Ökumenischer Kirchentag zu Missbrauch

Machtgefälle, auch im Livestream

07:28 Minuten
Bildschirm vom Stream des Ökumenischen Kirchentags: im Bild die Religionswissenschaftlerin Katharina Kracht.
Betroffene von Missbrauch kamen nur schwer zu Wort: Für Katharina Kracht war nur ein dreiminütiges Statement vorgesehen. © ÖKT / Fabian Weiss
Von Burkhard Schäfers |
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"Schaut hin" lautete das biblische Leitwort des diesjährigen Ökumenischen Kirchentags. Das sollte auch bei den unangenehmen Themen wie Macht, sexualisierte Gewalt und weißer Dominanz geschehen. Debattiert wurde darüber zwar, aber mit Schieflage.
"Wir entschuldigen uns noch einmal in aller Form dafür, dass es dieses Missverständnis und dann noch technische Probleme gab. Genau an dieser Stelle ist das uns sehr unangenehm. Entschuldigung." – Dem Moderator ist das, was gerade passierte, sichtlich peinlich. Eine Frau, die von einem evangelischen Pastor viele Jahre lang missbraucht wurde, sollte für ihren Auftritt auf dem digitalen Ökumenischen Kirchentag (ÖKT) ganze drei Minuten Zeit bekommen.
Noch bevor sie ihr vorbereitetes Statement vortragen konnte, wurde sie weggeschaltet. Die eng getaktete Kirchentagsregie sah schon das nächste Thema vor. Sie sagt: "Dass hier Betroffenen Raum gegeben werden soll und dann habe ich drei Minuten Zeit zum Reden. Es gibt Tausende von Minuten gestreamter Kirchentagszeit. Ich habe von Anfang an versucht zu sagen, so kann man so eine Veranstaltung nicht aufziehen."

Kirche muss ihre Macht reflektieren

Nachdem Katharina Kracht ihrem Unmut Luft gemacht hat, darf sie doch noch sagen, was ihr wichtig ist: Dass die evangelische Kirche bis heute ihre Macht ausspiele, auch in der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt.
"Für mich ist ein wichtiger Schritt, dass die evangelische Kirche endlich lernt, ihre eigene Deutungshoheit infrage zu stellen, dass sie reflektieren, was für ein Machtapparat sie sind, dass sie daraus Konsequenzen ziehen und eine vernünftige Partizipation für Betroffene entwickeln. Wir haben schon Machtmissbrauch erlebt, und wenn sich Betroffene in kirchliche Strukturen begeben, dass wir immer wieder auch der traumatisierenden Institution ausgesetzt werden, das wird nicht richtig mitreflektiert. Das heißt, man muss Verantwortung schaffen für diesen Prozess, und die wird leider nicht übernommen."

Konflikt um die Beteiligung Betroffener

Kracht ist Mitglied im Betroffenenbeirat der evangelischen Kirche. Dessen Arbeit wurde vor wenigen Tagen seitens der EKD ausgesetzt. Zuvor hatte es Streit um die Rolle des Beirats und die Rechte der Mitglieder gegeben, einige von ihnen waren zurückgetreten. Kracht sagt: "Nach der einseitigen Entscheidung, den Betroffenenbeirat aufzulösen, gab es eine Pressemitteilung der EKD. Diese war voller Verkürzungen und Halbwahrheiten. Unsere Perspektive wurde ausradiert. Das ist Machtmissbrauch und sehr typisch für den evangelischen Kontext, in dem gerade Sprache und Rhetorik immer wieder zum Machterhalt eingesetzt werden."
Das Machtgefälle zwischen Kirchenoberen und Betroffenen zeigt sich auch im Livestream des Ökumenischen Kirchentags. Die unmittelbare öffentliche Auseinandersetzung zwischen Bischöfen und Betroffenen ist nicht vorgesehen.
So spricht Katharina Kracht auf einer Veranstaltung, die aus aneinandergereihten Statements zu ganz unterschiedlichen Formen von Macht besteht. Zugeschaltet von zu Hause, ohne volle Messehalle, ohne dass das Publikum sicht- und hörbar spontan reagieren könnte auf das, was Kracht der evangelischen Kirche vorwirft. Die Bischöfe wiederum legen ihre Sicht der Dinge zwei Stunden später auf einem gestreamten Podium ohne Publikumsbeteiligung dar.

Anbindung oder Augenhöhe

Landesbischof Christoph Meyns, der Sprecher des evangelischen Beauftragtenrats zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, kommt auf den Streit um den Betroffenenbeirat der EKD zurück: "Das Mandat für diesen Beirat kommt von der Kirche. Damit haben sie von vornherein eine institutionelle Anbindung und keine Unabhängigkeit. Das ist einfach so. Das ist Teil der Struktur. Dann müsste man wirklich sagen, wenn so ein großer Wert gelegt wird auf eine Unabhängigkeit, eine Augenhöhe, müsste man tatsächlich über die Grundstruktur einer Betroffenenbeteiligung neu nachdenken."
Gezerre um die Deutungsmacht gab es auch hinter den Kulissen des Kirchentags. Als Moderatorin für das Bischofsgespräch hatte der ÖKT ursprünglich Kerstin Claus verpflichtet, Journalistin und selbst als Jugendliche in der evangelischen Kirche missbraucht. Das fand Landesbischof Meyns offenbar problematisch, bestätigen Beteiligte. Also wurde umbesetzt. Das direkte Gespräch zwischen Bischöfen und Betroffenen fällt aus.

Nur begrenzte Beteiligung von Aktivisten

Wie kritisch dürfen Betroffene sein, wenn sie von der Kirche offiziell bestellt werden, um an der Aufarbeitung mitzuwirken? Der katholische Bischof und Missbrauchsbeauftragte Stephan Ackermann sieht da Grenzen: "Wenn ein Beirat mehrheitlich besetzt wäre durch Aktivisten, wo man sagt, wir bleiben immer nur im klaren Gegenüber zur Kirche. Wir werden auch kompromisslos die Fehler aufdecken. Wir werden zu keiner Kooperation bereit sein. Sondern unsere Rolle ist die, aufzudecken und sozusagen immer den Finger in die Wunden zu legen. Die Menschen, die ihre Bereitschaft bekunden, denen muss man klarmachen, was ist das Mandat eines solchen Beirates und auf was lassen sie sich da ein."
Was der Kirchentag zeigt: Die Erwartungen von Verantwortungsträgern und Menschen, denen sexualisierte Gewalt angetan wurde, liegen weit auseinander. Wie die Aufarbeitung des Missbrauchs verbessert werden kann, dazu liefert der ÖKT keine eindeutige Perspektive.

Überheblichkeit gegenüber anderen Theologien

Klartext wird unterdessen woanders gesprochen: In einer Veranstaltung mit dem Titel "Weiße Kirchen". Wieder geht es um Macht – darum, wer in den Kirchen hierzulande das Sagen hat. Regamy Thillainathan, katholischer Pfarrer im Erzbistum Köln, berichtet aus seiner Studienzeit:
"Eine meiner schlimmsten Erfahrungen in der deutschen Theologie war, als ich aus meinem Freisemester in Indien zurückkam und einem Lehrenden meine Scheine zur Anerkennung vorlegte, fragte er: An welcher Baumschule war das denn? Also es gibt eine unglaublich überhebliche Einstellung gegenüber der Theologie in anderen Ländern. Wir sind die Vorreiterinnen und Vorreiter des modernen Denkens, der Aufklärung, und die anderen sind noch nicht soweit."

Eurozentrische Bilder in Kinderbibeln

Wie sehr bewegen sich die Kirchen in einem geschlossenen Milieu? Wie sehr lassen sie Menschen mit Migrationsgeschichte außen vor? Sarah Vecera, Bildungsreferentin bei der Vereinten Evangelischen Mission, sagt: Schon Kinderbibeln würden klassische, eurozentrische Bilder tradieren.
"Damit setzen wir gerade bei Kindern schon Grundsteine: Der Liebe Gott war auch weißer Deutscher. Schauen Sie mal in Ihre Kinderbibeln, schauen Sie mal in Ihre Köpfe. Wie stellen Sie sich Jesus vor? Jesus sah vermutlich nicht weiß aus. Er war vermutlich eher jemand, den wir heute als Person of Color bezeichnen würden."
Liturgin Sarah Vecera bei Gottesdienst
Liturgin Sarah Vecera eröffnet den Gottesdienst über den Dächern von Frankfurt.© ÖKT / Jan Lurweg
Die Kirchen müssten sich dem Thema Rassismus in den eigenen Reihen stellen, im eigenen Interesse, sagt Vecera: "40 Prozent aller Unter-Fünfjährigen in Deutschland haben Migrationshintergrund. Da sind viele Menschen der nächsten Generation, die von Kirche in erster Linie nicht angesprochen werden. Und wenn wir uns zukunftsweisend um die Kirche sorgen, gucken, wo kriegen wir Mitglieder her, dann ist das Thema Rassismus unerlässlich."
Dass es dabei durchaus blinde Flecken gibt, offenbart der Kirchentag ungewollt, indem er in seinem Stream eine Werbung der Hilfsorganisation "World Vision" ausstrahlt. Der Film zeigt exakt jene Bilder von hilfsbedürftigen afrikanischen Kindern, die das Podium "Weiße Kirchen" kritisiert hatte.
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