Fleisch pro Nase und Jahr bleiben. Aber wenn Sie Ernährungswissenschaftler fragen, dann sagen die, runter damit. Das ist der eine Punkt.
Und der zweite Punkt ist der: Wir trimmen ja unsere intensive Massentierhaltung auch auf Export. Wir sind bei Schweinen 20 Prozent über der Eigenversorgung, wir sind bei den anderen Fleischsorten auch über der Eigenversorgung. Und was da noch dazukommt: Das Ganze geht ja nur, weil wir in großem Maß Futtermittel aus Ländern der Dritten Welt importieren – das ist ja ein völlig abartiges System.
Heise: Sie haben jetzt die beiden Bereiche, nämlich die Verbraucher angesprochen, wo sich was verändern muss, aber eben auch noch mal bei den Produzenten, also bei den Landwirten, was sich da verändern muss, weil wir eben auch für den Export … Da würde ich gern noch einen Moment bleiben. Wenn wir uns angucken eben, was ein Bauer, was auf die Landwirtschaft eigentlich zukommen müsste: Eine andere Tierhaltung bedeutet ja auch eine andere Nutzung der Landfläche, nehme ich mal an, also da konkurrieren doch dann ganz schnell die Weideflächen mit der benötigten Fläche für den Ackerbau. Ist das ein Problem oder würde das ein Problem werden bei Abschaffung der Massentierhaltung?
Löwenstein: Nein. Also bis auf wenige Ausnahmen sind ja Weideflächen Flächen, auf denen aus gutem Grund Grünland ist, weil es eben dort nicht zu ackern geht. Diese Flächen müssen vernünftig genutzt werden, und dort kann man Wiederkäuer sehr gut ernähren. Und eines der Probleme ist, dass wir Wiederkäuer mit Getreide vollstopfen, was eigentlich physiologisch gar nicht zu ihnen passt und dann da wiederum zu Krankheitsproblemen führt und, und, und. Will sagen, es gibt die Flächen, die dafür da sind, dass wir dort Fleisch und Milch erzeugen, und das sollten wir auch nutzen, aber wir dürfen nicht in dem Maß Flächen, wo Nahrung für den Menschen direkt ranwachsen kann, dafür nehmen, um Tiere zu ernähren, weil sonst kriegen wir dieses Welternährungsproblem ganz sicher nicht in den Griff.
Heise: Ich wollte gerade auf den internationalen Aspekt kommen, denn das mag vielleicht in Deutschland nicht unbedingt ein Problem sein, aber in anderen Gegenden der Welt schon.
Löwenstein: Wenn Sie den Fleischkonsum der Chinesen, um den mal zu nehmen – das ist deutlich weniger als bei uns, aber immerhin glaube ich auch knappe 50 Kilo –, hochrechnen auf die derzeitige Weltbevölkerung, dann bräuchten Sie, um all diese Tiere zu mästen, die komplette heutige Getreideproduktion, und da hätte noch kein Vegetarier ein Müsli gegessen. Das alleine zeigt, dass das überhaupt nicht möglich ist. Das heißt, wenn wir auf die gesamte Welt und auf die Zukunft denken, dann ist es völlig ausgeschlossen, dass wir diese Art von Ernährung, die wir betreiben, und die Art von Landwirtschaft, die wir betreiben, fortsetzen.
Heise: Felix Prinz zu Löwenstein ist Ökobauer und Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Im Deutschlandradio Kultur sprechen wir über die Abkehr von Massentierhaltung und mögliche Folgen. Im Moment, Herr Löwenstein, ist ja die Rede davon, dass die aktuelle Nachfrage nach Bio-Eiern kaum zu befriedigen ist. Wie sieht denn das eben jetzt generell aus, glauben Sie, dass eine gesteigerte Nachfrage nach ökologisch produziertem Fleisch möglich ist?
Löwenstein: Na ja, wir müssen ja da in längeren Zeiträumen rechnen. Die Hühner, die heute in Bioställen stehen, legen nicht mehr Eier morgen als gestern, als der Dioxin-Skandal noch nicht war. Andererseits gehen Bio-Eier auch deswegen nicht aus, weil ja jeden Tag wieder Bio-Eier gelegt werden. Es könnte nur sein, dass es im Laden ein bisschen früher als sonst halt im Regal keine mehr gibt. Die Ausweitung der Produktion kann nur sehr langsam vor sich gehen und kann nicht in den Rhythmen von solchen Skandalen stattfinden.
Heise: Das heißt, Sie plädieren auch nicht dafür, dann zu importieren, also Bioprodukte zu importieren, weil da die Ökobilanz ja dann auch wieder nicht stimmen kann?
Löwenstein: Nein, abgesehen davon, das, was heute hier nicht erzeugt werden kann, wird ja schon importiert, und im Ausland ist die Situation nicht anders. Im Übrigen steigt auch die Nachfrage nach Bioprodukten in Italien oder Frankreich, und das ist ja auch sehr gut, dass das so ist.
Heise: Kommen wir dann jetzt doch mal zu dem Mentalitätswechsel, der beim Verbraucher notwendig ist. Wie kann der oder wie wird der geschehen Ihrer Meinung nach?
Löwenstein: Ja, es gibt zwei Seiten, von denen das kommen kann: Das eine ist die Bewusstseinsänderung bei den Menschen, und die beobachten wir, die hat zu tun mit Skandalen, aber die hat auch zu tun damit, dass die Menschen wahrnehmen, wie die Welt sich entwickelt und welche Probleme die Globalisierung mit sich bringt, all diese Dinge.
Heise: Aber wenn es sich an Skandalen orientiert, dann ist das ja eine Konjunktur, die auf und ab geht, und übermorgen denken wir schon gar nicht mehr dran.
Löwenstein: Ja, also all diese Schübe haben in der Vergangenheit auch noch ein bisschen Wachstum dann wieder übrig gelassen, also es ist eigentlich nie danach wieder aufs Ausgangsniveau zurückgekommen. Aber das ist gar nicht das, worüber wir uns freuen – diese stromstoßartigen Entwicklungen sind für den Markt nicht gut und davon hat niemand was. Wir haben diese Entwicklung ohnehin, aber das wird nicht ausreichen. Wir haben doch heute die Situation, dass wir das billige Fleisch in den Regalen nur deswegen so billig haben, weil die Kosten, die damit eigentlich verbunden sind, sich gar nicht im Fleischpreis wiederfinden. Wenn also durch die hohen Nährstofffrachten, die in der Ostsee landen, 20 Prozent des Ostseebodens biologisch tot sind und dort nichts mehr wächst, bis hin zu den Fischen, die dort nicht mehr existieren, dann sind das ja gigantische Kosten, aber die dividieren sich nicht durch das Kilo Schweinefleisch. Und da ist was faul. Und wenn wir es schaffen, dass wir das Exportieren von Kosten auf die Natur, die Umwelt und künftige Generationen beenden, dann haben wir es erreicht.
Heise: Das heißt aber wieder, es ist ein politisches Umdenken notwendig, um eben diesen Bewusstseinswandel anzustoßen oder weiter voranzutreiben?
Löwenstein: Genau so ist es. Es geht darum, dass die Politik jetzt nicht im Angesicht dieses Dioxinskandals in Aktionismus verfällt, es sind jetzt Bauern und Verbraucher betrogen worden – das ist uns Bios ja auch schon passiert, das wird auch in Zukunft passieren –, sondern es geht um was viel Tieferes, es geht um einen Systemwandel. Und wenn ich dann merke, dass die Politik nicht bereit ist, über eine Änderung dieses Systems auf europäischer Ebene – und das steht ja an sich an, diese Diskussion mit der neuen Agrarpolitik – zu diskutieren, dann möchte ich hier schier verzweifeln.
Heise: Die Bauern, die sich durchs Landvolk beispielsweise vertreten fühlen, wird in den Kreisen ähnlich diskutiert?
Löwenstein: Das Merkwürdige ist, das ist so ein bisschen schizophren: Uns Biobauern wird dann gerne vorgehalten, ihr seid ja ideologisch, deswegen macht ihr das, was ihr macht. Und wenn ich mir dann anschaue, dass Leute selbst in Gegenden wie dem Weser-Ems-Land, wo einfach alles am Anschlag angekommen ist, was diese Massentierhaltung betrifft, trotzdem noch über Wachstum gesprochen wird, dann muss ich sagen, die Ideologie ist auf dieser Seite, und das ist sehr schwierig, da auf Einsicht zu warten.
Heise: Das heißt, welchen Weg sehen Sie in der Massentierhaltung, jetzt auf die nächsten Jahre geguckt?
Löwenstein: Ich sehe den Weg, dass die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt, und die Rahmenbedingungen, die wir heute haben, lassen den am meisten profitieren, der in den größten Einheiten produziert, und das darf nicht weitergehen. Und ich habe die Hoffnung, dass durch den Druck, der aus der Gesellschaft kommt und der sich zum Beispiel am Samstag in dieser Demonstration hoffentlich zeigen wird, dass durch den die Agrarpolitik gezwungen wird, den richtigen Weg zu gehen. Wir müssen das tun, weil es geht nicht um irgendein Luxusproblem und es geht nicht um irgendwelche Vorlieben oder so, sondern es geht um die Zukunft eines Ernährungssystems, das die ganze Welt angeht.
Heise: Sagt Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Morgen interessiert uns im "Radiofeuilleton" das Verhältnis von Mensch und Nutztier, auch wieder um 10 nach 11, und am Samstag wird Herr Löwenstein im "Radiofeuilleton" beim Hörergespräch zum Thema "Was können wir noch essen?" zur Verfügung stehen.
Dieser Beitrag ist Teil des Programmschwerpunkts "Tiere essen" im Radiofeuilleton, in dem wir uns noch bis zum 22. Januar täglich mit dem Thema Fleischverzicht und Fleischeslust befassen.
Felix Prinz zu Löwenstein: Im Bereich Tierhaltung bedeutet das eine sehr starke Umstellung in aller Regel, weil sich konventionelle Haltungsverfahren von Biohaltungsverfahren sehr stark unterscheiden. Am geringsten ist das in der Milchviehhaltung der Fall. Also wenn ich dort einen Boxenlaufstall habe, in dem meine Kühe sich frei bewegen – das ist der Standard heute –, dann kann ich eigentlich unter der Voraussetzung, dass ich auch den Auslauf garantieren kann, recht schnell umstellen. Wenn ich aber in einen Vollspaltenbodenstall mit Schweinemast investiert habe oder in eine Käfighühneranlage oder solche Verfahren, dann ist eine Umstellung fast gar nicht möglich.
Heise: Warum nicht? Baulicherseits oder…
Löwenstein: Baulicherseits, weil ich muss ja dann hinterher einen Stall haben, der den Anforderungen der ökologischen Landwirtschaft entspricht. Und wenn ich jetzt das Pech habe – und in der Situation sind sehr viele –, dass ich Mordskredite aufgenommen habe, um so einen Intensivhaltungsstall zu bauen, dann muss ich auf Gedeih und Verderb weitermachen, bis die Bank ihr Geld zurück hat, und dann kann ich erst drüber nachdenken, dass ich etwas anderes mache.
Heise: Das heißt, mit solchen Problematiken haben Sie auch momentan gerade zu tun, also dass eigentlich Landwirte sagen, ich würde eigentlich schon gern umstellen?
Löwenstein: Ich kenne ganz konkret einen Fall in meiner Nachbarschaft, der genau vor dieser Situation steht, dadurch gehört das in meinen eigenen Erfahrungsbereich. Darüber hinaus haben wir bei uns in den Ökolandbau-Verbänden Berater, deren Aufgabe es auch ist, Interessenten, die gerne umstellen würden, dabei zu helfen, sich anzuschauen, wie ist ihre Situation, was geht bei ihnen. Aber diese extremen Fälle sind ja nicht alles, was ich gerade beschrieben habe. Es gibt ja sehr viele Fälle, wo es durchaus geht, und wir kriegen ja zunehmend Anfragen von Bauern, die wissen wollen, was können wir machen.
Heise: Sie haben jetzt schon auf den einzelnen Hof beschrieben, die großen Schwierigkeiten, also vor allem finanzieller Natur, geschildert, die so einen Umstieg schwierig bis unmöglich machen. Wenn man jetzt sich tatsächlich überlegt, diese vielen Aufrufe, weg von der Massentierhaltung, hin zur ökologischen Landwirtschaft und Tierhaltung, wenn man dann da weiterdenkt, ist denn so ein Ausstieg aus der Massentierhaltung im großen Stil, also deutschlandweit, überhaupt machbar?
Löwenstein: Sie haben ja schon selber die Zahlen genannt, was den Verbrauch von Fleisch betrifft. Es ist ganz sicher nicht denkbar, dass wir aus diesem System aussteigen, wenn wir dabei bleiben, uns so zu ernähren, wie wir das tun. Aber es ist ja nicht so, als ob es einen Verzicht bedeuten würde, zu einer vernünftigen Ernährung zu kommen. Es ist ja ein Aufstieg an Qualität, der dann stattfindet, wenn wir nicht so viel Fleisch und dafür sehr viel Besseres essen. Und insofern würden wir bei einem völligen Ausstieg aus der Massentierhaltung natürlich nicht bei 88 Kilo Fleisch pro Nase und Jahr bleiben. Aber wenn Sie Ernährungswissenschaftler fragen, dann sagen die, runter damit. Das ist der eine Punkt.
Und der zweite Punkt ist der: Wir trimmen ja unsere intensive Massentierhaltung auch auf Export. Wir sind bei Schweinen 20 Prozent über der Eigenversorgung, wir sind bei den anderen Fleischsorten auch über der Eigenversorgung. Und was da noch dazukommt: Das Ganze geht ja nur, weil wir in großem Maß Futtermittel aus Ländern der Dritten Welt importieren – das ist ja ein völlig abartiges System.
Heise: Sie haben jetzt die beiden Bereiche, nämlich die Verbraucher angesprochen, wo sich was verändern muss, aber eben auch noch mal bei den Produzenten, also bei den Landwirten, was sich da verändern muss, weil wir eben auch für den Export … Da würde ich gern noch einen Moment bleiben. Wenn wir uns angucken eben, was ein Bauer, was auf die Landwirtschaft eigentlich zukommen müsste: Eine andere Tierhaltung bedeutet ja auch eine andere Nutzung der Landfläche, nehme ich mal an, also da konkurrieren doch dann ganz schnell die Weideflächen mit der benötigten Fläche für den Ackerbau. Ist das ein Problem oder würde das ein Problem werden bei Abschaffung der Massentierhaltung?
Löwenstein: Nein. Also bis auf wenige Ausnahmen sind ja Weideflächen Flächen, auf denen aus gutem Grund Grünland ist, weil es eben dort nicht zu ackern geht. Diese Flächen müssen vernünftig genutzt werden, und dort kann man Wiederkäuer sehr gut ernähren. Und eines der Probleme ist, dass wir Wiederkäuer mit Getreide vollstopfen, was eigentlich physiologisch gar nicht zu ihnen passt und dann da wiederum zu Krankheitsproblemen führt und, und, und. Will sagen, es gibt die Flächen, die dafür da sind, dass wir dort Fleisch und Milch erzeugen, und das sollten wir auch nutzen, aber wir dürfen nicht in dem Maß Flächen, wo Nahrung für den Menschen direkt ranwachsen kann, dafür nehmen, um Tiere zu ernähren, weil sonst kriegen wir dieses Welternährungsproblem ganz sicher nicht in den Griff.
Heise: Ich wollte gerade auf den internationalen Aspekt kommen, denn das mag vielleicht in Deutschland nicht unbedingt ein Problem sein, aber in anderen Gegenden der Welt schon.
Löwenstein: Wenn Sie den Fleischkonsum der Chinesen, um den mal zu nehmen – das ist deutlich weniger als bei uns, aber immerhin glaube ich auch knappe 50 Kilo –, hochrechnen auf die derzeitige Weltbevölkerung, dann bräuchten Sie, um all diese Tiere zu mästen, die komplette heutige Getreideproduktion, und da hätte noch kein Vegetarier ein Müsli gegessen. Das alleine zeigt, dass das überhaupt nicht möglich ist. Das heißt, wenn wir auf die gesamte Welt und auf die Zukunft denken, dann ist es völlig ausgeschlossen, dass wir diese Art von Ernährung, die wir betreiben, und die Art von Landwirtschaft, die wir betreiben, fortsetzen.
Heise: Felix Prinz zu Löwenstein ist Ökobauer und Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Im Deutschlandradio Kultur sprechen wir über die Abkehr von Massentierhaltung und mögliche Folgen. Im Moment, Herr Löwenstein, ist ja die Rede davon, dass die aktuelle Nachfrage nach Bio-Eiern kaum zu befriedigen ist. Wie sieht denn das eben jetzt generell aus, glauben Sie, dass eine gesteigerte Nachfrage nach ökologisch produziertem Fleisch möglich ist?
Löwenstein: Na ja, wir müssen ja da in längeren Zeiträumen rechnen. Die Hühner, die heute in Bioställen stehen, legen nicht mehr Eier morgen als gestern, als der Dioxin-Skandal noch nicht war. Andererseits gehen Bio-Eier auch deswegen nicht aus, weil ja jeden Tag wieder Bio-Eier gelegt werden. Es könnte nur sein, dass es im Laden ein bisschen früher als sonst halt im Regal keine mehr gibt. Die Ausweitung der Produktion kann nur sehr langsam vor sich gehen und kann nicht in den Rhythmen von solchen Skandalen stattfinden.
Heise: Das heißt, Sie plädieren auch nicht dafür, dann zu importieren, also Bioprodukte zu importieren, weil da die Ökobilanz ja dann auch wieder nicht stimmen kann?
Löwenstein: Nein, abgesehen davon, das, was heute hier nicht erzeugt werden kann, wird ja schon importiert, und im Ausland ist die Situation nicht anders. Im Übrigen steigt auch die Nachfrage nach Bioprodukten in Italien oder Frankreich, und das ist ja auch sehr gut, dass das so ist.
Heise: Kommen wir dann jetzt doch mal zu dem Mentalitätswechsel, der beim Verbraucher notwendig ist. Wie kann der oder wie wird der geschehen Ihrer Meinung nach?
Löwenstein: Ja, es gibt zwei Seiten, von denen das kommen kann: Das eine ist die Bewusstseinsänderung bei den Menschen, und die beobachten wir, die hat zu tun mit Skandalen, aber die hat auch zu tun damit, dass die Menschen wahrnehmen, wie die Welt sich entwickelt und welche Probleme die Globalisierung mit sich bringt, all diese Dinge.
Heise: Aber wenn es sich an Skandalen orientiert, dann ist das ja eine Konjunktur, die auf und ab geht, und übermorgen denken wir schon gar nicht mehr dran.
Löwenstein: Ja, also all diese Schübe haben in der Vergangenheit auch noch ein bisschen Wachstum dann wieder übrig gelassen, also es ist eigentlich nie danach wieder aufs Ausgangsniveau zurückgekommen. Aber das ist gar nicht das, worüber wir uns freuen – diese stromstoßartigen Entwicklungen sind für den Markt nicht gut und davon hat niemand was. Wir haben diese Entwicklung ohnehin, aber das wird nicht ausreichen. Wir haben doch heute die Situation, dass wir das billige Fleisch in den Regalen nur deswegen so billig haben, weil die Kosten, die damit eigentlich verbunden sind, sich gar nicht im Fleischpreis wiederfinden. Wenn also durch die hohen Nährstofffrachten, die in der Ostsee landen, 20 Prozent des Ostseebodens biologisch tot sind und dort nichts mehr wächst, bis hin zu den Fischen, die dort nicht mehr existieren, dann sind das ja gigantische Kosten, aber die dividieren sich nicht durch das Kilo Schweinefleisch. Und da ist was faul. Und wenn wir es schaffen, dass wir das Exportieren von Kosten auf die Natur, die Umwelt und künftige Generationen beenden, dann haben wir es erreicht.
Heise: Das heißt aber wieder, es ist ein politisches Umdenken notwendig, um eben diesen Bewusstseinswandel anzustoßen oder weiter voranzutreiben?
Löwenstein: Genau so ist es. Es geht darum, dass die Politik jetzt nicht im Angesicht dieses Dioxinskandals in Aktionismus verfällt, es sind jetzt Bauern und Verbraucher betrogen worden – das ist uns Bios ja auch schon passiert, das wird auch in Zukunft passieren –, sondern es geht um was viel Tieferes, es geht um einen Systemwandel. Und wenn ich dann merke, dass die Politik nicht bereit ist, über eine Änderung dieses Systems auf europäischer Ebene – und das steht ja an sich an, diese Diskussion mit der neuen Agrarpolitik – zu diskutieren, dann möchte ich hier schier verzweifeln.
Heise: Die Bauern, die sich durchs Landvolk beispielsweise vertreten fühlen, wird in den Kreisen ähnlich diskutiert?
Löwenstein: Das Merkwürdige ist, das ist so ein bisschen schizophren: Uns Biobauern wird dann gerne vorgehalten, ihr seid ja ideologisch, deswegen macht ihr das, was ihr macht. Und wenn ich mir dann anschaue, dass Leute selbst in Gegenden wie dem Weser-Ems-Land, wo einfach alles am Anschlag angekommen ist, was diese Massentierhaltung betrifft, trotzdem noch über Wachstum gesprochen wird, dann muss ich sagen, die Ideologie ist auf dieser Seite, und das ist sehr schwierig, da auf Einsicht zu warten.
Heise: Das heißt, welchen Weg sehen Sie in der Massentierhaltung, jetzt auf die nächsten Jahre geguckt?
Löwenstein: Ich sehe den Weg, dass die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt, und die Rahmenbedingungen, die wir heute haben, lassen den am meisten profitieren, der in den größten Einheiten produziert, und das darf nicht weitergehen. Und ich habe die Hoffnung, dass durch den Druck, der aus der Gesellschaft kommt und der sich zum Beispiel am Samstag in dieser Demonstration hoffentlich zeigen wird, dass durch den die Agrarpolitik gezwungen wird, den richtigen Weg zu gehen. Wir müssen das tun, weil es geht nicht um irgendein Luxusproblem und es geht nicht um irgendwelche Vorlieben oder so, sondern es geht um die Zukunft eines Ernährungssystems, das die ganze Welt angeht.
Heise: Sagt Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Morgen interessiert uns im "Radiofeuilleton" das Verhältnis von Mensch und Nutztier, auch wieder um 10 nach 11, und am Samstag wird Herr Löwenstein im "Radiofeuilleton" beim Hörergespräch zum Thema "Was können wir noch essen?" zur Verfügung stehen.
Dieser Beitrag ist Teil des Programmschwerpunkts "Tiere essen" im Radiofeuilleton, in dem wir uns noch bis zum 22. Januar täglich mit dem Thema Fleischverzicht und Fleischeslust befassen.