Ökonom sorgt sich um Wirtschaftskompetenz deutscher Politiker

Moderation: Ute Welty |
EFSF, ESM und Euro-Bonds? Viele blicken bei diesen Themen nicht mehr recht durch, das geht auch manchen Abgeordneten so. Der Göttinger Ökonom Frank Albe fordert daher, dass Politiker sich mehr Know-how in Sachen Wirtschaft aneignen.
Ute Welty: Es hat etwas gedauert, bis wir Professor Frank Albe erwischt haben, aber so soll es dann auch gleich sein. Aber wir müssen vorher noch mal über die präsidialen Umfragewerte für die Kanzlerin reden. Laut neuestem ARD-Deutschland-Trend glauben 70 Prozent der Deutschen, dass die Euro-Rettung bei Angela Merkel in guten Händen ist. Dabei ist sie keineswegs die einzige, die davon spricht.

Frank Albe: Schönen guten Morgen erst mal, Frau Welty!

Welty: Guten Morgen, Herr Professor Albe!

Albe: Ich glaube, es vielleicht mit einem Zitat von Max Weber andeuten zu können: Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Und ich glaube, das ist das, was die Bürger auch in Angela Merkels Handeln sehen, zum Teil natürlich auch im Handeln der Opposition, die SPD, die das stark unterstützt, sie hat ja eher Probleme mit ihren eigenen Koalitionspartnern, die dann querschießen. Aber dieses starke und langsame Bohren, aber auch das Augenmaß oder die ruhige Hand, könnte man auch sagen –, das ist das, was in diesen unsicheren Zeiten für die Bürger an Frau Merkel sicherlich das Bewundernswerte ist.

Welty: Sie lehren allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Privaten Fachhochschule in Göttingen und sie haben 2400 Mandatsträger unter die Lupe genommen bis 2006, und damals schon festgestellt, das Fachwissen nimmt ab. Nun sind die Zeiten ja nicht gerade leichter geworden. Befürchten Sie das Schlimmste, wenn Sie sich dem Thema jetzt noch einmal widmen würden?

Albe: Ich glaube nicht, dass das Fachwissen deutlich zu unseren damaligen Untersuchungen noch mal abgenommen hat, aber ich glaube, dass die Möglichkeiten, die wir damals gesehen haben, und die Bedarfe, die wir festgestellt haben, nicht angegangen worden sind. Wie so häufig, dass man in Zeiten, wo die Krisen nicht da sind, sagt, es läuft ja alles ganz gut, aber wenn die Krisenzeiten sind, merkt man, wo die Probleme eigentlich wieder gelegen haben.

Und unser Forschungsansatz damals, der gilt genau so wie heute, war – und das wiederum auf Max Weber bezogen – Politik als Beruf. Das hat er 1919 geschrieben, und wenn wir sagen, Politik als Beruf, es ist ein Beruf, es ist eine Einnahmequelle, und wir haben viele Berufspolitiker, dann stellt man sich natürlich die Frage: Wenn es ein klassischer Beruf ist, was muss man für diesen Beruf können? Wie sind die Zielsetzungen? Was sind die Ausbildungsinhalte?

Welty: Was muss man denn können?

Albe: Wir haben damals gesagt, es ist ein komplexes Umfeld, man sieht Politik als Einnahmequelle, und in fast allen Bereichen haben wir wirtschaftliche Fragestellungen. Insofern haben wir die Wirtschaftskompetenz, die wir damals genannt haben, haben wir gesagt, es ist eine Wissens- und Erfahrungsgrundlage für verantwortliches, zielgerichtetes Handeln in wirtschaftlichen Zusammenhängen. Wissensgrundlage, da gibt es natürlich die mikro- und die makroökonomischen Aspekte. Wenn wir sagen, wir wollen die Wirtschaft voranbringen, dann müssen wir auch unternehmerisches Denken verstehen, denn unsere soziale Marktwirtschaft ist darauf aufgebaut.

Und wenn wir die makroökonomischen Zusammenhänge, die jetzt natürlich in der Eurokrise sehr wichtig sind, dann braucht man dort auch einen Grundschatz an Wissen. Es muss nicht jeder natürlich alles wissen, denn er hat seine Berater, er hat seine Lobbyisten an der Seite, er hat Professoren an der Seite, gerade in der jetzigen Eurokrise, und er hat natürlich seinen ganzen Beamtenapparat dahinter.

Bloß wenn er mit denen kompetent diskutieren will, dann braucht er ein Grundlagenwissen in mikro-, makroökonomischen Zusammenhängen, letztlich auch in betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen, um dort überhaupt kompetent die Aussagen für sich zu ordnen, und die dann letztlich – und das ist auch mit eine seiner Aufgaben, an den Bürger zu bringen. Aber – jetzt noch mal auf Max Weber beziehend – er muss es auch mit Augenmaß machen und teilweise auch ein bisschen langsamer, und diese Hektik, dem Sofortismus, den wir jetzt von Jean-Claude Juncker gehört haben, dem müssen wir auch ein bisschen begegnen. Das ist, glaube ich, auf den Anfang zurückkommend noch mal das, was Frau Merkel im Moment sehr in die Karten spielt bei der Wahrnehmung der Bürger, dass sie halt nicht in diesen hektischen Aktionismus ausbricht.

Welty: Heißt das im Umkehrschluss, dass jeder Politiker mindestens ein betriebswirtschaftliches Grundstudium bei Ihnen hätte abschließen müssen, oder können die Parteien auch etwas tun, um die Kompetenz ihrer Führungskräfte zu stärken?

Albe: Also ich glaube, dass ein Studium an der PFH Göttingen immer gut ist, aber das wäre vermessen zu sagen, ...

Welty: Hätte ich mir beinahe gedacht!

Albe: ... das wäre aber sehr vermessen, das den Politikern ins Stammbuch zu schreiben. Und ich möchte auch nicht allein diese Ökonomisierung, die wir ja in allen Lebensbereichen haben, auch so sagen, jetzt muss jeder BWL oder VWL studieren. Ich glaube, es geht um – wie so ein Studium generale gehört Wirtschaft in alle Bereiche. Wenn wir heute Morgen in der "TAZ" was über die Ökosteuer lesen oder über die Eurokrise, dann müssen wir Grundzusammenhänge verstehen. Und dieses müssten auch Politiker können, das können sie auch immer mehr, aber sie werden dieses on the Job beigebracht bekommen, während ihrer Tätigkeit als Mandatsträger.

Und da, glaube ich, sind die Parteien gefordert. Extrembeispiel in eine andere Richtung: Wenn man heutzutage die Piraten sieht, die sagen teilweise, wir haben noch kein Programm oder wir haben noch keine Meinung dazu, wir lernen jetzt erst im Parlament, das sind natürlich Ansätze, die für acht Prozent oder zehn Prozent der Wählerstimmen reichen anscheinend, in dieser jetzigen Lage. Aber mich treibt es natürlich ein bisschen um, dass ich sage: Wieso sind unsere Mandatsträger nicht mehr ausgebildet für das, was auf sie zukommt?

Und da sind die Parteien gefordert, vielleicht bei ihren Jugendorganisationen nicht nur mit Plakate kleben anzufangen, sondern dort auch Weiterbildungen zu machen, die nicht unbedingt immer nur Konrad Adenauer und Ebert und Naumann und so weiter heißen, oder Böll, um dann politisch korrekt alle auszuarbeiten, sondern dass man auch Inhalte, die in der Politik gefordert werden, früh rüberbringt, und vielleicht auch zu Hochschulen (…). Kann ein Punkt sein, aber das sind dann Aufbaukurse, aber um einfach dort kompetent zu arbeiten.

Welty: Der Wirtschaftswissenschaftler Frank Albe über die Wirtschaftskompetenz unserer Politiker. Ich danke dafür, für dieses Zeugnis, auch wenn es nicht ganz so toll ausgefallen ist!

Albe: Vielen Dank, Frau Welty!

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