Ökonom: EU soll sämtliche Schulden Griechenlands übernehmen
Nach Ansicht von Andreas Botsch, Chefökonom am Europäischen Gewerkschaftsinstitut, soll die EU für alle Verbindlichkeiten Griechenlands einstehen. Zudem fordert er ein längerfristiges Konzept für das Land.
André Hatting: Ich versuche es jetzt mal mit einer Allegorie: Ein todkranker Patient, der sich entsetzlich quält. Die Ärzte sagen, wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, schnell eine neue Vitaminspritze - aber nur, wenn wir gleichzeitig auch noch das linke Bein amputieren dürfen! Der Patient heißt Griechenland und die Ärzte EU, EZB und IWF.
Das Parlament in Athen hat der neuen Amputation, also dem Sparpaket jetzt zugestimmt, dafür bekommt das Land eine neue Geldspritze, 130 Milliarden Euro. So geht das in etwa seit über einem Jahr. Aber die Wirtschaft kommt dadurch nicht auf die Beine, so bleibt es beim Getaumel am Abgrund. Andreas Botsch ist Chefökonom am Europäischen Gewerkschaftsinstitut und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Botsch!
Andreas Botsch: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Herr Botsch, es gibt Fälle, in denen es humaner ist, einen Patienten sterben zu lassen. Ist Griechenland so ein Fall?
Botsch: Nein, auf gar keinen Fall. Wir dürfen Griechenland nicht sterben lassen, sondern wir sollten die richtige Medizin anwenden und nicht, wie Sie eben sagten, zu dem ersten Bein auch noch das zweite amputieren.
Hatting: Was ist die richtige Medizin für Griechenland?
Botsch: Also, zunächst muss man feststellen, dass die ganze Strategie der Europäischen Union bisher grandios gescheitert ist. Den Griechen zu sagen, sie müssten sparen, sparen, sparen, das führt nicht zu einer Lösung, sondern immer nur tiefer in die Krise. Das Land hat in den letzten drei Jahren 18 Prozent seiner Wirtschaftskraft verloren, 18 Prozent Einbruch des Bruttoinlandsproduktes. Und dazu sagte schon Helmut Schmidt, das ist ein grober Unfug, das Land kann nur aus der Krise herauswachsen und kann sich nicht heraussparen.
Hatting: Herr Botsch, jetzt haben Sie gesagt, wie es nicht geht, nämlich durch Sparen. Was würde denn dieses Herauswachsen aus der Krise konkret bedeuten?
Botsch: Zunächst mal müsste der Druck, den die Troika auf Griechenland ausübt, weggenommen werden. Das ist schon ein sehr grundsätzliches Problem, wenn man versucht, in einer tiefen Rezession durch Minderausgaben des Staates, durch Senkung der Mindestlöhne und der Renten irgendwelche Fortschritte zu erzielen. Das geht nicht.
Der Letzte, der das im Übrigen in Europa versucht hat, war der deutsche Bundesfinanzminister Hans Eichel. Er hat dann feststellen müssen, dass weniger Ausgaben auch weniger Einnahmen bedeuten. Und deswegen müssten die aktuellen Schulden Griechenlands von der Europäischen Union insgesamt übernommen werden, Griechenland müsste von seiner enormen Zinslast unmittelbar entlastet werden. Und dann bräuchte man ein längerfristiges Konzept. Das ist keine Geschichte, die man über Nacht und auf Anordnung lösen kann, sondern wir sprechen hier von einem Zeithorizont von einer oder zwei Generationen, damit das Land genesen kann und zu neuen Strukturen und neuen Impulsen kommen kann.
Hatting: Habe ich Sie gerade richtig verstanden: Die EU soll alle Schulden Griechenlands komplett übernehmen?
Botsch: Die griechische Regierung kann die Schulden nicht mehr bedienen, und da helfen auch keine Zusagen von 130 Milliarden. Das wird wieder ein Paket sein, was nur kurzfristig wirkt. Aber am Ende, wenn die griechische Wirtschaft noch mehr am Boden liegt, wird Griechenland wieder um Hilfe anstehen müssen.
Hatting: Sie haben ja schon am Anfang das Sterbenlassen des Patienten ausgeschlossen, also den Staatsbankrott. Aber Griechenland wäre ja nicht der erste Staat, bei dem so was passieren würde, er hätte ja Vorbilder mit Argentinien und Russland zum Beispiel. Das würde für die Gläubiger natürlich den Totalverlust bedeuten. Aber wäre das angesichts der Milliarden, die jetzt schon geflossen sind und noch fließen sollen, nicht das berühmte Ende mit Schrecken anstelle von ... na, Sie wissen schon?
Botsch: Aber Griechenland ist nicht Argentinien, sondern Griechenland ist Mitglied der Europäischen Union. Und deswegen kann Griechenland auch mit unserer Solidarität rechnen, wir haben da eine Verpflichtung. Wenn wir Griechenland in die Insolvenz gehen lassen, würden wir am Ende viel mehr draufzahlen. Weil, das hat sofort eine Kettenreaktion zur Folge. Wir hätten eine ähnliche Situation in Portugal, das zeichnet sich ja auch in den vergangenen Tagen schon ab, das würde zu einem Flächenbrand. Und der Flächenbrand würde bedeuten, dass wir letztlich das Ende des Euros erleben würden. Und am Ende des Euros würden die Deutschen am meisten zu zahlen haben.
Hatting: Wie viel konkret, was würde denn dieses Szenario kosten?
Botsch: Also, unmittelbar würde das Ende des Euros bedeuten, dass sämtliche Einlagen in der Europäischen Zentralbank verloren gingen. Das sind derzeit 463 Milliarden. Aber das sind nur die unmittelbaren Effekte. Längerfristig geht es darum, dass bei uns der Export zusammenbrechen würde, wir exportieren immerhin 40 Prozent unserer gesamten Exporte in die Eurozone.
Wir hätten hier auf kurze Sicht dann eben auch eine ganz schwere Wirtschaftskrise, weil wir in Griechenland gar nicht die richtigen Ursachen der Krise bekämpfen, sondern nur die Wirkungen.
Hatting: Jetzt haben Sie die Ursachen der Krise angesprochen, und Sie haben vorgeschlagen, dass die EU komplett alle Schulden übernimmt. Aber die Ursache der Krise war ja auch zum Teil eine Misswirtschaft und eben auch geschönte Zahlen, um der Währungsunion beizutreten. Wie bekämpft man denn langfristig diese Ursachen, damit sich das nicht wiederholt?
Botsch: Also, die Integration Griechenlands in den Binnenmarkt ist ein bisschen anders verlaufen, als sich das die Textbuchökonomen vorgestellt haben. Insgesamt hat das Land an Wettbewerbsfähigkeit verloren, aber nicht primär wegen hoher Löhne, sondern weil durch den größeren Markt natürlich ausländische Wettbewerber die einheimische Industrie, das einheimische Gewerbe im Prinzip in den Boden konkurenziert hat. Da waren die Ausländer einfach besser. Und man kann auf Dauer nicht vom Export von Agrarprodukten, Olivenöl oder vom Tourismus alleine leben.
Das heißt, wir brauchen einen Aufbau gesunder Wirtschaftsstrukturen, und das lässt sich nicht über Nacht bewerkstelligen. Nehmen wir mal den Fall der Energiewende in Europa: Wir wissen alle, dass wir eine ... dass die zukünftige Energieversorgung auf den regenerativen Energien fußen muss, und die werden eben im Süden Europas und im Norden Europas hergestellt oder produziert. Die müssen aber in das Zentrum transportiert werden. Das würde ein enormes Investitionsvolumen bedeuten und das sind auch Investitionsprogramme oder Wachstumsprogramme, wenn Sie so wollen, ein Marshallplan, der nicht über Nacht wirken kann, sondern für den man sich Zeit lassen muss.
Hatting: Andreas Botsch war das, Chefökonom am Europäischen Gewerkschaftsinstitut. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Botsch!
Botsch: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Parlament in Athen hat der neuen Amputation, also dem Sparpaket jetzt zugestimmt, dafür bekommt das Land eine neue Geldspritze, 130 Milliarden Euro. So geht das in etwa seit über einem Jahr. Aber die Wirtschaft kommt dadurch nicht auf die Beine, so bleibt es beim Getaumel am Abgrund. Andreas Botsch ist Chefökonom am Europäischen Gewerkschaftsinstitut und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Botsch!
Andreas Botsch: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Herr Botsch, es gibt Fälle, in denen es humaner ist, einen Patienten sterben zu lassen. Ist Griechenland so ein Fall?
Botsch: Nein, auf gar keinen Fall. Wir dürfen Griechenland nicht sterben lassen, sondern wir sollten die richtige Medizin anwenden und nicht, wie Sie eben sagten, zu dem ersten Bein auch noch das zweite amputieren.
Hatting: Was ist die richtige Medizin für Griechenland?
Botsch: Also, zunächst muss man feststellen, dass die ganze Strategie der Europäischen Union bisher grandios gescheitert ist. Den Griechen zu sagen, sie müssten sparen, sparen, sparen, das führt nicht zu einer Lösung, sondern immer nur tiefer in die Krise. Das Land hat in den letzten drei Jahren 18 Prozent seiner Wirtschaftskraft verloren, 18 Prozent Einbruch des Bruttoinlandsproduktes. Und dazu sagte schon Helmut Schmidt, das ist ein grober Unfug, das Land kann nur aus der Krise herauswachsen und kann sich nicht heraussparen.
Hatting: Herr Botsch, jetzt haben Sie gesagt, wie es nicht geht, nämlich durch Sparen. Was würde denn dieses Herauswachsen aus der Krise konkret bedeuten?
Botsch: Zunächst mal müsste der Druck, den die Troika auf Griechenland ausübt, weggenommen werden. Das ist schon ein sehr grundsätzliches Problem, wenn man versucht, in einer tiefen Rezession durch Minderausgaben des Staates, durch Senkung der Mindestlöhne und der Renten irgendwelche Fortschritte zu erzielen. Das geht nicht.
Der Letzte, der das im Übrigen in Europa versucht hat, war der deutsche Bundesfinanzminister Hans Eichel. Er hat dann feststellen müssen, dass weniger Ausgaben auch weniger Einnahmen bedeuten. Und deswegen müssten die aktuellen Schulden Griechenlands von der Europäischen Union insgesamt übernommen werden, Griechenland müsste von seiner enormen Zinslast unmittelbar entlastet werden. Und dann bräuchte man ein längerfristiges Konzept. Das ist keine Geschichte, die man über Nacht und auf Anordnung lösen kann, sondern wir sprechen hier von einem Zeithorizont von einer oder zwei Generationen, damit das Land genesen kann und zu neuen Strukturen und neuen Impulsen kommen kann.
Hatting: Habe ich Sie gerade richtig verstanden: Die EU soll alle Schulden Griechenlands komplett übernehmen?
Botsch: Die griechische Regierung kann die Schulden nicht mehr bedienen, und da helfen auch keine Zusagen von 130 Milliarden. Das wird wieder ein Paket sein, was nur kurzfristig wirkt. Aber am Ende, wenn die griechische Wirtschaft noch mehr am Boden liegt, wird Griechenland wieder um Hilfe anstehen müssen.
Hatting: Sie haben ja schon am Anfang das Sterbenlassen des Patienten ausgeschlossen, also den Staatsbankrott. Aber Griechenland wäre ja nicht der erste Staat, bei dem so was passieren würde, er hätte ja Vorbilder mit Argentinien und Russland zum Beispiel. Das würde für die Gläubiger natürlich den Totalverlust bedeuten. Aber wäre das angesichts der Milliarden, die jetzt schon geflossen sind und noch fließen sollen, nicht das berühmte Ende mit Schrecken anstelle von ... na, Sie wissen schon?
Botsch: Aber Griechenland ist nicht Argentinien, sondern Griechenland ist Mitglied der Europäischen Union. Und deswegen kann Griechenland auch mit unserer Solidarität rechnen, wir haben da eine Verpflichtung. Wenn wir Griechenland in die Insolvenz gehen lassen, würden wir am Ende viel mehr draufzahlen. Weil, das hat sofort eine Kettenreaktion zur Folge. Wir hätten eine ähnliche Situation in Portugal, das zeichnet sich ja auch in den vergangenen Tagen schon ab, das würde zu einem Flächenbrand. Und der Flächenbrand würde bedeuten, dass wir letztlich das Ende des Euros erleben würden. Und am Ende des Euros würden die Deutschen am meisten zu zahlen haben.
Hatting: Wie viel konkret, was würde denn dieses Szenario kosten?
Botsch: Also, unmittelbar würde das Ende des Euros bedeuten, dass sämtliche Einlagen in der Europäischen Zentralbank verloren gingen. Das sind derzeit 463 Milliarden. Aber das sind nur die unmittelbaren Effekte. Längerfristig geht es darum, dass bei uns der Export zusammenbrechen würde, wir exportieren immerhin 40 Prozent unserer gesamten Exporte in die Eurozone.
Wir hätten hier auf kurze Sicht dann eben auch eine ganz schwere Wirtschaftskrise, weil wir in Griechenland gar nicht die richtigen Ursachen der Krise bekämpfen, sondern nur die Wirkungen.
Hatting: Jetzt haben Sie die Ursachen der Krise angesprochen, und Sie haben vorgeschlagen, dass die EU komplett alle Schulden übernimmt. Aber die Ursache der Krise war ja auch zum Teil eine Misswirtschaft und eben auch geschönte Zahlen, um der Währungsunion beizutreten. Wie bekämpft man denn langfristig diese Ursachen, damit sich das nicht wiederholt?
Botsch: Also, die Integration Griechenlands in den Binnenmarkt ist ein bisschen anders verlaufen, als sich das die Textbuchökonomen vorgestellt haben. Insgesamt hat das Land an Wettbewerbsfähigkeit verloren, aber nicht primär wegen hoher Löhne, sondern weil durch den größeren Markt natürlich ausländische Wettbewerber die einheimische Industrie, das einheimische Gewerbe im Prinzip in den Boden konkurenziert hat. Da waren die Ausländer einfach besser. Und man kann auf Dauer nicht vom Export von Agrarprodukten, Olivenöl oder vom Tourismus alleine leben.
Das heißt, wir brauchen einen Aufbau gesunder Wirtschaftsstrukturen, und das lässt sich nicht über Nacht bewerkstelligen. Nehmen wir mal den Fall der Energiewende in Europa: Wir wissen alle, dass wir eine ... dass die zukünftige Energieversorgung auf den regenerativen Energien fußen muss, und die werden eben im Süden Europas und im Norden Europas hergestellt oder produziert. Die müssen aber in das Zentrum transportiert werden. Das würde ein enormes Investitionsvolumen bedeuten und das sind auch Investitionsprogramme oder Wachstumsprogramme, wenn Sie so wollen, ein Marshallplan, der nicht über Nacht wirken kann, sondern für den man sich Zeit lassen muss.
Hatting: Andreas Botsch war das, Chefökonom am Europäischen Gewerkschaftsinstitut. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Botsch!
Botsch: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.