Österreichs Kulturschaffende protestieren

Keine Filmdrehs, geschlossene Kinos

05:35 Minuten
Blick auf das geschlossene Gartenbaukino in Wien
"Wir werden uns wiedersehen." Das Gartenbaukino in Wien hat noch immer geschlossen, wegen des Coronavirus. © imago images / Volker Preußer
Von Christian Berndt |
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Während sich die Filmwelt in Deutschland dank der Coronalockerungen in Aufbruchsstimmung befindet, steht in Österreich noch alles still. Die Filmbranche dort fühlt sich im Stich gelassen. Ihre Proteste haben zu einem Rücktritt in der Politik geführt.
Ein Konzert in Coronazeiten: Die Technoband Scooter spielt ohne Publikum, ist aber live im Internet zu sehen. Mit dabei war das Team der Regisseurin Cordula Kablitz-Post, die gerade einen Dokumentarfilm über die Band dreht. Im Januar war die Finanzierung für den Film geklärt, dann kam Corona – und alles stand auf der Kippe.
"Und dann haben wir einfach gesagt", sagt die Regisseurin, "wir fangen jetzt an, weil: Wir müssen diese ganze Krise, so wie sie anfängt und was das bedeutet, für die ganze Filmwirtschaft und natürlich auch für die Künstler, anhand dieser Produktion zeigen. Der Dokumentarfilm hat ja auch eine Aufgabe, auf gesellschaftliche Ereignisse zu reagieren."

Die Krise im Film dokumentieren

Im März begannen die Dreharbeiten. Corona wurde dabei automatisch zum Thema des Films, weil die Folgen der Krise den Alltag der Musiker, zu Hause oder im Studio, bestimmen. Und Dreharbeiten unter Coronabedingungen sind kompliziert und zeitaufwändig: "Man muss halt ständig darüber nachdenken, ob man den Sicherheitsabstand einhält, das ist etwas nervig."
Aber weil die Regisseurin die Aufgabe des Dokumentarfilms in der distanzierten Beobachtung sieht, sei Abstand beim Dreh manchmal sogar besser: "Das ist eh immer das Beste, wenn die Protagonisten eigentlich die Kamera vergessen."

Auch beim Dreh auf Abstand gehen

Empfehlungen für den Filmdreh in Coronazeiten hat jetzt die Berufsgenossenschaft für Medienerzeugnisse herausgegeben. Die sehen unter anderem eine fünftägige Quarantäne für Schauspieler vor, wenn sie zum Beispiel körperliche Liebesszenen drehen müssen.
Über die coronabedingten Mehrkosten verhandeln Filmproduzenten mit den öffentlich-rechtlichen Sendern.

Politik hat auf Branchenkonzepte nicht reagiert

Während hierzulande die Filmproduktion wieder an Fahrt gewinnt, steht der Filmbetrieb in Österreich noch weitgehend still. Denn zu viele Fragen, sagt der Wiener Filmverleiher Michael Stejskal, seien noch ungeklärt. Die Filmbranche habe Konzepte erarbeitet, die aber von der türkis-grünen Bundesregierung ignoriert worden seien.
"Die produzierende Wirtschaft hat sich zu Recht darüber empört", sagt Michael Stejskal, "dass ein sehr praktikabler Vorschlag, der auch auf internationale Beispiele zurückgeht, wie man Dreharbeiten machen kann, der wurde von der Filmwirtschaft sehr detailliert erarbeitet und sehr frühzeitig präsentiert, und da ist lange Zeit nichts geschehen. Da wurde tatsächlich viel wertvolle Zeit verloren."

Augenmerk auf Tourismus und Gastronomie

In den letzten Wochen gab es in der österreichischen Kulturwelt heftige Proteste: "Ich glaube, dass die Prioritäten falsch gesetzt wurden. Die wurden halt in Richtung Handel, Gastronomie und Tourismus gesetzt. Da ist die Kultur eindeutig unter die Räder gekommen."
Infolge der Proteste musste die Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek zurückgetreten.
Für den österreichischen Regisseur Markus Schleinzer liegt das Problem im allgemeinen Kulturverständnis seiner Heimat.
"Der Kulturbegriff in Österreich ist meiner Meinung nach sehr zwiespältig", sagt er. "Es gibt hier immer noch dieses weitverbreitete Bild, dass der Künstler, die Künstlerin, bis um zehn in der Harpfen liegt, wie wir hier so sagen würden. Und dann a bisserl was macht - und dann um 14 Uhr sich dem Absinth hingibt. Es wird hier sehr selten verstanden, dass Kulturarbeit auch eine große Arbeit ist, auch ein Beitrag ist, und vor allem, was selten wahrgenommen wird, ich kann jetzt nur ein Beispiel sagen, alleine die Filmwirtschaft hat eine Wertschöpfung für dieses Land von 1,4 Milliarden Euro."

Österreichischer Film als Störfaktor

Die Kultur werde in Österreich gerne auf repräsentative Zwecke reduziert. Das hänge mit der gebrochenen nationalen Identität des Landes zusammen, die immer noch eine Folge der verdrängten NS-Vergangenheit sei, meint Schleinzer. Der Kultur sei in der Nachkriegszeit die Aufgabe zugekommen, die gesellschaftliche Realität folkloristisch zu verklären.
"Aus dem heraus gibt es Kulturbestrebungen, die sehr touristisch angegangen werden: Da ein Neujahrskonzert und immer noch Straußwalzer spielen. Und dann gibt es auch die Kultur des Widerstandes – wenn man sagt, dass Kultur immer unangenehm sein muss und auf Dinge hinweisen muss, die schmerzhaft sind für eine Gesellschaft."
Der im Ausland hochgeschätzte österreichische Film sei dabei ein Störfaktor. Wie wenig Beachtung er in der Coronakrise seitens der Politik finde, zeige sich schon daran, dass trotz Corona zum Beispiel das ZDF in der Steiermark drehen kann.
"Dass andere jetzt da drehen, und wir noch immer weit davon entfernt sind zu wissen, unter welchen Bedingungen wir die Kameras wieder andrehen dürfen, ist natürlich absurd."

In Deutschland haben erste Kinos wieder geöffnet

Und obwohl der Shutdown in Österreich viel früher als in Deutschland gelockert wurde, sollen die Kinos erst im Juli öffnen. In Deutschland dürfen die ersten Kinos schon seit 9. Mai in Hessen öffnen, in Sachsen galt das sechs Tage später. Allerdings haben anfangs nur sehr wenige Kinos, wie die Schauburg in Dresden, wieder aufgemacht. Das Publikum blieb zurückhaltend.
"Am Montag waren es um die 30, gestern waren es um die 50", sagt Stefan Ostertag. "Die ersten zwei Tage waren überschaubar. Aber nichtsdestotrotz stimmt mich die Resonanz positiv. Die Leute, die gekommen sind, haben sich sehr gefreut, und ich denke, das wird sich in den nächsten Tagen verstärken und ein bisschen rumsprechen."
Der Geschäftsführer Stefan Ostertag ist optimistisch. Inzwischen haben drei weitere Kinos in Dresden geöffnet. Die Kulturministerkonferenz und die Kulturstaatsministerin haben jetzt Eckpunkte für eine einheitliche, bundesweite Öffnung der Kinos als Empfehlungen für die Bundesländer erarbeitet. Die Kinoverbände favorisieren den 2. Juli als gemeinsamen Start für die deutschen Kinos, einen Tag nach Österreich.
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