Ökumene

Voneinander lernen in der Not

Von Michael Hollenbach |
Auf einer ökumenischen Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum versuchen die beiden Volkskirchen, mit ihrer schleichenden Krise umzugehen.
Am Anfang steht die Diagnose: Den Kirchen laufen die Mitglieder davon. Warum das so ist, erläutert der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack:
"Ich denke, ein wichtiger Punkt ist der, dass das moderne Leben immer vielfältiger wird, die Menschen so viele Möglichkeiten haben, ihr Leben zu gestalten. Die Angebote werden immer attraktiver. Diese vielen Möglichkeiten setzen die Kirche unter Konkurrenzdruck. Das verstärkt den Prozess der Abwendung von der Kirche."
Und viele derjenigen, die der Kirche nicht den Rücken kehren, sind aber nicht mehr mit Herz und Seele dabei, diagnostiziert Detlef Pollack:
"Ganz zentral ist dies, dass die Menschen über ihr Leben selbst bestimmen wollen, und dass sie dann sagen: Ich bin für meine Verhältnisse selbst verantwortlich und möchte mir von niemanden, auch nicht von der Kirche, von keiner Institution, von oben etwas vorgeben lassen und so geht man automatisch auch zur Institution Kirche auf Distanz."
Die Analyse des Religionssoziologen ist eher ernüchternd. Das wissen auch die katholische Diplomtheologin Maria Herrmann und die protestantische Pastorin Sandra Bils. Sie bilden seit zwei Wochen ein ökumenisches Tandem – bislang einmalig in Deutschland. Gemeinsam wollen sie Wege aufzeigen, wie die Kirchen sich wieder aus der Defensive befreien können. Doch noch steht in ökumenischen Kursen das gemeinsame Lernen von- und übereinander im Vordergrund:
Bils: "Da gibt es so Situationen, wo beispielsweise die Katholiken den Protestanten ignatianische Spiritualität näher bringen, aber anderseits die Protestanten auch begeistert von der Theologie Luthers erzählen und Luthers Morgensegen mit den anderen teilen."
Hermann: "Ich glaube, das ist das Spannende an diesem Projekt, weil man sich gegenseitig Lösungswege vorschlagen kann, oder auch mal andere Fragen stellt und andere Perspektiven gibt."
Die beiden Volkskirchen werden immer noch als Konkurrenten wahrgenommen
Eine ökumenische Kooperation, die man den Kirchen oft nicht zutraut. Elke Schölper, Superintendentin im niedersächsischen Kirchenkreis Verden, berichtet auf der Tagung, wie sie vom Landrat zu einem Treffen zur Flüchtlingsproblematik eingeladen wurde:
"Er schreibt mir einen Brief: schreibt darin: einen ähnlich lautenden Brief habe ich dem katholischen Probst geschrieben; schreibt dem Probst einen Brief: einen ähnlich lautenden Brief habe ich Superintendentin Schölper geschrieben. Und er möchte zwei Termine: einen mit mir, einen mit ihm. Und dann habe ich vorgeschlagen, ob wir uns nicht gleich zu dritt treffen wollen. Wenn Sie das denn für möglich halten, war die Antwort."
Die protestantische und die katholische Kirche werden von vielen immer noch als zwei konkurrierende Organisationen mit widerstreitenden Interessen wahrgenommen. Dagegen wächst selbst in den Kirchenleitungen die Einsicht, dass man zum eigenen Vorteil voneinander lernen kann, sagt Arend de Vries, Vizepräsident der hannoverschen Landeskirche:
"Es bereichert uns die unterschiedliche Sicht auf Kirche. Da haben wir durchaus noch einen Lernbedarf, und mein Eindruck ist: Wir können von den katholischen Geschwistern eine Menge lernen. Ein Beispiel ist: die Bindungskraft der katholischen Kirche ist deutlich stärker. Ich frage mich, ob es manchmal daran liegt, dass wir sehr auf Individualität und Originalität setzen, die katholische Kirche vertraut der Macht der Liturgie, der gewachsenen Tradition, und vielleicht hat das ja auch eine höhere Bindungskraft."
Anderseits können die Katholiken von den Protestanten lernen, dass man – gerade in Zeiten des Priestermangels - nicht jeden Sonntag Abendmahl feiern muss. Matthias Sellmann ist katholischer Pastoraltheologe in Bochum.
"Ich verstehe nicht ganz, warum ich gleich von einem Mangel sprechen soll, wenn ich zum Beispiel nur einmal im Monat die Möglichkeit habe, die Eucharistie zu feiern. Denn meiner Meinung nach entwickelt die Eucharistie ihre Kraft erst daraus, dass ich eucharistisch gelebt habe. Wenn ich nicht in meinem Leben Wandlungen erlebt habe, dann kann ich auch keine Wandlung der Gaben vernünftig mitfeiern."
Ökumenisch voneinander lernen kann auch Zumutung bedeuten
Vor allem die katholische Kirche ringt aufgrund des Priestermangels um Möglichkeiten, sich vor Ort neu zu organisieren. Dazu gehört die Neubewertung des Priestertums aller Getauften. Matthias Sellmann betont, dass es dabei nicht um die Zukunft der Kirche als Institution gehen kann:
Das Ziel kann nicht mehr sein, Kirche stark zu machen, damit die zufrieden ist, wenn viele in ihrer Organisation sind, sondern Kirche ist wie ein gutes I-Phone. Das bestaune ich nicht als I-Phone, sondern damit telefoniere ich, damit habe ich mein Navi, das ist eine gute Maschine; Kirche ist eine gute Maschine für einen bestimmten Zweck, und diesen Zweck nennen wir Heil oder Frieden mit Gott.
Ökumenisch voneinander lernen kann aber auch bedeuten, dem anderen etwas zuzumuten. So empfiehlt der Protestant Arend de Vries seinen katholischen Brüdern, bei der Frauenordination über den eigenen Schatten zu springen:
"Ich glaube, die katholische Kirche wäre gut beraten, dort intensiver darüber nachzudenken, wie Frauen auch im Verkündigungsdienst, auch im priesterlichen Dienst tätig werden können und dann auch das Amt als solches bereichern."
Trotz dieser Differenzen – im Bistum Hildesheim und in der hannoverschen Landeskirche herrscht eine gewisse Aufbruchsstimmung. Beide Kirchen haben ihre massiven Probleme; warum also nicht zusammen an der Lösung arbeiten nach dem Motto: gemeinsam sind wir stark. Doch der Religionssoziologe Detlef Pollack dämpft die Loccumer Euphorie und gießt etwas Wasser in den ökumenischen Wein:
"Im Grunde genommen ist es aber auch ein Ausdruck der Schwäche. Die Tatsache, dass man ökumenisch zusammen geht, hat ganz viel damit zu tun, dass man auf einem Markt agiert, wo man sich eher marginalisiert fühlt."