Ökoakustik
Helfen Miniwälder gegen den Klimawandel? © imago / Ikon Images / Studio Parris Wakefield
So klingt der Klimawandel
08:31 Minuten
Auch mit dem Mikrofon lassen sich die Folgen des Klimawandels messen: Leidet ein Baum an besonders heißen Tagen unter Trockenstress, sind die Geräusche lauter und rhythmischer. Ökoakustiker ziehen so Rückschlüsse auf den Zustand unserer Natur.
"Den Kiefern geht es nicht gut. Viele sind schon braun. Hier ist es zu trocken geworden, das heißt, hier ist im Sommer wahrscheinlich das Moor trocken gefallen. Das war letztes Jahr noch nicht."
Der Blick muss nicht weit schweifen, um die braunen Spitzen der Moor-Kiefern und die Schneisen der Borkenkäfernester an den Fichten zu erkennen. Die Landschaft hier um das Gut Nantesbuch bei Bad Heilbrunn in Südbayern verändert sich sichtlich. Ob nur negativ durch die zunehmende Trockenheit oder auch positiv durch die Renaturierungsmaßnahmen, will der Schweizer Wissenschaftler und Klangkünstler Marcus Maeder in einer akustischen Langzeitbeobachtung untersuchen.
Mit unseren Gummistiefeln waten wir durch das Hochmoor zu einem der fünf Horchposten. Das sind kleine grüne Kästen, an denen ein Monomikrofon installiert ist. Über GPS synchronisiert nehmen die automatisierten Audiorekorder stündlich zur selben Zeit fünf Minuten die "Soundscapes" auf, also jegliche Schallquellen in der Umgebung, und das seit zwei Jahren. Im Moment der Aufnahme hören wir die stille Abenddämmerung im Moor, das Konzert der Feldgrillen auf einer blühenden Wiese unweit des Moores oder uns selbst.
Räumlich-akustische Landschaftsbilder
"Wenn man mehrere Rekorder in einer Landschaft platziert, dann hat man plötzlich ein räumliches-akustisches Bild der Landschaft", erklärt Maeder. "Das ist eben das Spannende: was passiert zur selben Zeit an verschiedenen Orten in einer Landschaft? Das fasziniert mich immer wieder. Und auch, das zum Beispiel in einer Klanginstallation räumlich abzubilden."
In der Umwelt ist alles Klang. So beschrieb es bereits in den 1970er-Jahren der kürzlich verstorbene Klangkomponist Murray Schafer, der Erfinder der "Soundscapes". Und laut der Ökoakustik beeinflussen und überlagern sich diese Soundscapes: Wie ein Fluss das Grundrauschen einer Landschaft prägt, so beeinflusst der Straßenlärm den Gesang von Vögeln, was sich unter anderem auf deren Fortpflanzungsraten auswirken kann.
Soundscapes machen Klimaveränderungen hörbar
Um die Zusammenhänge und die hörbaren Reaktionen auch auf klimatische Veränderungen zu analysieren, quantifiziert Marcus Maeder die Schallquellen über ein spezielles Computerprogramm.
"Ich nehme die Aufnahmen mit und analysiere sie später auf dem Computer und untersuche die akustische Komplexität. Einfach gesagt: Es ist ein Algorithmus, der die Audioaufnahmen auf möglichst viele verschiedene Geräusche untersucht. Und viele verschiedene Geräusche sind viele verschiedene Tiere. Also man arbeitet rein statistisch, ohne dass man die Tiere identifizieren würde. Und dann hat man einen Index, der die Biodiversität respektive die räumliche und zeitliche Dynamik widerspiegelt."
Mit diesen akustischen Indizes arbeiten in Deutschland bereits Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie die Vegetationsökologin Sandra Müller vom Freiburger Institut für Geobotanik:
"Je komplexer und diverser so eine Audioaufnahme ist, also je mehr Frequenzbereiche besetzt sind, je mehr Tierarten über die Zeit vokalisieren, um so höher sind diese Zahlen in der Regel und so sprechen wir von einer erhöhten akustischen Diversität."
Der akustische Fingerabdruck des Ökosystems
Auf einer beweideten Wiese fernab von Straßenlärm kann die akustische Vielfalt größer ausfallen als auf Flächen, auf denen Vögel und Heuschrecken durch Mähdrescher gestört oder sogar getötet werden, wie Sandra Müller und ihr Team in einem Forschungsprojekt herausfanden. Neben Tierlauten, den Biophonien, bestimmen die Klänge von Wind und Regen, die Geophonien, sowie die menschengemachten Laute, die Anthropophonien, den akustischen Fingerabdruck eines Ökosystems.
Mit dieser Signatur hoffen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rechtzeitig auf Veränderungen der Biodiversität reagieren zu können:
"Wenn wir Veränderungen in den Indizes zu diesen Zeitpunkten finden, die mit Änderungen in der Landnutzung korrelieren, dann kann man daraus rückfolgern, dass dies wahrscheinlich eben damit zusammenhängt, dass eine Veränderung in dieser Tiergruppe stattgefunden hat."
Durstige Bäume knacken anders
Veränderungen im Ökosystem sind auch an für den Menschen eher unzugänglichen Orten hörbar. Es sind Klänge, die wir mit unseren bloßen Ohren nicht wahrnehmen können: Schwankungen der Umgebungstemperatur, der Luftfeuchtigkeit und des Niederschlags haben Einfluss auf die Physiologie von Bäumen und Pflanzen und damit auch auf deren Lautäußerungen. Die Flora als Vermittlerin des Klimawandels:
"Diese Knackgeräusche, die eben entstehen, wenn der Wasserverbrauch, die Transpiration der Blätter größer ist als das, was der Baum über die Wurzel gleichzeitig aufnehmen kann. Und dann entstehen Unterdrucke im Stamm, im ganzen Baum drin, und wenn die zu groß werden, dann beginnen Wassersäulen zu reißen. Man kann sich das so vorstellen: Das Blatt zieht oben wie eine Art Gummischnur nach und das funktioniert, bis man zu fest zieht, und dann kann eben die Gummischnur reißen. Und das produziert ein akustisches Signal, das können wir messen."
Leidet der Baum unter Trockenstress, beispielsweise an besonders heißen Tagen, treten diese Geräusche lauter und rhythmischer auf. Ein Phänomen, das der Ökophysiologe Roman Zweifel von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in der Schweiz vermehrt an Bäumen im Kanton Wallis beobachtete. Als er diese Kavitationsgeräusche zum ersten Mal hörte, wollte er mehr über die Morsezeichen in Bäumen wissen.
Wie medizinische Überwachungsgeräte für Menschen
Neben der Sammlung klassischer Messzahlen aus Temperatur, Sonneneinstrahlung, Bodenfeuchtigkeit, Saftfluss- und Stammwachstumsdaten, verkabelte Roman Zweifel zusammen mit Marcus Maeder Waldbäume mit speziellen Akustiksensoren. Fast wie medizinische Geräte am Menschen untersuchen sie die innere Physik des Baumes und machen diese hörbar. Diese hochfrequenten Geräusche fangen bereits ab 20 kHz an – manche Grillen beispielsweise zirpen in diesem Bereich – und gehen bis 300 kHz.
"Aber dann gibt es ganz viele andere Geräusche, die wir aufnehmen, die können wir nicht einordnen. Noch nicht. Je mehr verschiedene Messresultate zusammenkommen, um so eher haben wir eine Chance zu erklären, was vor sich geht. Aber wie beim Arzt kann es auch einfach sein, dass man das, was man misst, einfach nicht deuten kann in dem Sinn, dass wir sagen können, was da physiologisch vor sich geht."
Eine neue Perspektive auf die Umwelt
Auch wenn wir bisher unsere Umgebung nicht vollständig akustisch diagnostizieren können, nicht alle Zusammenhänge verstehen, schaffen es künstlerische Arbeiten wie die von Marcus Maeder, wissenschaftliche Daten in ein hörbares ästhetisches und emotionales Erleben zu übersetzen. Vielleicht können wir die Dringlichkeit des Klimawandels besser verstehen, wenn wir zuhören?
"Es schafft in der Hörerfahrung automatisch eine gewisse Intimität und Nähe. Dass das halt auch sehr stark Emotionen triggert, wenn die Dinge so nah sind. Ich glaube wirklich, dass die Möglichkeit besteht, die Leute anders an die Umwelt anzubinden oder irgendwie ihre Perspektive auf das, was um sie herum ist, eben zu verändern, indem man Dinge hörbar macht, die man normalerweise nicht hören würde."