Ökologische Theologie
Notgemeinschaft in der Sintflut: Verantwortung für die Schöpfung wird dem Menschen bereits in der Bibel aufgetragen. © Getty Images / rudall30
"Die Schöpfung verlangt uns eine Verantwortung ab"
10:24 Minuten
Ökologische Fragen sind in den Kirchen oft Nebensache. Um ihnen mehr Raum zu geben, brauche es keine neuartige Ökotheologie, sagt der Theologe und Biologe Oliver Putz. Es gehe darum, den richtigen Moment fürs Handeln nicht zu verpassen.
Kirsten Dietrich: Muslimisch inspirierte Landwirtschaft, der jüdische Schabbat als Tag für die Umwelt – reicht das, was Religionen so in Sachen Umweltschutz zu bieten haben, oder braucht es mehr, braucht es so etwas wie eine eigene Ökotheologie? Darüber möchte ich jetzt reden mit Oliver Putz. Oliver Putz hat nicht nur einen, sondern gleich zwei Doktortitel – einen in Biologie, einen in katholischer Theologie. Das passt natürlich ganz wunderbar, wenn man über die religiösen Dimensionen der Ökologie nachdenkt oder auch über die ökologischen Seiten des Glaubens.
Umwelt-Enzyklika des Papstes
Sie denken nach über Umweltfragen in Oxford beim Laudato Si’ Institute, das ist eine katholische Einrichtung, angelehnt an die gleichnamige Umweltenzyklika von Papst Franziskus, die er 2015 veröffentlicht hat. In diesem päpstlichen Lehrschreiben hat Franziskus einen ganz umfassenden Entwurf von Umweltschutz vorgestellt. Das war vor beinahe sieben Jahren. Was hat sich getan in diesen sieben Jahren?
Oliver Putz: Einiges. Zunächst muss man mal sagen, die sozialökologische Krise, – denn das ist es ja, es ist ja nicht nur eine ökologische Krise, sondern eine sozialökologische Krise –, die ist mittlerweile auch im Bewusstsein der Gläubigen weltweit angekommen. Dazu hat die Enzyklika sicherlich auch noch mal beigetragen. Und als ein Teil der katholischen Soziallehre, – denn so hat sie sich auch verortet, diese Enzyklika –, muss sie natürlich von der Kirche wahrgenommen werden und ernst genommen werden.
Das heißt, wir müssen darüber nachdenken. Ob wir wollen oder nicht, steht gar nicht zur Debatte. Das ist jetzt ein Text, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Die Forschung ist da dran, auch in den Gemeinden passiert viel, aber da ist immer noch viel Luft nach oben.
Dietrich: Was bringt denn das theologische Nachdenken über zum Beispiel Klimawandel, über Klimakatastrophen? Also, was verändert sich damit? Was kann zum Beispiel der theologische Begriff der Schöpfung, was der biologische Begriff des Ökosystems nicht kann?
Putz: Der Begriff des Ökosystems beispielsweise, dieses biologische Nachdenken über die Zusammenhänge in der Ökologie, das ist ja eine wissenschaftliche Herangehensweise. Und das heißt, die ist reduktionistisch angelegt. Als Biologen fokussieren wir uns gänzlich darauf, die messbaren Beziehungen von Ursache und Wirkung zu beschreiben und zu verstehen und daraus dann Rückschlüsse zu ziehen, wie dieses System funktioniert.
Das ist auch gut so, das soll auch so sein, als Biologe muss ich methodologisch-reduktionistisch arbeiten. Das ist in Ordnung. Aber die Frage ist: Sollte ich es dabei belassen, ist das wirklich die ganze Realität, oder gibt es da nicht noch mehr?
Sinnfragen jenseits der Biologie
Zum Beispiel gibt es Fragen, wo es um den Sinn des Seins gehen kann, wo es um den Wert des Lebens gehen kann. Das sind Fragen, da kann die Ökologie und die Biologie eigentlich nicht viel zu sagen. Wenn Ökologen oder Biologen darüber nachdenken, welcher Sinn einem Tier oder einer Pflanze zukommt, wenn man über diese Systemzusammenhänge nachdenkt, dann wird das immer gleichgesetzt mit Funktion, aber das meinen wir hier ja nicht. Es geht ja nicht nur darum zu beschreiben: Was macht dieses Tier in diesem System? Sondern es geht ja vielmehr darum: Ist da vielleicht mehr, greift diese Instrumentalisierung dann zu kurz, müssen wir nicht weiter denken?
Und der Schöpfungsbegriff, der denkt natürlich Sinn immer schon mit. Also, die Frage nach dem Sinn des Seins, nach dem Sinn der Schöpfung ist immer schon mitgedacht, weil wir ja glauben, dass es da einen Schöpfer gibt, der das ja mit Intention getan hat, diese Welt zu erschaffen. Hier werden dann naturwissenschaftliche Daten durchaus auch reflektiert und bedacht, aber wir können die Natur nicht darauf reduzieren. Es gibt noch mehr, was uns beschäftigt und was uns beschäftigen sollte.
Insofern wäre das das eine. Das andere, das noch dazukommt, ist natürlich, dass Schöpfung von uns eine Verantwortung abverlangt. Da ist also auch noch eine normative Dimension mitgedacht. Ich kann mich nicht einfach dieser Schöpfung, Gottes Schöpfung, gegenüber verhalten, wie ich das gerne möchte, egal was komme. Ich habe eine Verantwortung. Insofern ist dieser Begriff für uns dann auch im Nachhaltigkeitsansatz sehr, sehr wichtig, – zumindest für die, die glauben.
Eigenwert jedes lebendigen Wesens
Dietrich: Dann gibt es ja auch noch eine weitere Grundannahme, nämlich die, dass Schöpfung an sich gut ist. Muss man das nicht differenzierter betrachten? Ich meine, immerhin gehört auch das Coronavirus zu Gottes guter Schöpfung.
Putz: Ja, das ist eine Frage, die kriege ich als biologischer Theologe oder theologischer Biologe immer wieder gestellt. Da muss man vorsichtig sein. Wenn wir sagen, die Schöpfung ist gut, dann heißt das nicht nur „gut für den Menschen“. Es geht ja eben darum, dass alle Geschöpfe ihren intrinsischen, also ihren ganz eigenen Wert haben, und der ist gottgegeben. So gesehen muss man dann also sagen, die Gutheit der Schöpfung hat mit etwas mehr zu tun als dem, was für uns gut ist.
Dietrich: Bisher ist Umweltschutz – jedenfalls nach meinem Eindruck – in den Kirchen, vielleicht sogar auch in allen Religionen immer so ein bisschen etwas, was man auch noch machen kann, also: Friede, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, aber im Kerngeschäft gehts um was anderes, nämlich um Erlösung und um Sozialfürsorge. Alles wichtige Dinge, aber eben wichtigere Dinge als der Umweltschutz. Und die selbst gesetzten Pläne für Klimaneutralität, die verpassen die Kirchen ja auch regelmäßig. Also, braucht es in den Kirchen, in den Religionen vielleicht sogar, einen anderen Stellenwert für den Umweltschutz?
Putz: Ich glaube, da ist schon was dran. Wenn ich das jetzt so sage, muss ich das vielleicht unmittelbar gleich wieder relativieren. Also, in der Theologie ist es schon so, dass das ein wichtiges Thema ist: Wie kümmere ich mich um die Schöpfung, die Wahrung der Schöpfung? Das ist zentral auch in der Theologie. Aber Sie sprachen ja vom Tagesgeschäft der Kirchen, und das ist ja mehr als nur die Theologie, da denke ich schon, dass das tatsächlich ein wenig in den Hintergrund gerückt ist.
Umweltschutz als Verpflichtung
Aber ich glaube, das Wichtige an Laudato Si‘, also an dieser Enzyklika des Papstes, aber auch an Texten, die von anderen Religionen kommen, was da wichtig ist, ist, dass doch immer wieder darauf hingewiesen wird: Die Schöpfung zu schützen ist nicht eine Möglichkeit, sondern eine Verpflichtung, die wir haben, die wir wahrnehmen müssen.
Jetzt ist es aber so, wie Sie sagen: Da gibt es viele andere Themen, die im Vordergrund stehen, und dann neigt man schon mal dazu zu sagen: Gut, dann können wir das jetzt wieder wegschieben. Ein Beispiel jetzt: der Krieg, der gerade begonnen hat. Aber da muss man sagen, auch das hat natürlich nachhaltige oder sozialökologische Dimensionen.
Das heißt also, für mich wäre es wichtig, die Nachhaltigkeit wirklich sinnvoll in den Vordergrund zu rücken und beispielsweise die Frage der theologischen Anthropologie – also: Was ist der Mensch? Was ist seine Stellung in dieser Welt? – weiter und neu zu bedenken. Aber dann liegt es an uns Theologen, das auch irgendwie so rüberzubringen und zu vermitteln, dass es verstanden wird und sich nicht nur in sehr wichtigen, aber doch schwer zu lesenden Büchern befindet, sondern das müssen wir dann natürlich auch vermitteln und nach draußen tragen.
Dietrich: Braucht es vielleicht eine ganz andere Theologie, eine, die ihre Schwerpunkte anders setzt?
Putz: Schwerpunkte ja – neue Theologie würde ich vielleicht so nicht sagen. Klar, es gibt immer wieder Zäsuren in dieser Entwicklung der Wissenschaften, also das, was Thomas Kuhn Paradigmenwechsel genannt hat – das heißt: wo sich die Matrix, die vielleicht zugrunde liegenden Theorien oder Ideen durchaus massiv verändern, sodass es wirklich ein Umschwenken im Denken und Arbeiten gibt. Das ist schon möglich, das kann auch in der Theologie der Fall sein, aber ich glaube, das ist hier nicht nötig. Ich glaube, wenn es um die ökologische Krise geht, ist es gar nicht wichtig. Wir müssen einfach nur neue Akzente setzen. Es geht darum, den Schwerpunkt anders zu legen und nicht unbedingt die Theologie neu zu überdenken.
Dietrich: Das heißt, es braucht keine ausdrückliche Ökotheologie?
Putz: Doch, das kann man machen. Also, wir reden von Ökotheologie, ich würde nur sagen, dass diese neue Ökotheologie nicht ganz so neu ist, dass man sagen muss: So was gab es nie, sondern die macht genau das. Sie setzt den Schwerpunkt anders.
Kairos: der richtige Zeitpunkt zum Handeln
Dietrich: Beim Thema Perspektivwechsel für die Theologie: Da ist ein Vorschlag, von Erlösung anders zu reden – Erlösung, eines der zentralen Themen im Christentum, diese Erlösung nicht mehr jenseitig zu denken, auf das neue, andere, erlöste Leben zu fokussieren, sondern Erlösung wirklich radikal diesseitig zu denken und zu sagen: Erlösung ist Befreiung von den zerstörerischen Mechaniken hinter der Umweltzerstörung.
Putz: Ich glaube, das würde ich ein bisschen anders sehen wollen. Erlösung ist im Christentum schon etwas Transzendentes und das ist auch in Ordnung so. Da würde ich gar nicht unbedingt sagen, dass es hier nötig wäre, das ins Diesseits zu rücken.
Es geht um etwas anderes: Wir sind aufgerufen, – es ist ein ganz klarer Auftrag, den wir auch aus der Bibel kennen, also ein jesuanischer Auftrag –, wir sind aufgerufen, dieses Reich Gottes, um das es hier geht, mitzugestalten. Wir können nicht einfach sagen: Ist mir doch egal, ich warte mal darauf, was später kommt. Diese Haltung gab es in der Kirchengeschichte auch mal, das gibt es auch vielleicht immer wieder, aber darum geht es nicht. Es geht darum, das eigene Handeln wirklich immer wieder infrage zu stellen und zu schauen: Muss ich denn umkehren oder nicht?
Wenn das Reich Gottes auf der Kippe steht
Der evangelische Theologe Paul Tillich hat mal sehr schön vom "Kairos-Moment" gesprochen, also von diesen Momenten, wo wir existenzielle Entscheidungen zu treffen haben und innerhalb der Kirche uns überlegen müssten: Müssen wir denn nicht was tun, kann denn dieses Projekt, das Reich Gottes, unter Umständen, auf der Kippe stehen?
Und da schlägt Tillich eben genau in diesen Momenten vor, dass hier eine existenzielle Entscheidung angebracht und erwartet wird. Ich denke, darum geht es. Es geht darum, in diesem Leben hier, diesseitig an diesem Reich Gottes mitzuarbeiten, und da müssen wir nicht auf die Ewigkeit warten. Wenn wir natürlich nur noch darauf hoffen, jetzt etwas Anständiges zu machen, um dann auch später ordentlich in der Ewigkeit anzukommen, – das ist natürlich immer wieder ein Problem. Aber ich finde es ganz wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass spirituelles Leben nicht nur Kontemplation ist und das Warten auf die Ewigkeit, sondern eben auch Handeln.
Dietrich: Dieser Kairos, der hat ja auch die unangenehme Eigenschaft, dass er vielleicht aufscheint als der richtige Zeitpunkt fürs Handeln, dass man ihn aber auch verpassen kann.
Putz: Den kann man verpassen, genau. Das ist genau der Punkt.
Dietrich: Laufen wir Gefahr, den zu verpassen?
Putz: Ja. Deshalb, ich benutze diesen Begriff tatsächlich ganz dezidiert und spreche hier von einem ökologischen Kairos, weil ich die Sorge habe, dass wir diesen Moment verpassen, ja.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.