Ökologischer Hilfeschrei

Rezensiert von Lutz Bunk |
Zwei Drittel des Globus bestehen aus Ozeanen, aber wir wissen mehr über den Mond als über das Leben in diesen Weltmeeren. Abhilfe kann das neue Buch von Richard Ellis schaffen, das detailliert die zahlreichen Tierarten, ihre Lebensräume und ihre Ausrottung dokumentiert. Ganz nebenbei liefert Ellis in angelsächsischem Plauderton Fakten über den dramatischen Zustand des Lebensraums Meer.
Zwei Drittel des Globus bestehen aus Ozeanen, aber wir wissen mehr über den Mond als über das Leben in diesen Weltmeeren. Einen Blick unter die Wasseroberfläche wirft das neue Sachbuch von Richard Ellis: "Der lebendige Ozean. Nachrichten aus der Wasserwelt." Richard Ellis hat 17 Bücher über die maritime Tierwelt geschrieben, er ist Mitarbeiter am staatlichen Naturkunde-Museum der USA, und er hat sich auch hervorgetan als vehementer Tierschützer, zehn Jahre lang war er offizielles Delegationsmitglied der USA auf internationalen Walschutzkonferenzen.

Die Hauptnachricht des Buches ist: die Ozeane leeren sich, rapide und dramatisch. Allein in den letzten 15 Jahren sind die Welt-Populationen von z.B. Thunfisch, Kabeljau oder Flunder um 85 Prozent zurückgegangen. In einem Interview hat Richard Ellis gesagt, er betrachte das Buch als eine Art letzten Feueralarm, um noch zu retten, was überhaupt noch zu retten ist.

"Der lebendige Ozean" ist ein Buch, das sich rasant durchlesen lässt, wie eine unablässige Folge von Weltreisen; der Leser schaut sozusagen in Australien, Kalifornien oder in der Arktis als Seelöwe aus dem Wasser, und er findet gut konsumierbare, oft sehr kurze Kapitel vor, in denen erschöpfend das Wesen eines jeweiligen Tieres beschrieben wird: biologisch wie mental, die Geschichte seiner Entdeckung, gespickt mit Zitaten und Anekdoten, und die Geschichte seiner Ausrottung und seines heutigen Zustandes, alles mit sehr viel Zahlenmaterial unterlegt.

Und gleichzeitig hat man als Leser nicht das Gefühl, überfrachtet zu werden. Im Gegenteil, Richard Ellis erzählt das alles zunächst in einem netten angelsächsischen Plauderton, bis man merkt, dass man tatsächlich einen Thriller liest, und bei jeder Plastiktüte, die man im Wasser treiben sieht, wird man in Zukunft an erstickende Wasserschildkröte denken.

Überall, wo Wasser ist, wird ausgerottet, 56 Tonnen Seepferdchen pro Jahr weltweit. Pro Jahr werden bis zu 70 Millionen Haie getötet. 99 Prozent der gefangenen Haie, werden allein die Flossen abgeschnitten, um sie als Aphrodisiakum zu verwenden.

Oder wie wäre es mit Lachs zum Frühstück? Sie wollen sich was Gutes gönnen, Wildlachs z.B.? Denken Sie daran, dass 40 Prozent der Wildlachs-Bestände aus Lachsen bestehen, die aus Fischfarmen geflüchtet sind, gen-manipulierte, kranke Tiere voller Antibiotika. Die 340 Lachs-Zucht-Farmen in Schottland produzieren doppelt soviel Abwasser wie die gesamte Bevölkerung Schottlands.

Delphine pflanzen sich nicht mehr fort, die Welt ist ihnen zu stressig geworden. Und wenn Sie Thunfisch-Fan sind, decken Sie sich ein, das wird eine gute Geldanlage, für besondere Exemplare zahlen japanische Feinschmecker schon bis zu 176.000 Dollar. Korallen sterben aus, und damit ganze Ökosysteme.

Und guten Appetit bei Ihrem Frühstücksei, das Huhn wurde nämlich mit Fischmehl gefüttert. Die Perspektiven sind dramatisch. Die Ernährungsgrundlage der Weltbevölkerung ist in akuter Gefahr. Und eigentlich kann man nur noch resignieren. Was kann man tun? Vegetarier werden, Freunden das Sushi-Essen mies machen? Auf jeden Fall aber einfach so wütend sein wie Richard Ellis.


Richard Ellis: Der lebendige Ozean. Nachrichten aus der Wasserwelt Übersetzt von Olaf Kanter
Marebuch Verlag 2006,
518 Seiten, 29.90 €.
Nachrichten aus der Wasserwelt von Richard Ellis
"Nachrichten aus der Wasserwelt" von Richard Ellis© marebuchverlag