Ökologisch investieren

Der Finanzmarkt entdeckt den Klimaschutz

31:23 Minuten
Menschen auf einer Wiese schauen sich an wie der Kühlturm des ehemaligen Atomkraftwerks in sich zusammenfällt.
Raus aus Atom- und Kohlestrom: Darauf drängt die Divestment-Bewegegung. © Picture Alliance / dpa / Marcel Kusch
Von Manuel Waltz |
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Geld ist Macht - wissen auch Klimaschützer. Sie setzen Anleger zunehmend unter Druck, sich aus Unternehmen zurückzuziehen, die ihr Geld mit fossilen Energien verdienen. Selbst Banken und Versicherer machen beim ökologischen Investment mit.
Am Rande des Tiergartens in Berlin, unweit des Potsdamer Platzes, hat sich eine kleine Gruppe versammelt. Ein paar Menschen, die meisten jung, ausgerüstet mit Plakaten, einem Transparent und einem Lautsprecher.
"Applaus, Applaus. Und zwar beschäftigt sich Regine mit der Finanzierung von Energieprojekten - und insbesondere mit öffentlichen multilateralen Banken wie der EIB. Regine, schön, dass du da bist." Hier, wo das Grüppchen steht, hat die EIB – die Europäische Investitionsbank – ihre deutsche Vertretung.

"Hallo und danke, dass Ihr zu einem so obskuren Thema wie der Europäischen Investitionsbank hierher gekommen seid. Vielleicht dachtet Ihr auch, Ihr seid gekommen, weil es um Klimaschutz geht. Aber seit heute geht das zusammen. Ich dachte, vielleicht macht es Sinn, nochmal kurz was zu sagen, so ein bisschen als Hintergrund, was ist eigentlich die EIB", beginnt Regine Richter ihren Vortrag.

Die EIB ist eine öffentliche Bank, ihre Anteilseigner sind die Staaten der Europäischen Union. Sie vergibt Kredite, um die wirtschaftliche Entwicklung zu beeinflussen, betreibt also Wirtschaftspolitik – und hat damit erheblichen Einfluss.

Die Europäische Investitionsbank und der Klimaschutz

2018 hat sie Darlehen von fast 60 Milliarden Euro vergeben, in etwa so viel wie die Weltbank und rund fünfzehn Milliarden weniger als die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW. Was die Demonstranten wollen, steht auf ihrem Transparent: "Fossile Free EIB". Die Investitionsbank soll keine Projekte mit fossilen Energieträgern mehr fördern.

"Und man hat fast das Gefühl, sie hat ihren Kritikern zugehört, weil sie nämlich zum Beispiel so etwas sagt wie: Energiesicherheit kann man am besten damit erreichen, indem man weniger Energie verbraucht. Das ist so etwas, was natürlich NGOs immer gesagt haben, auch diese Frage von: Wir brauchen Gas für die Energiesicherheit. Wir brauchen vor allem weniger Energieverbrauch – und sie will das erreichen, indem sie vor allem Energieeffizienz, Erneuerbare Energiequellen, innovative Klimaschutztechnologien und nachhaltige Infrastruktur finanzieren will. Das ist der Bereich, wo sie reingehen will."

Die EIB auf dem Weg zur Klimabank. Das klingt gut, ist aber kompliziert. Große Projekte wie beispielsweise der südliche Gaskorridor, eine Pipeline, die Erdgas von Aserbaidschan nach Europa bringen soll, sind auf die Finanzierung durch die Europäische Union angewiesen. Die EU-Kommission hat das Projekt auf die Liste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse gesetzt und die EIB hat im vergangenen Jahr 700 Millionen Euro dafür genehmigt.
Protestierende in Schwarz mit beschriebenen Regenschirmen stehen vor dem Finanzministerium.
Protest für nachhaltiges Investment - vor dem Finanzministerium in Berlin.© Manuel Waltz
Nun aber hat die Bank einen Entwurf für neue Richtlinien vorgelegt, der ihr die Finanzierung solcher Projekte künftig verbieten würde. Da aber die Bundesregierung selbst Gas-Projekte plant, unterstützt sie diese neuen Richtlinien nicht. Das ist der Anlass für die Protestaktion, die später noch vor dem nahen Finanzministerium fortgesetzt werden soll.

Ist eine ökologische Finanzwende möglich?

Kapitalgeber haben erhebliche Macht, auch von ihrem Verhalten hängt die Entwicklung der Märkte und Unternehmen ab. Diese Macht wollen politische Aktivisten zunehmend für den Umwelt- und Klimaschutz nutzen, auch Gerhard Schick. Der Finanzexperte hat sein Bundestagsmandat für die Grünen niedergelegt und 2018 die Bürgerbewegung Finanzwende gegründet. Ein Ziel der Organisation: die ökologische Finanzwende.

"Viele Renditen, die heute erzielt werden, haben etwas damit zu tun, dass eben Bodenschätze ausgebeutet werden und Emissionen nicht eingepreist werden. Und für mich ist eben eine grüne Finanzwende, eine, in der sichergestellt wird, dass auch die Risiken wirklich von denen getragen werden, die auch die Rendite haben, dass wir das zusammenführen."

Klassischerweise handeln Akteure am Finanzmarkt nach drei Kriterien: Rendite, Liquidität und Sicherheit. Zunehmend kommt aber noch ein viertes Kriterium hinzu: Environmental, Social and Governance. ESG steht für ein Investment, das umwelt-und klimaverträglich ist und hohe soziale Standards einhält.

"Die Realität ist immer noch: Sehr viel Geld steckt in Kohle, Gas und Öl, Atom und anderen schmutzigen Geschichten. Das Kurzfristdenken ist immer noch präsent und es werden immer noch schlechte Sachen finanziert. Aber: Ein Umdenken hat stattgefunden und erste Unternehmen fangen an, ihr Portfolio systematisch danach zu analysieren, haben sich Ausstiegszenarien überlegt für ihre Kohle-Investments. Das ist der Einstieg in eine Veränderung, die, wenn sie jetzt betrieben wird, etwas verändern kann. Auch in der realen Wirtschaft. Aber so weit sind wir noch nicht."
Direkt vor den Badestränden an der Küste des Kaspischen Meer stehen Bohrinseln für die Gasförderung und Erdölförderung, in Baku Baki (Aserbaidschan)
Bohrinsel in Aserbaidschan: Die Europäische Investitionsbank beteiligt sich finanziell am Bau einer Pipeline nach Europa.© picture alliance / Joker / est&ost / Martin Fejer

Die Entstehung der Divestment-Bewegung in den USA

Mehr Kapital aus "schmutzigen" Anlagen abziehen und nach ökologisch-sozialen Standards investieren. Initiativen, die das fordern, verstehen sich als Teil der Divestment-Bewegung. Welche Wirkung kann sie entfalten? Entstanden ist diese politische Bewegung Ende der 60er-Jahre in den USA, erklärt Agnes Fessler. Sie forscht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zu diesem Thema.
"Und die Idee von Divestment ist noch ein bisschen älter. Diesen Ausschluss von Investitionen von sozialen und ethischen Überlegungen, das kommt schon aus religiösen Überlegungen und religiösen Überzeugungen heraus. Das findet sich eigentlich in allen Religionen."
Während es beim religiösen Divestment meist um ethische Fragen geht – den Ausschluss von Anlagen in Porno-Unternehmen, Tabakfirmen oder Brauereien beispielsweise – entstand an Universitäten in den USA das politische Divestment zuerst gegen den Vietnam-Krieg und später dann gegen das Apartheid-Regime in Südafrika.
"Seit Anfang der 70er-Jahre wurden dort die Universitäten so eine Art Zentrum von dem Protest und auch dieser begleitenden Divestment-Bewegung, mit dem Ziel, dass diese universitären Stiftungsfonds, die sich ja speisen aus Studiengebühren und die in den USA in diesem System auch enorme Vermögen verwalten, also die Universitäten wie Stanford, Harvard, also in Milliardenhöhe, dass die eben ihre Gelder abziehen aus den Unternehmen, die irgendwie in Südafrika im Regime wirtschaftlich engagiert sind, die davon profitieren."

Der bedeutendste Erfolg dürfte damals dann auch gewesen sein, dass die beiden größten öffentlichen Pensionsfonds von Kalifornien und New York sich schließlich dem Divestment anschlossen.

"Bei Südafrika - da war die Wirkung, dass letztendlich das Land die Zahlungsunfähigkeit erklärt hat, 1985. Und das kam auch dadurch, dass es immer mehr von den internationalen Kreditmärkten abgeschlossen war. Und da wird dieser Divestement-Bewegung eine gewisse Wirkung zugeschrieben. Aber natürlich ist das schwer zu messen."
Anti-Vietnamkrieg-Protestierende mit Transparenten. Im Hintergrund das Capitol in Washington.
Im Zuge der Anti-Vietnamkrieg-Proteste entstand auch die Divestment-Bewegung.© picture alliance / AP Photo / jelswick

Öffentliche Anleger im Fokus

Heute wird Divestment vor allem im Kampf für den Klimaschutz eingesetzt. Der US-amerikanische Aktivist Bill McKibben gründete 2007 die NGO 350.org, die inzwischen überall auf der Welt aktiv ist. Die Kundgebung am Tiergarten in Berlin hat der deutsche Ableger organisiert. Im Fokus dieser Aktivisten: vor allem öffentliche Anleger wie Bund und Länder.
Mirko Voit sitzt in einem Büro der Berliner Senatsverwaltung, vor sich mehrere Bildschirme, auf denen Tabellen und Grafiken zu sehen sind. Es geht um Geld, um viel Geld. Wie alle Bundesländer hat auch Berlin Rücklagen für die Pensionen seiner Beamten. 1,2 Milliarden sind das derzeit. Bis 2017 wurde dieses Geld schlicht nach dem Eurostoxx50 angelegt, erinnert sich Mirko Voit, der für diese Rücklagen zuständig ist.
"Die Enquetekommission ‚Neue Energie für Berlin‘, die haben ja damals die Empfehlung abgegeben, im Zuge der Neuorientierung der energiewirtschaftlichen Ziele der Stadt haben die gesagt, dass die bestehenden Finanzinvestitionen in Unternehmen, deren Geschäftsmodell der Klimaneutralität zuwiderlaufen, zu beenden sind."

Keine fossilen Energien, keine AKW, keine Waffen

Die Anlageform entsprach nicht der Empfehlung. Deshalb hat sich Berlin einen eigenen Fonds entwickeln lassen, der neben der Rendite, der Liquidität und der Sicherheit auch die ESG-Kriterien berücksichtigte. Die Vorgabe war: Es darf kein Unternehmen vertreten sein, das sein Geld mit fossilen Energien verdient. Ausgeschlossen ebenfalls: Atomkraftwerke und Kriegswaffenproduktion. Und es sollten hohe soziale Standards eingehalten werden. Heraus kam der Nachhaltigkeitsindex Benexx.
"Dieser Index wird veröffentlicht und berechnet von Solactive – und man kann eigentlich jeden Tag da reingehen und sehen, wo der Index steht. Man kann auch die Zusammensetzung des Index sehen, die ist frei, öffentlich und hier sieht man die einzelnen Unternehmen, die im Index enthalten sind und auch das Gewicht."

50 Unternehmen sind das, aus möglichst vielen Branchen, um das Risiko zu streuen. In den jeweiligen Branchen sollten immer nur die besten Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit vertreten sein. Das wird jedes Jahr überprüft.
"Da werden wir oft gefragt: Ihr wollt nachhaltig sein, warum sind Autotitel drin. Und wir sagen, dass wir fossile Brennstoffunternehmen, also Unternehmen, die Energie auf der Basis fossiler Brennstoffe gewinnen und fossile Brennstoffe abbauen, ausschließen. Nicht aber Unternehmen, die produzieren auf der Basis von der Verwendung fossiler Brennstoffe. Aber wir haben natürlich diesen ESG-Ansatz und sagen: Autobranche haben wir nicht ausgeschlossen, wir nehmen aber die besten. Also die, die möglicherweise in der Entwicklung von E-Autos und CO2-reduzierte Emissionen Vorreiter sind."

Positive Entwicklung des nachhaltigen Aktien-Indizes

Bisher ist man im Land Berlin gut mit diesem Kurs gefahren. Weil der Benexx im Vergleich zu anderen Aktien-Indizes stärker zugelegt hat, spricht man von einer "Outperformance". Mirko Voit öffnet eine neue Grafik und zeigt auf die verschiedenen Kurven.
"Und dann sieht man hier die Entwicklung. Grün ist der Nachhaltigkeitsindex und rot der EuroStoxx50 und die Differenz ist halt die Outperformance. Jetzt ist es so, dass wir einen halben Prozentpunkt drüber liegen. Und wir haben ein Backtesting gemacht, seit 16. Juli 2013 – und da sieht man im langfristigen Szenario – hat er sich eben deutlich besser bewegt. Aktuell 173 zu 153. Das sind 22, 20 Prozent Outperformance gegenüber dem EuroStoxx50."
Mittlerweile hat das Land Schleswig Holstein den Benexx übernommen. Andere Länder wie Baden-Württemberg, Hessen oder Brandenburg arbeiten noch an einem eigenen Index. Das Land Berlin lässt die Aktien, die es über den Fonds kauft, von der Bundesbank verwalten. Das hat den Vorteil, dass es kostenlos ist. Allerdings darf sich die Bundesbank nicht in die Unternehmen einmischen. Wenn eine Firma also nicht mehr den Kriterien entspricht, dann wird nicht versucht, Einfluss zu nehmen, sondern die Aktien werden verkauft.

Wie viel Wirkung haben Divestments?

Gerade hat eine Studie der Uni Zürich festgestellt, dass die Wirkung dieses Divestments kaum zu messen sei und einen nur sehr geringen, wenn nicht gar vernachlässigbaren Effekt auf Unternehmensstrategien habe.
Uniper wäre ein solches Unternehmen. Es ist 2016 durch Abspaltung der Energieerzeugungssparte von E.ON entstanden. Der große Stromerzeuger hat sich eine Nachhaltigkeitsstrategie gegeben und betreibt zahlreiche Wasser- und Gaskraftwerke. Aber genauso Kraftwerke, die mit Steinkohle und Braunkohle betrieben werden, auch Atomenergie gehört dazu. Udo Giegerich ist bei Uniper für Finanzen und Investoren zuständig.

"In erster Linie müssen wir auch mal nachhaltig Geld verdienen mit unserem Geschäft." Und das bedeutet auch, dass demnächst ein neues Kohlekraftwerk bei Hamburg ans Netz gehen wird. Udo Giegerich ist mit den Investoren ständig im Austausch. Auch hier wird die Nachhaltigkeitsstrategie immer mehr nachgefragt. Ein langjähriger Investor wird demnächst seine Anteile verkaufen, weil Uniper mehr als zehn Gigawatt aus Kohle produziert. Giegerich bedauert das, kann aber weiterhin auf die anderen Anleger setzen.

"Ich werde jetzt nicht wegen einem Investor ein Kohlekraftwerk abschalten, das für die Security of Suply in Deutschland essenziell ist, weil ich mir dann im Zweifel andere Themen mit der deutschen Politik aufmache."
Ansicht des Walchensee-Kraftwerks direkt am See zwischen bewaldeten Hügeln gelegen.
Uniper betreibt auch das Walchensee-Kraftwerk im bayerischen Kochel am See.© picture alliance / Goldmann

Eine andere Art des Klimaaktivismus'

In Berlin wollen die Aktivisten den Druck auf die deutsche Politik verstärken. Letztlich wollen sie sogar erreichen, dass sich der Finanzmarkt von den Fossilen abwendet. Dass die Wirkung ihres Engagements nur sehr schwer zu messen ist, das wissen die Demonstranten am Berliner Tiergarten, wie Kirsten Krüger von Fossile Free Berlin.
"Es geht erst einmal darum, große Geldströme in Augenschein zu nehmen. Und es steckt einfach unglaublich viel Kapital generell in Aktien. Natürlich ist die Idee, über Bande zu spielen, weil man damit auf der einen Seite recht sanft schieben kann und Anreize setzen kann, aber auf der anderen Seite das Bewusstsein bei den Menschen wecken kann, dass das Geld auch ein Thema beim Thema Nachhaltigkeit ist."

Anders als beispielsweise "Ende Gelände", die Tagebaue und Kohlebahnen besetzen, oder "Extinction Rebellion", die Straßen und Brücken in großen Städten rund um den Globus blockieren, ist die Idee des Divestments auch für Bürger anschlussfähig, die diese Art des zivilen Ungehorsams nicht unterstützen, aber trotzdem etwas für den Klimaschutz tun wollen.
Heiner Lempp aus Tübingen war Arzt und ist heute Pensionär. Ende der 1970er-Jahre hat er längere Zeit in Afrika gearbeitet. Zurück in Deutschland hat er sich in der Anti-Apartheid-Bewegung engagiert. Bald blieb das erste Mal Geld von seinem Einkommen übrig, das er anlegen wollte. Das Südafrikanische Regime sollte aber nicht davon profitieren.
"Damit war ich so weit, dass ich mich damit befasst habe, dass bei einer Geldanlage, außer den drei klassischen Kriterien: Rentabilität, Sicherheit, Liquidität, ein viertes Kriterium dazu kommen kann oder aus meiner Sicht dazu kommen muss: Welche Auswirkungen hat meine Geldanlage politisch, sozial, wie auch immer."
Sprecherin mit Megafon, im Hintergrund Polizisten - Protestaktion von "Ende Gelände" für den sofortigen Kohleausstieg
Protestaktion von "Ende Gelände" für den sofortigen Kohleausstieg: Wer nicht protestieren will, kann immerhin nachhaltig investieren.© picture alliance / foto2press / Manfred Heyne

In Projekte vor der Haustür investieren

Heiner Lempp engagierte sich bei der Ökobank und wurde Delegierter für die Genossenschaft. Die Bank wollte mit ihrer Geldpolitik eine alternative Ökonomie und die Friedensarbeit unterstützen. Zwei Mal hat "Investor" Lempp bisher Verluste gemacht. Einmal mit der "taz Nordrhein-Westfalen", die nach vier Jahren wieder eingestellt werden musste...
"Und ja, dann bei der Ökobank selber. Das war eigentlich am schmerzhaftesten. Die Ökobank war ja auch Genossenschaftsbank, die dann in Schieflage geraten ist. Deswegen ist die Ökobank ja dann zunächst von dem Rettungsfonds übernommen worden. Aber die Genossenschaftsanteile sind dann auch auf zwei Drittel oder so gekürzt worden."
Die Pleite von Lehmann Brothers und die darauf folgende Finanzkrise gingen allerdings spurlos an ihm vorbei. Im Großen und Ganzen ist er deshalb auch sehr zufrieden mit seinen Anlagen. Er versucht, das Risiko zu streuen, hält Anteile am Fonds der GLS Gemeinschaftsbank und investiert in Projekte direkt vor seiner Haustür, in den Tübinger Bioladen und ein Hausprojekt.
"Jetzt ist ein Hausprojekt ja nichts Produktives, ich kann aber auch in ein produktives Projekt gehen, über Crowdfunding, wenn mich ein Projekt auch ökologisch, ethisch überzeugt. Die können arbeiten, weil ich ihnen Kapital gebe, und dann, denke ich, ist es durchaus auch fair, dass ich an dem wirtschaftlichen Erfolg dann auch beteiligt bin. Ich übernehme natürlich auch das Risiko, wenn das nicht funktioniert, dann ist mein Geld entweder weg – oder ich kriege weniger Zinsen oder ich kriege weniger wieder raus."

Bund legt Geld nicht gemäß der Klimaziele an

Bei der Bundesregierung ist man da scheinbar noch nicht so weit, kritisiert Gerhard Schick. Die politischen Ziele und das Anlageverhalten des Bundes widersprechen sich.

"Das ist ja fast schizophren. Auf der einen Seite hat die Bundesregierung Klimaziele und sagt, wir wollen uns an den Pariser Zielen ausrichten, die Bundeskanzlerin spricht von einer kohlenstofffreien Wirtschaft. Und auf der anderen Seite in der Geldanlage des Bundes findet bisher keinerlei Berücksichtigung von ökologischen oder Klimazielen oder Nachhaltigkeitszielen statt, sondern es wird nur auf Rendite und Liquidität geschaut."
Und das sei zudem sehr riskant, so Schick. Denn die sogenannte Carbon-Bubble, die Kohlenstoffblase drohe zu platzen. Will die Weltgemeinschaft die Klimaziele erreichen, dann muss sehr viel Kohle, Öl und Gas im Boden bleiben. In vielen Energieunternehmen sind diese Vorräte aber schon im Aktienkurs eingepreist – eine Finanzblase die irgendwann platzen könnte.

Einen ersten Schritt hat die Bundesregierung jetzt allerdings getan. Ein Sustainable-Finance-Beirat wurde berufen. Der soll den Finanzstandort Deutschland auf Nachhaltigkeit trimmen. Andere Länder sind aber schon wesentlich weiter.
Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde der Lausitzer Energie Bergbau
Die Carbon-Bubble droht zu platzen: Investitionen in Kohlekraftwerke wie hier in der Lausitz sind riskant.© dpa / Patrick Pleul
"In Deutschland hat man das Thema völlig verschlafen unter Wolfgang Schäuble. Es gab da eine Borniertheit, dieses Thema auszublenden, das muss man schon suchen in dieser Form. Das ging so weit, dass das Finanzministerium unter Wolfgang Schäuble, als es die G20-Präsidentschaft von China übernommen hat, hektisch Expertise zusammensuchen musste. Weil, da gab es eine Arbeitsgruppe zu Green Finance, die die Chinesen gestartet hatten und wo man in Deutschland im Finanzministerium gar nicht wusste, was man damit anfangen sollte. Das Finanzministerium in Berlin hat aus Peking Ökologie am Finanzmarkt sozusagen gelernt."

Versicherer liegen beim Divestment vorne

Der Beirat soll das nun ändern. Auch Gerhard Schick arbeitet dort mit. Ziel ist es, der Bundesregierung konkrete Handlungsempfehlungen auch für Gesetzesänderungen zu geben.
"Und ich glaube, es ist dringend notwendig für die Erreichung der Klimaziele, aber auch für den Erfolg der Finanzbranche in Deutschland. Wenn man an so wichtigen Zukunftsthemen vorbeigeht, dann riskiert man ja, dass das nochmal passiert, was man in der Finanzkrise 2008/2009 beobachten konnten, dass nämlich deutsche Banken die waren, die immer als letztes gemerkt haben, wo die faulen Eier im Portfolio sind und Milliarden an Verlusten angehäuft haben."
Eine Kernidee ist, ESG-Kriterien in die Bilanzierung der Unternehmen mit aufzunehmen. Aktiengesellschaften haben klare Vorschriften, wie sie wichtige Kennzahlen wie Umsatz und Gewinn ausweisen. Für die Klima- und Umweltbilanz eines Unternehmens gibt es das bisher nicht. Und das macht es für einen Investor schwer zu vergleichen, wenn er sein Investment daran ausrichten will.
"Wenn unsere Welt drei bis fünf Grad heißer wird, ist sie nicht mehr versicherbar", sagt Thomas Buberl, Vorstand beim französischen Versicherungskonzern AXA. Vielleicht eine Erklärung dafür, warum es gerade Versicherungen sind, die beim Divestment mit vorn liegen. Auch die Allianz hat seit 2015 eine Divestment-Strategie. Die Idee, so Thomas Liesch, Nachhaltigkeits- und Klimaexperte beim börsennotierten Versicherungsriesen, ist es, nur in Unternehmen zu investieren, die bereit sind für die Transformation in eine kohlenstofffreie Wirtschaft.
"Das heißt, unser Investmentportfolio soll ja Unternehmen am Ende drin haben, die dieses Problem sehen und das Geschäftsmodell anpassen und umstellen, die ihre Produkte ändern und so weiter und so fort. Dadurch sehen wir für uns das auch als eine gewisse Risikominimierung. Das ist unser langfristiges Ambitionsniveau. Wir wollen ein 1,5-Grad-kompatibles Investitionsportfolio haben. Dafür wollen wir, dass die Unternehmen in unserem Portfolio sich auf die Reise machen."

Die Unternehmen zu umweltfreundlichem Handeln anhalten

Das Regelwerk wurde gemeinsam mit NGOs erarbeitet. Es schließt heute Unternehmen aus, die 30 Prozent oder mehr ihres Umsatzes mit Kohle machen oder in neue Kohlekraftwerke investieren. Schritt für Schritt wird das verschärft. 2050 soll das Investmentportfolio eine Netto-Null in den CO2-Emissionen haben.
"Und wenn wir eben bei den Unternehmen sehen, dass gewisse Risiken nach unserem Ermessen nicht ausreichend adressiert sind oder auch gewisse Chancen auch nicht realisiert werden, Stichwort eben die Transformation zu der Low-Carbon-Economy, wie es so schön heißt, dann sprechen wir mit den Unternehmen."
Engagement heißt dieser Ansatz. Anders als das Land Berlin mischt sich die Allianz also ein. Thomas Liesch nennt ein Beispiel.

"Wir hatten einen Dialog begonnen mit einem Metallproduzenten aus einem Schwellenland, bei dem es zum Thema Schadstoffemissionen, Treibhausgasemissionen und Betriebssicherheit gewisse Mängel gab. Und beim Thema Klimawandel und Treibhausgase relativ wenig Offenheit, das Problem anzuerkennen oder jenseits von gesetzlichen Anforderungen tätig zu werden. Und jetzt könnte man natürlich sagen: Okay, wir lassen es dabei und wir ziehen unser Geld ab. Wir haben gesagt, nein, das machen wir nicht, wir bleiben dabei, wir bleiben dran."
Die Allianz, so berichtet Liesch, habe dann immer wieder Briefe geschrieben und das Unternehmen kontaktiert, um sich darüber auszutauschen, auch um zu zeigen, dass es Vorteile daraus ziehen würde.
"Denn das Unternehmen produziert Metalle, die für die Elektromobilität relevant sind. Das heißt, eigentlich hat es ein genuines Interesse daran, dass der Strukturwandel vorankommt. Aber um glaubwürdig zu sein, muss es natürlich auch selber Treibhausgasemissionen reduzieren."
Nach langem Hin und Her gab es vor wenigen Wochen wieder ein Treffen. "Diesmal waren ein Dutzend Direktoren von deren Seite da und die haben mitgebracht: ein klares Bekenntnis, dass man sich internationalen Best-Practices verschreibt, dass man sich den aktuellen Standards beim Reporting verschreibt zu Nachhaltigkeitsthemen, dass es jetzt ein Nachhaltigkeitskomitee auf Vorstandsebene gibt und so weiter und so fort."
Das sei ein Paradebeispiel, so Thomas Liesch, so laufe es nicht immer. Finanzkonzerne setzen aber nicht nur Unternehmen unter Druck, an denen sie Anteile halten, auch die Politik drängen sie. Im Vorfeld des Klimagipfels in New York im September beispielsweise gab es zwei große Appelle. Einen der Assett Owner Alliance, das sind internationale Versicherer und Pensionsfonds, die 2,4 Billionen US- Dollar verwalten – mit dabei: die Allianz. Sie fordern von Politik und Finanzbranche, stärker am Ziel einer kohlenstofffreien Wirtschaft bis 2050 zu arbeiten.

Klimawandel bietet Chancen für Investoren

Ein weiterer Appell kam von 515 Großinvestoren mit einem Kapital von 35 Billionen Dollar, auch hier war neben deutschen Banken die Allianz dabei. Ihre Botschaft: Die Klimaziele von Paris reichten nicht aus, um mögliche negative wirtschaftliche Folgen des Klimawandels zu verhindern. Einerseits birgt der Klimawandel für die Investoren enorme Risiken, andererseits stecken im Umbau der Wirtschaft riesige Chancen.
"Ziel von der Transformation muss ja sein, dass sie finanziert wird. Sie muss abgesichert werden über Versicherungen und sie muss Kapital bekommen von Banken und von institutionellen Investoren." Und da will man natürlich mitverdienen. Um Risiken zu minimieren, fordern die Konzerne klare politische Rahmenbedingungen.
Die Hinwendung zu Unternehmen, die für die kohlenstofffreie Wirtschaft stehen, spürt man auch bei den großen deutschen Energieunternehmen, das bestätigt Markus Hennef. Er ist Sprecher der Steag, einem Energieversorger aus Essen, der Steinkohlekraftwerke im Ruhrgebiet und im Saarland betreibt. "Wir sehen natürlich, dass sich bestimmte Partner, mit denen wir früher erfolgreich und lange zusammengearbeitet haben, von Steag abwenden, weil sie einfach aufgrund der Anlagevorschriften kein Geld mehr in ein Unternehmen investieren können, dürfen, was anscheinend im Schwerpunkt mit Kohleverstromung zu tun hat."
Welche Effekte das auf das Unternehmen hat, ist schwer zu ermitteln. Fest steht aber: Die Steag gibt zur Finanzierung des laufenden Geschäfts Schuldscheine aus und sie muss ihre Kraftwerke versichern. Wenn das – wie üblich – als Ausschreibung gemacht wird, dann können Banken und Versicherungen Gebote beispielsweise für die Haftpflichtversicherung eines Kraftwerks abgeben. Je weniger Versicherungen sich daran beteiligen, umso weniger Wettbewerb gibt es, umso teurer wird tendenziell diese Versicherung und damit auch der Betrieb des Kraftwerks.
Markus Hennef weist aber darauf hin, dass die Steag heute 75 Prozent weniger CO2 ausstößt als noch in den 90er-Jahren. Es werde keine neuen Kohleaktivitäten mehr geben, stattdessen sollen Windräder gebaut werden. "Die strategische Neuausrichtung von Steag hat natürlich damit zu tun, dass die Energieerzeugung, die Projekte, die wir da realisieren wollen, unter Klimaschutzaspekten, unsere Klimabilanz weiter verbessern."
Viele Punkte beeinflussen die Strategie der Energieunternehmen. Der Marktpreis für Strom ist auf jeden Fall eine wichtige Größe. Strom aus Steinkohle rechnet sich immer weniger. Braunkohle dagegen ist nach wie vor rentabel. Sie verursacht allerdings einen wesentlich höheren CO2-Ausstoß.
Die Betreiber der Braunkohlekraftwerke wollten sich nicht äußern, wie sie zum Thema Divestment stehen. RWE teilt schriftlich mit, man habe erst kürzlich eine Kreditlinie am Markt platziert, die deutlich überzeichnet gewesen sei. Auch habe kein Gesellschafter angekündigt auszusteigen, auch kein Versicherer, auch nicht die Allianz. Bei EPH, der tschechische Konzern, der die Braunkohletagebaue in der Lausitz und südlich von Leipzig betreibt, will man sich nicht äußern, auch nicht schriftlich. Man wolle keine schlafenden Hunde wecken, teilt der Sprecher am Telefon mit.

Rendite bleibt wichtigstes Ziel

Die Divestment-Aktivisten sind mittlerweile im Finanzministerium in Berlin angekommen. Sie sind in den Eingangsbereich eingedrungen, haben Regenschirme mit der Aufschrift "EIB Fossile Free" aufgespannt. Die Sicherheitsleute versuchen, die Besetzer zu vertreiben: "Stopp! Raus! Das ist nicht in Ordnung. Die Polizei ist in drei Minuten hier. Alles ausmachen, wer ist hier der Verantwortliche. Kamera aus. Raus. Zu Ende. Hallo, und sie gehen auch bitte raus. Wir betrachten das als Hausfriedensbruch."
Für Kirsten Krüger von Fossile Free Berlin ist es wichtig, die Unternehmen von verschiedenen Seiten unter Druck zu setzen. Dazu könne jeder Einzelne beitragen.
"Wenn jemand wirklich sagt, ich habe eine begrenzte Menge an Zeit und möchte mich um das Thema Geld und Klima kümmern, frag mal bei deiner Bank nach oder bei deinem Versicherer oder bei deiner Krankenkasse, wie die Geld anlegen. Weil: Damit hat man den viel größeren Effekt, als jetzt Stunden und Tage drauf zu verwenden zu gucken: Wo ist mein eigenes Geld."
Immer mehr Banken und Finanzkonzerne nehmen die ESG-Kriterien in ihre Strategie auf. Das sei der große Erfolg der Bewegung, sagt Agnes Fessler von der Uni Jena. Entscheidend sei aber, was passiert, wenn die Nachhaltigkeit mit der Renditeerwartung kollidiert. Ihre Beobachtung ist, dass bei den meisten die Rendite nach wie vor die wichtigste Größe ist. Und das sei auch eine Schwäche der Divestment-Bewegung, so Fessler.
"Die Rendite und Wachstumserwartung der Investoren, die werden ja nicht an sich problematisiert. Und die liegen ja gerade den kurzfristigen Unternehmensstrategien auch dieser fossilen Industrien zu Grunde, die werden ja teilweise gerade getrieben durch die kurzfristigen Aktionärsinteressen nach Gewinnmaximierung. Dass das im Finanzsystem selber und in so einer kapitalistischen Wachstumslogik selber liegt, das wird ja von der Bewegung nicht problematisiert und man könnte sogar sagen, dass das in gewisser Weise ein bisschen entproblematisierend wirkt, indem man sagt: Ja, die sind jetzt Teil der Lösung."
Als Heiner Lempp in den 80er-Jahren zu seiner Volksbank in Tübingen gegangen ist und gefragt hat, ob die Bank Geschäfte mit Südafrika mache, da war der Kundenbetreuer völlig vor den Kopf gestoßen, erinnert sich der Arzt. Irgendwann habe man eingeräumt, ein bisschen mit der Goldwährung des Landes zu handeln. Seither ist er bei Nachhaltigkeitsbanken – zuerst bei der Ökobank und jetzt bei der GLS-Gemeinschaftsbank.

"Ob mein GLS-Aktienfonds im Moment ein bisschen schneller oder ein bisschen langsamer steigt als irgendein Fonds, der sich streng an den DAX hält, oder der, was weiß ich, in Futures investiert und die Weizenernte vom nächsten Jahr bewettet oder irgendwie sowas, das weiß ich nicht und das ist mir auch egal, sozusagen. Wo ich investiere, das muss schon auch stimmen, das muss schon auch für mich in Ordnung sein.

Sprecher: Viktor Neumann
Regie: Stefanie Lazai
Technik: Hermann Leppich
Redaktion: Constanze Lehmann

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