Soziale Herkunft entscheidet über Zukunft
Der Verhaltensökonom Armin Falk interessiert sich für die Frage, wie es in einer Gesellschaft allen so gut wie nur möglich gehen kann. Dazu müssen soziale Ungleichheiten ausgeglichen werden. Wie aber kann das gelingen?
Anke Schaefer: Das fragen wir jetzt Professor Armin Falk. Er ist Verhaltensökonom und Direktor des Behaviour and Inequality Research Institute an der Universität Bonn. Er steht auf Platz 7 in der Liste der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands, und er hat eine Mission: Er hat nicht nur Wirtschaftswissenschaften studiert, sondern auch Philosophie, und es interessiert ihn die Frage, wie es in einer Gesellschaft allen, und zwar wirklich allen, so gut wie nur möglich gehen kann. Dazu müssen soziale Ungleichheiten ausgeglichen werden. Wie aber kann das gelingen? Er ist am Telefon, um uns das zu beantworten. Guten Tag!
Armin Falk: Schönen guten Tag, Frau Scheafer!
Schaefer: Wie können soziale Ungleichheiten ausgeglichen werden? An welchem Gedanken arbeiten Sie da gerade?
Falk: Ich glaube, grundsätzlich kann man an zwei Stellen ansetzen. Das eine, das könnte man vielleicht das sozialdemokratische Programm nennen, das ist, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, so im Nachhinein, also im Erwachsenenalter. Das ist so der ganze Bereich Sozialpolitik, Steuerpolitik, Umverteilung. Und der andere Ansatzpunkt, und das ist das, was mich im Moment mehr interessiert und woran wir arbeiten, nämlich schon in der Entstehung von Ungleichheit anzusetzen. Und dabei spielt eben ganz besonders die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen eine Rolle, weil die Fähigkeiten, die ein Mensch hat, später für den Lebenserfolg von zentraler Bedeutung sind.
Schaefer: Wenn die Persönlichkeit eine entscheidende Rolle spielt, dann heißt das ja, man muss wahrscheinlich da ansetzen, wo sie gebildet wird, das heißt im Kindesalter. Kinder, kann man das sagen, sind je nach Herkunft geduldiger, risikobereiter oder eher bereit, mit anderen zu kooperieren, je nachdem, wie die Persönlichkeit gestaltet ist?
Herkunft entscheidet über Zukunft
Falk: Absolut. Und das ist so sagen wir mal der erste interessante und möglicherweise auch provokante, vielleicht sogar auch skandalträchtige Befund, den wir sehen, dass bereits im Alter von acht Jahren, teilweise sogar noch davor, die soziale Herkunft maßgeblich darüber entscheidet, welches Portfolio an Fähigkeiten, Eigenschaften, Persönlichkeitseigenschaften ein Mensch mitbringt. Sie haben ein paar schon genannt, die für den Lebenserfolg von großer Bedeutung sind. Das sind zum einen soziale Fertigkeiten, also Kooperationsverhalten, Vertrauen, inwiefern man sich prosozial oder fair oder altruistisch verhält, was eben für den Lebensalltag von großer Bedeutung ist, auch später im Arbeitsmarkt.
Aber auch Dinge wie Geduld oder Risikobereitschaft. Wenn jemand ein bisschen risikobereiter ist, dann wird er auch mehr Chancen in seinem Leben ergreifen. Wenn er geduldiger ist, das ist ganz besonders wichtig, dann wird er oder sie mehr investieren, mehr in das Humankapital, mehr in die Chancen, mehr in die Bildung, auch mehr in Beziehungen, mehr in Freundschaften, wird sich eher mal was verkneifen wie Drogenkonsum oder vielleicht auch eine ungewollte Schwangerschaft und so weiter. Also, Geduld, Impulskontrolle sind ganz zentrale Fertigkeiten, die ein Mensch hat oder eben auch nicht hat und die für den weiteren Erfolg im Leben, und zwar ganz allgemein gefasst, also ich meine jetzt hier nicht nur Löhne, Gehälter und Beruf, Karriere und solche Dinge, sondern auch im Privaten, im Lebensglück, in der Gesundheit, im sozialen Miteinander. Das sind eben Fähigkeiten, die tatsächlich ganz wichtig sind. Und da sehen wir schon sehr früh deutliche Unterschiede, je nach sozialer Herkunft.
Schaefer: Aber Sie sind ja Ökonom, und Sie blicken natürlich vor allem auf den ökonomischen Erfolg. Können Sie denn da wirklich wissenschaftlich gesicherte Forschungsergebnisse vorweisen, dass zum Beispiel Altruismus sich positiv auf ökonomischen Erfolg auswirkt?
Schaefer: Aber Sie sind ja Ökonom, und Sie blicken natürlich vor allem auf den ökonomischen Erfolg. Können Sie denn da wirklich wissenschaftlich gesicherte Forschungsergebnisse vorweisen, dass zum Beispiel Altruismus sich positiv auf ökonomischen Erfolg auswirkt?
Falk: Sie möchten mich ja vielleicht gern als Ökonom auf einen sehr engen Ökonomenbegriff festlegen. Der ist aber, wenn ich das mal so sagen darf, ein bisschen überaltert. Ökonomen beschäftigen sich heute ja vielfältig mit dem, was man so als Lebenserfolg bezeichnen kann. Da gehört zum Beispiel das Lebensglück dazu, aber auch Gesundheit und Bildung, und nicht nur so was wie Einkommen. Es ist aber auch so, dass, wenn wir im Erwachsenenalter schauen, tatsächlich auch im engeren ökonomischen Sinne soziale Fertigkeiten eine wesentliche Rolle spielen.
Und das ist auch ganz intuitiv der Fall. Wenn Sie sich überlegen, welche Bedeutung insbesondere der Dienstleistungssektor heute hat, das ist also in der Wertschöpfung in Deutschland mit großem Abstand der wichtigste Bereich. Und Dienstleistung heißt mit Menschen umgehen, heißt Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, und diese Fertigkeiten, die werden meinen Erfolg in diesem Dienstleistungsbereich eben maßgeblich mitbestimmen. Und deswegen ja, kann man sagen, ein höheres Maß an Prosozialität, an kommunikativen Fertigkeiten ist auch in diesem engeren ökonomischen Sinne tatsächlich von Vorteil. Im Allgemeinen kann man das bejahen.
Schaefer: Wenn das so ist, dann wäre es ja schön, man könnte dafür sorgen, dass Kinder eine starke Persönlichkeit entwickeln können. Was kann man tun dafür, dass sie geduldiger, kooperativer, vertrauensvoller werden?
Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen unterstützen
Falk: Man kann die soziale Umgebung von Kindern positiv beeinflussen. Und wir diskutieren das ja in Deutschland schon lange, dass man Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen unterstützen soll. Das kann man auf ganz vielfältige Art und Weise tun. Wir haben uns ein bestimmtes soziales Programm genauer angeschaut, ein sogenanntes Mentorenprogramm, das heißt "Balu und Du", das, genau wie fast alle anderen Projekte, die ich kenne, bis heute nicht wirklich auf eine kausale Wirksamkeit hin untersucht worden ist. Und bei dem Programm geht es darum, dass ein Mentor, das ist eine Frau oder ein Mann, meistens waren es Studierende, das Kind in dem Familienkontext einmal in der Woche nachmittags besucht. Es geht nicht um bessere Noten in Mathematik, sondern es geht darum, das Selbstvertrauen des Kindes zu stärken, neue Perspektiven zu eröffnen.
Und das gelingt eben dadurch, dass der Mentor oder die Mentorin mit dem Kind alle möglichen Aktivitäten unternimmt, von Erzählen, Kochen, Backen, auf den Bolzplatz gehen. Um kausale Effekte herauszufinden, müssen Sie hier einen Trick anwenden: Unter denen, die bereit wären, an einem solchen Mentorenprogramm teilzunehmen, wird zufällig ein Teil ausgewählt, der dann tatsächlich einen Mentor bekommt, und der andere Teil bekommt ihn nicht. Das ist dann die sogenannte Kontrollgruppe. In der Gruppe, die den Mentor bekommen hat, ist die Wahrscheinlichkeit, aufs Gymnasium zu gehen, um etwa elf Prozentpunkte höher als in der Kontrollgruppe, und da die Zuweisung des Mentors in den Familienkontext zufällig war, können Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen kausal interpretiert werden. Und das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zur momentanen Studienlage nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, wo die meisten Studien, wenn es überhaupt ernst zu nehmende Studien gibt, auf Korrelationen basieren mit erheblichen methodischen Problemen, auch was die Interpretation angeht.
Schaefer: Wenn solche Mentorenprogramme also funktionieren und Sie das mit Sicherheit jetzt sagen können, dann fragt man sich natürlich, warum werden die nicht längst flächendeckend eingesetzt?
Falk: Eine Frage, die ich auch eigentlich nur an die Politik weitergeben kann, weil wir eben wirklich davon überzeugt sind, dass es Kindern helfen kann.
Schaefer: Armin Falk. Er ist Professor für VWL in Bonn und sprach mit uns in unserer Reihe "Woran arbeiten Sie gerade?" Vielen Dank, Herr Professor Falk, für das Gespräch!
Falk: Sehr gern!