Max-Planck-Institut testet Sammelbus 2.0 im Harz
Parallel zu den Gandersheimer Domfestspielen ist in der Kurstadt ein System getestet worden, bei dem Busse Fahrgäste einsammeln und von Tür zu Tür befördern. Nun folgt ein zweites Pilotprojekt in zwei Oberharz-Landkreisen.
Neugierige Blicke vor dem Eisstand gegenüber der Bühne in Bad Gandersheim: Gerade ist wieder einer der fünf Kleinbusse vorgefahren, um Fahrgäste einzusammeln. Festivalbesucher wie Bewohner der Kurstadt spähen ins Innere des weiß-grün lackierten Achtsitzers vom Typ Mercedes Sprinter:
"Ich komme aus Berlin. Und da ist auf jeden Fall so was angebracht. Die Öffentlichen sind ja nicht gerade besonders preiswert. Und wenn man sich so was teilen kann ist es echt super!"
"Wir sind mit dem Auto gekommen. Wir haben drei Kinder dabei, und sind noch einen Umweg über die Dörfer gefahren, bei Oma und Opa vorbei. Deswegen wäre das für uns in vielen Fällen wahrscheinlich keine Option."
Der Teufelskreis Takt und Nachfrage
Die allermeisten Familien hier im ländlichen Raum sind in eigenen Autos unterwegs. Franziska Schwarz, die Bürgermeisterin, spricht von einem Teufelskreis: Wer will schon zwei Stunden auf einen Bus warten, dessen Taktzeiten immer unattraktiver werden, weil eben auch die Nachfrage sinkt:
"Man ist auf den PKW hier angewiesen, weil wir nur den Schulbus haben, der unsere Gemeinden verbindet. Der Schulbus fährt naturgemäß nicht in den Ferien. Wir sagen immer so ganz lapidar: Außerhalb der Schulzeit kommt die Oma nicht zum Arzt! Und das Besondere am Ecobus ist eben, dass individuell nach Bedarf gefahren wird, mit kleinen Bussen, und dass sich – so hoffe ich – das Ganze dann auch anders rechnet. "
Die Lokalpolitikerin Christel Eppenstein outet sich als leidenschaftliche Autofahrerin. Doch als die elektrische Tür vom Kleinbus aufschwingt, ist sie sehr angetan. Drinnen: Stehhöhe, bequeme Ledersitze.
Die Anfang 70-Jährige will zurück in die Nachbargemeinde Kalefeld. Schon bei der Hinfahrt am Morgen hat fast alles geklappt:
"Ich habe die App noch nicht runtergeladen, also musste ich zum Telefon greifen. Die haben mir genau gesagt, wann ich abgeholt werde: Sie kamen dann natürlich zehn Minuten später – aber, gut, ich stand ja quasi vor der Haustür."
Haustür zu Haustür, ohne feste Haltestellen
Die Kundschaft von Haustür zu Haustür befördern, ganz ohne feste Haltestellen – das ist der Anspruch des Pilotversuchs. Dazu melden die Kunden ihre Fahrtwünsche telefonisch oder auf der App fürs Smartphone an. Das System sammelt alles auf einem Zentralcomputer, ein entsprechender Algorithmus verteilt die Aufträge dann so auf die verfügbaren Fahrzeuge, dass möglichst effiziente Fahrtrouten kombiniert werden können.
"Mein Fahrgast ist eingestiegen. Und jetzt werde ich mein Dings hier aktivieren, indem ich hier draufdrücke. Vorführeffekt: Will er nicht! Jetzt! Jetzt zeigt er mir die Route an, wo ich langfahren muss."
Gehen in der Zentrale weitere Anfragen ein, leitet sie der Computer auf das Tablet von Fahrerin Karin Heilendz weiter – und errechnet eine neue Route. Unterwegs steigt Anke Wurmstädtt zu.
"Also, ich wäre jetzt anders gefahren, aber ich finde es super, dass es diesen Bus gibt!"
Auch die Mutter von drei fast erwachsenen Kindern freut sich, wenn sie das Auto einmal stehen lassen kann – und ist bereit, dafür gewisse Umwege in Kauf zu nehmen:
"Jedes meiner Kinder zu verschiedensten Terminen zu fahren, finde ich ökologisch kaum vertretbar und belastend."
Anruf-Sammelbus 2.0
Uber, Moja, Clever Shuttle: Auf der alten Idee vom Anruf-Sammelbus – Neudeutsch: "Ridesharing" - bauen viele Firmen auf, die gerade wie Pilze aus dem Boden schießen, sagt Stephan Herminghaus. Der Ecobus–Projektleiter leitet auch das Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen:
"Die preschen in einen Markt rein und versuchen Marktanteile zu erobern – und über kurz oder lang sind die dann aber in irgendeinem Nischenmarkt gelandet, wo sie gerade so überleben können und haben eigentlich nur weitere Feinde geschaffen."
Dabei bedarf es gar nicht viel mehr neuer Fahrzeuge auf unseren Straßen, denn Taxis und bestehende Liniendienste von privaten wie öffentlichen Mobilitätsanbietern sind im Überfluss vorhanden. Was fehlt, ist ein System, das all diese Bedarfe schlau orchestriert, sagt Herminghaus während der Fahrt. "Da könnte man auch drüber nachdenken, dass man in den Grundlast-Zeiten, wo nicht so viel Nachfrage ist, einige Busse abzieht und als Kleingütertransport fahren lässt – und dass sie das Land auf diese Weise vollkommen neu beleben können!"