Ökodystopie "Soylent Green"

Prognosen fürs Katastrophenjahr 2022

07:19 Minuten
Filmplakat zu "Soylent Green": Menschen fliehen aus einer Stadt im Chaos. Im hintergrund eine Art Fleischwolf, in den Menschenkörper gefüllt werden.
Düsteres Zukunftsszenario: Der 1973 veröffentlichte Film "Soylent Green" spielt im fiktiven New York des Jahres 2022. © imago images / Everett Collection
Von Constantin Eckner |
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In „Soylent Green“ ist 2022 ein Jahr des Untergangs. Der Film wurde in den 70ern gedreht und ist eine der ersten Ökodystopien der Popkultur – eine Art Startpunkt für den Trend düsteren Umweltprognosen.
„New York City in the Year 2022. Nothing runs anymore. Nothing works. But the people are the same and the people will do everything to get what they need“, heißt es im US-Film „Soylent Green“ von Regisseur Richard Fleischer. 1973 kommt er in die Kinos, spielt aber im Jahr 2022.
Die Filmemacher und Autoren zeichnen ein apokalyptisches Bild von heute. Dreck, Umweltverschmutzung, Überbevölkerung – das Ende scheint nah. Eine Sicht der Zukunft, die ganz dem Zeitgeist entspricht. Denn damals sie die Generation der Babyboomer erwachsen geworden, sagt Uwe Lübken. „Das war eine Generation, die in Wohlstand aufgewachsen ist und andere postmaterielle Werte hat, zu denen eben auch eine intakte Umwelt gehört. Das speist diese Bewegung so ein bisschen.“ Lübken ist Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Der Startpunkt der globalen Umweltbewegung

Die beginnenden 70er-Jahre lassen sich als Startpunkt der globalen Umweltbewegung sehen: Greenpeace gründet sich, die Ölkrise macht allen die Endlichkeit der fossilen Energieträger bewusst und der Club of Rome veröffentlicht seinen Bericht „The Limits to Growth“ – „Grenzen des Wachstums“. Entstanden aus einer privaten Initiative aus der Wirtschaft Ende der 60er-Jahre, erklärt Christian Berg, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome. „Aurelio Peccei war ein italienischer Fiat-Manager. Er hatte 1968 Persönlichkeiten aus der ganzen Welt nach Rom eingeladen, um über die Zukunft der Menschheit zu diskutieren.“ Daraus sei der Club of Rome entstanden, der von Beginn an keine Organisation und keine NGO im eigentlichen Sinne war, sondern ein Club. „Also organisationsstrukturell sehr schmal.“
Fünf Jahre nach dem ersten Treffen erscheint der Bericht „The Limits to Growth“. Er ist eine kybernetische Simulation zur Zukunft der Erde, anhand der damaligen Daten. Mit dem Weltmodell des Informatikers Jay Forrester. Das Forscherteam kam so 1972 zu folgendem Ergebnis:
„Sollten sich die aktuellen Trends in Sachen Weltbevölkerung, Industrialisierung, Verschmutzung, Nahrungsproduktion und Ressourcenausbeutung unverändert fortsetzen, sind die Grenzen des Wachstums auf dem Planeten innerhalb der nächsten 100 Jahre erreicht. Das wahrscheinlichste Resultat wird ein recht schneller und unkontrollierter Rückgang der Bevölkerung und der Industriekapazitäten sein.“

Von lokalen zu globalen Szenarien

Vor dieser düsteren Prognose spielt der Film „Soylent Green“: Im Jahr 2022 leben allein in New York City 40 Millionen Menschen. Nur eine kleine Elite kann sich geräumige Apartments, sauberes Wasser und natürliches Essen leisten. Der Großteil der Menschheit ist auf das Essen des Konzerns Soylent Corporation angewiesen. Der hat gerade sein neustes Produkt auf den Markt gebracht: „Soylent Green“.
Inzwischen ein Klassiker der Ökodystopien, der viele Nachfolger fand, erzählt Historiker Uwe Lübken. Allerdings sei die Thematik mittlerweile eine andere geworden. „Was in den 70ern noch relativ regional oder vielleicht sogar lokal begrenzt war, wie Umweltverschmutzung in einer bestimmten Stadt, ist mittlerweile ein globales Problem geworden.“
Das Stichwort dabei: Klimawandel. „Wir haben ganze Hollywood-Blockbuster, die sich mit den potenziellen Folgen des Klimawandels auseinandersetzen, wenn auch sehr zugespitzt und sehr unrealistisch. Aber das hat schon dazu beigetragen, die Thematik einer breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen.“

Klimawandel als Roman- und Filmgenre

Mittlerweile gebe es ein ganzes Genre „Climate Fiction“, das sich mit den tatsächlichen oder imaginierten Auswirkungen des Klimawandels auseinandersetze. So zeigt die 2017 erschienene Serie „The Handmaid‘s Tale“, wie das Leben auf einer zerstörten Erde sein könnte, ähnlich der Kinofilm „Grain – Weizen“ von Semih Kaplanoğlu. Im vergangenen Jahr landet der Münchner Autor Wolf Harlander mit seinem Roman „42 Grad“ einen Bestseller in diesem Genre. „Für mich ist es so, dass es irgendwo in der DNA der Menschheit ist“, sagt er.
„Man muss einfach nur ein bisschen zurückgehen. Die allererste Gegenutopie, also der Weltuntergang, wenn man es genau nimmt, gab es bereits in der Bibel.“ Die Sintflut sei eine Konsequenz aus dem Fehlverhalten der Menschen gewesen. „Und dieses Motiv gibt es ja nicht nur in der Bibel, dieses Motiv der Sintflut ist in anderen Kulturkreisen genauso vorhanden.“ Es scheine eine der ersten Erzählungen zu sein. „Jeder von uns hat es im Religionsunterricht oder anderswo gelernt. Wir wachsen damit auf, jede Generation neu. Es gibt Untergangsszenarien, die wegen Fehlverhalten der Menschen kommen und denen wir ausgeliefert sind.“
In vielen Dystopien findet sich neben dem Leiden der Menschen ein bekanntes Motiv wieder: das der großen bekannten oder unbekannten Mächte, die von der Zerstörung und dem Chaos profitieren. In „Soylent Green“ ist es die Solyent Corporation, die nicht – wie vorgegeben – Plankton, sondern etwas anderes für ihre neuartigen Nahrungsmittel nutzt.
Auch im Bestseller „42 Grad“ schreibt Wolf Harlander über die Mächte, die ihre eigenen Interessen verfolgen, um die Retter des Planeten – einen Hydrologen und eine IT-Spezialistin – aufzuhalten. Ein „wunderbares Motiv für einen Thriller“, so Harlander. „Aber auch das ist Realität, wenn man bedenkt, dass es laut Expertenumfragen ungefähr 20 Konzerne sind, die etwa 80 Prozent des weltweiten Wasserbedarfs unter Kontrolle haben.“ Große Konzerne. „Und die haben entsprechend große ökonomische Interessen, ein Geschäftsmodell daraus zu machen.“

Handeln, wenn es fast zu spät ist

Düstere Vorahnungen und die Realität passen bisher aber selten zusammen. Die 50 Jahre alte Prognose aus „Soylent Green“ für New York City ist nicht eingetreten. Die Welt und die Daten verändern sich. Die Zukunft ist nicht geschrieben. Trotzdem sind filmische und literarische Ökodystopien durchaus geeignet als Mahner, um das Handeln in der Gegenwart kritisch zu hinterfragen.
Allerdings braucht es neben der Mahnung nun auch proaktives Handeln zum Erhalt des Planeten wie wir ihn kennen, meint Christian Berg vom Club of Rome, anders als sonst üblich. „Der Bericht ‚Limits to Growth‘ weist auch darauf hin, dass gerade soziale und politische Änderungen häufig reaktiv passieren und nicht vorausschauend“, sagt er. „Das ist natürlich, was die globalen Herausforderungen angeht, ein Riesenproblem, weil wir erst dann reagieren, wenn das Kind schon fast in den Brunnen gefallen ist.“
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