Komplexer und widerstandsfähiger
Immer mehr Winzer in Deutschland, Frankreich und der Schweiz setzen auf Biowein. Ohne chemisch-synthetische Hilfsmittel sind sie auf innovative biologische Methoden angewiesen, um die Reben gesund zu halten.
Man kann sie schon von Weitem erkennen, die Rebreihen des kleinen Schweizer Ithaka Instituts für Ökologie und Klimafarming in einigen hundert Metern Höhe im Schweizer Wallistal oberhalb der Kleinstadt Sion gelegen. Inmitten kahler Weinberge mit blanker Erde sprießen zwischen den Weinstöcken des Institutsleiters Hans-Peter Schmidt Johannisbeeren, Kartoffeln, Tomaten, Kürbisse, Kleesorten, Erbsen, bunte Blumen.
Er experimentiert mit verschiedenen Samenmischungen, die das Bodenleben bereichern und damit die Rebengesundheit fördern sollen:
"Die Pflanze nimmt von der Sonne Energie auf und setzt ein Drittel von ihrer Energie dafür ein, Bodenorganismen zu ernähren. Das macht sie natürlich nicht, weil sie Mutter Theresa ist, sondern sie hat was davon. Sie bekommt im Austausch Nährstoffe und bekommt im Austausch dafür Schutz, das heißt, es gibt ein ganzes Universum um diese Wurzel herum. Das nennt man die Rhizosphäre, die Wurzelsphäre. Da gehören Milliarden Mikroorganismen dazu, die ein riesiges Netzwerk zwischen unterschiedlichen Pflanzen, zwischen Partikeln des Bodens, Mineralstoffen und der Hauptpflanze setzen."
Für Ithaka-Forscher Hans-Peter Schmidt ist das eine riesige Daten- und Nährstoffbahn, die da im Untergrund im Bereich der Pflanzenwurzeln stattfindet.
"Also die Begrünung stimuliert das ganze Bodenleben. Sie sorgt dafür, dass Mineralstoffe aus dem Boden aufgenommen werden können und dass die Mikroorganismen, die im Boden sind, vielfältige Nahrung bekommen, und damit ein stabiles System. Es ist gegen Einflüsse von außen, seien es klimatische Einflüsse oder durch Schädlinge viel resistenter."
Ohne Chemie und Kunstdünger
Diese Stärkung des Bodenlebens und damit der Reben ist auch dringend nötig, denn Biowinzern sind alle jene chemisch-synthetischen Spritzmittel verboten, die konventionelle Winzer einsetzen, um ihre Pflanzen vor Schädlingen zu schützen. Sie dürfen auch keinen Kunstdünger benutzen. Dafür wachsen zwischen den Rebstöcken stickstoffsammelnde Pflanzen, sogenannte Leguminosen, so Randolf Kauer, Professor für Ökologischen Weinbau an der Universität Geisenheim:
"Klee, Luzerne ist da meistens sehr viel drin, die uns den Luftstickstoff in den Boden bringen, damit wir im Bioweinbau ohne synthetischen leichtlöslichen Stickstoff arbeiten können. Es ist jetzt nicht so, dass im Bioweinbau Stickstoff grundsätzlich verboten ist, aber halt nur in organischer Form über Stallmist, Kompost oder vielleicht auch mal einen organischen Handelsdünger. Oder im Prinzip leicht gemacht, über die Stickstoff sammelnden Leguminosen in der Begrünung."
Die Begrünung darf den Reben allerdings nicht allzu viel Konkurrenz machen. Ithaka-Forscher Hans-Peter Schmidt hat dafür eine wirkungsvolle Lösung entwickelt.
Ein kleiner Traktor zieht eine schmale Walze hinter sich her, die die Pflanzen abgeknickt, aber nicht abschneidet:
"Die Blüten bleiben intakt, nur der Saftfluss ist um 90 Prozent reduziert und dadurch haben wir eine ganz langsame Humifizierung dieser Begrünung und einen Verdunstungsschutz für den Boden und gleichzeitig eine sehr sanfte Behandlung, dass auch die Organismen und die Kleintiere, die dort leben, nicht ausgerottet werden. Wenn man das schneidet, dann wird das sehr schnell mineralisiert. Beim Walzen ist das nicht der Fall, weil es eine langsame Humifizierung ist. Die führt also zu einer Akkumulierung von Kohlenstoff und von Nährstoffen im Boden."
Timing mit Gespür
Man muss allerdings ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt des Walzens entwickeln, denn eine gewisse Konkurrenz für die Rebstöcke ist durchaus erwünscht. Der Stress führt dazu, dass die Reben weniger Blätter und kleinere Trauben bilden. Dann kann der Wind die Beeren nach Regen rascher trocknen. Kleinere Trauben bilden zudem konzentriertere Aromen.
In der Provence experimentiert der Biowinzer Antoine Kaufmann vom Weingut Chateau Duvivier inzwischen auch mit einer zweiten Idee des Schweizer Bioweinforschers, den sogenannten Biodiversitäts-Hotspots:
"Hier haben wir in der Mitte einen Baum und da hat‘s dann drum rum, da hat's Aromasträucher, hat‘s Steinhaufen, hat’s ein kleines Insektenhotel und die Idee ist eben da, dass man in der Mitte von einer Parzelle auch eine kleine Insel hat, die eben verschiedene von Kleinsttieren, sogar Mikroorganismen, von Hefen, von Bakterien, Pilzarten anzieht und natürlich auch Nützlinge, Schmetterlinge, alle Kleininsekten und auch zum Teil sogar dann auch die Vogelweltvielfalt fördert. Umso mehr Insekten, umso mehr natürlich auch Vögel."
Die bunte Vielfalt ist kein Selbstzweck, so Tobias Timmer, rheinhessischer Biowinzer vom Weingut Hirschhof:
"Die Natur hält sich normalerweise gegenseitig in Schach. Das beste Beispiel ist die Obstbaumspinnmilbe. Das ist eine kleine Milbe, die Blätter gerne ansaugt und wenn sie in Übermaßen auftritt, werden die Blätter leicht bronziert und diese Spinnmilbe hat einen sogenannten Gegenspieler. Das ist die Raubmilbe und wenn man beide in Ruhe lässt, halten die sich sozusagen in der Waage, das heißt, es tritt eigentlich keine Schaden für den Winzer auf, kein sichtbarer und auch in der Qualität kein spürbarer."
Gesunde Artenvielfalt
Man kann das Grundprinzip der Begrünung auf einen Nenner bringen: Je größer die Artenvielfalt, desto gesünder die Reben.
Um die Abwehrkräfte der Rebe zu stärken, setzt man zudem je nach Region auf Aufgüsse aus Fenchel, Brennnessel und Schachtelhalm. Untersuchungen zeigten gute Wirkungen, so Hans-Peter Schmidt:
"In Schachtelhalm ist sehr viel Silizium drin, was als Abhärtung funktioniert und Brennnessel ist viel Stickstoff drin, was auch ein Blattdünger ist. Das heißt, das kräftigt auch die Pflanzen und Salbei nehmen wir. Da sind Savanoide drin, das ist wie eine Seife, sodass, auch wenn Pilzsporen kommen, die schneller abgewaschen werden, die rutschen quasi ab."
Gegen den echten Mehltau, ein von den Biowinzern gefürchteter Schadpilz, hilft unter anderem ganz ordinäres Backpulver, so Tobias Timmer:
"Backpulver ist ja löslich, das heißt, wir lösen es einfach in Wasser auf, und bringen es im Weinberg aus. Es ist einfach so, dass es dann an der Rebenoberfläche und auch an der Beerenoberfläche und auch an den Blättern sich anhaftet und durch seine Wirkung trocknet es etwas die Oberfläche aus. Das heißt also, dem Pilz wird sozusagen auch die Grundlage, die Anhaftungsfähigkeit entzogen, durch das dass es etwas austrocknende Wirkung hat."
All diese Mittel können zwar die Pflanzen stärken, den Krankheitsdruck mindern, aber die Biowinzer kommen letztendlich nicht drum herum, Kupfer gegen falschen Mehltau und Schwefel gegen echten Mehltau zu spritzen. Die Stärkungsmittel helfen allerdings, deren Einsatz zu minimieren.
Licht gegen Pilzkrankheiten
Eine neue Technik könnte Kupfer und Schwefel überflüssig machen. An der Universität Geisenheim ist ein Bestrahlungsgerät entwickelt worden, das sämtliche Pilzkrankheiten dramatisch reduziert. Es ähnelt einer fahrbaren Sonnenbank. In einem U-förmigen Fahrgerüst, das hinter dem Weinbergtraktor angebracht ist, hängen in den beiden U-Schenkeln große Kästen mit senkrecht nebeneinander stehenden Leuchtstoffröhren. Sie nehmen die Reben sozusagen in die Zange und bestrahlen sie mit UV-C-Licht.
"UV-C ist ein bestimmter Bereich innerhalb unseres elektromagnetischen Lichtspektrums, nämlich genau der Bereich 254 Nanometer. Dieser Wellenlängenbereich kommt normalerweise nie unten auf der Erdatmosphäre an, weil er eben schädigend ist für Mikroorganismen und auch für uns selber ist das natürlich eine sehr gute Sache, aber wir können diesen Wellenlängenbereich künstlich herstellen durch UV-C-Röhren."
Erklärt Beate Berkelmann-Löhnertz, die die Arbeitsgruppe Phytopathologie im Weinbau leitet:
"Wir wollen diesen UV-C-Zielbereich, diesen mikrobiell schädlichen Bereich ausnutzen. Kompliziert ist natürlich diese Gratwanderung einerseits Pathogenschädigung und Pflanzennichtschädigung. Das heißt also, ich muss aufpassen, dass ich nicht zu stark bestrahle, dass also meine Wirtspflanze nicht leidet. Das kann natürlich passieren, wenn ich eine zu hohe Dosis wähle, dann besteht durchaus die Gefahr, dass die Pflanze mit Verbrennungen, Verschorfungen reagiert, so ähnlich wie man sich das beim Sonnenbrand vorstellen muss."
Um auch die Blattunterseiten bestrahlen zu können, verfügt das neue Gerät über ein Gebläse, das die Weinblätter anhebt und so den Strahlen aussetzt.
Wilde Spontanhefen
Damit werden allerdings auch jene Hefen geschädigt, auf die die Biowinzer im Keller zunehmend setzen. Hefen entscheiden über den Geschmack und über den Alkoholgehalt des Weins, denn sie besorgen die Gärung des Weins. Normalerweise setzen alle Winzer, egal ob bio oder konventionell, Reinzuchthefen ein. Die kann man im Handel erwerben. Ein Hefefinder der Universität Geisenheim führt über hundert auf. Sie garantieren zuverlässige Ergebnisse, vereinheitlichen aber auch den Geschmack. Darum legen viele Biowinzer zunehmend Wert auf wilde Hefen, auch Spontanhefen genannt, und die siedeln sich in einem artenreichen Weinberg auf der Begrünung an und gehen dann auch auf die Trauben über.
Der rheinpfälzische Biowinzer Alexander Pflüger setzt immer stärker auf sie:
"Wir arbeiten schon auch mit Trockenhefe noch. Wir haben aber mittlerweile unseren Anteil, was die Spontangärung angeht, würde ich mal sagen, auf 40, 50 Prozent erhöht, weil das eine Sache ist, die man auch richtig machen muss. Das ist viel schwieriger, da die Gärung zu führen, wie mit einer Reinzuchthefe. Vor allem auch, weil die Spontanhefen manchmal auch nicht durchgären. Das sind ja wirklich wilde Hefen, die vom Weinberg mitkommen, die absolut tolle Ergebnisse, authentische Ergebnisse dann bringen und letztendlich auch wieder ein Originalabdruck sind von dem Terroir, von der Lage, wo sie herkommen. Das ist ja immer unser Ziel."
Strenge Traubenauslese
Wichtig ist, wie bei allen Weinen, ein sauberes Weingut, also eine strenge Auslese fauliger Trauben. Bleibt die Frage, ob solch ein mit erheblich mehr Arbeitsaufwand erzeugter Biowein sich auch im Geschmack von konventionell erzeugtem Wein unterscheidet.
Biowinzer Tobias Timmer ist da ganz ehrlich:
"In einer Blindverkostung, muss man wirklich sagen, können Sie nicht feststellen, ob es jetzt ein Biowein ist oder kein Biowein. Sie können es in gewissen chemischen Analysen feststellen. Wenn Sie wirklich in die Tiefe gehen, wenn Sie gewisse Rückstände sozusagen von Pflanzenschutzmitteln, wenn Sie das untersuchen in wirklich ganz, ganz kleinsten minimalen Mengen, dann können Sie einen Unterschied feststellen. Ansonsten geschmacklich in der Regel nicht."
Bioweinforscher Hans-Peter Schmidt sieht bei den eigenen Weinen dennoch deutlich Unterschiede zu früher:
"Die Rebe an sich hat viel komplexere Proteine, komplexere Aromen, komplexere Phenolstrukturen und das macht natürlich dann auch den Wein viel komplexer, macht ihn widerstandsfähiger. Das heißt, wir brauchen weniger Konservierungsstoffe in dem Wein und so ist das halt, das ganze System, hängt eines mit dem anderen zusammen. Wenn wir es insgesamt komplexer machen, dann haben wir am Ende auch einen komplexeren Wein. Das können wir beweisen, das können sie selber verkosten."
Dem Autor jedenfalls haben die Bioweine ausnehmend gut gemundet.