Österreich

Wie die Regierung einen Keil in die Gesellschaft treibt

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache
Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache © imago/photonews.at
Von Julya Rabinowich · 04.01.2018
Migranten, Frauen, Arbeitslose - die neue österreichische Regierung unter Kurz und Strache spielt die Schwachen gegeneinander aus und treibt einen Keil in die Zivilgesellschaft. Dieser "Trumpwerdung der Republik" darf man nicht tatenlos zusehen, fordert Julya Rabinowich.
Die Sündenböcke waren dieses Jahr im Wahlkampf besonders begehrt. Die sogenannten "Auslända" spielten eine so gewichtige Rolle, dass man getrost behaupten könnte, sie hätten die Wahl im Alleingang entschieden. Wer am meisten auf sie einhackte, der gewann. Und wer glaubt, dass mit diesem ekelerregend schmutzigen Wahlkampf das schlimmste überstanden war, der irrt.

Gestern Integration, heute Ausweisung

Kaum waren die blaue Partei der Burschenschaftler und die Partei des türkisen Messias Sebastian Kurz angelobt, wurde der Sündenbock besonders prächtig aufgezäumt, um ihn erneut durchs große Dorf Österreich zu treiben: Flüchtlinge sollen sich nur noch eingeschränkt auf das Arztgeheimnis verlassen können. Sie sollen nicht mehr privat untergebracht werden. Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund sollen verpflichtend an den Elternabenden teilnehmen. Massenquartiere am Stadtrand werden schon laut angedacht. Die Integration, jener Bereich, der den nunmehrigen Kanzler Sebastian Kurz groß gemacht hat, scheint ihm auf einmal wurst. Diese von ihm gebetsmühlenartig gepredigte Integration wird jetzt nämlich der freiheitlichen Partei überlassen.
Für die FPÖ ist Integration gar nicht das Ziel. Der Innenminister, dem nun sämtliche Geheimdienste unterstehen, dichtete früher schon mal Wahlplakate wie "Mehr Mut zu unserem Wiener Blut. Zu viel Fremdes tut niemandem gut." Und hat den Chefredakteur des Blog unzensuriert.at ins Innenministerium berufen. 2012 stellte der Blog mit Neurechten und Rechtsextremen bei einer von alt-right Kubitschek organisierten Messe aus. Klartext: der migrierte Pöbel soll sich gar nicht integrieren. Er soll abhauen. Und wenn er davor Probleme macht – was anzunehmen ist, wenn man unter das Existenzminimum gekürzt wird und dennoch nicht legal arbeiten darf – dann ist es umso besser: Ein krimineller Flüchtling lässt sich besonders gut zu Schlagzeile gießen. Die Kronenzeitung schaffte es, die kalten Wintermonate mit der täglichen Horrormeldung über Ausländer das lichtlos ermüdete Xenophobengemüt zu erfreuen. Auf wieviel mehr dürfen die Klickverwerter nun hoffen! Ein Freudenfest blüht heran.

Die Schwachen werden gegeneinander ausgespielt

Nebenbei muss auch weiter vernebelt werden wie schon zuvor mit den Diskussionen um das Rauchverbot: denn die Arbeitslosen haben massive Einschnitte zu erwarten. Die Frauen sind vor allem als Mütter im neuen Regierungsprogramm präsent. Die Rechte der Arbeitnehmer schmelzen dahin wie Restschnee im April. Wer sich erhöhen wollte auf Kosten der noch Schwächeren wird bald feststellen, dass er selbst auf dem Ast hockt, an dem er sägt.

Trumpwerdung der Republik darf man nicht hinnehmen

Denn alle diese Betroffenen werden gegeneinander ausgespielt - die Flüchtlinge, die Migranten, die Frauen, die Arbeitslosen, die sozial Schwachen. Sie alle sollen in einen widerwärtigen Hasswalzer hineingedreht werden, aus dessen Rhythmus man so schnell nicht wieder herauskommt. So weit, so düster. Aber was nun? Wir erleben eine Art Trumpwerdung der Republik. Und dort wie da wird es an der Bevölkerung liegen, dem sozialen Kahlschlag etwas entgegen zu setzen. Wir müssen uns nun Rückhalt sein, und Bestärkung und Nestwärme. Das praktizierte gegeneinander Ausspielen treibt einen Keil in die Zivilgesellschaft. Dem dürfen wir nicht weiter stattgeben.

Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, lebt seit 1977 in Wien. Sie ist bildende Künstlerin, Autorin, Simultandolmetscherin, Kolumnistin in der österreichischen Tageszeitung "Der Standard". Für ihren Debütroman "Spaltkopf" (2008) erhielt sie u.a. den Rauriser Literaturpreis, das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt. 2011 nahm Julya Rabinowich am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil. Ihre Theaterstücke wurden an mehreren Bühnen aufgeführt, ihre Romane " Herznovelle" (2011, nominiert für den Prix du Livre Européen), "Die Erdfresserin" (2012) und "Krötenliebe" (2016) erschienen bei Deuticke. Für ihr bei Hanser 2016 publiziertes Buch "Dazwischen: Ich" erhielt Julya Rabinowich den österreichischen Jugendbuchpreis.

Julya Rabinowich
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