Kurz oder Kern?
Kurz vor der Parlamentswahl in Österreich lag der sozialdemokratische Bundeskanzler Christian Kern weit hinter seinem konservativen Herausforderer, dem 31-jährigen Außenminister Sebastian Kurz. Rechtspopulisten erwarten satte Gewinne. Wie reagieren Österreichs Kulturschaffende auf den zu erwartenden Rechtsruck?
Geht es nach den Prognosen von Meinungsforschern und Kommentatoren, steht das Wahlergebnis am kommenden Sonntag bereits so gut wie fest: Der konservative Jungstar Sebastian Kurz, 31, wird als strahlender Sieger aus dem Urnengang hervorgehen, und er wird – davon gehen die meisten Analytiker aus – so rasch wie möglich eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ bilden. Eine Prognose, die dem Schriftsteller Daniel Kehlmann Entsetzensschauer über den Rücken jagt:
"Es wäre für das Ansehen des Landes fatal, unendlich fatal, wenn Österreich nun plötzlich doch wieder das erste Land in Europa wäre, das in der jetzigen Lage einer rechtspopulistischen Partei eine Regierungsbeteiligung ermöglicht."
Noch ist es nicht so weit. Der sozialdemokratische Bundeskanzler Christian Kern, ein fescher, smarter Linker, setzt nach einem von Dirty-Campaigning-Vorwürfen geprägten Wahlkampf zu einem leidenschaftlichen Finale an. Kern will sich mit der drohenden Niederlage nicht abfinden, er hetzt von Marktplatz zu Marktplatz, von Fernseh-Studio zu Fernseh-Studio, um seine Vision von einem modernen, sozial gerechteren Österreich unters Wahlvolk zu bringen. Ob’s reicht, wird sich am Sonntag weisen.
Politiker schüren Angst, obwohl es dem Land gut geht
Die Schauspielerin Katharina Stemberger hat die Wahlauseinandersetzungen während der letzten Wochen genau beobachtet. Ihr sei dabei immer wieder EINE Frage durch den Kopf gegangen, meint sie:
"Von welchem LAND sprechen diese Politikerinnen und Politiker? Österreich hat ein wunderbares Wirtschaftswachstum, wir haben sinkende Arbeitslosenzahlen, wir haben überhaupt Arbeitslosenzahlen, da können wir uns – im europäischen Vergleich – wirklich freuen, unsere Gesundheitsversorgung ist wunderbar, unser Kinder bekommen eine gute Ausbildung, wenn man durch Österreich fährt, sieht man: ein Garten ist schöner als der andere, und alles funktioniert. Allerdings: Wenn man den Politikerinnen und Politikern zuhört, hat man das Gefühl: Demnächst kommt der Weltuntergang, wenn nicht überall, so doch ganz sicherlich in Österreich. Das erinnert mich an Theaterstücke, wo man den Leuten im ersten Teil wahnsinnig viel Angst machen muss, damit man ihnen dann die Lösung bringen kann. Das ist eine wahnsinnig zynische Diskussion, die einfach jeder Grundlage entbehrt."
Österreich steht also, wenn man den Meinungsumfragen trauen darf, vor einem dramatischen Rechtsruck. Eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen scheint unausweichlich, zumindest stellt die Presse es so dar. In einzelnen Zeitungen kursieren bereits Ministerlisten. FPÖ-Chef Heinz Christian Strache soll diesen Berichten zufolge das Innenministerium in Wien übernehmen – mit der Verantwortung für den Staatsschutz, die Polizei und die Migrationsagenden.
Katharina Stemberger: "Entschuldigen Sie, ich muss lachen. Das wäre zu lächerlich. Ich glaube nicht, dass die Österreicherinnen und Österreicher dem Herrn Strache das Innenministerium übergeben wollen."
Ist die österreichische politische Klasse kleingeistig?
Der Schriftsteller Doron Rabinovici ist sich da nicht so sicher. Er hat vor siebzehn Jahren die großen Massendemonstrationen gegen die erste schwarz-blaue Koalition unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mitorganisiert. Im Interview mit der ARD meint Rabinovici:
"Es wird weiterhin einen prinzipiellen Protest geben, und den muss es auch geben. Aber das große Entsetzen kann es nicht mehr geben. Man kann einfach nicht zwei Mal schockiert sein vom gleichen Ereignis."
Der Architekt Wolf D. Prix verantwortet als Mitbegründer des weltweit erfolgreichen Büros "Coop Himmelb(l)au" unter anderem die Gestaltung der "BMW-Welt" in München und der "Europäischen Zentralbank" in Frankfurt. Prix lehnt eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei strikt ab, und das nicht nur wegen der Neonazi-Vergangenheit ihres Führers Heinz-Christian Strache. Der weltweit erfolgreiche Baukünstler sieht die Kleingeistigkeit der politischen Klasse in Österreich generell kritisch.
Inhaltlich kahlgeschoren
Wie schon so oft in seiner Geschichte halte sich Österreich, eine Kleinbürger-Republik wie nur je eine, auch diesmal wieder für den Nabel der Welt, bemängelt Prix:
"Tatsächlich sind wir in einem Zwergpudelland, mit allen Vorteilen geföhnter Pudelfrisuren, aber inhaltlich, muss ich ehrlich sagen, sind wir kahlgeschoren."
Wie immer die Wahl am Sonntag ausgehen wird: Die zweite österreichische Republik steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Dass Schwarz-Blau bereits eine ausgemachte Sache sei, wie alle behaupten – Katharina Stemberger will es nicht glauben:
"Ich glaube, wir werden am Sonntag eine – Überraschung erleben."