Ökonomie

Die gefühlte Wissenschaft

Wenn es mit der Konjunktur bergab geht, tun es ihr die Börsen gleich.
Alles vorhersehbar? Die Instrumente der Ökonomie müssen überprüft werden, meint Klaus Weinert. © imago/Westend61
Von Klaus Peter Weinert · 28.01.2015
Wirtschaftspolitiker warnen: Wenn die Griechen den Sparkurs verlassen, hat das dramatische Folgen für sie und Europa. Einen wissenschaftlichen Beleg gibt es dafür nicht, meint der Journalist Klaus Weinert. Die Ökonomie lebt von Überzeugungen.
Im Jahr 1692 musste Daniel Defoe ins Gefängnis. Bekannt als Autor des "Robinson Crusoe", war er vor seinem Bestseller-Erfolg Kaufmann, der mit riskanten Geschäften bankrott ging. Im Gefängnis fragte er sich, warum Schuldner eingesperrt werden, da sie hinter Gittern ihre Schulden nicht bezahlen konnten.
Diese Geschichte vor 300 Jahren erinnert an unsere heutige Debatte und die Frage: Was macht man mit Schuldnern? Genau in diesem Dilemma steckt die Wirtschaftspolitik. Geld ausgeben ist gewiss nicht das Rezept schlechthin, das Gegenteil aber auch nicht. Die Frage bleibt: Was genau geschieht, wenn gespart wird? Und: Ist eine lockere Geldpolitik oder die Ausgabenpolitik des Staates auf Dauer sinnvoll? In Griechenland zumindest hat erst die finanzielle Sorglosigkeit und dann die strenge Sparpolitik zu einer enormen Arbeitslosigkeit geführt und zu bedrückenden Lebensverhältnissen vieler Menschen.
Sparen allein kann nicht die Lösung sein
Die ökonomischen Probleme werden meist immer noch mit den Methoden des 19. und 20. Jahrhunderts betrachtet. Der Grund ist auch darin zu sehen, dass die Standardwerke der Ökonomik genau dies lehren und dass die traditionelle ideale Theorie keine Krisen kennt. Wenn es Krisen gibt, dann ist meist der Staat schuld; so lautet das Credo. Dabei haben auch Unternehmen und jüngst die Banken Krisen ausgelöst und durch schlechtes Management oder gefährliche finanzökonomische Modelle den Staat in finanzielle Bedrängnis gebracht. Wer also wirklich der Schuldige ist, lässt sich wissenschaftlich und seriös kaum beantworten.
Beide, Manager wie Politiker, sind nicht frei von persönlichen Überzeugungen und folgen oft bloßen Meinungen. Für die Maastricht-Kriterien etwa – dass die Staatsverschuldung nicht höher als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sein darf – gibt es keine wissenschaftliche Begründung. Eigentlich gehören solche vermeintliche Gewissheiten auf den Prüfstand, zum Beispiel auch der Glaube, dass Wachstum uns immer aus der Misere führe oder dass Wirtschaft generell nach Gesetzmäßigkeiten funktioniere. Zu diesen Schwierigkeiten kommt, wie kurzfristig ökonomische Entscheidungen getroffen werden: Es wird nur das aktiv bearbeitet, was die Herde aus Politikern, Lobbyisten, Wissenschaftlern und auch Journalisten als aktuell betrachtet. Daher wurde auch die sich anbahnende Finanzmarktkrise nicht erkannt.
Instrumente der Ökonomie müssen überprüft werden
Die Konsequenz daraus ist, dass Wirtschaftspolitik einen ganz anderen Zeithorizont braucht. Dazu ist es notwendig, unangenehme politische Entscheidungen bereits dann zu fällen, wenn erste Anzeichen einer Krise erkennbar sind, die Wirtschaft aber noch in Hochstimmung ist und von Eingriffen eigentlich nichts wissen will.
Vielleicht die wichtigste Aufgabe bleibt jedoch, das Instrumentarium der Ökonomik zu überprüfen, ob dieses noch geeignet ist, eine komplexe globale Wirtschaft zu erklären und Empfehlungen zu geben, von denen alle Bürger profitieren. Dazu müssen die Ökonomen genauer darlegen, auf welcher Basis sie ihre Ratschläge geben und von welchen Voraussetzungen und empirischen Daten sie ausgehen und wie sie diese interpretieren. Nur so wären die Effizienz und Objektivität ihrer Vorschläge erkennbar und ob die Interpretationen nicht zu sehr von persönlichen Überzeugungen und Traditionen abhängig sind.
Bislang jedoch bieten weder die Ökonomik noch die Wirtschaftspolitik neue Antworten auf die alten brennenden Fragen, die schon Daniel Dafoe beschäftigt haben.
Klaus Weinert ist Wirtschafts- und Fachjournalist. Er studierte Germanistik, Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Filmwissenschaften. Weinert arbeitet für Rundfunk, Fernsehen und Printmedien.
Klaus Peter Weinert
Klaus Peter Weinert© privat
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