Österreich vor den Wahlen

Zurückhaltung der Kulturschaffenden

05:36 Minuten
Diskussionen der Spitzenkandidaten zur Nationalratswahl in Österreich am 11.09.2019 im ORF Zentrum Koeniglberg in Wien. Im Bild (v.l.n.r.): Liste JETZT-Spitzenkandidat Peter Pilz, SPÖ-Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner, Grünen-Spitzenkandidat Werner Kogler, NEOS-Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger, ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz und FPÖ-Spitzenkandidat Norbert Hofer
Die Spitzenkandidaten für die Wahl in Österreich im ORF Zentrum Wien am 11.09.2019. Ex-Kanzler Sebastian Kurz (2.v.r.) liegt in den Umfragen eindeutig vorn. © imago images / Eibner Europa
Von Günter Kaindlstorfer |
Audio herunterladen
Trotz mehrerer Skandale - zuletzt um seinen Vize Christian Strache - hat der 33-jährige Ex-Kanzler Sebastian Kurz beste Chancen wiedergewählt zu werden. Doch Österreichs Kulturschaffende positionieren sich bisher nur zögerlich im Wahlkampf.
Alle gegen Kurz – von links bis ganz rechts, das ist das Motto des österreichischen Spätsommer-Wahlkampfs 2019. Wobei der 33-jährige "Altkanzler" seinen Gegnern in den letzten Wochen so manche Steilvorlage geliefert hat. Etwa mit seinem Auftritt bei einem evangelikalen Erweckungs-Event in Wien, da ließ sich Sebastian Kurz von einem glaubensstarken Einpeitscher als eine Art zweiter Messias feiern.
"Ich glaube, es ist natürlich klar, dass wir nicht nur jetzt beten für Sebastian, sondern, dass wir auch in Zukunft für ihn beten sollen. Würdet Ihr Eure Hände ausstrecken. Vater, wir danken dir so sehr für diesen Mann, für die Weisheit, die du ihm gegeben hast, für das Herz, das du ihm gegeben hast für dein Volk. Wir beten, dass du ihm gerechte Führung gibst, riesige Weisheit und viel Schutz. Amen."

Beten für den "schönen Werbestrategen"

Dieser Auftritt bei einem Erlösungs-Spektakel vor tausenden christlichen Fundies hat Sebastian Kurz viel Spott eingebracht. Der Schriftsteller Franzobel hat das Video mit kritischem Interesse betrachtet:
"Sebastian Kurz gebärdet sich wie eine Mischung aus Hansi Hinterseer und Messias, er ist ein unangreifbarer, schöner Politiker, den sich wahrscheinlich wahnsinnig viele Mütter als Schwiegersohn wünschen würden, ein thematisch schwer greifbarer Politiker, weil er eigentlich ein paar Standardphrasen ständig wiederholt, das funktioniert bei der einfachen Bevölkerung, man hat den Eindruck, da ist ein junger Anpacker am Werk, einer, der tatsächlich – was er auch immer wieder betont – etwas weiterbringt in unserem Land. Dass das natürlich so nicht stimmt, ist wieder eine andere Sache, aber er ist schon ein guter Werbestratege im Verkaufen seiner selbst."

Klare Führung für die alte Koalition

In sämtlichen Meinungsumfragen wird Sebastian Kurz und seiner ÖVP ein glänzender Wahlsieg vorhergesagt. Dass Kurz vor zwei Jahren die rechtspopulistische FPÖ und den Möchtergern-Korruptionisten H. C. Strache in die Regierung geholt hat, dass seine ÖVP in einem dicken Wahlkampfspendenskandal steckt, dass einer seiner Mitarbeiter unter falschem Namen geheime Dokumente schreddern ließ – all das scheint dem stets wie frisch gephotoshopped wirkenden Ex-Kanzler nicht zu schaden. Im Gegenteil: Zusammen kämen ÖVP und FPÖ aktuellen Umfragen zufolge wieder auf 55 Prozent.

Unterstützung vom TV-Liebling

Zu den Fans von Sebastian Kurz zählt auch die Schauspielerin Christiane Hörbiger. In einem Wahlkampfvideo spricht die Doyenne der gehobenen Fernseh-Unterhaltung den Ex-Kanzler persönlich an:
"Ich hoffe so von Herzen, Sebastian Kurz, dass Sie triumphal zurückkommen werden. Wir wären alle so froh und stolz und glücklich, wenn Sie unser kleines, geliebtes Österreich, mein Heimatland, wieder in Ihre Hände nehmen würden. Alles, alles Gute für Sie. Und bleiben Sie gesund."

Das Burgtheather bleibt vorerst neutral

"Also, ich hab von diesem Video gehört, aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich mir so einen Quatsch ansehe."
Martin Kusej, seit kurzem Burgtheaterdirektor, will sich nicht mit Empfehlungen in den laufenden Wahlkampf einmischen.
Intendant Martin Kusej am 25.04.2013 auf der Jahres-Pressekonferenz des Residenz-Theaters in München (Bayern). 
Intendant Martin Kusej: "Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich mir so einen Quatsch ansehe.“© picture alliance / dpa / Andreas Gebert
Wie man überhaupt feststellen muss: Im Gegensatz zu früheren Wahlgängen halten sich Österreichs Kulturschaffende in Sachen politisches Engagement diesmal auffallend zurück. Vielleicht auch, weil Kunst und Kultur im Wahlkampf so gut wie keine Rolle spielen.

Vorbild Christoph Schlingensief

Martin Kusej hält sich allerdings offen, ob das von ihm geleitete Burgtheater nicht demnächst doch noch in die politischen Debatten eingreifen wird. Rechnen politische Beobachter doch mit einer Neuauflage der sogenannten "Ibiza"-Koalition aus ÖVP und FPÖ.
"Ich möchte mich ungern vor irgendeinen Karren spannen lassen. Wir entscheiden das hier im Team. Ich erinnere mich an die Zeiten der ersten schwarz-blauen Koalition, als das Burgtheater klar Stellung bezogen hat: Christoph Schlingensief war hier und hat verstörende und irritierende Aktionen gemacht. Das fand ich richtig. Würden wir in jedem Fall wieder machen."
Christoph Schlingensief als kritischer Kreativ-Provokateur wird diesmal ausfallen. Bleibt vielleicht Elfriede Jelinek. Gut möglich, dass sich die Nobelpreisträgerin vom "Bubenkanzler" mit der harten Migrationslinie zu einem bösen, kleinen Tendenzstück inspirieren lässt.
Mehr zum Thema