Ölpreis und Sanktionen

Russlands einstige Auto-Boomtown in der Krise

In einer Fabrik im russischen Kaluga wird der Citroen C4 produziert.
In einer Fabrik im russischen Kaluga wird der Citroen C4 produziert. © dpa / picture alliance
Von Florian Kellermann |
Der Pkw-Absatz ist in Russland in diesem Jahr um 40 Prozent eingebrochen. In der Autostadt Kaluga etwa wurden schon 1.000 Arbeiter entlassen. Niedriger Ölpreis und Sanktionen sorgen für einen langsamen Abschwung der gesamten Wirtschaft.
Ein kleiner Markt in Kaluga: Hier kaufen die Menschen günstiger ein als im Supermarkt, nicht nur Lebensmittel. Aber günstiger heißt noch lange nicht billig. Seit Jahresbeginn sind die Waren im Schnitt um acht Prozent teurer geworden. Der Rubel verliert weiter an Wert.
Das merken vor allem die Händler, deren Waren die Menschen nicht unbedingt brauchen. So wie Walentina, die ihre Rente mit dem Verkauf von Kosmetika aufbessert.
"Viele haben außerdem noch Kredite aufgenommen - für Autos und Wohnungen. Die Raten müssen sie weiter zahlen, aber den Lippenstift sparen sie sich lieber."
Doch Inflation und Kredite sind nicht das einzige Problem der Menschen in Kaluga. Die Industrie schwächelt. Die Stadt, 180 Kilometer südwestlich von Moskau, galt in den vergangenen Jahren als Boom-Town. Viele Automobilhersteller siedelten sich an, darunter Volkswagen.
"Eine neue Arbeit zu finden ist fast unmöglich"
Fast jeder der über 300.000 Einwohner hat jemanden in der Familie, der in der Autoproduktion arbeitet, so auch Walentina. Oder gearbeitet hat:
"Die Fabriken entlassen - aber bisher nur diejenigen, die sich etwas haben zuschulden kommen lassen. Die zum Beispiel oft zu spät gekommen sind. Wer gewissenhaft gearbeitet hat, kann seinen Arbeitsplatz einstweilen behalten, habe ich gehört."
Die Zahlen sprechen für sich: Der Absatz von Pkw brach in Russland in diesem Jahr um knapp 40 Prozent ein. Die Hersteller müssen deshalb ihre Produktion drosseln. Allein in Kaluga haben sie bisher etwa 1.000 Angestellte entlassen. Bei vielen anderen ließen sie einfach die Zeitverträge auslaufen, sagt Dmitrij Koschnjew von der Gewerkschaft MPRA in Kaluga.
"Eine neue Arbeit zu finden, die halbwegs anständig bezahlt wird, ist fast unmöglich. Nehmen wir die Eierfabrik von Kaluga, die noch einstellt. Das Grundgehalt dort beträgt 10.000 Rubel im Monat. Und die Arbeit ist die Hölle. Im Winter ist es kalt, die Füße sind nass, die Arbeiter werden krank."
10.000 Rubel sind weniger als 150 Euro. Eine Einzelperson kann sich damit so gerade über der amtlich fixierten Armutsgrenze halten - aber keinesfalls noch Kinder ernähren. Tatsächlich stieg die Zahl der Menschen, die unter dieser Grenze leben, in diesem Jahr deutlich an - zum ersten Mal seit vielen Jahren. Fast 23 Millionen Russen gelten derzeit als arm. Also etwa 15 Prozent der Bevölkerung.
Vor allem an sie richtete Präsident Wladimir Putin gerade eine Botschaft. Beim Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg sagte er:
"Das Amt für Statistik schätzt, dass die Wirtschaft im ersten Quartal um 2,2 Prozent geschrumpft ist - gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr. Dazu will ich bemerken: Noch Ende des vergangenen Jahres wurde uns eine tiefe Wirtschaftskrise prophezeit. Das ist nicht passiert. Wir haben die Situation stabilisiert und gehen zuversichtlich durch diesen schwierigen Abschnitt."
Die Probleme dürften zunehmen, wenn Öl nicht wieder deutlich teurer wird
Putins Botschaft: Russland werde sich bald wieder erholen. Dafür hätten unter anderem die Importbeschränkungen gesorgt, so der Präsident. Das Land führt insbesondere weniger Lebensmittel ein als früher. Gerade erst verlängerte die Regierung diese Maßnahme, mit der sie auf die erneuten westlichen Sanktionen reagierte. Auch der schwache Rubel führte zu weniger Importen - wegen der im Ausland gesunkenen Kaufkraft der Währung.
Die Folge: Russland steckt zwar in Schwierigkeiten - wegen der Sanktionen und, viel wichtiger, wegen des stark gesunkenen Ölpreises. Aber Russland hat immer noch eine positive Handelsbilanz.
Trotzdem halten viele Experten die Rede von Präsident Putin für allzu optimistisch. Igor Nikolajew, Direktor des Moskauer Instituts für strategische Analyse:
"Noch immer geht das Bruttoinlandsprodukt mit jedem Monat zurück. Am Ende des Jahres wird nach unseren Schätzungen ein Minus von vier Prozent stehen. Die Krise entwickelt sich nicht wie 2008, 2009. Da gab es einen gewaltigen Einbruch und eine rasche Erholung. Diesmal haben wir es mit einem langsamen Abschwung zu tun, aber er wird dafür lange anhalten."
Igor Nikolajew weist darauf hin, dass die russische Wirtschaft schon seit Jahren immer langsamer wächst - auch als der Ölpreis noch hoch war. Es fehle an marktwirtschaftlichen Reformen, meint er. Auch das russische Justizsystem schrecke viele mögliche Investoren ab, ebenso die Bürokratie.
Die Probleme dürften zunehmen, wenn Öl nicht wieder deutlich teurer werde, so Experten. Denn der russische Staat lebt derzeit über seine Verhältnisse. Nach und nach braucht er die Rücklagen aus den vergangenen Jahren auf. Deshalb hat die Regierung gerade beschlossen, die Renten vorerst nicht an die Inflation anzupassen.
Das Leben werde härter, gibt auch Walentina zu, die Kosmetik-Verkäuferin auf dem Markt in Kaluga.
"Die jungen Leute müssen sich wohl daran gewöhnen, dass sie mehr als einen Job brauchen, um zu leben. Gerade, wenn sie noch ihre Eltern unterstützen müssen. Das Leben zwingt einen halt, sich trotz allem irgendwie durchzukämpfen."
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