Ökonomie

Das Ende des Wachstums (2/2)

Jaana Prüss im Leihladen "Leila" in Berlin Prenzlauer Berg: Eine "Bibliothek der Dinge".
Jaana Prüss im Leihladen "Leila" in Berlin Prenzlauer Berg: Eine "Bibliothek der Dinge". © Deutschlandradio - Anja Krieger
Von Anja Krieger |
Selbst Gärtnern und mit anderen das Auto nutzen. Diese "Ökonomie des Teilens" sehen viele als Lösung gegen die soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung. Für Kritiker ist die Share-Economy allerdings nur eine gesellschaftliche Randerscheinung.
Jaana Prüss: "Teilen ist, glaube ich, eine ganz natürliche Eigenschaft, die schon Kinder in sich tragen."
Wolf Lotter: "Die Frage ist, wollen Sie 'ne Bohrmaschine, oder wollen Sie ‘n Loch in der Wand?"
Niko Paech: "Sharing-Konzepte können in einer Postwachstumsökonomie dazu beitragen, dass wir mit weniger Geld auskommen, also brauchen wir weniger Arbeitszeit, also kann auch die Industrie zurückgebaut werden."
Wolf Lotter: "Und damit befinden uns in einer Welt, in der die Moral sozusagen versucht, das Vakuum auszufüllen, das vorher Material gefüllt hat."
Jaana Prüss: "Ich geb' dir auch ein Tütchen."
Tauscher: "Ich hab' hier noch."
Prüss: "Du hast…"
Jaana Prüss lässt ein paar Samen in die Tüte rieseln und reicht sie über den Tisch. Die Künstlerin ist Mitte 40, blond und groß, und trägt zum langen schwarzen Mantel eine pinke Kunstblume im Haar. Ihr Stand ist gut besucht.
Prüss: "Ich hab' auch Kresse, Radieschen und..."
Tauscher: " Normale Kresse, oder?"
Prüss: "Das ist bio, das ist alles..."
Tauscher: "Nee, nee, aber hier gibt es ja noch diese breitblättrige Kresse."
Prüss: "Nein, das ist ganz normale."
Ein sonniger Samstag am Teutoburger Platz in Berlin. Auch im Souterrain, ein paar Schritte die Treppe hinunter, herrscht gute Stimmung. Die Saatgut-Tauschbörse ist in vollem Gange.
Prüss: "Und Hokkaido aus der solidarischen Landwirtschaft Wilde Gärtnerei."
Um den großen Tisch drängt sich ein Dutzend Leute und stöbert in kleinen Papiertüten und Holzkisten. Wer Saatgut hat, legt es in die Mitte. Hier gibt es auch alte Sorten, die man auf dem Markt nicht kaufen kann. Alles ist selbst gezogen oder aus biologisch-dynamischem Anbau. Für Jaana Prüss eine wichtige Sache.
"Saatguttauschen mache ich, seitdem ich weiß, dass es Monsanto und andere gibt, die quasi Gentechnik haben. Und den Tütchen, die ich im Baumarkt oder im Supermarkt kaufe, nicht traue."
Jaana Prüss und Tochter Hanayo bepflanzen ein Hochbeet. Die Früchte darf später jeder ernten.
Jaana Prüss und Tochter Hanayo bepflanzen ein Hochbeet. Die Früchte darf später jeder ernten.© Deutschlandradio - Anja Krieger
Auf der Tauschbörse findet Jaana Prüss neben neue Pflanzen und Blumen für ihren Garten auch Gleichgesinnte.
"Wir wollen die Samen nicht kaufen, und wir wollen vielleicht auch das Gemüse nicht kaufen, sondern es selber anbauen. Selber machen, selber die Hände in die Erde stecken und dran teilhaben, wie auch so 'ne Pflanze wächst. Und sie dann ernten. Und ich glaub', wenn man die dann auf seinem Teller hat, dann freut man sich mehr daran, als hätte man sie irgendwo im Supermarkt in einer Verpackung gekauft."
"Mein Name ist Niko Paech, ich arbeite an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg, in der Fakultät II, als Vertreter des Lehrstuhls Produktion und Umwelt. Ich bin groß geworden in einer kleinen Stadt nahe der holländischen Grenze, und schon im Teenageralter habe ich so viele ökologische Verwerfungen zur Kenntnis nehmen müssen, etwa den Bau zweier Autobahnen, etwa zwei Atomkraftwerke, die in Sichtweite meines Elternhauses sind, und natürlich auch Auswüchse der industriellen Landwirtschaft. Und das hat mich buchstäblich auf die Palme gebracht. Und da hab ich dann schon den Entschluss gefasst, Volkswirtschaftslehre zu studieren, um einfach zu verstehen, was es mit dem wirtschaftlichen Wachstum auf sich hat, und warum wir unseren Wohlstand immer nur auf Kosten der Ökosphäre offenbar erwirtschaften oder sonst wie praktizieren können."
Wirtschaft, die ohne ständiges Wachstum auskommt
Der Volkswirt Niko Paech gehört zu den Vordenkern der sogenannten Postwachstums-Ökonomie. Ein schlanker Mann Mitte 50 mit kurzem braunen Haar und blitzenden blauen Augen. Paech arbeitet an Modellen für eine Wirtschaft, die ohne das ständige Wachstum von Dingen und Kapital auskommt. An einen Wandel von oben denkt der Wissenschaftler dabei nicht.
"Wir müssen uns klarmachen, dass die Politik in einer modernen Gesellschaft die wirklich letzte Instanz ist, von der man erwarten kann, dass sie den Weg in eine Postwachstumsökonomie gestaltet, weil die Politik getrieben ist eigentlich von einer Systemlogik, die darin besteht, den Menschen immer mehr Geschenke zu unterbreiten."
Die Wachstumslogik verspricht immer mehr Einkommen, Auswahl und Möglichkeiten für Alle – und das so günstig wie möglich. Dafür braucht es Energie, Rohstoffe und eine globale Arbeitsteilung, bei der jedes Teil genau dort produziert wird, wo es am billigsten ist. Dass wir am Ende einen hohen Preis für dieses wirtschaftliche Modell zahlen könnten, stellte die Expertengruppe um den US-Ökonom Dennis Meadows schon Anfang der 1970er-Jahre fest.
In der vom Club of Rome beauftragten Studie “Die Grenzen des Wachstums” erklärten die Wissenschaftler, dass der Anstieg der Weltbevölkerung und die massive Ausbeute der natürlichen Ressourcen die Welt an den Rand des Gleichgewichts bringen dürften. Selbst nachwachsende Rohstoffe konnten den Trend bisher nicht aufhalten. Die Krisen sind deshalb vorprogrammiert, da ist sich Niko Paech sicher. Aus Sicht des Volkswirts braucht es eine Befreiung vom Überfluss – eine Graswurzelbewegung von unten her.
"Erst wenn die Zivilgesellschaft aus sich heraus, das heißt Bottom-Up, dezentral erkennbar werden lässt, dass die Bürgerinnen und Bürger bereit sind, einen Alltag zu bestreiten, der dadurch gekennzeichnet ist, dass wir bescheidenere Ausformungen entwickeln, was Konsum, Mobilität und dergleichen anbelangt, auch Ernährung und so weiter, dann erst kann die Politik den Mut aufbringen, auch wirklich einen Schrumpfungsprozess oder einen Prozess der ökonomischen Abrüstung zu flankieren oder sogar einzuleiten."
Ohne Auto oder Smartphone
Wie der Wandel aussehen kann, lebt der Umweltökonom selbst vor. Niko Paech ist Vegetarier, besitzt kein Auto oder Smartphone und fährt nur Fahrrad und Bahn. Ein einziges Mal im Leben ist er geflogen, weil es nicht anders ging. Sein erklärtes Ziel: Nicht mehr als 2,7 Tonnen CO2 im Jahr zu produzieren – drei Viertel weniger als die Deutschen im Durchschnitt. Statt sich Produkte neu zu kaufen, kauft er gebrauchte Ware oder leiht sich, was er braucht.
"Ich selber habe nicht ein einziges elektrifiziertes Werkzeug. Wenn ich also wirklich 'nen Dübel in die Wand schrauben will, muss ich mir 'ne Bohrmaschine leihen. Ich hab auch keine Digitalkamera, die muss ich mir wirklich leihen. Das heißt also, ich habe einen Bekanntenkreis, in dem Menschen sind, die über solche Dinge verfügen, und indem ich mir solche Sachen leihe, weiß ich, mmhh, das wäre ganz gut, wenn ich auch was anbieten kann."
Für Paech werden solche Formen des Teilens in Zukunft wieder wichtiger. In der Postwachstumsgesellschaft arbeiten und konsumieren die Menschen weniger, und sie investieren mehr Zeit in lokale Strukturen. Sie fangen an, sich wieder selbst zu versorgen und miteinander zu kooperieren. Es sind neue Modelle der Genügsamkeit, der Reduktion, alternative Formen der Versorgung. Einige Menschen erproben das schon jetzt, sagt Niko Paech. Er nennt sie Suffizienzaktivisten.
"Suffizienzaktivisten finden wir in den Transition Towns, in den diversen Do-it-yourself-Kulturen, in den Repaircafés, und an anderen Orten, wo praktiziert wird, wie es aussehen könnte, wenn wir jenseits der Industrie selbst Versorgungsleistungen erbringen, oder wo wir durch sesshafte Daseinsformen tatsächlich auch richtigen Klimaschutz dann umsetzen. Und diese vielen kleinen Avantgarde-Inseln oder Rettungsinseln, die könnte man bezeichnen als eine Art Schablone oder Blue Print für die Zeit, die jetzt heraufzieht."
Vor dem Leihladen "Leila" in Berlin Prenzlauer Berg. Hier findet gerade eine Saatgut-Tauschbörse statt.
Vor dem Leihladen "Leila" in Berlin Prenzlauer Berg. Hier findet gerade eine Saatgut-Tauschbörse statt.© Deutschlandradio - Anja Krieger
Leila-Leihe: "Jaana, wir würden gern zwei Waffeleisen mitnehmen, weil wir machen ein Kinderfest, und da sollen die Kinder Waffeln backen.
Nikolai: "Ok, Und du hast schon nachgeguckt?"
Im Leihladen in Berlin-Prenzlauer Berg. Nach dem Saatgut-Tausch nutzt Jaana Prüss die Gelegenheit, um noch ein paar Sachen mitzunehmen.
Leila-Leihe: "Jaana, wir haben schon geguckt, weil es gibt unterschiedliche Formen, also die Herzchen fanden wir toll, und da wo'n bisschen mehr reinpasst, ich glaub, es war so'n Doppeldecker..."
Jaana: "Würden wir gerne, ja, ich sag mal, für fünf Tage mitnehmen."
Nikolai: "Ja, gerne!"
Die Regale der drei kleinen Räume des Leihladens sind bis obenhin voll, von Kinderspielzeug über Küchengeräte bis zur Camping-Ausrüstung. Dass man nichts davon kaufen kann, muss Betreiber Nikolai Wolfert vielen Besuchern erst erklären.
Nikolai Wolfert: "So wie in der Bibliothek. Also, in der Bibliothek leiht man ja Bücher. Und wir sind 'ne Bibliothek für alle Dinge. Also möglichst alle, bei manchen Dingen macht es natürlich nicht Sinn, die zu leihen, persönliche Sachen halt."
Fast alles, was es in Wolferts Laden zu leihen gibt, kommen von Leuten aus der Nachbarschaft. Wer mitmachen möchte, füllt einen Mitgliedsantrag aus und bringt mindestens eine Sache in den Laden ein. Die Ausleihe ist umsonst, für teurere Sachen nimmt Wolfert einen Pfand. Er sieht die Sache entspannt.
"Wir leben in der Überflussgesellschaft, und wenn da mal ein, zwei Sachen nicht zurückkommen, ist es nicht so schlimm. Das ist natürlich auch immer Vertrauenssache. Wir wollen, dass man uns Dinge anvertraut, und dass wir in die Mitglieder dann vertrauen können."
Vertrauen statt Geld: Das ist die Währung, mit der hier gehandelt wird. Eine Währung, die man nicht per Knopfdruck bei der Bank abholen kann, sondern deren Wert auf andere Weise entsteht.
"Die ökonomische Frage führt zu einer anderen Gesellschaft. Dass man wieder offener ist, eben wieder ein anderes soziales Miteinander."
Jaana Prüss: "Wachstumskritik ist mir da eigentlich zu einseitig, ich würd das genau umdrehen, weil ich glaube, man wächst an diesen Handlungen. Man wächst innerlich, wenn man etwas Schönes gemacht hat, es wachsen Beziehungen zu Menschen, wo man sich was geliehen oder getauscht hat, da wächst auch Vertrauen, und man wächst eben überhaupt an seinen Taten."
Ausprobieren, wie es sein könnte
Jaana Prüss lebt mit ihrer Tochter in Prenzlauer Berg. Sieben Jahre baute die studierte Künstlerin eine internationale Galerie zwischen Berlin und Schanghai auf. Mittlerweile widmet sie sich ganz den neuen Formen alternativer Ökonomie. Sie ist eine, die ausprobiert, wie es gehen könnte, abseits der eingetretenen Pfade. Wie man reduzierter und genügsamer leben kann, ohne den Spaß zu verlieren. Oder, in Niko Paechs Worten: Eine Suffizienz-Avantgardistin.
Prüss: "Ich hab mich eingeschränkt, ich hab vor drei Jahren mein Auto abgeschafft, aus Umweltgründen und aus finanziellen Gründen auch, ich dachte, Versicherungen, Steuern zahlen, brauch ich nicht, Parkplatzsuche nervt, und es gibt ja genug Autos schon auf der Welt. Und auch in meiner Nachbarschaft. Und bin dann auf Nachbarschaftsauto gestoßen, und war sehr überrascht, wie viele Menschen in meiner Nachbarschaft ihr Fahrzeug zur Verfügung stellen würden."
Für kleines Geld begann Jaana Prüss die Privatautos anderer Leute über die Online-Plattform Nachbarschaftsauto.de zu mieten. Dass eine Versicherung dabei war, gab ihr Sicherheit.
"...und bin dann an einen sehr netten Nachbarn gekommen, den ich jetzt auch kennengelernt habe, und wir haben soweit das Vertrauen aufgebaut, dass wir die Versicherung nicht brauchen. Und bei dem kann ich jetzt quasi jederzeit anrufen oder ihm 'ne SMS schicken und sein Auto leihen."
Aus der Leihe über das Internet ist eine Freundschaft entstanden. Ab und an treffen sich die beiden zum Essen. Begegnungen und Geschichten wie diese sind Jaana Prüss wichtiger als Geld. Die Künstlerin trifft viele Menschen, denen es ähnlich geht.
"Für manche ist der Motor, glaube ich, dass wir in so einer Zuviel- oder Überflussgesellschaft leben, und die sagen, wohin mit dem ganzen Zeug, und es wird dann auch belastend, dass die einfach aus der Idee heraus sich beteiligen. Bei anderen denke ich, die sind sehr neugierig auf Veränderung von Gesellschaft und probieren etwas aus und wollen daran aber auch beteiligt sein. Nach dem Motto ´What can you do today to make the world a better place`, dieses berühmte Zitat, und sich da einfach eine Nische aussuchen, wo sie aktiv sein können. Weil das gibt einem auch ein gutes Gefühl, wenn man beteiligt ist an Veränderungsprozessen und etwas Gutes tun kann in der Welt."
Kapitalisten im eigentlichen Sinne
Wolf Lotter: "Soziologen nennen das ja die Moralisierung der Märkte, die heute passiert. Eine sehr wohlständige Kundschaft, gut gebildet, die eigentlich ohne materielle Sorgen aufgewachsen ist, wendet sich sozusagen heute moralischen und ethischen Kategorien zu, und das Originelle dabei ist, auch wenn diese Leute das gar nicht wollen, sondern das Gegenteil davon, sie konsumieren diese Kategorien, sie verhalten sich also als Kapitalisten im eigentlichen Sinne, sie schaffen neue Märkte, indem sie behaupten, dass Moral eine bestimmte Kategorie zu einem Kaufimpuls ist."
Der Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter ist freier Autor und einer der Gründer des Wirtschaftsmagazins Brand Eins. Lotter ist Anfang 50, ein gewichtiger Querdenker mit stoppeligem Bart und runder Brille. Von der Debatte ums Ende des Wachstums hält er wenig.
"Sehr, sehr viele Leute haben sich durch Konsum emanzipiert, wir vergessen das nur sehr schnell heute. Wenn wir wachstumskritisch sind beispielsweise, haben wir immer implizit natürlich unsere Sattheit, die Sattheit einer kleinen Elite im Kopf, aber wir übersehen, wie wichtig das Kaufen von Waren, der Zugriff auf Waren und auf Dienstleistungen, für die Generationen waren, die das nicht konnten, auf die sogenannten armen Leute!"
Es ist der Kreislauf des Konsums, der den materiellen Wohlstand antreibt: Je mehr Waren produziert werden, desto mehr wird daran verdient. Und je mehr die Menschen verdienen, desto mehr können sie sich leisten. So steigern Produktion und Arbeit die Einkommen und Kaufkraft, und das führt wieder zu neuer Nachfrage und Produktion. Den steigenden Wohlstand, den das bringt, wussten unsere Eltern und Großeltern noch zu schätzen, erklärt Wolf Lotter. Im Unterschied zu damals geht es heute aber nicht mehr primär um Eigentum und dauerhaften Besitz.
"Die meisten Menschen leasen heute ihr Auto. Die meisten Menschen mieten ein Büro. Große Konzerne besitzen viel, viel weniger, als wir glauben, sondern nutzen Dinge, schaffen sich Zugänge, wie das Jeremy Rifkin gesagt hat, weil Eigentum viel zu teuer ist."
Das passt zum mobilen, flexiblen Geist der Zeit. Für Wolf Lotter ist die Sharing Economy deshalb keine Abkehr vom Kapitalismus, sondern seine zeitgemäße Anpassung an neue Bedingungen. Aus Sicht des Wirtschaftsjournalisten kommt die Idee der Postwachstumsökonomie aus einer verengten westlichen Perspektive, die die Situation ärmerer Länder außen vor lässt. Ein missionarischer Antikapitalismus, der nicht berücksichtigt, dass in der Hülle des alten Kapitalismus längst ein neuer steckt.
"Er schafft durch den Wohlstand, den er schafft, eine große Gesellschaft, die glaubt, es sich erlauben zu können, auf ihn zu verzichten, weil sie wohlständig genug ist, um ihn nicht mehr zu brauchen. Die Überwindung des Kapitalismus, wie Schumpeter das so schön gesagt hat, ist der Erfolg des Kapitalismus und nicht sein Misserfolg."
Lebensmittel vor der Mülltonne retten
Nico Beck: "Gibt's noch jemanden, der 'nen Hasen hat?"
Frau: "Ja, ick hab 'en Hasen! Der freut sich."
Beck: "Ich hab das gestern Abend auch bei Foodsharing eingestellt, also auch so was, und heute morgen kam gleich jemand vorbei, alles mitgenommen, was ich da hatte."
Frau: "Na sicher!"
Die Tauschbörse im Prenzlauer Berg geht ihrem Ende zu. Zur blauen Stunde ist Nico Beck von Foodsharing in den Leihladen gekommen. Er hat eine ganze Ladung Gemüse, Früchte und Brot im Gepäck.
Prüss: "Aber das können wir Menschen auch noch essen, das wär 'ne ganz schöne Basis für 'ne Gemüsesuppe."
Beck: "Logisch, klar."
Frau: "Natürlich, ja!"
Prüss: "Das ist ganz toller Wirsing und Lauch darin."
Beck: "Ja, ist dabei, aber es sind viele Blumenkohl-Grüne, und da weiß ich nicht, ob man das essen kann."
Frau: "Aber was andere, kannste dir was nehmen. Da sind Tüten. Dort in der Kiste."
Jaana Prüss und die anderen noch übrigen Gäste machen sich über die Brötchen her und packen ein, was sie tragen können: Clementinen, Auberginen, Brot, Kartoffeln und Salat, die Restbestände des Tages aus dem Bioladen am Ende der Straße. Nico Beck hat sie dort abgeholt und schaut zufrieden. Lebensmittel vor der Mülltonne zu retten ist seine Mission.
Beck: "Das haben wir alles abgeholt, weil wir's wichtig finden, den Lebensmitteln mehr Achtsamkeit zu schenken, weil wir wollen, dass es weniger wird, darauf aufmerksam machen, wie viel in unserer heutigen Überflussgesellschaft noch anfällt, was viele auch gar nicht sehen."
Zwei Drittel der Lebensmittel werden zu Hause weg geworfen, sagt Nico Beck. Das Online-Portal foodsharing.de soll Abhilfe schaffen. Nutzer können auf einer Karte eintragen, wenn sie etwas zu essen übrig haben. Wer die Nahrungsmittel haben will, fragt an und holt sie ab. Mittlerweile haben die Essensretter in Deutschland vierzig Verteiler aufgebaut, wo Lebensmittel abgegeben und abgeholt werden können. In Berlin gab es auch mal einen. Er wurde wieder geschlossen - aus hygienischen Gründen.
Wolf Lotter: "Ein großer Teil der Menschheit wird ganz einfach eine Verfügung haben wollen über ein Auto, über eine Wohnung, über Lebensmittel und zwar über bequeme Lebensmittel, ja, also industriell gefertigte Lebensmittel, wie immer Sie das dann letztlich auch nennen in der Vermarktung, da können Sie natürlich auch Bio draufstempeln, ja? Alles, was der Mensch in seinem Fortschritt entwickelt hat, hat seiner Bequemlichkeit gedient, und nicht seiner Unbequemlichkeit."
Nischenideen, die sich nicht durchsetzen
Für den Wirtschaftsjournalisten Wolf Lotter sind Projekte wie das Foodsharing Nischenideen. Richtig und gut für die Menschen, die sich daran beteiligen, aber im großen Maßstab von geringer Bedeutung. Dass sich eine Ökonomie des Teilens global durchsetzt, glaubt Lotter nicht. Von einer Avantgarde würde er nie sprechen.
Lotte: "Das sind kleine Projekte, und wir tun immer so, als ob es Leitbilder sind, Vorbilder sind, wir wollen immer den großen Wurf haben, wir möchten immer, dass ein Messias übers Wasser geht, und das ist nicht der Fall. Sondern es sind richtige Schritte in einer Gesellschaft, die auf Vielfalt setzt, die auf Komplexität setzt. Und man macht in diesem Stadtteil das Richtige, ja? Aber es ist nicht der Blueprint, es ist nicht die Vorlage auch nur für die Republik, oder für die ganze Stadt oder für die ganze Welt sogar. Das ist es nicht."
Prüss: "Wir wollten uns in der Kleiderei gern mal umschauen."
Verkäuferin Sara: "Im hinteren Teil."
Prüss: "Großartig. Danke."
Sara: "Gerne!"
Saatgut-Tauschbörse im Leihladen "Leila" in Berlin Prenzlauerberg.
Saatgut-Tauschbörse im Leihladen "Leila" in Berlin Prenzlauerberg© Deutschlandradio - Anja Krieger
In Berlin ist Jaana Prüss ständig auf Suche nach neuen Projekten. Diesmal besucht sie mit ihrer Tochter die Kleiderei. Hier werden Kleider verliehen statt verkauft. Die Idee kommt aus Hamburg. Vor Kurzem hat ein zweiter Laden eröffnet, im hinteren Teil einer kleinen Boutique auf der Kastanienallee.
Tochter: "Was ist das denn für ein Kleid? Oder ist das 'ne Hängematte?"
Prüss: "Das ist was ganz Extravagantes, mit Perlen, wie eine Strickjacke, die man über ein Kleid anziehen kann."
Tochter: "Das ist wie eine..."
Prüss: "...dazu braucht's auch Mut, aber sowas hat nicht jeder im Schrank hängen."
Tochter: "Sind das echte Perlen?"
Das Angebot reicht von ausgefallenem Partyfummel bis Designer-Stücken. Für 14 Euro können sich Kundinnen und Kunden hier jeden Monat vier Stücke ausleihen. Statt dem Abonnement bietet die Kleiderei auch einzelne Teil für fünf Euro an - nach zwei Wochen ist die Leihfrist um. Früher verkaufte sie im hinteren Teil Second Hand an, erzählt Sara von der Boutique goldig.
"Es ist auf jeden Fall neu, das merkt man, also die Reaktionen von den Leuten ist immer erst mal so öhh, ach Kleiderei, hab ich noch nie gehört, ist was völlig Neues, aber dann merkt man, dass die doch offen sind und das auch auf jeden Fall ganz cool finden, so dieses neue...Teilen. Ne, dieses Sharing-Ding irgendwie."
Wolfgang Ullrich: "Dass man sich Kleider ähnlich ausleiht, wie man sich Bücher in der Leihbücherei ausleiht und dann nach der Party oder am Abend im schicken Restaurant wieder zurückgibt, ist vielleicht letztlich gar nicht ökologisch so toll, weil die dann nach einmal tragen wieder gewaschen werden müssen und immer noch der Transport von A nach B wieder stattfindet, also ist vielleicht weniger Ressourcen schonend, als wenn doch jeder sein eigenes Kleid im Kleiderschrank hängen hat."
Auch Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich beobachtet das, was sich unter dem Schlagwort Sharing Economy entwickelt. Dass hier per se ökologisch nachhaltigere Lebensstile entstehen, würde er nicht sagen. Für ihn kommt es auf das konkrete Projekt an. Vermutlich, sagt er, sei das Ausleihen von Kleidern eine Reaktion darauf,
"Dass wir heute eben in dieser pluralen Welt leben, wo wir eben nicht mit einem Kleid durchkommen. Sondern möglichst für jeden eigenen Anlass was Eigenes anziehen wollen und uns genau passend machen wollen und es muss alles stimmen, und zusammen gehören. Und man kann sich jetzt nun mal nicht 500 Kleider leisten, also liegt es nahe vielleicht auf so ein Modell zurückzugreifen."
Erfolg des Marketings
Für Wolfgang Ullrich wird eine Welt des Teilens eigentlich nur konsumorientierter. Er vermutet, dass manches von dem, was unter dem Schlagwort der Shareconomy läuft, gar nicht auf ökologischer Vernunft begründet ist - sondern dem Erfolg des Marketings. Dem Versprechen, dass wir jederzeit Zugriff auf noch mehr Dinge haben können. Das grüne Image obendrauf kommt gerade recht, um das moralisierte Konsumprodukt erfolgreich zu verkaufen.
Niko Paech: "Wir erleben derzeit einen richtigen Hype, der sich um Sharing-Konzepte oder eine Sharing-Ökonomie dreht. Und da glaube ich wirklich, dass es hier nur ein Hype ist, den wir da erleben. Weil viele dieser Konzepte nicht notwendigerweise einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Oft sind das Geschäftsmodelle, die schlicht und ergreifend unsere Konsumwelt nur nachverdichten. Das heißt, wir reduzieren im Prinzip überhaupt nicht unser'n Konsum, sondern wir fügen unser'm Konsum noch weitere Leistungen hinzu, die darin bestehen, dass wir jetzt Geräte, die wir vormals gar nicht gekauft haben, jetzt plötzlich mieten."
Auch Niko Paech dämpft die Euphorie. So könnte Carsharing manche Menschen dazu bringen, von Fahrrad oder Bahn aufs Auto umzusteigen, befürchtet der Postwachstumsökonom. Ähnlich könne das Teilen oder Vermieten von Wohnraum zum Fliegen ermuntern, sagt Paech.
"Ich war neulich ganz erstaunt, als eine Kollegin auf einer Konferenz das sogenannte Air Bed and Breakfast als ein positives Beispiel hervor hob für eine nachhaltigkeitsorientierte Form des Sharings. Das heißt also, wenn ich mit dem Flugzeug nach Amerika fliege, dann kann ich über Air Bed and Breakfast eine besonders günstige Unterkunft finden. Auf diese Weise wird es überhaupt erst lukrativ oder finanziell erschwinglich für mich, einen Aufenthalt in Amerika zu organisieren, weil ich vorher vielleicht gezwungen war, eine Hotel-Übernachtung zu bezahlen."
Man müsse ganz genau hinschauen, sagt Niko Paech, welche sogenannten Boomerang- oder Rebound-Effekte beim Sharing entstehen.
"In vielen Fällen spare ich dadurch Geld, und dieses Geld erlaubt es mir erst, einen vielleicht ökologisch noch ruinöseren Mobilitätsstil zu praktizieren. Und dann kommt als zweiter Rebound-Effekt hinzu, dass diese neuen Unternehmen mit ihren Konzepten Einkommen generieren. Und dieses Einkommen führt natürlich auch wieder zu neuer Nachfrage."
Aus Alt mach Neu
Christof Stöhr: "Hallo!"
Prüss: "Hallo, guten Tag, Jaana Prüss. Haben wir gestern telefoniert?"
Stöhr: "Wahrscheinlich, ja."
Prüss: "Ja. Wir haben zwei Geräte mitgebracht."
Stöhr: "Prima!"
Bei ReUse Computer verdient niemand Geld. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Vereins nehmen alte Geräte an und werten sie auf. Jaana Prüss ist zur Annahmestelle im Berliner Stadtteil Köpenick gefahren, um ihren alten Computer und den Drucker abzugeben.
Prüss: "Und der hat eigentlich getan, bis die Tinten, glaub ich, eingetrocknet sind."
Stöhr: "Mmh, gut. Das sollte man wieder irgendwie freikriegen. Bisschen in Lösungsmittel einlegen."
Prüss: "Sie kennen da ihre Handgriffe."
Stöhr: "Wir haben da schon ein bisschen Erfahrung."
In den drei engen Räumen des Vereins stapelt sich die Technik, nebenan schraubt ein Mitarbeiter an einer Platine. Seit acht Jahren verfolgt Telekommunikationstechniker Christof Stöhr seine Vision.
"Reparieren statt Wegwerfen! Weil, das wo ich repariere, da wird die Grundmaterie, die da einmal drin ist, erhalten. Im Gegensatz zur Neuproduktion. Unser ökologischer Fußabdruck ist groß genug, und jedes bisschen, was der kleiner wird, sollte man sehen, was man machen kann. Und wir machen hier aktuell was."
Schon einige hundert Geräte hat Christof Stöhr vor der Verschrottung retten können, mitsamt der seltenen Erden und anderen Rohstoffen. Nach dem Vorbild der Repair Cafés, die gerade überall entstehen, will Stöhr sein Wissen weitergeben. Im Repariergarten, zwischen den Bienenstöcken und dem Gemeinschaftsbeet, will er den Leuten zeigen, wie sie ihre Rechner selbst wieder zum Laufen kriegen.
Wolf Lotter: "Es sind Experimente, die nötig sind, es sind sehr relevante Experimente, die nötig sind, und wir sehen vor allen Dingen, dass die Ökonomie keine große Sache mehr ist, wo's Vorbild gibt und wo eine große neue Ideologie oder ein Trend ist, das es viele Ökonomien sind, viele Modelle, viele Märkte, viele Unternehmen."
Für den Journalisten Wolf Lotter ist die Share Economy kein neues Leitbild, sondern nur eine weitere Ergänzung des Angebots in der Konsumdemokratie. Postwachstumsforscher Niko Paech ist sich jedoch sicher, dass die neuen Ökonomie des Teilens in Zukunft immer wichtiger werden.
"Wenn die nächsten Energie- oder Finanzkrisen unser Wohlstandsmodell in die Knie zwingen, dann haben wir die Möglichkeit zu lernen. Von denjenigen, die schon proaktiv in den Nischen vorgemacht haben, wie man also durch Selbstversorgung oder reduktive und sesshafte Daseinsformen tatsächlich den Alltag auch in einer Postwachstumsökonomie bewältigen kann."
Und dazu gehören für Paech nicht nur Praktiken des Teilens und Tauschens, sondern auch der Reparatur und Reduktion. Denn alles wird man nicht teilen können. Für das Fliegen, das Fleisch oder das Obst aus Asien im Winter gibt es keine Sharing-Konzepte.
Auch Jaana Prüss, die Berliner Kulturaktivistin, versucht im Alltag reduzierter zu leben. Ihre Experimente mit neuen Formen der Versorgung sind für sie kein Verzicht, sondern ein Leben voller neuer Entdeckungen.
"Was macht mich denn eigentlich glücklicher? Ist es das Kaufen, ist es die Fernbedienung, oder ist es dies gemeinsam neue Dinge auszuprobieren, schöne Erfahrungen zu machen, an denen ich beteiligt bin, und dies auch noch mit anderen zu tun - da entsteht ja das, was vielleicht ganz archaisch ist, was in einem Dorf praktiziert wurde, unter Menschen, die aufeinander angewiesen waren."
Und das ist ja vielleicht auch Wachstum. Nur ein anderes.
"Also ich würd's gar nicht als Kritik formulieren, sondern eher als was Positives. Es wachsen halt die inneren und die vielleicht unsichtbaren Dinge daran. Nicht der Geldbeutel oder ein kapitales Geldkonto, es ist vielleicht ein anderes Konto."
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