Ökonom über Griechenland-Krise

Gläubiger fordern zu viel

Griechische Drachme auf Wörterbuch
Griechenlands Regierung muss erst einmal Vertrauen schaffen, meint Guntram Wolff. © imago/McPhoto
Guntram Wolff im Gespräch mit Nana Brink |
Die Folgen eines "Grexit" sind dem Bruegel-Institut zufolge unkalkulierbar. Ein solcher Schritt wäre für die Märkte etwas "vollkommen Neues", betont der Direktor des unabhängigen Think Tanks in Brüssel Guntram Wolff. Am Donnerstag treffen sich die EU-Finanzminister in der belgischen Hauptstadt, um über Griechenland zu beraten.
Um die Krise zu beenden, müssten Gläubiger und griechische Regierung wieder aufeinander zugehen, forderte Wolff. Dabei werde jeder "noch ein bisschen von seinem Stolz schlucken müssen". Letztlich geht es laut Wolff um drei zentrale Fragen: die Höhe der künftigen Einsparungen, was mit dem Schuldenberg passiert, und wie das Vertrauen wieder zurückgewonnen werden kann.
Zu den Einsparungen sagte Wolff, hier forderten die Gläubiger zu viel. In Bezug auf bestehende Verbindlichkeiten forderte er den IWF auf, Rückzahlungen um zehn Jahre zu verschieben. Zum Vertrauen sagte Wolff aber, hier hätten die Griechen viel Porzellan zerschlagen, sie hätten teils "extrem provokant" gehandelt.
Das Problem sei nicht so sehr die harte Verhandlungsstrategie der Griechen, sagte Wolff, sondern "was innenpolitisch auf der Reformseite in Griechenland gemacht beziehungsweise nicht gemacht wurde".
Man könne nicht herumlaufen und einerseits einen Schuldenerlass fordern, andererseits aber die Frühverrentungsbedingungen verbessern wollen oder den reichsten 6000 Griechen per Federstrich einen Großteil ihrer Steuerschulden erlassen. "Das ist natürlich nicht akzeptabel", sagte Wolff. Das Vertrauen könne aber zurückkommen - wenn die griechische Regierung gegen die Vetternwirtschaft angehe und "ernsthafte Schritte" unternehme, so der Wirtschaftsexperte.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Es ist ja schon zum Haareraufen, denn eigentlich denkt man ja, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie kann sich wiederholen und kann sogar auch noch schlechter werden! Wir erinnern uns: Vor fast genau vier Monaten, am 16. Februar nämlich, da hat man nach langen und sehr mühsamen Verhandlungen ja ein Hilfsprogramm für Griechenland verlängert, eben um die drohende Pleite zu verhindern. Und nun, vier Monate später, stehen wir genau wieder da und eigentlich ist die Gefahr einer Pleite noch viel größer geworden.
Heute treffen sich die Euro-Finanzminister in Luxemburg, um darüber zu beraten, wie man sich doch noch einigen könnte. Aber um mal positiv zu denken: Was müsste denn eigentlich passieren, um Griechenland im Euro zu halten? Das wollen wir noch mal diskutieren, und zwar mit Guntram Wolff, Direktor des Bruegel-Instituts. Das ist ein wirtschaftswissenschaftlicher Thinktank in Brüssel und wegen seiner Unabhängigkeit sehr geschätzt. Guten Morgen, Herr Wolff!
Guntram Wolff: Guten Morgen!
Brink: Sie haben gerade gestern ein Konzept veröffentlicht, um Griechenland im Euro zu halten, wofür Sie ja sehr vehement plädieren. "Three essential elements for a deal" nennt sich das. Was sind denn diese drei Elemente, die Sie fordern?
Wolff: Ja gut, also, ich glaube, es geht hier zunächst einmal darum, dass beide Seiten noch ein Stückchen aufeinander zugehen müssen. Wir können nicht erwarten, dass eine Seite jetzt komplett alle Verhandlungspositionen aufgibt, jeder wird noch ein bisschen von seinem Stolz schlucken müssen. Und insofern ist, glaube ich, der Deal dann, da geht es wirklich um drei wirtschaftlich zentrale Fragen: Die eine Frage ist die, wie viel mehr die Griechen noch sparen müssen in den nächsten Jahren. Ich denke, da wird derzeit zu viel eingefordert vonseiten der Gläubiger.
Die zweite Frage ist, was mit diesem riesigen Schuldenberg geschehen muss. Und ich denke, da kann man eigentlich das schaffen, diesen Schuldenberg so zu lassen. Man muss allerdings aufseiten des IWF da auch ein bisschen Stolz schlucken und akzeptieren, dass man eben da auch eine Mitschuld trägt. Der IWF muss ein bisschen konziliatorischer sein. Und schließlich …
Brink: Was heißt Mitschuld? Entschuldigung, noch mal ganz kurz angehalten!
Wolff: Ja, Mitschuld am Programm. Also, der IWF wurde ursprünglich in dieses Programm reingebracht 2010, gerade auch auf deutsches Drängen hin, um eben ein vernünftiges und robustes Programm zu bekommen. Und der IWF hat damals trotz seiner internen Expertise eben teilweise falsche Empfehlungen am Anfang gegeben. Und ich denke, insofern trägt der IWF auch eine Mitschuld, zumindest eine kleine Mitschuld an diesem Desaster, das wir doch teilweise in Griechenland gesehen haben. Und insofern, denke ich, sollte der IWF da durchaus auch bereit sein, seine Rückzahlungen, die er derzeit von Griechenland einfordert, ähnlich wie die Europäer um zehn Jahre zu verschieben.
Und schließlich das dritte Element, das ist letztendlich natürlich Vertrauen. Ich denke, die griechische Regierung hat einfach sehr viel Porzellan zerschlagen, hat wirklich Vertrauen kaputt gemacht im Euroraum, hat offen gesagt, dass sie nicht mehr respektiert das, was die griechische Regierung eigentlich sich verpflichtet hat zu tun, hat die Reichen von den Schulden, den Steuerschulden entlastet. Und das alles sind natürlich extrem provokante Dinge in einer Währungsunion, in der man zusammenlebt und in der man sich auch vertraglich und über andere Dinge verpflichtet hat, gewisse Dinge gemeinsam zu gestalten.
Brink: Interessant, dass Sie das Thema Vertrauen ansprechen: Das ist eigentlich unisono heute fast in allen Zeitungskommentaren auch so einer der Knackpunkte, dass man sagt, auch schon vor vier Monaten bei der Verlängerung dieses ersten Hilfsprogramms wäre eigentlich schon klar gewesen, die Griechen oder diese griechische Regierung – muss man immer sagen – würde sich nicht bewegen. Wie kann die denn überhaupt noch Vertrauen wiederherstellen? Ist das realistisch?
Wolff: Na ja, also, ich meine, diese griechische Regierung verhandelt natürlich extrem hart. Ich denke, das Problem ist nicht so sehr ihre Verhandlungsstrategie gegen die Eurogruppe und in der sie sehr hart auf den Positionen, für die sie auch gewählt wurden, also insbesondere weniger sparen, beharrt. Also, das kann ich verstehen, dass sie da doch recht hart ist.
Ich denke, das Problem ist eher das, was eher innenpolitisch auf der Reformseite in Griechenland gemacht wird beziehungsweise nicht gemacht wurde. Und wenn man eben einerseits sozusagen herumläuft und sagt, wir brauchen einen Schuldenersatz, und andererseits die Frühverrentungsbedingungen verbessern möchte oder eben den reichsten 6.000 Griechen, da gab es eine schöne Episode, die reichsten 6.000 Griechen haben eine Steuerschuld gegenüber dem griechischen Staat von natürlich mehreren Milliarden Euro. Und denen da einen Großteil einfach so mit einem Federstrich zu erlassen und gleichzeitig von den restlichen Europäern den Schuldenerlass zu fordern, das ist natürlich nicht akzeptabel.
Insofern denke ich an diesen Stellen, also, was macht man wirklich zu Hause, wie sorge ich dafür, dass mein System wieder einigermaßen auf die Beine kommt, dass die Vetternwirtschaft ein bisschen runtergeht und so weiter. Also, das sind die Dinge, an denen die Griechen wirklich arbeiten müssen. Und wenn sie da wirklich ernsthafte Schritte unternehmen, dann bin ich auch davon überzeugt, dass dann wieder Vertrauen zurückkommen kann.
Brink: Die Gefahr einer Staatspleite und eines Austritts aus der Währungsunion, der Grexit schwebt ja schon lange im Raum, jetzt hat er neue Nahrung bekommen. Wie groß wäre dann die Gefahr eines Flächenbrandes? Das wird ja immer befürchtet vonseiten der anderen Europäer, sage ich?
Wolff: Ja, also, ich muss ehrlich sagen, das ist etwas, was man eigentlich nicht genau weiß. Es gibt immer mal wieder Leute, die sagen, das kann man managen. Aber um ehrlich zu sein, wissen wir es alle nicht. Wir wissen, dass solche Dinge ja schon, als Ökonom sagt man: nicht linear sind. Das heißt, da passiert auf einmal irgendetwas, was vollkommen anders ist und auch wirklich einen Regimewechsel darstellt, und wie dann das Gesamtsystem darauf reagiert, das kann man nur sehr schwer vorhersagen.
Also, ich glaube insofern, wir dürfen uns auch nichts vormachen: Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro wäre sicherlich eine Überraschung für Märkte, für Teilnehmer, wäre was vollkommen Neues. Und wie das Gesamtsystem reagiert, das kann man sehr schwer sagen. Insofern hat man da ein gewisses Risiko.
Brink: Danke für die ehrliche Antwort, Guntram Wolff, Direktor des Bruegel-Instituts. Das ist ein wirtschaftswissenschaftlicher Thinktank in Brüssel. Danke für das Gespräch!
Wolff: Gerne
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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